Sehnsucht
Manchmal.
Manchmal sitzt man hier vor dem Mailpostfach und wartet auf Antworten.
Ob nun aus der Personalabteilung, weil im Zuge der Umstellung der Telefonnummern
auch die Nummer der klinikinternen Wohnungsvermittlung nicht mehr funktioniert,
von dem Kollegen, mit dem ich mir mal das Büro geteilt hatte oder auf den Neuro
– Oberarzt. Gedanklich spielt sich der Hauptteil meines Lebens in der Ferne ab.
Ich denke an die Nachmittage im Park, wie ich da mit Laptop saß, Blog
geschrieben habe. Den PC hinterher zugeklappt habe, mich quer über die Bank
gelegt habe, die grünen Kopfhörer auf die Ohren gezogen habe und Musik gehört
habe.
Dann noch eine Runde durch den Park, um die Psychosomatik herum und
zurück ins Personalwohnheim. Und dann noch eine Süßkartoffel in den Ofen
schieben. Oder Richtung Herbst einen halben Kürbis. Und als Nachtisch
Wassermelone mit Feta.
Ausgleich für den Stress in der Notaufnahme, der aber auch irgendwie
bereichernd war. Und später für die Neuro. Für die langen Tage auf der Stroke,
in denen es so sehr um Performance ging, damit der Oberarzt dort beschließt,
dass er mich haben will. Für den Stress, den allein eine Lumbalpunktion mit
sich brachte.
Manchmal höre ich mich nachts durch die „alten“ Lieder. Aus dem letzten
Jahr.
Johannes Oerding – Hundert Leben.
Wir haben viel erlebt
'Ne Geschichte, die uns ewig bleibt
Und haben viel gesehen
Dass es gut für hundert Leben reicht
Ohne unser gestern würd' ich mich heut nicht so auf morgen freuen
Ist es nicht das, was zählt
Eine Zeit
Die gut für hundert Leben reicht
'Ne Geschichte, die uns ewig bleibt
Und haben viel gesehen
Dass es gut für hundert Leben reicht
Ohne unser gestern würd' ich mich heut nicht so auf morgen freuen
Ist es nicht das, was zählt
Eine Zeit
Die gut für hundert Leben reicht
Es gab gewisse Lieder, die musste ich jeden Tag auf dem Weg zur Neuro
hören. Das gehörte dazu. Passte irgendwie so gut. Dieser Ort ist eine
Geschichte, ein kleiner Teil meines Lebens, der so viel bewegt, verändert hat.
So viel Mut gemacht hat, so viel Hoffnung gesät hat, wo man keine mehr glaubte.
So viel Geborgenheit vermittelt hat. Eine Zukunft geschaffen hat.
Ich könnte schon so halb wieder zurück sein. Klar hätte man das dann
anders planen müssen, als es jetzt der Fall ist. Wäre das nicht einfacher? Würde
ich dann nicht von selbst dieses Leben wieder finden, das ich Ende Dezember
verloren habe? Würde es einen Sommer für mich geben? Mit Wochenendausflügen in
umliegende Städte? Oder in die Berge? Oder ins Moor?
Wo die Energie doch jetzt aktuell kaum reicht, um das Bett zu
verlassen.
Versteht mich nicht falsch, ich bin so dankbar diese Zeit im letzten
Sommer gehabt zu haben. Aber manchmal tut das auch einfach nur weh. Weil es
eben auch nicht damit getan ist, dann eben aufzustehen. Zur Uni zu fahren – und
wenn es nur ist, um ein paar Bücher abzugeben.
Das war ein anderes Lebensgefühl. Ein ganz anderes. Manchmal war ich
fast ein bisschen „drüber“.
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Ich vermisse es so, so sehr... |
Ich bin gespannt, was ich in 24 Stunden denke. Nach dem Termin in der
Ambulanz. Mir sind da heute Nacht noch ein paar Dinge klar geworden. Irgendwie
muss man eine Entscheidung treffen, die zwar hoffentlich richtig sein wird,
aber die wirklich im Moment nichts in mir unterstützt.
Da gibt es diesen Zipfel Normalität. Trotz allem. Den ich auch nicht
loslassen möchte. Denn was ist, wenn ich die Kurve nicht kriege? Die meisten
mit psychischen Erkrankungen landen auf dem zweiten Arbeitsmarkt, sagte die
Freundin meines Vaters mal. Vermutlich ist das nicht so… - aber wenn der Ort in
der Ferne nur minimal bedroht ist, schlagen die Alarmglocken los.
Dann ist es der Verstoß gegen sämtliche Leitsätze. Wie, dass man nicht
krank zu sein hat. Die Familienmitglieder berichten ja immer stolz nicht zu
wissen, wie dieser AU – Schein überhaupt aussieht. Und ich habe schon vor dem
Jobstart mehr Krankheits- als Arbeitstage.
Und nicht mal der Teil, der viel zu müde vom Leben ist, will das. Denn
der will halt auch nicht überleben – was wir in der Klinik halt müssen. Für den
wäre ein letzter Trip in den Ort in der Ferne, einen Streifzug durch die engen
Straßen der Altstadt viel verlockender. Weil der ja auch nicht glaubt, dass die
Zeiten aus dem letzten Sommer nochmal wieder kommen.
„Du solltest probieren zu differenzieren, was auf lange Sicht
konstruktiv ist und was destruktiv ist und ob Du durch den sehr negativen Part
nicht schon längst die wirkliche Kontrolle verloren hast und die Normalität
eine Illusion ist, bzw. Momentaufnahmen wiederspiegelt.“
Darf man sich für etwas entscheiden, und trotzdem Angst haben? Darf
man das trotzdem falsch finden? Darf man – obwohl es ein kleiner Teil möchte –
trotzdem überfordert damit sein, in der Klinik zu sitzen? Oder muss ich das jetzt
gut finden? Darf da diese Ambivalenz sein, dass ich mich für die Entscheidung
für die Klinik irgendwie verurteile und trotzdem erleichtert bin, wenn dieser
Wahnsinn hier aufhört?
Keine Ahnung… - ich habe mich schon wieder viel zu viel verloren und
muss jetzt los an die Uni. Bücher abgeben und mit einem Freund einen Kaffee
trinken. Ich soll ja nicht versacken hier. Also versucht mans… Und viel zu spät
bin ich auch schon wieder.
Mondkind
P.S. Bis zu den Schafis habe ich es immer noch nicht geschafft… mache
ich noch.
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