Die erste Reanimation
„Mondkind, versuchst Du dort
drüben einen Zugang zu legen?“, fragt der Oberarzt und schmeißt den
Stauschlauch quer über das Bett.
Um mich herum piepende Monitore,
Schwestern und Pfleger, die aufgeregt hin und her wuseln, Kabel sortieren, EKGs
schreiben, Medikamente holen.
Wenig später stehe ich mit zwei
Infusionsflaschen da, die ich fest zusammen drücke, um die Flüssigkeit noch
schneller in den Patienten zu befördern. Unterdessen rennt ein Pfleger für mich
los und holt Blutdruckmanschetten, die wir um die Infusionsflaschen wickeln und
aufpumpen, damit wir die Hände wieder für andere Dinge frei haben.
Mein Blick richtet sich ängstlich
auf den Blutdruck. Systolisch immer noch bei 40. Obwohl mittlerweile vier
Infusionsflaschen am Patienten hängen und die Schwestern schon die nächsten
holen.
Es ist wie in einem schlechten
Film. Vor ein paar Tagen haben wir den Patienten wach und ansprechbar verlegt.
Ein lieber Zeitgenosse, der mit den Schwestern und Pflegern öfter Witze gemacht
und eine liebevolle Frau hat. Nachdem er erst in der Herzklinik war und dann
bei uns, schien er auf dem aufsteigenden Ast zu sein.
Jetzt liegt er vor uns.
Intubiert, beatmet, kaltschweißig, weiß wie die Wand. Das Labor verrät uns,
dass er im septischen Schock ist. Ein Organ nach dem anderen steigt aus, weil
es nicht mehr durchblutet wird. Denn all unser Volumen erhöht die
Sauerstoffträger nicht und außerdem dürfte in der Peripherie kaum etwas
ankommen, bei dem niedrigen Druckniveau. Wir versuchen es noch mit allerhand
Katecholaminen, aber auch darauf spricht er nur moderat an.
Es ist ein Wettlauf gegen die
Zeit. „Mondkind, es bringt was“, sagt der Oberarzt und zeigt auf den Monitor.
Systolischer Druck bei 80, eine passable Herzfrequenz. Ich bin erleichtert.
Leider nur für ein paar Minuten.
„Mondkind, fang an zu drücken“,
weist der Oberarzt an. Sie haben dem Patienten ein Brett unter den Rücken
geschoben. Reanimation. Zumindest der Versuch. Reihum wechseln wir uns ab.
Sobald wir in zeitlichen Abständen stoppen um zu sehen, ob es eine
Eigenaktivität des Herzens gibt, schreien die Monitore los und zeigen aufgeregt
blinkend die Asystolie an.
Irgendwann knackt es im Brustbein
und dann reißt die Narbe der nicht lang zurück liegenden OP etwas ein und Blut
suppt aus dem Brustbein auf die Haut.
Wir versuchen es noch eine Weile,
aber das Herz springt nicht mehr an. Der Oberarzt telefoniert noch mit der
Kardiologie, aber die wollen nach Bypass – OP und unter Reanimation auch keinen
Herzkatheter mehr schieben.
„Wir hören auf“, sagt der
Oberarzt nach einer halben Stunde
Ich ziehe meine Handschuhe aus,
unter denen sich der Schweiß meiner Hände mit dem Blut des Patienten vermischt
hat. Der zweite Patient innerhalb von zwei Tagen. Sagte der Neuro – Oberdoc nicht
irgendwann mal zu mir, dass in der Neuro nicht so viel gestorben wird?
Man hat es in jedem Notfallkurs
geübt. So oft auf einer Puppe herum gedrückt. Aber in der Realität ist es etwas
anderes.
Ich habe in der Kreisklinik auch
Menschen sterben sehen. Aber ich war nie persönlich dabei. Vielleicht ist das
der Unterschied. Hier standen wir alle daneben, haben alles versucht was die
Medizin her gibt. Er war noch nicht so alt. Weit unter der durchschnittlichen
Lebenserwartung. Und wir konnten nichts machen. Mehr als zwei Stunden standen
non – stop Stations- und Oberärzte um den Patienten herum und er ist uns
buchstäblich unter den Händen weg gestorben.
Ich versuche am Nachmittag noch
irgendetwas für die Uni zu machen, aber es ist vollkommen aussichtslos. „Mondkind
- Du hast heute genug gesehen. Geh nach Hause“, sagt der Oberarzt zu mir um 15
Uhr. „Naja mich nimmt das ja auch mit“, erkläre ich. „Das sehe ich. Wir reden
da morgen mal drüber“, antwortet er.
Ehrlich gesagt wäre er der Letzte, von dem ich so ein Angebot erwartet hätte. Von den unmittelbar
Involvierten ist er auch der Erste, der so ein Angebot an mich heran trägt.
Zwar habe ich darüber mit „meinem“ Neuro – Oberarzt auch schon mal gesprochen,
aber damals noch über Patienten der Kreisklinik. Da wäre es eigentlich die
Aufgabe der dortigen Ärzte gewesen mal daran zu denken, dass man das als
Studentin vielleicht noch nicht mit einem „naja so ist das eben“ wegsteckt.
Aber um 15 Uhr nach Hause gehen
heißt leider nicht, dass ich meinen Gedanken nachhängen kann. Morgen ist mein
letzter Tag in der Neuro und dafür musste ich noch backen. Wie ich das so oft
mache, gibt es Scones mit Marmelade. Das kommt meistens super gut an und der
Aufwand hält sich in Grenzen – was nicht unwichtig ist, wenn man den kompletten
Akutbereich versorgen will.
Der Plan ist, morgen auf jeder
Station nochmal persönlich vorbei zu gehen, ein paar Scones vorbei zu bringen
und mich zu verabschieden (und abends möglichst alle Schalen wieder
einzusammeln…)
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Rohzustand |
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Ein Teil der fertigen Scones |
Überhaupt… - ich habe gestern
Abend mal ganz kurz Entspannungsmusik angemacht. Ein fataler Fehler. Sobald es
ruhig in mir wird, brechen die Dämme. Seit Anfang 2016 habe ich für dieses
Projekt hier gelebt. Dieser Ort war ein Ausdruck von Zukunft, Unabhängigkeit,
von meinem eigenen Weg. Und jetzt betrete ich morgen das letzte Mal für eine
sehr lange Zeit die Neuro. Bin Teil davon. Und nach dem Umzug wird zehn Monate
danach vieles nicht mehr sein, wie es mal war.
Über das „Danach“ habe ich mir
nie Gedanken gemacht.
„Mein“ Oberarzt und ich werden
uns morgen das letzte Mal sehen, weil er mir noch das Zeugnis aushändigen muss.
Es wird ein unfassbar schwerer Moment, das letzte Mal aus seinem Büro zu gehen
und die Tür hinter mir zuzuziehen. Allein der Gedanke ist schwer.
Er war eine wesentliche Stütze
der letzten Monate, hatte immer ein offenes Ohr, war immer erreichbar. Er ist
der wesentliche Wegbereiter meines PJs hier gewesen, hat mir geholfen die
Vision von einer Zukunft hier aufrecht zu erhalten. Er wusste, dass es da diese
zerbrechliche Seite gibt und trotzdem hat er mich im Alltagsgeschäft ganz
normal behandelt.
Ich werde ihn unfassbar
vermissen.
„Bis wir uns wieder sehen wünsche
ich mir, dass Du gelernt hast die Krallen auszufahren“, sagte er gestern zu
mir.
Und wenn ich mir auch etwas
wünschen dürfte, dann wäre es, dass wir hin und wieder mal etwas voneinander
hören. Als kleines Erinner – mich und als ein Schubs, dass ich noch ein paar
Monate durchhalten muss.
So… - ich muss noch Wäsche
machen. Ich nehme die ersten Scones und die Marmeladen mit, stecke die Wäsche
in die Maschine und bin hoffentlich vor 21 Uhr wieder hier. Dann noch duschen
und wenn noch Zeit ist, noch ein bisschen packen. Ich bin im Verzug…
Bildquelle erstes Bild: Pixabay
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