Zweiter Prüfungsversuch und Klinik - Planung
Früh am Morgen. Bis der Wecker klingelt, dauert es noch eine Weile.
Ich sitze schon am Schreibtisch. Patientenvorstellung durchgehen.
Wieder und wieder. Bis ich es vorwärts und rückwärts kann.
Irgendwie ist es ein merkwürdiger Zustand. Ich könnte nicht sagen,
dass ich aufgeregt bin. Und dennoch merke ich, wie ich leicht hyperventiliere
und meine Muskeln sich ständig verkrampfen.
Die Prüfung muss heute sitzen.
Ich laufe etwas eher los zum Krankenhaus. Als wäre die Prüfung
nicht schon genug, möchte ich heute einen letzten Versuch starten, dem
Psychiatrie – Oberarzt zu schreiben. Und wenn das jetzt nicht klappt, hilft nur
noch anrufen. Ja, ich nerve ihn. Das ist mir bewusst. Aber wenn ich nichts
mache, komme ich nicht an meine Antworten, die ich so dringend brauche.
Gestern habe ich eine Stunde an einer höflichen, möglichst kurzen Mail
gefeilt, die dennoch alle Infos enthält. Wer den Blog kennt weiß, dass „kurz
fassen“ eher nicht so meine Stärke ist. Vor der Frühbesprechung schicke ich die
Mail los und setze die Therapeutin auf copy. Die ist zwar gerade nicht da, aber
dann wissen schon mal zwei Leute von der Mail.
Kurz bevor die Prüfung losgeht,
kommt mein Oberarzt nochmal vorbei. Er will, dass ich ihm den Patienten schon
mal vorstelle. Ich komme genau drei Sätze weit. Dann ist nur noch Leere in
meinem Kopf. Ich bekomme die Dosierung der Medikamente nicht zusammen und kann
nicht mal sagen, was im Stalevo alles drin ist. Dabei weiß ich es doch. Nur
jetzt nicht.
Bevor mein Oberarzt sich darüber aufregen kann, was ich alles nicht
kann, kommt auch schon der ärztliche Direktor. Und irgendwie empfinde ich doch
ein wenig Ehrfurcht vor diesem Menschen.
Da ich weiß, wo mein Patient liegt, soll ich vorgehen. Als bräuchte es
noch eine kleine Starthilfe, spüre ich die Finger der Hand des Oberarztes in
meinem Rücken, die mich vorsichtig in den Gang schubsen.
Zwar merke ich, dass mein Körper komplett überreagiert, aber ein
Gefühl könnte ich trotzdem nicht benennen.
Kurz bevor ich die Tür öffne, fällt mir ein, dass ich fragen könnte,
ob der ärztliche Direktor schon auf dem Gang eine kurze Einführung möchte.
Möchte er. Also erzähle ich. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie sich aus der
Leere in meinem Gehirn die Worte formen. Aber ich rede. Ohne Fehler. Ohne
Stocken.
Wir betreten den Raum und stehen neben dem Patientenbett. „Dann
stellen Sie uns jetzt mal den Patienten vor“, fordert der ärztliche Direktor. „Was
zum Geier will er?“, denke ich mir nur. Ich habe doch gerade schon alles
erzählt. Also erkläre ich nochmal, dass der Patient wegen seines Parkinson –
Syndroms gekommen ist. Als nächstes soll ich ihn untersuchen. Da ich es nicht
mehr geschafft hatte, meine Mappe mit den Unterlagen zur Vorbereitung im
Arztzimmer zu parken, lege ich sie auf dem Nachtschrank des Patienten ab. Der
läuft unterdessen schon ein Mal quer durchs Zimmer und erklärt stolz, wie gut
er wieder laufen kann. „Die neurologische Untersuchung wird doch fast
unauffällig sein“, sagt der ärztliche Direktor. „Naja, der Aufnahmebefund war
aber ein anderer“, beginne ich zu erzählen, aber er unterbricht mich schon. Ich
soll stattdessen dem Patienten seine Medikamente erklären. Unter normalen
Umständen hätte ich jetzt einen Zettel geholt und eine Synapse mit ein paar
Transmittern aufgemalt. Aber das geht jetzt nicht. Ich versuche es so gut ich
kann für den Laien verständlich zu erklären und berichte auch, was an der
Medikation wann und wie geändert wurde. Unterdessen blättert der ärztliche
Direktor in meinem Ordner… und kommt irgendwann auf die Idee zu fragen, wem der
eigentlich gehört. „Mir“, sage ich kleinlaut. „Die Mondkind bereitet sich immer
so auf ihre Patienten vor“, erklärt der Oberarzt. Das ist ja nett von ihm, aber
kaum glaubhaft.
Im Anschluss daran redet der ärztliche Direktor noch ewig mit dem
Patienten und erklärt, mit den Transmittern sei das wie mit dem Super –
Bleifrei. Na wenn das so ist…
Wir sind fertig. Und als wir die Türschwelle übertreten, fallen
Zentner von meinen Schultern. Ich glaube, es ist ganz gut gelaufen. Ich habe
den Oberarzt nicht völlig blamiert. (Später am Nachmittag wird mir nämlich
einer der anderen Oberärzte erklären, dass der ärztliche Direktor das letzte
Mal schon einigermaßen verärgert war und das auch ein schlechtes Bild auf den
ausbildenden Oberarzt geworfen hat…).
Schon wie das letzte Mal merkt der ärztliche Direktor an, dass ich
nicht empathisch genug mit dem Patienten umgegangen sei. Wobei ich das in der
Prüfungssituation auch schwierig finde. Auf dem Stuhl, den ich extra da hatte
stehen lassen, hat sich der ärztliche Direktor gesetzt, also stand ich neben
dem Patientenbett, was natürlich ungünstig war. Ich müsse den Patienten mehr
abholen sagt er. Ich glaube, ich muss mir darüber echt Gedanken machen, wenn es
schon das zweite Mal dieselbe Kritik ist. Wenn man bedenkt, dass es jahrelang
keinerlei soziale Interaktion in meinem Leben gegeben hat, muss ich daran
vielleicht einfach noch arbeiten. Auch wenn es schon viel besser als früher ist
– das erste Pflegepraktikum war eine Katastrophe.
Wiederholung vor der Prüfung - mit besagtem Ordner 😏... - und Füße auf dem Tisch...😶 |
Als ich ins Stationszimmer komme, fällt der erste
Blick in die Mails. Und siehe da… - eine neue Mail. Vom Psychiatrie – Oberarzt.
Nach der Anrede lautet der erste Satz: „Hatte ich nicht geantwortet?“ Nee,
oder? Es gab zwei Mails von mir und zwei von der Therapeutin… - das kann jetzt
wirklich nicht sein…
Er schreibt aber, dass es kein Problem ist nach
dem Examen auf der Station, auf der er arbeitet, aufgenommen zu werden. Ich soll
ihm einfach Bescheid sagen, wenn ich weiß, wann ich mit dem Examen durch bin,
dann plant er es ein. Am Ende erklärt er nochmal, dass es ihm sehr recht ist
und auch dem ausdrücklichen Wunsch seiner Chefin entspricht – wahrscheinlich weiß
er um meine Zweifel, dass es am Ende vielleicht doch nicht klappt und dass ich
Angst habe, einen solchen Aufenthalt gar nicht verdient zu haben und all diese
Dinge.
In dem Moment, in dem ich bei den letzten
Worten der Mail angekommen bin, muss ich einmal kurz die Augen schließen und
mit zwei Fingern fest dagegen drücken um zu verhindern, dass die Tränen ihren
Weg finden. Mit einem Mal ist es absehbar - das zweite Mal, dass heute Druck von mir abfällt. Klar liegt dazwischen eine große
Hürde – das dritte Staatsexamen, aber dann ist es erstmal vorbei. Und danach geht
es hoffentlich anders weiter. Je nachdem wann ich die Prüfung habe, wird es
spätestens Juli. Das sind auch noch sieben Monate. Aber zumindest nicht mehr
unendlich. Klar werde ich da auch nicht gesund raus gehen - aber vielleicht etwas stabiler.
Und sollte – was ich nicht hoffe – mein
Zustand vorher vollkommen dekompensieren, nimmt er mich natürlich auch eher. Dann aber
mit Verschiebung des Examens.
Ich bekomme die Chance nochmal - auch wenn es im Mai an mir lag, dass es nicht geklappt hat.
Natürlich stellt sich jetzt die nächste Frage.
Wie groß lasse ich die Lücke zwischen Examen und Jobbeginn? Die Prüfungen gehen
wirklich bis zum 30. Juni – wenn ich am 1. September anfangen würde, wären das
acht Wochen Zeit – innerhalb derer ich auch noch die Approbation organisieren
und umziehen muss. Das letzte Mal war ich 12 Wochen in der Klinik und es war
eigentlich bei der Entlassung schon absehbar, dass es nicht klappt.
Andererseits wird es halt schwer mit laufenden Kosten und fehlenden Einnahmen.
Und mit meinen Eltern kann ich das nicht besprechen. Wie ich denen erkläre auf
wann ich den Vertrag datiere, weiß ich noch nicht, sollten sie fragen. Aber im
Prinzip kann ich sie nur vor vollendete Tatsachen stellen, sonst fällt denen
wieder irgendetwas ein, um mich von der Klinik fernzuhalten. Zwei Mal denselben
Fehler zu machen, wäre blöd.
Da ich mit meinem Oberarzt morgen sowieso noch
die weitere Rotation besprechen muss, frage ich ihn vielleicht einfach nochmal
um Rat. (Schon traurig, dass man so etwas immer mit „fremden“ Menschen
besprechen muss).
Von den positiven Dingen mal ab, läuft es im
Moment nämlich nicht so gut auf Station. Zwar soll ich jetzt auf der Epilepsie –
Station sein, aber da der Stationsarzt im Urlaub ist, herrscht eine ständige
Vertretungssituation. Und die Ärzte der Nachbarstation können das im Prinzip
auch nicht abfangen. Zwar wollte man unbedingt, dass ich denen helfe, befindet
jetzt aber scheinbar doch, dass es schneller geht, wenn man es selbst macht. Heute
sollte ich einen Patienten aufnehmen, der aber den ganzen Tag bei Therapien war
– ich habe mich extra bei den Schwestern erkundigt, ab wann er wieder da ist.
Und am Ende hieß es: „Die Mondkind macht ihre Aufgaben nicht.“ Das stimmt ja so
nun überhaupt nicht und ich wäre auch länger geblieben, um das noch fertig zu
machen. Ich halte mich schon für einen gewissenhaften Menschen.
Es ist halt kein Einzelfall und so etwas muss
ich mir eigentlich nicht bieten lassen. Dann sollen sie die Station alleine in
Schach halten und ich gehe doch noch auf die Intensivstation – damit ist
vielleicht allen geholfen.
Aber darüber ärgere ich mich heute nicht.
Ab Morgen ist die Schonfrist vorbei – dann heißt
es Neuroanatomie wiederholen für den Tag der offenen Tür am Wochenende. Wir
haben ein begehbares Gehirnmodell und am Sonntag soll ich der neugierigen
Kundschaft das Gehirn erklären.
Mondkind
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