An der Heizung


Es ist bald ein Jahr her, dass ich das letzte Mal auf dem Gelände der Psychiatrie in der Studienstadt war. Damals, weil ich einen Termin bei einem Psychosomatiker hatte. Er wollte sich das alles mal anhören und sich dann überlegen, wie und ob er mir helfen kann.
Letzten Endes ist es bei zwei Terminen geblieben, weil bei mir die Examenslernzeit vor der Tür stand und wenig Zeit für konstruktives Arbeiten war. Und danach würde ich für das PJ wegziehen.

Und dennoch haben diese zwei Termine viel geändert.
Es war ein kalter, verregneter Tag und wir haben in einem dunklen Büro gesessen, dessen Möbiliar wie das ganze Gebäude, aus der Mitte des letzten Jahrhunderts stammte. Hohe Decken, schwere Türen und alles irgendwie ein bisschen trostlos.
„Was Sie beschreiben, nennt man Einsamkeit…“ Der Satz hallt bis heute in meinen Ohren nach. Er hat ihn ganz leise gesagt – wahrscheinlich, weil ich auch ganz leise gesprochen habe. Und ich habe lange geschwiegen.
Einsamkeit… - ich war doch nicht einsam? Es hatte sich zwar irgendwie ergeben, dass ich ziemlich auf mich selbst gestellt war, aber ich war doch nicht einsam. Zu den Eltern gab und gibt es nur wenig Kontakt und wenn er doch besteht, ist er meist wenig hilfreich. Ein Sozialleben war die letzten Jahre schwierig – erst bin ich ewig gependelt, dann hatte ich einen kurzen Sommer, ehe die Examenslernzeit anfing und aktuell sehe ich die Freunde auch sehr selten. Das Umfeld war wenig konstant, einzige Beszugsperson war lange die Therapeutin.

Nach meinem überstürzen Auszug aus dem Elternhaus musste ich sehr schnell erwachsen werden. Viele Dinge nachholen zu lernen, die für andere in meinem Alter schon selbstverständlich waren. Ich habe es geschafft. Ich bin nicht unter gegangen. Irgendwie habe ich mich in dieses Leben gekämpft.
Die meisten Dinge musste ich selbst meistern. Denn wenn ich es mal nicht schaffen sollte, ist da keiner, der halten oder helfen kann. In der Zeit ist mir erst klar geworden, wie stark ich eigentlich bin.

Wie passt Einsamkeit in dieses Selbstbild? Es ist etwas, dem ich ein bisschen hilflos gegenüber stehe. Denn ich kann es nicht ändern. Hier zu arbeiten, bedeutet die Freunde in der Studienstadt zurück zu lassen. Und da ich nach der Arbeit ohnehin fast immer reif für das Bett bin, wäre ich auch in der Studienstadt nicht mehr zu sehr viel fähig nach der Arbeit.
Einsamkeit zu besiegen erfordert viel Einsatz, viel Kraft und am Ende liegt es doch nicht in der eigenen Hand, ob es Menschen gibt, die einem ein Stück von ihrem Herz geben wollen.

„Mondkind, wie kann man Dir denn helfen?“ Diese Frage kommt manchmal. „Da gibt es nichts mehr zu reden. Da hilft nur noch Geduld. Irgendwann wird es wahrscheinlich wieder besser werden“, ist dann meistens die Antwort. Aber was ich eigentlich sagen will ist: „Es gibt nichts mehr zu reden, aber wenn Du wirklich etwas tun möchtest, dann setz Dich heute Abend einfach mit einem Tee mit mir vor die Heizung. Wir müssen nichts machen. Nur sitzen. Und ich muss wissen, dass da ein Mensch zwanzig Zentimeter neben mir sitzt…“
Das kann man natürlich so keinem sagen… 



„Ich bin doch überhaupt nicht einsam“, habe ich dem Psychosomatiker gesagt. „Denken Sie mal drüber nach“, hat er geantwortet. Habe ich. Sehr lange. Ich war es in den letzten Jahren gewohnt, alles irgendwie hinzubekommen. Ich konnte mich perfekt organsisieren. Wenn ich etwas wollte, habe ich die Menschen gelöchert bis ich die Antworten hatte, ich habe meine Wertvorstellungen überdacht und ein wenig angepasst, ich bin mehrmals umgezogen. Ich hatte so viel Chaos in meinem Leben und habe trotzdem nebenbei ziemlich erfolgreich studiert.
Nur diese eine Sache, die mein Herz am meisten zerreißt – die kann ich nicht alleine schaffen. Einsamkeit besiegt man nicht allein. Und deshalb habe ich wohl so lange die Augen davor verschlossen. Manche Krisen wären wahrscheinlich sehr einfach zu lösen. Ohne Worte. Aber es gibt diesen Menschen dafür nicht. Weshalb sich das jedes Mal über einen langen Zeitraum zieht. Solange, bis mein Hirn kapiert hat, dass rebellieren nichts bringt. Und wir einfach weiter gehen müssen. Alleine.

Mondkind

Bildquelle: Pixabay

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