Neuro - Alltag
Es ist ein bisschen Chaos an diesem Morgen. Ein Kollege ist frei nach
Dienst, eine Kollegin hält einen Vortrag und eine weitere Kollegin ist in der
Notaufnahme. Übrig bleiben die Anfänger. Der neue Kollege, der erst seit drei
Wochen in der Neurologie ist, die neue PJlerin, die seit Anfang der Woche da
ist und ich.
„Mit wem soll ich denn jetzt Visite machen…?“, fragt der Oberarzt
völlig entsetzt.
Zu Dritt versuchen wir irgendwie das Chaos für den Oberarzt zu
sortieren… - was uns nur so halb gelingt. Und ich bin ehrlich gesagt am Rand
der Dekompensation. Im Moment bin ich eben doch leichter aus dem Konzept zu
bringen, als sonst.
Ich versuche mit dem Dokumentieren hinterher zu kommen und schaffe es
sogar ganz gut. Nur in meinem Zimmer geht es dann ein bisschen schief. „Also
die Internisten haben wegen des Langzeit – EKGs eine ambulante Anbindung
empfohlen“, erkläre ich. Die Schwester sieht mich irritiert an. „Ähm nein,
entschuldigen Sie…“ Shit, Patienten verwechselt. Das geht gar nicht… Mein Hirn ist gerade so chaotisch, dass es
vollkommen leer ist. Ich krame doch schnell meinen Notizzettel aus der Tasche
des Kasacks, auf dem ich in rot die wichtigsten Schlagworte vermerkt habe.
Eigentlich sollen wir das in der Visite auswendig können. Der Oberarzt sagt
nichts; aber aufgefallen ist es ihm bestimmt.
Danach klappt aber alles. Und ich schaffe es sogar die Kollegen zu
überzeugen, dass sie einer Patientin die Medikamente ein paar Tage länger
mitgeben, weil ihr Hausarzt einige Tage geschlossen hat und sie nicht zur
Vertretung gehen möchte.
Eigentlich soll ja der ärztliche Kollege, der das Zimmer in dem meine
Patienten liegen betreut, immer noch ein Auge auf das haben, was ich so mache.
Das hat in der Vergangenheit oft dazu geführt, dass mir Dinge sofort abgenommen
wurden, ohne dass ich es selbst versuchen durfte. Da meine beiden Patienten
aber zum Zimmer des neuen Kollegen gehören und der auch noch nicht so den
Durchblick hat, nickt er bei jeder Frage, die an ihn heran getragen wird in meine
Richtung und sagt: „Kollegin… - Du bist zuständig.“
Das stresst mich manchmal und wenn es um wichtige Dinge und Anordnungen
geht, frage ich die anderen Kollegen, ob sie nochmal drüber schauen können.
Aber angefangen bei der Überlegung zu diagnostischen Maßnahmen, über
die Anmeldung von Untersuchungen, Aufklärungen und anschließende Interpretation
der Ergebnisse, bis hin zur Auseinandersetzung mit dem Sozialdienst, dem
Stellen von Reha – Anträgen, dem Schreiben von Briefen und dem Führen
Angehörigengesprächen, die alles verständlich erklärt haben wollen, habe ich
alles selbst gemacht.
Ich weiß nicht, ob ich es sagen darf, aber das macht mich schon ein
bisschen stolz.
Heute haben wir noch eine schwer betroffene Patientin auf unserer
Station aufgenommen. „Wir kennen uns doch – Du hast doch bei uns in der
Kreisklinik gelernt“, hat mich der Sohn auf dem Flur abgefangen. Ich konnte ihn
erst gar nicht richtig einordnen und habe deshalb ein Privatgespräch vermieden.
War er von der Pflege? Und dann konnte ich mich erinnern, dass er oft im
Spätdienst war und wir deshalb nicht viel miteinander zu tun hatten, aber ich
mich immer sehr gefreut habe, wenn er nachmittags da war, weil er sehr
erfahren, aber dennoch überhaupt nicht überheblich war.
Es tut mir so unglaublich leid für diese Familie. Schlaganfälle haben
die unangenehme Eigenschaft, dass sie eben schlagartig auftreten. Dass die
Menschen beim Frühstück noch fit am Tisch saßen und zwei Stunden später komatös
in der Notaufnahme liegen. So schlimm ist es selten, aber hier ist es das. Und
irgendwie nimmt mich das mit. Wir wissen nicht, ob sie die Nacht schafft…
Ich hätte gern irgendetwas der Situation angemessenes gesagt… - aber
was ist schon angemessen? Die Situation ist beschissen… - das ist einfach so.
Und dass ich ihn erst nicht zuordnen konnte, hat die Kommunikation nicht besser
gemacht.
„Mondkind, kommst Du heute Nachmittag nochmal runter?“, fragte mich
mein Neuro – Oberdoc. Sehr gut, dass er fragt. Dann muss ich es nicht machen.
Wir reden nochmal über Montag. Er sagt, dass ich typische
Anfängerfehler gemacht habe, aber dass das beinahe jedem mal passiert und es
ihm auch passiert sei. Und selbst er sagt, dass es nicht nur meine Schuld war,
sondern auch einige äußere Faktoren mit hinein gespielt haben und es dann eben
dieses Desaster geworden ist. „Verbuche es als Erfahrung auf Deiner Lernkurve“,
erklärt er.
Aber er scheint gar nicht mehr so schlecht auf mich zu sprechen zu
sein. Wir überlegen, welchen Patienten ich nehmen könnte. Die Epilepsie –
Patientin die er angedacht hatte, findet er nun doch etwas zu schwer, aber er
hat da in der Notaufnahme noch ein paar potentielle Kandidaten. Es bleibt
spannend bis Freitag…
Auch müssen wir uns überlegen, auf welche Station ich ab Montag soll.
Auf die Epilepsie zu gehen, wäre ungünstig. Der Oberarzt und der Stationsarzt
gehen in den Urlaub. „Du kannst natürlich versuchen die Epilepsie – Station zu
retten. Ich weiß nur nicht, ob Du so viel dabei lernst…“ „Und ich weiß nicht,
ob ich dafür geeignet bin“, entgegne ich. Dann bleibt jetzt eigentlich doch nur
noch die Intensivstation. Ehrlich gesagt habe ich Angst davor. „Aber ich
glaube, wenn ich mich getraut habe, werde ich im Nachhinein dankbar dafür sein“,
erkläre ich. „Genau“, sagt er. Ich soll es mir bis Freitag überlegen.
Einen Brief habe ich heute fertig geschrieben, das habe ich ihm auch
gleich noch gesagt. Ich bin mal gespannt, wie viel er ändert…
Auch eine Lumbalpunktion durfte ich heute auch noch machen. Es war ziemlich schwierig bei ihr. Zwar war die Patientin recht jung und bisher
ist man da immer mit ganz sanftem Druck zwischen den Bändern durchgekommen. Heute
bin ich aber schon mit dem Introducer nicht weiter gekommen. „Das kann nicht
sein Mondkind“, dachte ich mir. Ich habe doch vorher gefühlt, dass da eine
Lücke zwischen den Wirbelkörpern ist – ich bin doch nicht blöd. Meine Kollegin
hat sich schon sterile Handschuhe übergestreift. Ich habe mich dann doch noch
getraut ein bisschen mehr Druck aufzubauen und dann ließ sich das Ding wirklich
vorschieben. Ich bin eben echt ein Angsthase. Auch das Vorschieben der Quincke –
Nadel war mühsam. „Kleinen Finger am Rücken der Patientin abstützen, damit man
beim Widerstandsverlust nicht die Gewalt über die Nadel verliert“, hatte sie
mich mal belehrt. „Mondkind – Du kannst mit der Nadel mit Sicherheit keinen
Knochen durchbohren, wenn da wirklich einer sein sollte“, denke ich mir.
Millimeterweise schiebe ich die Nadel vor und ziehe den Mandrin immer wieder
zurück um zu schauen, ob der Liquor mir endlich entgegen kommt. Und nach einer
gefühlten Ewigkeit sehe ich die klare Flüssigkeit. Yay – es hat endlich mal
wieder etwas gut geklappt!
Der Rest ist ein Kinderspiel. Warten bis der Liquor in die fünf
Röhrchen getropft ist, Nadel rausziehen, Pflaster drüber und die Patientin hinlegen.
Im Moment genieße ich es, über alle Stationen hüpfen zu können und
scheinbar von meiner alten Station wirklich gern gesehen zu werden.
Ansonsten… - es geht irgendwie. Es ist halt super anstrengend, weil
die Negativität vehement an meine Tür klopft. Aber noch halte ich sie in
Schach. Und vielleicht gelingt mir das auch, wenn Ansprechpartner, die Impulse
geben können, zeitnah zu erreichen sind und Knoten gelöst werden können, bevor ich mich wieder völlig darin eindrehe. „Mondkind, Du musst rauskommen aus der
Opferrolle. Das überrennt Dich nicht einfach so. Es ist an Dir, was Du aus den
Situationen, in die Du verwickelt bist, machst.“ Es hört sich hart an, aber es
ist schon so. Jetzt ist noch nicht Zeit, für Katastrophendenken. Das kann dann
Ende Dezember kommen, aber noch nicht jetzt. Und ob ich mich von der
Negativität vereinnahmen lasse oder nicht, ist meine Entscheidung. Und nein,
das möchte ich nicht. Ich möchte nicht ständig so anstrengend für meine
Mitmenschen sein und ich möchte mir keine Chancen mehr verbauen, weil ich mit
mir selbst nicht zurecht komme und am Ende doch einsehen muss, keine andere
Wahl zu haben, als einen Umgang mit mir selbst zu finden.
Ja, es gibt viele Variablen und das schafft Unsicherheit – aktuell insbesondere
was die Zukunft anbelangt. Ich bin jeden Tag an Überlegungen zur Lösung dran
und an dem Versuch Informationen über Möglichkeiten einzuholen – wobei es da
derzeit eher um den Zeitrahmen geht. Und ich muss es nicht heute oder morgen
wissen. Anfang Dezember reicht – kein Grund sich jetzt exorbitant damit zu
stressen und manche Dinge kann ich einfach nicht beschleunigen. Und um nächstes
Jahr im Herbst anzufangen, würde es auch noch im Januar oder Februar reichen. Obwohl
ich es gern klären würde, bevor ich gehe.
Wobei eine Kollegin mir letztens auch sagte, dass der Umzug aus der
Stadt in der sie vorher gelebt hat hierher, sie auch sehr beschäftigt. Es ist
einfach so. Die gewohnte Umgebung zu verlassen, ist nie einfach. Für keinen.
Und da ich das in den letzten Jahren ständig getan habe, ist es auch okay daran
manchmal auch ein wenig zu knacken zu haben. Und wenn man hin und wieder
jemanden zum Reden braucht, darf man sich auch Hilfe holen. Nur aufgeben – das darf
man nicht.
Mondkind
P.S.
Im Moment beschäftigt mich sehr, ob ich den Blog so wie er aktuell ist, weiter führen kann. Ich bin noch nicht ganz zu einem Ergebnis gekommen - wahrscheinlich kommt aber in den nächsten Tagen ein Statement dazu.
P.S.
Im Moment beschäftigt mich sehr, ob ich den Blog so wie er aktuell ist, weiter führen kann. Ich bin noch nicht ganz zu einem Ergebnis gekommen - wahrscheinlich kommt aber in den nächsten Tagen ein Statement dazu.
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