Therapieupdate und Ankommen in der Studienstadt


Die erste Nacht wieder im Bett in meiner Studentenbude. Es ist schon merkwürdig. Ein bisschen, als sei ich nie weg gewesen. Und doch sind es so viele Erfahrungen, Momente, Situationen, die dazwischen liegen und die ich auch nicht missen möchte.

Kaffee kochen. An den Schreibtisch setzen. Es steht viel an – und ich muss mir erstmal einen Überblick verschaffen.
Als erstes ändere ich meine Adresse bei der Bank wieder – das ist noch das Unkomplizierteste. Danach schaue ich nach, ob das Studierendenservicecenter zwischen den Feiertagen offen hat. Hat es nicht – also kommt der Anruf zur Änderung der Adresse auf die To – do – Liste.
Die Seite mit den Terminen im Bürgerbüro habe ich im Blick. Nur donnerstags hat es bis 18 Uhr geöffnet und am Morgen um 9 Uhr müssten eigentlich die Termine frei gegeben werden, die genau bis zum 10. Januar reichen – und der ist ein Donnerstag. Aber leider klappt es nicht und beinahe alle Servicezeiten im Bürgerbüro sind und bleiben ausgebucht. Man rät auch davon ab, in den ersten zwei Wochen dorthin zu gehen, da es erfahrungsgemäß sehr überlaufen ist. Ehrlich gesagt stresst mich das richtig. Ich werde deshalb die Chirurgen sicher nicht beknien, eher gehen zu dürfen – die Option brauche ich schon für Arzt- und Therapietermine und um meine Unterlagen zum LPA zu tragen. Allerdings ist dann vielleicht Februar, ehe ich das mal schaffe und ich weiß nicht, ob es dann Ärger gibt. 

Gegen meine Schlafecke kann man halt echt nichts sagen...
Ähm... - ja. Hat einen Tag gedauert, aber jetzt ist es fast fertig...

Den Morgen verbringe ich noch ein wenig mit meinem Neuro – Fallbuch und dann muss ich auch schon los an die Uni. Der Plan ist es, vorher noch in der Mediziner – Bibliothek vorbei zu gehen und schon mal ein paar Chirurgiebücher zu organisieren. Dort angekommen stellt sich aber heraus, dass die Bibliothek geschlossen hat. Ich bin nicht die Einzige, die etwas ratlos davor steht – bisher hatte die Bibliothek jedes Jahr zwischen den Feiertagen geöffnet.
Also fahre ich in die Zentralbibliothek, drucke dort meinen Krempel und suche nach Büchern. Einige Medizin – Bücher haben die auch – allerdings nur für die Vorklinik wie sich heraus stellt. Naja… - dann muss ich es halt nächste Woche machen.

Danach düse ich weiter in die Tagesklinik, in der meine Therapeutin heute ausnahmsweise sitzt – denn auch die Ambulanz hat geschlossen.
Für den Fall, dass es mit dem Reden überhaupt nicht klappt, habe ich einen Zettel mitgebracht. Zuerst reden wir darüber, dass es schon etwas surreal ist, wieder hier zu sein und dass sich irgendwie nichts geändert hat. Der Nachbar steht noch im Nebengarten und raucht, die Glühbirnen sind immer noch kaputt, der Duschschlauch tropft auch noch. Es ist, als sei ich nie weg gewesen, obwohl ich das letzte Mal hier gelebt habe, als der Sommer gerade ausholte. (Übrigens braucht man zur Schadensmeldung eine Mietnummer und die steht natürlich auf dem Mietvertrag, der wiederum in einer Kiste in meinem Elternhaus liegt… - Glückwunsch Mondkind. Also auch To – do – Liste.)
Die Therapeutin möchte wissen, was ich im Januar noch alles erledigen muss und ich erkläre, dass es eine Menge ist. Und, dass es mir Angst macht, weil ich Sorge habe, dass die Chirurgen nicht kooperativ sind, dass mich die Termine am Nachmittag überfordern. Und allgemein wird die Chirurgie eine riesige Umstellung. Am Campus war ich die meiste Zeit die einzige PJlerin, hier bin ich eine von vielen.
Sie sagt, ich soll den Berg etwas zerstückeln. Jede Woche ein bisschen was und Ende Januar bin ich fertig. Naja… - ich bin ja dran.

Danach geht es ums Examen. Wie es ist, wieder in dem Zimmer zu sein, in dem ich quasi seit dem Einzug hauptsächlich die Zeit mit dem Examen im Kopf verbracht habe. „Ehrlich gesagt rückt es das schon wieder mehr in den Fokus“, erkläre ich. „Jeden Morgen ab 6 Uhr saß ich vier Monate an diesem Tisch. Natürlich verbinde ich das damit. Und wenn man ehrlich ist… - ich habe mir vorgenommen, ab Januar den Blick auch wieder darauf zu richten. Wenn ich erst am Ende der Chirurgie – Zeit anfange, wird das nichts. Ich muss mir mal langsam einen Lernplan zurecht basteln und Bücher besorgen…“  Dann könne ich ja direkt an die Zeit bevor ich gegangen bin anknüpfen, stellt sie fest. Vielleicht – so erklärt sie – ist es nicht die schlechteste Idee, die Uni und das Studentenwohnheim nach dem Studium hinter sich zu lassen, um auch diese belastende Zeit ein wenig zurück zu lassen. Der Gedanke ist ganz gut… - allerdings war es damals mit den wöchentlichen Therapieterminen zu Beginn gar nicht so schlimm. Ich konnte mir den Tag frei einteilen – da haben mich To – do – Listen nicht so sehr gestresst, wie sie das nach einem langen Arbeitstag tun.

Und dann ging es ganz lange um die Sache mit dem Neuro – Oberarzt und mir. Ehrlich gesagt strengt es mich immer sehr an, darüber zu reden. Irgendwie kommt mir das immer noch „verboten“ vor und es ist mir unangenehm, dass es einen Menschen gibt, der mich so uneingeschränkt akzeptiert – mit allen guten und allen weniger guten Seiten. Dabei ist es doch eigentlich sehr schön und ein ganz großes Geschenk. In meinem Kopf müssen das aber immer noch die Eltern sein und insofern ist das für mich ein bisschen wie Verrat. „Also, dass Ihre Familie Ihnen mal etwas wie Halt gibt – von dem Gedanken werden Sie sich verabschieden müssen“, sagte der Seelsorger mal. Und Unrecht hatte er damit wohl nicht.
Für mich erzeugt es im Kopf einfach ein ganz großes Chaos, wenn man die Situationen gegenüber stellt. Zum Beispiel, wie er auf den Klinik – Plan reagiert hat und wie meine Mutter damit umgegangen ist. Wie meine Eltern mit einem Versagen umgegangen sind und was er im Gegensatz dazu daraus gemacht hat. Es ist wunderschön, aber ich habe nicht das Gefühl, ihn verdient zu haben. Und das gilt es abzulegen. Es ist seine Entscheidung, wie er mit mir umgeht. Und wenn er das so macht, dann wird er es wohl tun, weil er mich als Menschen schätzt. Und das darf so sein. Er darf dieser Halt sein, der mir ein Stück Urvertrauen zurückgibt. Und derjenige, der doch eine Sicherung beim freien Klettern ist.

Wir reden auch darüber, dass ich ein bisschen Sorge habe, die Entscheidung in dem Ort in der Ferne zu arbeiten, ein bisschen zu viel von ihm abhängig zu machen. „Ich weiß, dass ich in die Neuro gehen möchte – mir macht das wirklich Spaß“, erkläre ich. „Das Team dort ist auch sehr nett – also alle - und dennoch ist die Entscheidung nun mal hauptsächlich wegen ihm. Wenn er nicht da wäre… - ich weiß nicht, ob das für mich so klar wäre – oder ob ich mir nicht hier eine Neuro suchen würde.“
„Frau Mondkind, es gibt viele Menschen, die sich aufgrund solcher zwischenmenschlichen Beziehungen für oder gegen einen Job entscheiden. Das ist nicht so ungewöhnlich…“ Na wenn das so ist.., - damit, dass sie das so sieht, hatte ich nicht unbedingt gerechnet.

Sie möchte wissen, was diese Situationen mit ihm allgemein in mir auslösen. „Naja… - das ist immer ein bisschen schwierig. Einerseits ist er derjenige, der dieses Loch in meiner Seele ein bisschen stopfen kann. Wenn wir dort unten in seinem Büro saßen… - die Zeit hätte einfach einmal kurz stehen bleiben können. Und auf der anderen Seite vermittelt er aber auch immer genau das, was mir so lange gefehlt hat und was ich vielleicht ein Stück weit auch nie hatte. Und dann tut es auch immer weh. Denn trotz der Tatsache, dass unser Verhältnis zueinander so eng geworden ist, bleibt es aber dennoch auf der Stütze des Krankenhauses bestehen. Das wird nie vollständig ins Private abrutschen. Jedenfalls glaube ich das nicht. (Zwar meinte der Seelsorger mal, dass ich ihn zum Essen einladen soll, aber ich halte das – abgesehen davon, dass ich absolut nicht kochen kann – für keine Sache, die sich eine Studentin gegenüber eines Oberarztes leisten kann). Da stehen uns einfach unsere Positionen und die Umstände unter denen wir uns kennen gelernt haben, im Weg. Es ist eine unsichtbare Grenze, die keiner von uns beiden überschreitet. Und dennoch würde ein Teil von mir das gern. Und es ist die Frage, ob ich das aushalten kann, wenn ich dann zurückkomme.“
Eine Patentlösung gibt es dafür nicht. Die Geschichte zwischen ihm und mir ist einfach ungewöhnlich, bisweilen verwirrend und nie ganz klar. Es wird da immer individuelle Lösungen geben müssen. Und dass es für mich aktuell ganz schwierig ist, weil er weg ist, findet sie nachvollziehbar.

Sie fragt, wie ich jetzt gedenke weiter zu machen. „Naja… - jetzt bin ich wieder hier und muss zusehen, wie ich es schaffe. Mir war das nie so klar, bis der Seelsorger das Bild mit dem freien Kletterer gebracht hat. Manchmal glaube ich, es gibt kein Zwischending zwischen aufwärts klettern und vom Berg abstürzen. So halb abstürzen gibt es nicht. Und ich versuche es. Ich bin kein Freund mehr von „ab Punkt xy wird alles besser“ – das hat noch nie funktioniert, aber der Neuro – Oberdoc sagt, dass das Examen und das Zurückkommen ein nächstes Ziel sein kann. Er geht davon aus, dass ich dort eventuell zur Ruhe komme und es dann von selbst besser wird. Und ihm nehme ich das irgendwie ab… Also muss ich losgehen – auch wenn es schwierig wird.“
Und wie anstrengend das Bergauf Klettern werden wird, hängt in nicht unwesentlichen Ausmaß von der Chirurgie ab.

Das Ende der Stunde. Termine. Sie stellt fest, dass wir Ende Januar einen Termin haben. „Wie wollen wir denn jetzt weiter machen?“, fragt sie. Ich bin etwas verwirrt über die Frage. „Naja, ich komme Ende Januar wieder vorbei…“, erkläre ich. „Wobei… - es bis Ende Januar sehr lang ist in Anbetracht der Tatsache, dass in den nächsten Tagen viel passiert… Ich wäre sehr dankbar, wenn wir dazwischen noch einen Termin einstreuen könnten.“ Puh… - ich hasse es, Dinge einzufordern. Und beim letzten Telefonat hat sie mir erklärt, dass vor dem 24. Januar nichts zu machen ist…
Jetzt sucht sie nochmal und findet sogar einen Termin an dem Tag, an dem ich ohnehin zum Psychiater muss. Da können wir das ja gleich davor legen und dann muss ich nur einmal darum bitten, eher gehen zu dürfen. Na das passt doch perfekt. Und wieder hätte sie mir nach dem letzten Telefonat eine Menge Verzweiflung ersparen können, wenn wir das gleich so gelöst hätten.

Wir stehen schon, ich binde meinen Schal wieder um und ziehe die Jacke an. „Dann wünsche ich Ihnen einen guten Start ins neue Jahr und wir sehen uns dann 2019 wieder“, erklärt sie. Im Gegenzug wünsche ich Ihr natürlich auch einen gelingenden Start ins neue Jahr. „Wir kriegen das auch 2019 noch hin…“, sagt sie.
Wie lange ich über den Satz jetzt nachgedacht habe. In letzter Zeit heißt es bei jedem Termin: „Na einen können wir ja mal noch machen“ und auf der anderen Seite höre ich dann so etwas. Das hört sich für mich nicht an, als würde sie mich Ende Januar – ein paar Wochen vor dem nächsten Examen – auf die Straße setzen. Ich bin verwirrt. Froh, dass sie es weiter mit mir macht, aber etwas anstrengend ist es schon…

Nach dem Termin starte ich meine Mission Dosenöffner kaufen. Meiner ist auf seine letzten Tage im Dorf kaputt gegangen. Man mag mich ja für ein bisschen sonderbar halten, aber ich habe es nicht geschafft, im Einkaufscenter in der Großstadt einen Dosenöffner zu finden. Große Drogeriemärkte haben doch fast immer eine Haushaltsabteilung. Aber da war – trotz Nachfragen – nichts zu machen. Eine Stunde habe ich in allen möglichen Läden gesucht und nichts gefunden… - vielleicht werde ich morgen im Discounter erfolgreicher sein. Bei uns im Dorf jedenfalls, würden mir auf Anhieb zwei Läden einfallen, wo ich sehr sicher einen finden würde... - so schlecht sind Dörfer nicht. Bisweilen weniger verwirrend, als eine Großstadt.
Daneben habe ich noch eine Lektion gelernt: Gehe nie zwischen den Feiertagen einkaufen. Okay, die meisten dürften das wissen, aber es war wirklich irre, was an den ganzen Service – Stellen großer Märkte los war.

Ein geöffnetes Cafè in dem ich hätte meine Mensakarte aufladen können, habe ich auch nicht gefunden. Bis ich also im neuen Jahr selbst dazu komme (obwohl die Öffnungszeiten von Mensa und Cafès häufig innerhalb meiner Arbeitszeit liegen – es dürfte schwierig werden) oder jemanden meine Karte gebe, um sie für mich aufzuladen, kann ich nicht waschen. Dazu braucht man die Mensakarte nämlich bei uns im Wohnheim auch. Dann werde ich die Sachen wohl erstmal mit der Hand durchziehen müssen. Musste ja früher schließlich auch gehen – vor Zeiten der Waschmaschine. (Ihr wisst ja… - mein erstes eigenes Gehalt und so…)

Heute Abend werde ich mich noch etwas dem Neuro – Buch widmen, die restlichen Sachen auspacken und meine Wände noch ein wenig verschönern. Allen Lesern wünsche ich einen schönen Abend!

Mondkind

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