Letztes Kapellengespräch - Abhängigkeiten in Beziehungen


So schnell geht das… - mit dem letzten Termin beim Seelsorger. Kürzlich erst habe ich mich gefragt, wie wohl die letzte Stunde werden würde und heute war es soweit. Es ist komisch, schon wieder einen Menschen zurück zu lassen, der mich so sehr über den Sommer gezogen hat. Er ist aus privaten Gründen bis Weihnachten nicht da und dann bin ich ja weg. Er hat „private Gründe“ nicht weiter spezifiziert und ich habe mich auch nicht getraut zu fragen, aber ich mache mir ein wenig Sorgen – weil er mir als Mensch einfach irgendwie wichtig geworden ist.

Ich bin ein bisschen stolz auf mich, dass ich ihm heute zumindest sagen konnte, dass er für mich eine große Stütze und ein wichtiger Mensch geworden ist. Oft gelingt es mir nämlich gar nicht, das zu thematisieren, weil ich das häufig für ungerechtfertigt halte, dass ich zu „Fremden“ so schnell eine tiefgehende Beziehung entwickle. Aber nachdem wir uns heute die ganze Stunde über das Thema Abhängigkeiten unterhalten zu haben, konnte ich sagen, dass diese wöchentlichen Treffen für mich sehr wichtig waren, dass ich viele neue Impulse daraus mitgenommen habe und dass sie diese Ankerpunkte waren, die sonst definitiv gefehlt hätten. Irgendwie habe ich ihn genau zum richtigen Zeitpunkt kennen gelernt – kurz bevor die Situation hier das erste Mal ziemlich dekompensiert ist und es meinem Kopf wohl relativ egal war, was ich mache – Hauptsache da ist jemand. Ich empfinde es als ein sehr großes Geschenk, das er mir da gemacht hat.

Abhängigkeiten.
Ein Thema, über das ich bisher sehr selten geredet habe. Bei der Therapeutin hatte ich es ja mal vor – allerdings ist das gründlich schief gegangen. Aber heute können wir es ja machen – dass unsere Wege sich trennen, ist ohnehin klar.
Wir kommen auf erstaunliche Dinge. Es gibt im Prinzip zwei Teile in mir. Der eine Teil, der erwachsen geworden ist. Der eine junge Ärztin ist, der  - wie der Seelsorger sagte – ein Gewinn für dieses Haus ist. Der Teil, der selbstständig ist, der so viel gekämpft und nie aufgegeben hat, um mir dieses Leben zu ermöglichen, das ich heute führe. Der Teil, der manchmal zu strebsam ist, zu kalkuliert und dann vergisst, dass Leben mehr ist, als Leistung zu erbringen.
Und dann gibt es da aber noch einen anderen Teil. Ein Kind, das vor viel zu vielen Jahren verstummt ist. Das nicht laut sein und keine Bedürfnisse haben durfte, das eine positive Beziehungsgestaltung nur bei entsprechender Leistung erhalten hat. Ein Kind, das selten spielen durfte, die Welt erkunden, die Möglichkeiten nutzen durfte, die sich bieten. Und das Kind, das viel zu früh die Eltern verloren hat. Nicht physisch, aber emotional. 



Und dieses Kind bringt mich immer wieder in ambivalente Beziehungen. Lässt mich – vielleicht auch unbewusst – immer Menschen suchen, die diese Lücke in mir füllen, die aber keiner wird stopfen können. Ein bisschen wird sie immer bleiben; ein bisschen werde ich immer auf der Suche sein. Einerseits möchte ich mit den Menschen „erwachsene“ Beziehungen führen und andererseits ist da dieses Kind, das immer wieder danach schreit das nachholen zu dürfen, das so lange gefehlt hat und mich immer und immer wieder in die Abhängigkeit bringt. Denn für dieses Kind ist es keine gleichwertige Beziehung und die absolute Katastrophe, wenn die Wege sich trennen.
Der Seelsorger und ich stellen wieder Stühle in den Raum. Und heute schauen wir gemeinsam auf dieses Kind, das da mit geflochtenen Zöpfen die Beine von der Sitzfläche baumelnd zusammen gekauert vor uns sitzt. Aber im Gegensatz zu der Situation vorher weiß ich jetzt, was da mit mir passiert. Ich kann bewusst erwachsen sein und mir mit dem Seelsorger auf erwachsener Ebene das Kind anschauen und überlegen, was zu tun ist.

„Setzen Sie sich mal bitte auf den Stuhl dort drüben“, sagt er zu mir. Ich nehme auf dem Kind – Stuhl Platz. Fast automatisch ziehe ich die Knie hoch, stelle den Fuß auf die Sitzfläche und mache mich klein. „Was möchte das Kind jetzt?“, fragt er. Ich lasse es eine Weile auf mich wirken. „Sicherheit glaube ich“, sage ich irgendwann. „Und, dass es so angenommen wird, wie es eben ist und nicht, wie es sein soll.“
Irgendwie ist es ein beeindruckender Moment für mich. Zwischen dem "Erwachsen-" und dem "Kind - Stuhl" liegen emotional Welten und während ich auf dem "Kind - Stuhl" sitze merke ich, wie mich diese altbekannte Sehnsucht wieder fast zerreißt und den Seelsorger als Bezugsperson wieder in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt.
Der Seelsorger erklärt, dass Aufgabe in der Therapie sein müsste, zurück auf all diese Gefühl zu kommen, die dieses Kind hat und nie zeigen durfte. „Wenn ich jetzt ihr Therapeut wäre, würde ich sie zurück in all die Situationen damals schicken.“ Aber dazu haben wir keine Zeit mehr. Und irgendwann… - irgendwann soll das dazu führen, dass dieses Kind zur Ruhe kommt. Dass ich selbst es führen kann. Dass ich selbst bewusst die Elternrolle übernehmen kann, das von Personen aus dem Außen nicht mehr brauche und mich dadurch aus den Abhängigkeiten lösen kann.

Denn am Ende ist es doch so, dass es keine Garantien gibt. Das sieht man auch jetzt wieder. Es war von der Seite des Seelsorgers aus auch nicht geplant und natürlich muss er sich jetzt erstmal um seine eigenen Dinge kümmern und das Letzte das er dabei braucht, ist eine überforderte Studentin – aber es war von mir einfach nicht einkalkuliert, die letzten Wochen vor der Rückreise allein gehen zu müssen.
Ich werde sie vermissen – unsere Gespräche in dieser Kapelle, die mich so viel weiter gebracht haben auf meinem Weg. Und ich werde diesen Menschen sehr vermissen, der ein Stück des Weges mit mir gegangen ist. 

Mondkind

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