Farben im Selbst
Heute Morgen habe ich den Seelsorger mal wieder in der Leitung.
„Sind Sie jetzt in der Klinik?“, ist eine seiner ersten Fragen.
„Nein…“, gebe ich zurück. „Ich warte auf den Oberarzt…“, ergänze ich
und bringe ihn auf den aktuellen Stand der Dinge.
„Und was machen Sie jetzt in der Zeit…?“, fragt er.
„Tja… - irgendwie weiß ich im Moment auch nicht so genau, was ich hier
mache und was die Beweggründe sind, ehrlich gesagt. Am Wochenende fahre ich nach [Ort in der
Ferne], um mir eine Wohnung anzuschauen…“
„Sie fahren hierher, um sich eine Wohnung anzuschauen?“, fragt er etwas
ungläubig. „Wie kommen Sie denn auf die Idee…?“
„Naja… - das frage ich mich auch so ein bisschen…“, gebe ich zurück, „also
die Wohnung ist ganz in Ordnung, auch wenn sie natürlich einige Dinge hat, die
mich nachdenklich stimmen. So ist sie ziemlich groß und ich weiß nicht, ob ich
den ganzen Platz jetzt wirklich brauche. Und damit verbunden auch nicht, ob ich
so viel Geld dafür ausgeben möchte und kann. Und der einstige Balkon existiert
auch nicht mehr und man darf keine Tiere halten. Also über Kleintiere kann man
eventuell noch verhandeln, aber eine Katze auf jeden Fall nicht. Und eigentlich
wollte ich ja eine haben…“
„Also jetzt frage ich nochmal: wieso fahren Sie jetzt da runter – das ist
ja auch kein unwesentlicher Aufwand – wenn Sie gar nicht ganz überzeugt davon
sind…?“, hakt er nach.
„Naja…“, beginne ich und weiß, dass meine Argumentationslage ein wenig
dünn ist, „ich habe mit meinem Papa gesprochen und der meinte, dass
Katzenhaltung mit meinen Arbeitszeiten ja ohnehin nur Tierquälerei ist und
immerhin würde ich ja auch in den Urlaub fahren wollen und könne sie dann nicht
mitnehmen. (Obwohl ich ehrlich gesagt zumindest im Moment nicht gern verreise).
Und die Wohnung wäre halt auch ab August… - was die Kliniksache dann zeitlich
halt ziemlich begrenzt… - aber mein Vater findet es natürlich besser, um so
früher ich mit Arbeiten beginne. Und dann hat er mir erklärt, dass die
Nachteile ja keine Nachteile seien. Denn als junger Mensch wisse man ja ohnehin
noch nicht genau, was man wolle und das kristallisiere sich erst mit der Zeit
raus und dann wisse man schließlich auch eher nur, was man nicht wolle. Also
erstmal irgendwie anfangen…“
„Also mal abgesehen davon, dass ich nicht wegen einer Wohnung da
runter fahren würde – Sie brauchen doch die Zeit in der Klinik. Ich mache jetzt
mal eine Rechnung mit Ihnen: Jetzt lassen Sie das mal noch bis Mitte Juni
dauern, bis die in der Klinik das geregelt haben und Sie dahin können. Dann
bleiben Sie da so 6 – 8 Wochen, dann ist Mitte August. Danach machen Sie noch
zwei Wochen Urlaub, dann ist Anfang September. Und dann haben Sie noch einen
Monat Zeit, um eine Wohnung zu suchen. Das schafft man. Immerhin sind wir nicht
in München oder so – da würde es schwierig werden… Und wenn Sie in dem einen
Monat nichts finden sollten und die Klinik auch nichts für Sie findet, dann
habe ich immer noch mein Gästezimmer, in dem Sie ein paar Wochen unter kommen
könnten…“
„Mh…“, sage ich dazu nur. „Eigentlich bin ich da ja ein einer recht
luxuriösen Situation…“
„Wo ist die Wohnung denn überhaupt?“, fragt er.
Ich nenne ihm die Straße. „Da ist doch die Hauptstraße direkt um die
Ecke…“, stellt er fest.
„Ja, so ein Mal quer über die Brücke…“, gebe ich zurück.
„Also das muss man echt nicht haben…“, sagt er. „Und ich glaube, das
wird auch emotional sehr anstrengend für Sie, weil an dem Ort ja schon viel
hängt für Sie. Ich weiß nicht, ob das jetzt gerade das Richtige ist, wenn Sie
ohnehin so instabil sind.“
„Und warum zieht sich das jetzt mit der Klinik alles so?“, fragt er.
Ich erkläre ihm, dass ich es zwischenzeitlich ein bisschen vergeigt habe.
„Ich kann das halt selbst gerade nicht so wirklich gut finden“,
erkläre ich. „Ich weiß, dass einfach etwas anderes erwartet wird – dass ich
damit auch von mir etwas anderes erwarte. Natürlich kann man auch erstmal
versuchen die Bewertung da vollständig heraus zu nehmen. Wie soll ich jetzt
wissen, ob etwas „richtig“ oder „falsch“ ist, wenn das Ergebnis der jetzigen
Entscheidung sich erst in der Zukunft zeigen wird? Und eigentlich ist ja jede
Entscheidung gut, wenn sie darauf abzielt, in der Zukunft etwas zum Positiven
zu verändern. Ob das dann so klappt, wird man ja noch sehen – aber jetzt kann
man es eigentlich eben überhaupt nicht bewerten. Also… - ich glaube, da spricht
schon hin und wieder der Vernunft – Teil…“
„Der Vernunft – Teil…“, greift der Seelsorger auf. „Wo befindet der
sich denn in ihrem Körper? Sie wissen, ich mag diese Fragen.“ (Und ich hasse
diese Fragen…)
„Vermutlich im Kopf“, gebe ich zurück.
„Und wo im Kopf?“, fragt er. „Wie jetzt“, erkundige ich mich
irritiert. „Na links oder rechts zum Beispiel…“, antwortet er. „Meinen Sie das
jetzt ernst?“, frage ich. „Ja“, kommt zurück.
„Naja dann wohl eher links“, entgegne ich.
„Wieso links?“, fragt er. (Nee, oder…???) „Naja… - weil die
linke Gehirnhälfte ja eher so für logisches und analytisches Denken, sowie die
Sprache zuständig ist“, erkläre ich. „Also ich glaube nicht, dass man die
Vernunft irgendwo in dem Sinn neurologisch verorten kann, aber wenn Sie einen
Ort brauchen, dann am Ehesten da…“
„Okay… - und welche Farbe hat der Vernunft – Teil?“, fragt der
Seelsorger weiter. Und nach einer kurzen Pause: „Das meine ich übrigens auch
ernst – das ist wichtig…“
Oh man… - wenn man sich mit Farben auskennt, hat die Vernunft sicher
eine ihr zugewiesene Farbe. Aber ich kenne mich nicht mit Farben aus. „Naja… -
lila vielleicht“, sage ich und komme mir reichlich dämlich vor.
„Okay… - und dann gibt es ja noch den anderen Teil, der eher gegen den
Vernunft – Teil arbeitet. Wo ist der verortet in Ihnen?“, fragt der Seelsorger.
„Naja… - also das ist ja alles eher nicht so rational, sondern eher so…
- ein Bauchgefühl oder so. Also würde ich doch mal sagen im Bauch.“ „Und wo
dort genau?“, fragt er weiter. Es ist anstrengend.
Letzten Endes kommen wir darauf, dass der Teil, der eher auf die
Erwartungen hört und denen gerecht werden möchte, im Oberbauch lokalisiert und
dunkelblau ist. Dann gibt es noch den Unterstützer – Teil, der verschiedene
Personen – unter anderen den Seelsorger – vereint, gelb ist und in Herznähe zu
finden ist und dann gibt es noch den Mut, der auch eher aus dem Bauch kommt,
grün ist und unterhalb von Dunkelblau liegt.
„Okay, und wie stehen jetzt lila und dunkelblau zueinander?“, fragt
der Seelsorger. „Können die irgendwie miteinander kommunizieren? Spüren Sie mal
in sich hinein…“
„Naja, ich glaube lila würde schon mit dunkelblau kommunizieren
können, aber dunkelblau will nicht mit lila kommunizieren, weil es weiß, dass
es von lila mit stichhaltigen Argumenten, die dunkelblau nun mal nicht hat,
ziemlich schnell außer Gefecht gesetzt werden könnte…“
„Also baut dunkelblau da so eine Mauer“, schließt der Seelsorger aus
dem Gesagten.
„So in der Art, ja“, entgegne ich.
„Aber jetzt schauen Sie mal“, legt er los. "Jetzt haben Sie also
dunkelblau in ihrem Oberbauch und von unten kommt grün und von oben kommen lila
und gelb. Und gelb ist ja gerade auch ziemlich präsent, weil wir miteinander
reden. Wie fühlt sich das jetzt für Sie an? Im Prinzip ist dunkelblau ja gerade
ziemlich umzingelt. Meinen sie nicht, sie können da ein bisschen auf lila, gelb
und grün hören? Ja, dunkelblau ist ein sehr großer Teil, aber die anderen
gehören auch alle zu Ihnen…“
Eigentlich sind wir schon weit über seine halbe Stunde, die er
für mich hatte.
„Spüren Sie da noch mal in sich hinein und dann überlegen Sie sich das
nochmal. Und machen Sie das mit den Farben mal mehrmals am Tag. Ich denke, das
könnte vielleicht ein bisschen helfen…“, erklärt er.
Manchmal finde ich ja, er hätte eher Therapeut oder so etwas werden
sollen – auch wenn ich glaube, dass er seine Rolle als Pfarrer sicher auch gut
macht. Das ist immer so unangenehm mit ihm, aber das bringt halt echt etwas.
Eigentlich habe ich nun also weder Kraft noch Lust noch sonst
irgendetwas, da am Wochenende runter zu fahren. Und bisher hat sich außer der
Wohnungsbesichtigung auch noch nicht wirklich etwas ergeben. Eigentlich hatte
ich ja gehofft, einen Kollegen treffen zu können, der aber im Urlaub ist oder
den Neuro – Oberdoc. Dem habe ich geschrieben, wann ich plane da zu sein und
dass ich mich freuen würde, wenn wir kurz ohne Geschreibsel und Telefonleitung
zwischen uns aufeinander treffen könnten. Der Rest muss aber von ihm kommen.
Und dann ist das alles auch ein finanzieller Faktor.
Und, wenn man die Wohnungssache jetzt erstmal ad acta legt, könnte man
das mit der Klinik auch offensiver angehen. Ich kann mich erinnern, dass es im
letzten Sommer den Plan gab, dass man mich auf jeden Fall erstmal in der Klinik
aufnehmen könne. Wenn sie kein Bett auf der Station haben auf die ich im
Verlauf soll, könne ich ja auch erstmal woanders schlafen und tagsüber rüber
kommen, solang bis man das geregelt hat. Dagegen hätte ich auch absolut nichts,
weil es mir eben gar nicht um die Station an sich geht, sondern um den Arzt der
dort arbeitet und der zumindest bisher einigermaßen verstanden hat, worum es
geht – was ich bisher von den Wenigsten behaupten kann.
Allerdings haben die Maklerin und ich vereinbart, dass ich ihr heute
eine Mail schreibe, wenn es nicht klappt. Im Prinzip habe ich also nur noch
wenige Stunden, um das alles irgendwie zu entscheiden. Und auch wenn man jetzt
alles storniert – worauf ich natürlich geachtet habe, dass es geht, allein für
den Fall, dass der Psychiatrie – Oberarzt sich doch zeitnah meldet – entstehen natürlich
gewisse Kosten.
Und nun…? Der Seelsorger möchte, dass ich ihm Sonntag schreibe... - wo ich so bin. Ich weiß nicht, ob ich das möchte, ehrlich gesagt. Ich möchte halt nicht, dass er denkt, dass seine ganzen Mühen da gar nichts bringen... Ich bin einfach so dankbar, jemanden wie ihn zu haben...
Mondkind
Bild: Pixabay
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