Stellenplanung und Therapiegespräch
Von der Intensivstation gibt es heute nicht wirklich viel zu
berichten. Die Mühlen der Zeit mahlen hier eben langsamer – das Gehirn braucht
einfach eine Weile, um sich an die neuen Umstände zu gewöhnen.
„Wir konnten unserer PJlerin heute anbieten, eine Nadel zu legen“,
fasste einer der Stationsärzte heute um 13:30 Uhr für den Oberarzt zusammen.
Aber von den Visiten lernt man auch eine Menge – zumindest, wenn man sich ein
wenig damit beschäftigt. Jetzt haben wir eine Patientin mit einem SIADH – oder auch
Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion – genannt. Ich kann mich erinnern das für
das Examen gelernt zu haben und auch, dass es sehr interessant ist. Ich hätte
nicht gedacht, dass ich das so schnell mal sehe.
Um 14 Uhr war ich heute noch
zum Gespräch mit der Therapeutin verabredet. Ehrlich gesagt hat es so
viel nicht gebracht. Wir haben festgestellt, dass ich den Druck, den der Umzug
mit sich bringt diesmal wohl eher psychosomatisch auslebe – jedenfalls ist das
Maß an Magen-, Kopf- und Zahnschmerzen echt nicht mehr normal.
Viele neue Aspekte gab es nicht. Ich habe mich aber getraut zu fragen,
wie das im Januar weiter gehen soll. Sie sieht ein, dass es ein bisschen unfair
wäre, mich da jetzt voll ins Leere laufen zu lassen, daher könnte man ja noch
einen Termin machen. Ich hatte in meiner Planung die zweite Januarwoche
veranschlagt und sich bis dahin zu schleppen ist mit dem Ausmaß der Belastung
schon schwer genug. Aber sie meinte Ende Januar würde es ja auch tun.
Immerhin hätte ich es ja alles ganz gut geschafft in den letzten
Monaten, habe kaum gefehlt und bin sechs Tage vor der Abreise noch nicht
dekompensiert. Ich frage mich wirklich ein bisschen, warum die Menschen mir
nicht einfach mal glauben, wenn ich erkläre, dass es grenzwertig ist. Man muss
den Karren doch nicht erst vor die Wand fahren, oder sich wochenlang quälen.
Das ist doch unnötig. Und ich weiß eben immer, dass mich auch keiner auffängt.
Am Ende stehe ich alleine da und alles was nicht funktioniert, schadet nur mir
selbst. Es gibt niemanden, der das mitträgt. Wenn ich zusammen falle, stürze
ich ab. Das ist einfach so. Und nach Möglichkeit zu verhindern.
Nach dem Telefonat muss ich den Schlüssel zurück ins Büro meines
Oberarztes bringen. Ich bin echt durch und vorsorglich hatte der Oberdoc schon
vor dem Gespräch mit der Therapeutin angekündigt, dass ich danach noch mal
vorbei kommen soll. Was wir beide nicht eingeplant hatten war, dass der
Oberarzt, der für das Thema Einstellung verantwortlich ist, auch im Büro sitzt.
Na wunderbar… - zwar sind meine Augen nicht mehr rot, aber Kapazitäten
für ein Gespräch über eine Stelle habe ich jetzt auch nicht. Die Quintessenz
ist jedenfalls, dass ich wirklich auf dem Stellenplan für nächstes Jahr stehe,
dass ich ein Datum nennen soll, ab wann ich zur Verfügung stehe und wenn es
eher klappt, mit einem Hospitanten – Vertrag arbeiten kann. Da man
offensichtlich meint, dass ich viel kann, darf ich mir auch aussuchen, wo ich
anfangen will zu arbeiten. Das muss am Ende natürlich mit der aktuellen
Stellensituation zusammen passen, aber ich starte nicht von der Ersatzbank der
Reha aus, sondern darf im Akutbereich anfangen. Die Stroke – Unit wäre für den
Anfang schon verlockend, würde aber damit verbunden sein, auch die Notaufnahme
machen zu müssen. Und das wäre schon wieder nicht so verlockend.
Hinsichtlich der Wohnung hat man mir versprochen zu helfen – in den
Katakomben des Reha – Gebäudes unterzukommen, ginge natürlich immer, aber das
ist schon grenzwertig.
Die Bewerbung an die Personalabteilung soll ich zwar noch schicken,
aber es ist nur noch Formalität.
Ich habe noch nichts schriftliches und ich hoffe es reicht die
Sicherheit, auf dem Stellenplan zu stehen…
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Den Weihnachtsbaum passiere ich jeden Früh und jeden Abend |
Anschließend haben der Oberarzt und ich noch ein bisschen Zeit. Ich
erkläre ihm, dass meine Schwester es jetzt auch erwägt, hier in der Inneren
anzufangen und dann meine Mutter, vielleicht auch schneller als man denkt,
hinterherzieht. Aber natürlich werde ich trotzdem hier anfangen zu arbeiten. „ich
würde es auch nicht zulassen, dass Du gehst“, sagt er dazu.
Ein bisschen bezeichnend ist es schon, dass ich nach jedem Telefonat
mit der Therapeutin mindestens eine halbe Stunde mit ihm brauche, um wieder auf
dem Posten zu sein. „Am Ende interessiert die das glaube ich nicht so wirklich,
wie es mir geht“, erkläre ich ihm. „Die sehen nur: „Ja, die packt es irgendwie –
da kann man die Terminfrequenz drosseln. Und man meint immer, dass Reden hilft,
aber ich habe trotzdem das Gefühl, dass die das nicht so ganz für voll nehmen.“
„Aber Mondkind… - nicht, dass Du da jetzt im Januar irgendwelche unüberlegten
Aktionen bringst, damit man Dich dann ernst nimmt“, ermahnt er. „Das kann ich
mir ja gar nicht leisten“, entgegne ich, „wie gesagt, am Ende bin ich immer
allein auf meinem Weg und muss für mich selbst kämpfen. Wenn es mal schief geht
– da ist keine Familie mehr, die mich auffängt. Das Bild vom „freien Klettern
ohne Sicherung“ vom Seelsorger ist schon irgendwie gut gewesen…“ „Dir fehlt so
ein bisschen dieses Urvertrauen“, erklärt er mir, „und das ist eigentlich
wirklich dramatisch…“ „Ich glaube auch, dass zum Beispiel das eine Sache ist,
die man in keiner Therapie je wird aufarbeiten können“, erkläre ich, „Das ist
eben eine emotionale Sache und ich glaube, da wird immer eine Lücke bleiben…“ „Doch
man kann das noch heilen“, sagt er, „wenn Du später mal Deine eigene Familie
hast…“
Vielleicht könne ich ja hin und wieder mit dem Seelsorger
telefonieren, schlägt er vor. Darüber hatten wir aber gar nicht gesprochen –
einfach so anrufen, kann ich ihn jetzt auch nicht.
Danach wartet die Arbeit wieder auf uns. Ich habe Visite auf der
Intensivstation und er hat Patienten in der Notaufnahme.
Ich überlege ja, wie ich es nächste Woche mache, wenn ich gehe. Was werde
ich mitbringen, wie wird meine obligatorische Backaktion aussehen, wenn man
eine ganze Klinik versorgen muss? Und wie halte ich es mit dem Oberarzt – ich würde
ihm gern noch eine Karte schreiben, aber ich weiß nicht, ob das zu aufdringlich
ist…
Erst mal ist jetzt auf jeden Fall Wochenende und ich krieche dann
sicher bald ins Bett – ich hoffe zumindest, dass meine Schwester nicht mehr
viel vorhat.
Mondkind
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