Wochenende und Schicksale auf der Neuro - Intensivstation
Versucht man es mal mit bloggen.
Wenn die Wohnung nur über einen Raum verfügt und die Schwester seitdem
ich meinen Kopf nach der Arbeit zur Tür herein gesteckt habe nur auf der
Tastatur klimpert und vermeintlich wichtige Dinge erledigt, ist das nicht so
einfach mit der Konzentration.
Ich muss aber auch sagen – es sind nicht so wahnsinnig spannende Dinge
passiert.
Am Wochenende waren meine Schwester und ich auf dem Weihnachtsmarkt.
Wir hatten ja ein Auto zur Verfügung und von daher kam man auch ohne aufwändige
Bahnfahrten in die nächste größere Stadt. Ich habe mir mal ein paar
Ohrenschützer gegönnt, die ich schon ganz liebevoll meine „Püscheln auf den
Ohren“ genannt habe. Wenn ich im Januar wieder mit dem Rad zur Uni fahre, werde
ich mir dafür sehr dankbar sein. Was nämlich gefühlt zuerst erfriert, sind
bekanntlich Finger und Ohren. Und die Nasenspitze, aber dagegen lässt sich
nicht viel tun.
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Weihnachtsmarkt |
Auf der Intensivstation finden sich unterdessen Schicksale, bei denen
ich mich schwer tue, die mit zu betreuen. Am Freitag haben wir einen relativ
jungen Mann bekommen. Er hatte eine Stenose von zwei der vier hirnversorgenden
Gefäße. An dem einen kann man wenig tun, das andere Gefäß wollte man operieren.
Nachdem die offene Operation nicht gelungen war, wollte man die Sache noch mit
einem Stent retten, was auch nicht klappte. Am Ende kam es zu einem vollständigen
Verschluss des Gefäßes und damit zu einem Hirninfarkt einer kompletten
Hirnhälfte. Als er bei uns ankam, war er noch bei vollem Bewusstsein, aber er wusste,
was mit ihm passiert. Wir erklärten ihm, wie kritisch die Situation ist und
dass wir ihn gern in die Neurochirurgie verlegen würden, weil zu erwarten ist,
dass das Gehirn in den nächsten Stunden anschwillt und die dann eine
Kraniektomie machen können. Aber dass er dennoch zum Pflegefall werden wird –
das war klar. Genau das wollte er allerdings nie sein und entschied sich
bewusst dagegen. Also haben wir ihn behalten, über das Wochenende immer wieder
CTs gemacht und wie erwartet gesehen, dass es zur Mittellinienverlagerung
kommt. Mittlerweile hat er wahrscheinlich auch eine Einklemmung des Hirnstamms
dazu – nur Maschinen halten ihn noch am Leben.
Es ist super tragisch. Vor einer Woche schien die Welt noch in Ordnung
und heute ist er schon quasi nicht mehr unter uns. Natürlich war das nicht die
Intention der Operation – man wollte den malignen Infarkt damit ja gerade
verhindern – aber es kann nun mal zu Komplikationen kommen.
Und was ich mich auch frage: Wie furchtbar muss das für diesen
Menschen gewesen sein? Zu wissen, dass er jetzt zwar noch klar denken und sich
gegen eine weitere Therapie entscheiden kann, aber dass die Ärzte nur machtlos
daneben stehen und nichts machen können. Wenn man den Thrombus aus dem Gefäß
nicht raus bekommt, hat man verloren. Dann können auch wir Ärzte nichts mehr
machen. Was macht man, wenn man weiß, dass man in den nächsten Stunden aus dem
Leben gerissen wird? Und dass man keine Zeit mehr hat, seine Dinge zu regeln,
die Menschen zu sehen, die man lieb hat und denen man vielleicht gern noch so
viel sagen würde? Wenn einem mit einem mal klar wird, dass es die Zukunft, die
man geplant hat, nicht mehr geben wird? Dass man auf dieser Intensivstation in
diesem Bett sterben wird?
Wahrscheinlich kann ich das mit der Abgrenzung einfach noch nicht so
gut. Dieser Mensch beschäftigt mich schon das ganze Wochenende.
Auch die Patientin mit der Critical illness Polyneuropathie
beschäftigt mich. Sie bekommt ja alles mit, aber kann sich nicht verständlich
machen. Man sieht, dass sie sich da wirklich quält. Zwar hat sie eine ganz gute
Prognose, aber es gibt keine spezifische Therapie. Hier muss man die Zeit ihr
Werk tun lassen. Und sie wird noch eine Weile brauchen.
Ansonsten bin ich mit Packen beschäftigt. Und langsam wird mir klar:
Hier geht etwas zu Ende, von dem ich nicht möchte, dass es aufhört. Zwar
tröstet der Gedanke, dass ich zurückkommen werde, aber die Hürde dazwischen ist
nicht ohne. Staatsexamen macht man nicht mal so eben nebenbei und das auch noch
alles ohne jegliche Bezugsperson. Bei der Vorbereitung des schriftlichen
Examens waren die wöchentlichen Termine in der Ambulanz eine riesige Stütze.
Diesmal muss es ohne gehen. Und ich habe eine Menge zu verlieren, wenn ich
irgendwo auf dem Weg scheitere. Denn auch wenn der Weg manchmal durch Unterholz
führte, unkonventionell war, viele mein Tun nicht verstanden und nur mit dem
Kopf geschüttelt haben – am Ende ist es mein Leben, mein Weg und der verläuft
gerade so, wie ich das gerne hätte.
Aber selbst wenn ich wieder komme… - wer weiß, wie es läuft? Wird es
nochmal so, wie es war?
Wird diese Stadt „mein“ Ort bleiben? Oder wird der Rest der Familie
sich in einem halben Jahr auch hier unten einfinden? Man weiß es nicht.
Es ist so viel Stress, dass ich hoffentlich nicht dazu komme, zu
sentimental zu werden. Morgen Abend ist die Weihnachtsfeier vom Chef, zu der
wirklich fast alle kommen. Am Mittwoch muss ich nochmal die Wäsche machen und
meine Scones – Backaktion starten (es gilt den ganzen Akut – Bereich der Klinik
zu versorgen; das wird ein Spaß… - nicht) und am Donnerstag ist der letzte Tag.
Ich will nicht wissen, wie es mir an dem Abend gehen wird – vermutlich werde
ich keine Saltos schlagen bei dem Gedanken, das Tertial geschafft zu haben.
Aber dann muss ich auch die letzten Dinge hier packen, um Freitagmorgen
aufzubrechen.
Mondkind
Bildquelle drittes Bild: Pixabay
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