Der erste Tag Intensivstation

Ich schleiche den Berg nach oben. Heute soll ich also auf die Intensivstation. Was ich davon halten soll, weiß ich nicht. Im zweiten Stock hat es ja zuletzt auch nicht mehr geklappt. Man hat einfach die Balance nicht mehr gefunden. Entweder man hat mir gar nichts mehr erklärt und mich auch nichts machen lassen, oder man hat mir einen Patienten gegeben und mich mit ihm alles machen lassen. Letzteres wäre ja ein guter Ansatz, wenn ich auf meine Fragen nicht mit einem spöttischen Unterton versehen gehört hätte: „Du bist die Ärztin.“ Und genau das bin ich eben nicht. Ich bin Studentin. Und ehe ich dem Patienten schade, frage ich halt lieber. Und dazu habe ich bei meinem Ausbildungsstand auch jegliches Recht.

Wieder mal in roten Klamotten helfe ich heute Morgen noch bei den Blutabnahmen im zweiten Stock. Dort ist man häufig dankbar für jede helfende Hand – auch wenn die Patienten vom roten Outfit immer dezent verwirrt sind. Heute schaffe ich es sogar eine Nadel bei einem älteren Herrn zu legen, bei dem die einschlägig zu benutzenden Venen so geschlängelt sind, dass ein Vorschieben der Nadel definitiv unmöglich ist und der davon ab, ziemlich wenig im Angebot hat. Irgendwo am Unterarm finde ich in der Tiefe eine schmale Vene und wie durch ein Wunder, klappt es.

Nach der Frühbesprechung – in der heute Morgen leider keiner aus dem Intensivteam war – gehe ich wieder mal hinab in den Keller. Um auf die Station zu kommen, muss man die Tür mit einem Code öffnen – den habe ich natürlich nicht. Aber kurz nach mir kommt zum Glück der Oberarzt der Station und verrät ihn mir.

Als erstes drehen der Oberarzt und ich eine Runde über die Station und ich erhalte eine kleine Einführung. Bei einem anschließenden Kaffee im Aufenthaltsraum erklärt er mir, dass ich unter Aufsicht alles machen dürfe. Ob Tracheotomie, Arterien oder ZVKs legen – alles was anfällt. Das ist der Moment, in dem mir etwas mulmig wird. Natürlich möchte man nicht „nein“ sagen und ich würde sehr gern lernen einen ZVK zu legen, aber wirklich in den Menschen hinein zu stechen… - und wenn man sich nicht routiniert beeilt, gibt es immer ein kleines Blutbad bis alles so sitzt, wie es soll.

Der Oberarzt ist ein Fall für sich. Eigentlich ein sehr netter Mensch, aber für seine Intensivstation hatte er andere Visionen als das, was der Konzern daraus gemacht hat. Und daraus resultiert eine gewisse Verbitterung, die man ausgedrückt durch einen ausgeprägten Sarkasmus an allen Ecken zu spüren bekommt. Durch die Blume erklärt er mir auch immer wieder, dass die Idee hier als Assistenzärztin anzufangen, schlecht wäre. Wäre, weil er nicht weiß, dass es so gut wie beschlossene Sache ist und ich das auch tunlichst vermeiden sollte zu erwähnen. Es verunsichert mich ehrlich gesagt, aber einige Punkte die sie bemängeln, finde ich gar nicht so blöd. Ein wenig funktionierendes Rotationssystem der Assistenzärzte und dadurch Verzögerungen in der Facharztausbildung wird zum Beispiel sehr stark kritisiert. In anderen Häusern seien die Assistenten wohl alle vier Wochen auf einer anderen Station. Aber will man das? Käme ich damit zurecht?



Wir brechen auf zur ersten Visite des Tages. Und gleich im ersten Zimmer komme ich schon an meine Grenzen. Eine junge Frau liegt dort mit einem hypoxischen Hirnschaden. Psychomotorisch extrem unruhig, nicht ansprechbar. Zustand nach Suizidversuch – der wohl nicht ganz so geklappt hatte, wie gewünscht. Und jetzt liegt sie da, wird ihr Leben nie wieder selbst in der Hand haben, keine eigene Entscheidungen treffen, auch nicht die hinsichtlich ihres Ablebens.
Depressionen waren wohl vorbekannt, die Patientin sei in ambulanter Behandlung, aber zuletzt einigermaßen stabil gewesen. Es war wohl eine Kurzschlusshandlung. Wenig durchdacht. Einfach, weil die Verzweiflung in dem Moment die Macht übernommen hat.
Manchmal habe ich ein bisschen Angst, dass es mit mir auch irgendwann so endet. Wer kann schon die Garantie dafür übernehmen, dass es in den dunkelsten Stunden einer Krise nicht doch mal mit einem durchgeht?
Positiv fällt mir aber auf, dass alle Ärzte keine Vorbehalte haben und die Patientin genauso behandeln, wie alle anderen auch. Und wenn der Ultraschall eine Stunde dauert, weil die Patientin so unruhig ist, dann ist es so. Es kommt von keinem der Kommentar: „Na die wollte doch eh sterben“, wie ich das schon so oft gehört habe in solchen Situationen.

Hier auf der Intensivstation liegen die Menschen, die nicht glimpflich mit dem Schlaganfall davon gekommen sind. Und auch wenn die meisten relativ alt sind – aber irgendwie bewegt es doch. Vor allem, weil man von vielen nicht weiß, wo sie gerade sind. Wie viel nehmen sie aktuell wahr? Ist ihnen bewusst, wo sie sind und dass ihre Lage so kritisch ist? Haben sie Angst? Ist ihnen kalt? Haben sie Schmerzen? Alles Dinge, über die man nur mutmaßen kann.

Die Assistenzärzte spannen mich gleich voll mit ein. „Mondkind, willst Du eine Arterie legen?“, höre ich, kaum dass wir von der Visite wieder da sind. Die Ärztin zeigt mir genau wie es geht und versucht es am Handgelenk. Das ist eine sehr schmale Arterie und es gelingt ihr nicht. Sie fordert mich auf, es kurz oberhalb des Ellenbogens zu versuchen. Dort ist die Arterie breiter und es ist einfacher, sie zu treffen.
Irgendwie scheue ich mich ja, in Arterien rein zu pieken. Irgendwann hat mal jemand zu mir gesagt: „Mondkind, wenn Du bei einer Blutabnahme aus Versehen die Arterie triffst, kannst Du gleich den Gefäßchirurgen anrufen.“ Ich glaube, das was maßlos übertrieben, hat aber meinen Respekt deutlich erhöht.
„Du musst es hier wirklich im 45 – Grad – Winkel machen“, erklärt die Ärztin und richtet meine Hand etwas anders aus. Mit den Fingern der einen Hand fühle ich den Puls, mit der anderen Hand schiebe ich die Nadel in den Arm unterhalb meiner Finger und treffe dort tatsächlich auf die Arterie. Jetzt nur noch vorschieben und Blocken und meine erste Arterie liegt…

Ich sitze kaum wieder im Stationszimmer, als ein anderer Assistenzarzt kommt. „Mondkind, ich muss zwei Trachealkanülen wechseln. Eine schaust Du Dir an, eine machst Du selbst…“
Auch das ist ja nun kein Pappenstiel, da man den Patienten zwischendurch von der Beatmung weg nehmen muss. Braucht man zu lange oder schafft man es nicht die neue Kanüle durch das Loch im Hals zu schieben, muss man in Windeseile wieder intubieren, um Sauerstoff in den Patienten zu bringen.
Hier gelingt mein Versuch nicht ganz so gut. Ich bin mir nicht so sicher, wie viel Druck ich aufbringen darf. Einfach so hinein schieben lässt die neue Kanüle sich bei meinem Patienten nicht, aber ich möchte auch keine Gefäße verletzten, was dann im Halsbereich zu massiven Blutverlusten führt. Hier müsse man es ein paar Mal gemacht haben, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, erklärt mir der Arzt.

Mir fällt auf, dass auf der Station sehr viel Ruhe herrscht. Lernen ist tatsächlich ziemlich entspannt möglich. Es steht immer ein erfahrener Kollege auch entsprechend steril eingekleidet daneben, sodass er es sofort übernehmen kann, wenn ich nicht weiter komme. Es wird auch alles in Ruhe erklärt, es brüllt niemand herum und das Team scheint auch verinnerlicht zu haben, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen ist.
Ehrlich gesagt könnte ich es mir hier sogar gut vorstellen zu lernen, wie man einen ZVK legt und es tatsächlich selbst versuchen.  

Auch zum Mittagessen nimmt man mich heute ganz selbstverständlich mit.
Bis zum Nachmittag sammeln sich auf dem Schreibtisch der Kollegen durchschnittlich drei Kaffeetassen an und nachdem wir den Geschirrspüler im Aufenthaltsraum nur mit Tassen aufgefüllt haben, gehen wir auf die zweite Visite an diesem Tag.
Und danach ist es auch schon 16 Uhr und der Tag ist fast durch.

Ich hoffe, dass es in den nächsten zwei Wochen so gut weiter geht. Einen Arbeitsplatz habe ich da unten nicht – alles PCs sind besetzt. Wie wir das machen, wenn ich dann eigene Patienten haben soll, weiß ich noch nicht.
Der Tag war echt auch psychisch im Rahmen heute. Wenn es in irgendeiner Form um Zeitplanung ging, ist in mir zwar wieder die Panik hochgestiegen, weil der Gedanke „heute in zwei Wochen…“ wirklich unerträglich ist, aber ich konnte es ganz gut verdrängen zwischendurch. 




Auch hinsichtlich meiner organisatorischen Dinge ist der Start in die Woche gut gelaufen.
Mit der Technik in der Klinik habe ich einen Übergabetermin für die Wohnung ausgemacht – das dürfte jetzt mit der Abfahrtszeit, die mein Vater vorgegeben hat, zusammenpassen.
Beim Zahnarzt habe ich heute auch angerufen (und wer hat mal wieder eine halbe Stunde das Handy in der Hand hin und her gedreht…? – manchmal könnte ich mich echt selbst an die Wand klatschen…). Jedenfalls war die Dame am Telefon schon mal sehr nett. Sie hat mich ein bisschen ausgefragt und irgendwann festgestellt, dass mein alter Zahnarzt in den letzten Jahren ja mal so absolut überhaupt nichts gemacht hat. Dass nicht mal ein Röntgenbild existiert, hat sie schon etwas entsetzt. Sie hat mir jedenfalls erklärt, dass wir das jetzt alles nachholen werden und ich mir keine Sorgen machen muss – dezent psychisch entgleiste Menschen sei man in der Praxis ja gewohnt.
Jetzt habe ich in den ersten drei Januarwochen jede Woche schon einen Termin – wenn die Therapeutin gnädig ist, könnte man das noch auf zwei Stück aufstocken… - ich hoffe, das kann ich den Chirurgen irgendwie verkaufen.
Lediglich der PJ – Verantwortliche der Uni hat nicht auf meine Frage nach eventuell auszufüllenden Unterlagen geantwortet – ich bin mir sicher, da gibt es welche. Wenn morgen nichts kommt, werde ich telefonieren müssen. Die Uni nimmt da keine Rücksicht, wenn da irgendetwas fehlen sollte.
Und beim Fotografen habe ich auch nicht angerufen. Werde ich auch glaube ich nicht mehr. So schlecht ist das Bild nicht und das nächste brauche ich, wenn ich mich mal woanders bewerben sollte, was so schnell hoffentlich nicht passiert. Und da der Umzug teuer genug wird, im Februar auch schon wieder Semestergebühren zu zahlen sind, die Approbation auch einen dreistelligen Betrag erfordert und ich im Sommer auch noch ein paar Kröten übrig haben sollte, um die Zeit zwischen Staatsexamen und Arbeitsbeginn zu überbrücken, sehe ich das jetzt einfach nicht ein. Die wissen wie ich aussehe, es herrscht Ärztemangel und es geht doch hoffentlich mehr um meine Performance der letzten Monate, als um ein Foto.
Und den Neuro – Oberdoc habe ich heute mal bewusst von meiner Anwesenheit verschont.

Mondkind


P.S. mir gehen langsam die Bilder aus... - aber es ist ja auch ständig dunkel, da sieht man nichts mehr... ;)

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