Tag 1/11 Bezugspersonen und Arztbriefe


So… - eigentlich wollte ich den Blog ja etwas still halten. Aber vielleicht schreibe ich jetzt auch einfach jeden Tag bis zum Examen ein paar Zeilen. Klar ist das eigentlich „verboten“, weil unproduktiv. Auf der anderen Seite muss es keiner wissen und ich muss mich dafür eigentlich auch nicht rechtfertigen. Wenn es mir hilft, die Gedanken irgendwo abzulegen, damit ich dann besser weiter machen kann, ist es doch in Ordnung.

Vermutlich werden das ganz viele Auf und Abs in den nächsten Tagen.
Manchmal denke ich, das wird schon alles. Und ein paar Minuten später sieht es wieder ganz anders aus. Es wäre ja „einfach“, wenn es entweder nur positiv oder nur negativ wäre. Aber da rennt ja etwas gegeneinander in mir. Der eine Teil, der wirklich in die Zukunft möchte. Und der andere Teil, der im Moment eben genauso stark nicht mehr will. Weil das doch alles irgendwie nichts werden kann. Wie soll ich denn in ein paar Monaten arbeiten, ohne Therapie auskommen, nicht einknicken, weil man ja so viel von mir hält und ich die Leute nicht enttäuschen möchte? Was soll das werden, außer einer einzigen Quälerei? Und das habe ich ja lange genug gemacht.
Und irgendwie wäre das auch cool, wenn man den Eltern mal den Prüfungstermin sagen könnte. Nicht nur, dass man sich dann nicht überlegen müsste, wie man es bis zum Examen geheim hält und die nächsten Wochen danach auch noch, weil man da ja eventuell in der Klinik ist, sondern dass man vielleicht ein bisschen mehr seelische und moralische Unterstützung hätte. Heute war wieder Panik – Tag. So ein „Mondkind, das schaffst Du nie Tag.“ Und es hat sich noch vor keiner Prüfung so schlecht angefühlt.

***

Ich würde es mir wesentlich einfacher machen, wenn ich mal vertrauen könnte, dass Menschen bleiben. Aber ehrlich gesagt wäre es halt eines der ersten Male im privaten Umfeld, dass Bezugspersonen nicht einfach so weg fallen. Die Therapeutin lassen wir da jetzt außen vor – das ist ja alles am Ende irgendwo eine „geschäftliche Beziehung“, auch wenn mir das schon wieder richtig Angst macht, dass es bald wohl auch mit ihr endgültig vorbei ist. Auch wenn ich mit ihrer Inkonsequenz und damit, dass man echt alles auf den Punkt bringen muss, damit sie es denn auch mal versteht, teilweise nur schwer zurecht kam – aber was sie in den letzten Jahren für mich gemacht und mit mir ausgehalten hat – dafür bin ich ihr schon unendlich dankbar.

Aber der Neuro – Oberdoc wäre einer der ersten Menschen, bei dem das wirklich so wäre, dass er bleibt. Durch die Blume sagt er mir das immer wieder, dass er mich nicht einfach so alleine auf den Weg schicken wird, aber ich müsste das glauben.

Selbst an meinem alten Wohnort, wo sich die Menschen und meine alte Therapeutin sehr für mich eingesetzt haben – auch das war ein blödes Ende. Mir war in der Klinik irgendwie bewusst, dass ich diese Menschen verlieren würde, wenn ich mich entscheiden würde, umzuziehen. Und dennoch musste ich nach unzähligen Gesprächen einsehen, dass ich nicht noch zwei Jahre lang jeden Tag fünf Stunden pendeln kann – insbesondere dann auch im PJ, nach einem sehr langen Arbeitstag. Das hatte nichts mit einer Abneigung gegen die Menschen zu tun – wie mir das im Endeffekt mutmaßlich unterstellt wurde. Es war einfach nicht machbar und ich weiß nicht, warum das dort immer für machbar gehalten wurde.
Letzten Endes kam es dann auch so. Nach dieser Entscheidung umzuziehen, habe ich von diesen Menschen so gut wie nichts mehr gehört.
Am Ende war das die Bestätigung von etwas, das ich schon so oft erlebt hatte: Handelst Du nicht, wie wir uns das vorstellen, darfst Du aber auch mit keiner Unterstützung mehr rechnen.
Ich habe immer gehofft, dass es doch nicht so kommt, weil die dort alle um die negativen Erfahrungen wussten, aber nun gut… alle paar Monate – wenn ich gerade Sehnsucht habe – lasse ich die whatsApp – Gruppe mal wieder aufleben, aber ich bin da auch mehr oder weniger Alleinunterhalterin und eigentlich ist das ziemlich inkonsequent meinerseits.

Ich kann mich erinnern, dass ich irgendwann mal mit dem Neuro – Oberdoc in seinem Büro saß und er das konkret angesprochen hatte. Er erwartet nichts von mir und unterstützt mich in allem, was sich für mich richtig anfühlt. „Natürlich freue ich mich sehr Mondkind, wenn Du Dich dazu entschließt wieder zu kommen, aber wenn Du doch woanders arbeiten willst, musst Du Dich nicht verpflichtet fühlen, hierher zu kommen. Ich bin Dir da nicht böse. Du musst mit der Entscheidung leben können – nicht ich.“
Auch die Sache mit der Klinik. Er hatte mir eine psychosomatischen Klinik nicht weit weg vom Ort in der Ferne empfohlen. Aber nachdem ich ihm dann begründet hatte, warum ich es an der Klinik an der ich war nochmal versuchen würde, hat er mich auch nicht mehr versucht zu überzeugen und immer mal nachgefragt, ob ich denn mit der Organisation schon weiter gekommen bin.

Es ist nichtmal so, dass ich ihm unterstellen wollte, dass es am Ende so endet wie immer. Und ehrlich gesagt hat er auch alles dafür getan, dass ich endlich mal andere Erfahrungen mache. Aber das ist irgendwie – ohne dass es gegen ihn gerichtet ist – so ein Grundmisstrauen. Irgendwie glaube ich wirklich, dass das mit ihm anders wird, aber so ein Grummeln in der Magengrube bleibt halt.



Brief vorschreiben steht heute unter anderem auf dem Tagesplan.
Ich lerne also den Beispielbefund auswendig, den mir eine Kollegin mal mitgegeben hatte. Der weicht an der ein oder anderen Ecke vom Standardbefund etwas ab – einige Dinge kann ich im spannenden Moment sicher weg lassen, aber vielleicht kann ich auch hier und da eine Zusatzinformation einbauen die zeigt, dass ich mir Gedanken gemacht habe…- vermeintlich.
Danach suche ich mir einen Internistischen Standardbefund und lerne den auch auswendig. Den muss ich dann natürlich nur noch auf den Patienten anpassen, wenn er internistisch etwas hat. Ich hoffe, ich bekomme keinen Patienten mit Schlaganfall und Lymphom oder so etwas… - dann kann ich mich einsargen bei dem Hämatoonkologen.
Einen HNO – Befund habe ich nirgendwo finden können… - keine Ahnung, was ich da mache. Ich sollte schon irgendwo noch etwas HNO – mäßiges erwähnen, damit der HNOler sich nicht auf den Schlips getreten fühlt. (Also falls einer meiner Leser zufällig Mediziner ist und irgendwo einen HNO – Beispielbefund hat… - damit wäre mir sehr geholfen ;) )

Und dann muss ich mir überlegen, wie eine Epikrise aussehen könnte. Ich nehme hier einen Schlaganfall – Brief als Beispiel, da ich schwer davon ausgehe, dass ich einen Patienten bekomme, der zumindest mit einem Verdacht auf einen Schlaganfall kam. Wenn es doch ein Status epilepticus war, dann wurden sicher trotzdem die Standarduntersuchungen auf einer Stroke – Unit durchgeführt und dann muss ich halt noch die EEG – Diagnostik irgendwo einpflegen. Und wenn es etwas ganz anderes war, dann muss ich eben improvisieren. Schreiben kann ich ja, wie alle immer feststellen.

Und während ich meine Beispielbriefe aus dem Ordner zupfe, die ich – nachdem sie korrigiert wurden – auch für mich mit ausgedruckt habe, kommen Erinnerungen wieder hoch.
Wie an die eine Patientin, die leicht dement mit ihren über 70 Jahren das erste Mal im Krankenhaus und etwas überfordert war. Sie konnte sich nicht entscheiden, welche Untersuchungen sie haben wollte und welche nicht, weshalb ich im Lauf der Zeit unzählige Aufklärungsbögen mit ihr durchgearbeitet habe und ständig den Oberarzt anrufen musste, um ihm mitzuteilen, dass dieses oder jenes jetzt doch nicht geht.
Oder die Patientin, die mit einem kleinen Schlaganfall zu uns kam und am Tag davor eine Augenoperation hatte. Ich habe sehr viele Stunden damit verbracht, um in dieser dubiosen Augenklinik einen Arzt an die Strippe zu bekommen, der mir sagen konnte, ob ich sie jetzt therapeutisch antikoagulieren darf, oder nicht.
Oder den Patienten in der Notaufnahme, der schon fast psychotisch wirkte. „Ach so – zu erwähnen wäre vielleicht, dass er seinen Blutdruck mit Cannabis eingestellt hat“, erklärte ich dem Neuro – Oberarzt, bevor wir zusammen zum Patienten gehen wollen. „Bitte was – Mondkind, bist Du sicher?“, fragte er entgeistert. „Ja, steht sogar auf dem Medikamentenplan…“, habe ich geantwortet. „Womit habe ich das verdient…?“, murmelte der Oberarzt nur kopfschüttelnd vor sich hin, bevor wir zum Patienten gingen. Seine Tochter war als Begleitung da und fragte den Oberarzt dann erstmal, ob er jetzt von der Pflege sei. „Nein, ich bin hier Oberarzt…“, erklärte er seelenruhig.

Hach ja… - so hin und wieder hatte ich da ja echt meinen Spass und langweilig ist es – wenn ich denn mal eigene Patienten hatte – nicht geworden.

Und das gibt dem Lebenswillen in mir wieder etwas Aufwind. Mit diesem Chaos im Kopf ist arbeiten sicher nicht besonders schön. Aber wenn ich das irgendwann mal aufgeräumt habe – doch, dann kann ich mich glaube ich wirklich in diesen Beruf hängen.

***
Ansonsten… - kam gestern Abend die Idee auf in unserer Prüfungsgruppe, ob man sich nicht jetzt doch nochmal zusammen finden wolle, um Untersuchungs - skills zu üben. Mit meinem knappen Zeitplan… - das schaffe ich einfach jetzt nicht mehr, noch durch die Gegend zu gurken, damit ich noch drei Lungen mehr abgehört habe. Einerseits ist das schon sinnvoll, falls ich da doch irgendetwas ganz wichtiges nicht auf meinem Zettel stehen habe, oder irgendwo einen technischen Fehler mache. Vielleicht sieht es jemand und könnte mich darauf hinweisen. Und was eine „Aszitesuntersuchung zu zweit“ ist, wie es im Prüfungsprotokoll stand, weiß ich ehrlich auch nicht.
Aber wie gesagt… - es ist alles so knapp. Mich hat das gestern Abend so gestresst… - und heute weiß ich es immer noch nicht…

Manchmal überlege ich ja doch, ob ich den Neuro – Oberdoc frage, ob wir nicht doch mal zehn Minuten reden können. Über Examensstress. Weil er den ja auch gehabt haben muss. Und mich das hier alles gerade so überfordert. Aber meist verwerfe ich den Gedanken nach zwei Minuten. Wenn er einen Monat braucht, um zwei Sätze zu schreiben, muss dort Land unter sein…

So… - ich versuche jetzt nochmal ein bisschen das Chirurgie – Fallbuch zu machen. Und gehe vielleicht heute mal früher ins Bett mit meinem Chaos – Kopf, der sich heute auch nicht konzentrieren wollte. Vielleicht geht es dann morgen besser.

Mondkind

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