Gedankenchaos zum Thema Klinik
„Sorry Mondkind, ich bin immer noch voll geflasht“, erklärt die
Freundin, als wir nach dem Feuerwerk auf dem Weg zu ihr sind. Im Moment steht
Mondkind ziemlich neben sich und nachdem sie fast eine Stunde zu spät zu ihrer
Freundin gekommen war und die Bahnen nach dem Feuerwerk ohnehin überfüllt sind,
hatte die Freundin die Idee, Mondkind könnte ja gleich mal bei ihr schlafen.
„Ich sehe… - Du bist eher nicht so geflasht…“, merkt sie an.
„Naja… - es war schon schön…“, entgegne ich. Was wahrscheinlich maßlos
untertrieben ist – der ganze Himmel leuchtete zwischenzeitlich.
„Du bist echt nicht gut drauf im Moment…“, schließt die Freundin. Aber
belässt es zum Glück dabei.
Ich kann es gerade nicht ändern. Emotional kommt Null bei mir an. So
absolut überhaupt gar nichts. Ich verspüre nur noch Müdigkeit. In jeder Faser
meines Körpers.
Irgendwie lebe ich halt ein Doppelleben.
Die eine Seite, die irgendwie nur noch möchte, dass dieser Wahnsinn
hier aufhört. Es wird eben schon schwerer mit den Suizidgedanken, wenn man die
Argumentation „Nee Mondkind, das ist jetzt mal ne ganz schlechte Idee so ganz
kurz vor dem Examen – denn wenn es doch schief geht…“ nicht mehr hat. Und
darüber hinaus gibt es ja gerade irgendwie einen Abschluss. Das Studium ist zu
Ende, ein Lebensabschnitt ist vorbei und es kann einem Keiner mehr
unterstellen, vor den Abschlussprüfungen davon gerannt zu sein. Und dann habe
ich das Zeug das ich brauche, eben auch hier im Schrank liegen. Das Meiste
zumindest; ich müsste noch ein Mal kurz ins Labor, aber das ist ja nun nicht
der riesen Aufwand.
Und die andere Seite, die eben aus diesem „Funktionieren – Modus“
einfach gar nicht raus kommt. Am Tag nach dem Examen habe ich angefangen
Wohnungen zu suchen und mittlerweile eine ganz Gute gefunden genau in der
Straße, von der ich kürzlich mal gesagt habe „Dort zu wohnen wäre schon cool“.
Die ist halt ab August, außerdem müsste ich mir die jetzt bald anschauen, aber dann
kann ich halt den obigen Absatz in der Ambulanz nicht erzählen – dann lassen
die mich ja jetzt nicht quer durch Deutschland fahren. Und ja – ich weiß wie
bescheuert das ist, denn die beste Wohnung wird mir nicht das Überleben
sichern, wenn die Sicherungen durchknallen – das hat mir letztens schon eine
Freundin gesagt und ich glaube die Therapeutin ist auch etwas verzweifelt mit
mir.
Ich habe absolut keine Ahnung, was ich jetzt mit der Wohnung mache und
warum das gerade auch so präsent bei mir ist. Hinsichtlich der Wohnsituation
habe ich so viele suboptimale Umstände in den letzten Jahren erlebt, dass ich
eigentlich mit einem Bett und einem kleinen Kühlschrank echt irgendwie zurechtkomme.
Also vielleicht ist das alles irgendwie eine Vermeidungsstrategie, an die man
sich ganz gut klammern kann?
Obwohl ich ja schon überlegt habe, ob es nicht auch hier Lösungen geben kann. Die werden mich doch am Wochenende mal beurlauben. Dann müsste ich nur die Maklerin bis dahin hinhalten. Und vielleicht mal einen Kollegen (aka mittlerweile schon fast als Freund zu bezeichnen) bitten, mal einen Blick in die Wohnung zu werfen. Wenn da kein Schimmel zu sehen ist, wüsste ich nicht, was dagegen sprechen sollte. Bilder habe ich mittlerweile genug von der Maklerin. Aber... - das kann man vermutlich auch nicht fragen.
Bleibt halt noch, dass ich keine Katze halten darf. Aber mein Vater meinte, das sei bei meinem Arbeitspensum ohnehin Tierquälerei. Und das möchte ich ja auch nicht.
Der Neuro – Oberdoc erinnerte schon am Examensabend daran, dass jetzt
erstmal ich selbst und die Klinik auf dem Plan stehen. Damals hielt ich das
noch für etwas unnötig, dass er gleich wenige Minuten nach der Prüfung darauf
herum ritt – heute glaube ich, dass er mich schon ganz gut kennt und ahnte,
worauf das hinaus läuft. Eigentlich könnten wir darüber nochmal reden - aber ich kann ihn halt nicht einfach so anrufen, weil es mal helfen würde... Der hat halt auch Wichtigeres zu tun, als mit einer unentschlossenen Mondkind zu diskutieren.
Dabei war die Entscheidung eigentlich monatelang für mich auch
glasklar. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass das jetzt so schwierig für mich
wird.
Und ich würde wirklich gerne „ja“ zur Klinik sagen. Nicht zuletzt,
weil das ja seit Monaten so halb eingefädelt ist und man den Sommer hätte ganz
anders planen können, wäre da nicht der Klinik – Plan gewesen.
Aber das ist eben nicht nur eine Entscheidung gegen ein Teil von mir
selbst, sondern halt auch quasi „gegen“ die Familie und dann ist der Teil, der
der Klinik möchte ein bisschen „lost“. Die Therapeutin macht es mir da auch
nicht einfacher, weil sie die Entscheidung ganz klar bei mir lässt und auch
nicht versucht, den „Klinik – Teil“ in mir da ein bisschen zu bestärken.
Es ist ja nicht so, als würde man mich überhaupt nicht beeinflussen in
der Entscheidung. Ich werde ja von den Leuten beeinflusst, die mich nicht in
der Klinik sehen wollen. Wie oft habe ich in den letzten Tagen gehört: „Mondkind,
Du musst…“ – Dich um die Wohnung kümmern, in der Personalabteilung anrufen, die
Wohnung in der Studienstadt kündigen. Ich habe aber nur von wenigen gehört: „Mondkind,
Du solltest in die Klinik…“ Und ja, ich sehe auch, welchen Weg die Therapeutin
da verfolgt, aber man könnte es doch zumindest so machen, dass sich die „Beeinflusser“
die Waage halten…- auch wenn ich die Entscheidung natürlich für mich selbst treffe, aber das ist ja in solchen Situationen eben auch immer so, dass die Entscheidungsfindung etwas eingeschränkt ist.
Und dann bleibt halt auch eine Entscheidung ohne, dass sich etwas
richtig oder falsch anfühlen würde, immer auf der rationalen Ebene. Und auf
dieser Ebene kann man sich nicht für etwas entscheiden, das mit Gefühlen zu tun
hat – das macht ja rational keinen Sinn. Rational ist funktionieren besser –
weil ich das halt auch besser kann, als fünf Mal am Tag die Frage zu
beantworten, wie es mir so geht und wo ich was fühle (Lieblingsfrage des
Seelsorgers und meine persönlichen Hassfragen… - auch wenn ich weiß, was er
damit bezwecken will).
Mal sehen… - ich werde morgen für den Fall der Fälle zumindest mal
noch die Wäsche machen – Doppellebenmäßig halt. Und es wäre nicht schlecht sich
eine Strategie für die Ambulanz zurecht zu legen. So ehrlich wie möglich zu
sein, wäre ein guter Vorsatz. Aber irgendwie habe ich immer Angst, dass das ein
bisschen „drüber“ ist. Und man mir das gar nicht abnimmt, weil Wohnung suchen
und Suizidgedanken eben so gar nicht zusammen passen.
Und dennoch bei aller Argumentation: Ich weiß, was eine Entscheidung
gegen die Klinik für mich selbst bedeutet. Im Prinzip habe ich dann wenige
Chancen. Natürlich kann es immer wieder Einbrüche geben – ob nun mit oder ohne
Klinik. Aber mit diesem Chaos und ohne wenigstens versucht zu haben etwas
aufzuräumen, ist es fast vorprogrammiert, dass es nicht klappt. Es kostet eben echt zu viel Energie - wenn ich überlege, was ich in den guten Tagen des letzten Jahres alles getan habe - noch neben dem Klinikalltag - ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht. Und es wäre wenig schlau sich eine
Zukunft zu verbauen, für die ich so lange gekämpft habe. Vielleicht kann ich
mich daran festhalten. Und hinsichtlich Wohnung und allem – das wird sich doch irgendwie
finden. Es findet sich immer irgendwie.
Jetzt habe ich noch rund 36 Stunden Zeit, um das alles für mich zu sortieren. Ich bin begeistert...
Mondkind
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