Tag 4/11 Heimlich und leise...
Heimlich und leise wird hier so viel passieren in den nächsten Tagen.
Heimlich und leise wird Mondkind ein Jahr älter werden. Vier Tage vor
dem Examen – da kann man halt beim besten Willen sich nicht vom Schreibtisch
entfernen.
Heimlich und leise wird Mondkind das Examen machen. Im Moment hat sie
nicht vor, das irgendwem in ihrer Familie zu sagen, da ihre Mutter schon wieder
anfängt zu erzählen, dass sie danach sofort zu ihrer Oma fahren soll und die
darüber scheinbar auch schon in Kenntnis gesetzt wurde. Kann Mondkind ja gern
noch machen – aber eher so Richtung Ende des Sommers, wenn es ihr besser geht.
Und sie den Aufenthalt in ihrer Geburtsstadt genießen kann. Und nicht, um das
zu nutzen, um Mondkind von der Klinik fern zu halten. Ob es dann allerdings noch
erwünscht ist, wenn es dem Zweck nicht mehr dienlich ist, weiß Mondkind nicht.
Heimlich und leise wird Mondkind nach dem Examen – wenn alles klappt –
in der Klinik verschwinden. Denn wenn das raus kommt, wird es genau dasselbe
Theater geben, wie vor zwei Jahren – das zeichnet sich nach den warnenden
Ansagen des Vaters schon ab. Und um es wenigstens einigermaßen glimpflich zu
gestalten, wird Mondkind mit der Nachricht warten, bis auch ihre Schwester
wenige Wochen später das Examen absolviert hat – ansonsten wird Lernen für sie
halt unmöglich werden. Und da die Schwester noch bei Mondkinds Mutter wohnt,
kann sie halt nicht weg. Und in Mondkinds Wohnung kann sie auch nicht, weil die
Meerschweine nicht einfach mal so im Studentenwohnheim einziehen können.
Heimlich und leise wird Mondkind sich durch den Nebel bewegen, der
verschleiert wo sie ist und was sie macht.
Das impliziert aber auch, dass sie nichts in die Welt hinaus schreien
kann. Nicht verkünden kann, dass sie dieses Studium – im Idealfall – zu einem
Ende gebracht hat.
Formal soll Mondkind am Wochenende nach ihrem Geburtstag auch ihre
Mutter besuchen. „Das macht man halt so“ und mehr ist es auch nicht. Allein die
„Terminabsprache“ läuft formaler ab, als Mondkind mit den meisten Professoren
kommuniziert.
Mondkind muss ihrer Schwester ohnehin noch ein paar Sachen bringen für
ihr Examen. Also muss sie sowieso dahin. Und den Hausarzttermin hat sie ja auch
noch im Dorf. Aber sie wollen, dass Mondkind schon Samstag kommt. Das würde ja
bedeuten, dass sie von Samstagnachmittag bis Montagmittag in ihrem Elternhaus
weilen würde und so tun müsste, als hätte sie furchtbar viel für das Examen zu
tun. Und eigentlich hat sie tatsächlich sehr viel zu tun – aber nichts für das
Examen. Organisatorisch vor- und nacharbeiten kann auch viel werden. Aber das
geht halt nicht im Kaff…
Und das mit der Klinik müsste sie vehement abstreiten, obwohl sie
gegebenenfalls schon am Freitag nach dem Examen die Therapeutin darauf
angesetzt hat, dem Oberarzt Bescheid zu sagen, sie bei der Bettenplanung zu
bedenken.
Kann das gut gehen?
Das ist eben irgendwie die Schwierigkeit. Man ist nicht nur
gesundheitlich ziemlich angeschlagen, sondern muss auch noch damit zurecht
kommen, von den Angehörigen für sein Handeln aufs Schärfste verurteilt zu
werden. Das ist so ein unnötiger Stress und so ein unnötiges Lügengerüst.
Ich könnte natürlich auch nur meiner Schwester die Sachen vorbei
bringen und wieder fahren, aber irgendwie gibt man die Hoffnung wahrscheinlich
nie auf. „Mondkind ich weiß, dass Du Deine Familie sehr lieb hast und das kann
auch wieder etwas werden – mit Geduld“, wurde mir mal gesagt.
Ich könnte natürlich auch alle vor vollendete Tatsachen stellen. Würde
ich vermutlich auch machen, wenn es nur um mich gehen würde. Ich kann mit dem
Gegenwind mittlerweile leben und baue mir meine eigene, kleine Welt fern von
diesem Ort auf. Aber es geht ja nicht nur um mich. Es gibt ja noch meine
Schwester. Und sie hat auch ein Recht darauf, das Examen in Ruhe machen zu
können – und nicht zwischen den Fronten der Eltern.
Die Bescheinigung – der habe ich heute hinterher telefoniert – ist übrigens
wieder aufgetaucht. In der Prüfungsakte meiner Schwester. Das sind ein paar
Pappnasen. Man hätte sich ja auch mal entschuldigen können. Aber wenigstens
schicken sie dann jetzt den Brief endlich mal los.
So… - ich bin unfassbar müde heute und es wird jeden Tag ein bisschen
mehr. Ich hoffe, da kommt nochmal ein Aufschwung rein vor dem Examen. Ich bin
heute mit der Chirurgie – Wiederholung gar nicht zufrieden. Aber jetzt werde
ich erstmal einen Break machen, in dem ich unter die Dusche hüpfe… (Der
Duschschlauch ist übrigens auch undicht und die Tatsache, dass wir ja gerade
auch zum Hände waschen die Dusche nutzen müssen, verschlimmert das Problem
täglich. Es wird Zeit, dass ich mich um alles kümmern kann…)
Und dann muss ich noch Ports und ZVKs lernen, danach noch ein bisschen
HNO wiederholen und Neuro machen. Und möglichst vor Mitternacht im Bett sein.
Und endlich… - endlich mal schlafen. Das wäre mal eine Maßnahme… Wenn ich
hinterher all den verlorenen Schlaf nachholen würde, würde ich glaube ich ein
paar Tage nur noch schlafen. Aber an dem Wochenende steht ja erstmal Familie
auf dem Programm. Weil nach dem Examen eben vor dem nächsten Chaos ist. Nur
anders.
Mondkind
P.S. Der aufmerksame Leser mag festgestellt haben, dass ich mich verzählt habe... - der letzte Lerntag ist kein Lerntag mehr, sondern Wiederholtag für Untersuchungstechniken und ein Rundumschlag über das Wichtigste. Aber es ist natürlich trotzdem ein Tag...
Mondkind
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