Ein bisschen Fassungslosigkeit
Ich bin so müde, dass mir fast die Augen zufallen.
Schreiben muss ich aber trotzdem noch. Ordnung in das Chaos bringen.
Diese Fassungslosigkeit irgendwo lassen, bevor ich sie mit ins Bett nehme.
Frühmorgens. Große Frühbesprechung. Man lobt, dass man über die
Feiertage mehr Personal hatte. Nachdem die Mondkind sich freiwillig dazu bereit
erklärt hatte, die Station zu hüten. Und nachdem das so gut geklappt hat,
möchte man das etablieren. Jedes Wochenende. Aber man hat kein Personal. Also wird es dafür
keinen Freizeitausgleich, sondern tatsächlich mal eine Bezahlung der
Überstunden geben.
Wer das machen soll? Hauptsächlich wohl die Mondkind. Denn die müsse
ja auch noch für die ersten Dienste lernen – da biete sich das doch an.
Alles klar Herr Chef. Sagt mir auch wer, woher ich noch die Kraft
nehmen soll?
Visite. Die klappt heute ganz gut, nachdem ich quasi alle Patienten
der Station kenne und sogar teilweise die Laborwerte auswendig herunter beten
kann.
Es hat auch niemand super viel zu beanstanden. Bei einem Patienten
hätte man nochmal ein MRT machen können und unterschwellig habe ich mich schon
die ganzen Feiertage über gefragt, warum da nicht mal eines angemeldet ist, aber
ich habe mich darum nicht forsch genug gekümmert. Der Patient lag heute in
meinem Bereich – also habe ich das heute veranlasst.
Zwischendurch muss ich mal kurz zum Oberarzt – hauptsächlich um etwas
zu klären wegen eines Patienten. „Naja Mondkind, das hat der Chef doch ganz gut
hinbekommen. Du hast Weihnachten ohne die Psychiatrie überstanden…“ Ich knurre
etwas vor mich hin. Bei ihm hätte ich nun wirklich erwartet, dass es ihm klar
ist, dass es mir persönlich nicht unbedingt geholfen hat. „Mondkind – mal im
Ernst: Wäre nicht Weihnachten gewesen, hättest Du Dich doch niemals jetzt dafür
entschieden, in die Studienstadt zu fahren, um dort in die Psychiatrie zu gehen…“
„Es ist etwas kompliziert“, gebe ich nur vage zurück. Vermutlich wäre das auch
ohne Weihnachten eine Überlegung gewesen. Weihnachten hat sich nur super dafür
angeboten den Fokus der Ursache der Dekompensation etwas weg von der Arbeit zu
lenken und war daher bestens geeignet. Und vom Tisch ist das Thema Psychiatrie
jetzt eigentlich auch nicht – auch, wenn es das erstmal sein muss. Der Chef hat
schon heute früh wieder den Krankenstand angesprochen und dass er so nicht
planen könne, die Therapeutin wird auch keine Lust mehr auf das ständige Hin
und Her haben und vermutlich habe ich auch langsam ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Termin beim Seelsorger.
Über was kann man noch reden? Ich weiß es nicht mehr. Das
Glaubwürdigkeitsproblem zieht sich wahrscheinlich momentan durch mehrere
Bereiche und deshalb bietet es sich vermutlich nicht an darüber zu sinnieren, wie man wohl den Jahreswechsel
überlebt.
Er schafft es in unserer Zeit mich immer gerade so aus dem Funktionsmodus
raus zu holen. Und wenn es so richtig anfängt weh zu tun, ist die Zeit vorbei.
Es ist ein seltsamer Schwebezustand, eine seltsame Ambivalenz, in der ich hier
bin. Aus lauter Pflichtgefühl und Verantwortungsbewusstsein reicht die Kraft
gerade noch so, um die Arbeit zu überstehen. Aber für mehr nicht. Nicht, um
sich dagegen zu wehren, immer mehr aufgehalst zu bekommen. Nicht, um sich um
einen anderen Job zu kümmern, wenn es so nicht geht. Nicht, um ein bisschen Selbstfürsorge
zu betreiben und sich aufgrund der ganzen Kraftlosigkeit endlich mal einen
Hausarzt zu suchen, der einen ein paar Tage krankschreibt. (Wobei es allein
sehr viel Kraft brauchen würde einzusehen, dass das nötig ist).
„Wie lange wollen Sie das denn jetzt noch machen?“, fragt er. Ich
schweige, um nicht meine Standardantwort zu liefern. Solange, bis es
explodiert. Und man könnte (fragliches) Glück haben und dann läuft die Sache
aufgrund von Kraftlosigkeit auch zielloser und glimpflicher, als man das so
veranschlagt hatte. Aber natürlich sage ich das nicht. Glaubwürdigkeitsproblem
und so.
Er sagt, dass er froh ist, dass ich mittlerweile den Schmerz spüre.
Das sagt er nicht zum ersten Mal und ich verstehe es absolut nicht. Dieser
Schmerz wird mich eines Tages umbringen. Ich bin überhaupt nicht froh, dass ich
den spüre und völlig überfordert damit.
Eigentlich hatte ich in meinem Jahresrückblick formuliert, dass der
Seelsorger – trotz der Schwierigkeiten der letzten Wochen – seit meiner Ankunft
an diesem Ort zur stabilsten Bezugsperson geworden ist. Jetzt hat er
Urlaub. Und danach ist er erstmal krankgeschrieben. Ich weiß, worum es geht und
dass es sehr ernst ist und da eine überforderte Assistenzärztin einfach absolut
nichts zu suchen hat. Das ist alles okay… - und trotzdem schwer zu akzeptieren.
Ich brauche immer ein Außen, das trägt und die Hoffnung war, dass es mit einem
stabilen Außen im neuen Jahr vielleicht wieder etwas ruhiger wird. Ich bin
jedenfalls gerade froh, dass ich mich nicht darauf eingelassen habe, die
Beziehung auf eine tiefere Ebene zu überführen. Es ist schon so schlimm – aber das
wäre jetzt sonst die Katastrophe.
Mein Blick fällt auf sein Schild, das er trägt. So Schild – Träger -
bei mir aktuell wahlweise aus der Seelsorge oder der Psychiatrie - das ist immer schwierig. Weil es eigentlich
Menschen sind, die nicht mal so richtig da sein dürfen. Wir kennen uns nur,
weil sie diesen Beruf ausgesucht haben und Mondkind ihr Leben nicht auf die
Reihe bekommt. Auch, wenn ich weiß, dass es teilweise doch so ist – aber es
muss niemanden persönlich interessieren, ob Mondkind es schafft, oder nicht. Diese Menschen kommen und verschwinden wieder. Ohne, dass
man zwischendurch etwas von ihnen hört. Ohne, dass man weiß, dass sie bleiben.
Ohne dass man weiß, ob sie nochmal wieder kommen. Sie tragen alle mehr, als sie
wissen. Sie sind ein bisschen wie der Kleber, der dieses zerbrochene Glasherz
irgendwie noch zusammen hält und schlagen lässt.
Nach dem Termin beim Seelsorger eile ich zurück auf die Station. Heute
ist noch viel zu tun. Zuletzt bereite ich noch einen Brief für einen Patienten
vor. Gerade, als ich mich entscheiden muss, ob ich den Brief prophylaktisch für
das Wochenende als Sterbebrief oder als Verlegungsbrief für die
Palliativstation schreiben möchte, schlagen die Monitore Alarm.
Ein Herz, das soeben aufgehört hat, zu schlagen. Das hoffentlich
weniger ein Glasherz war, wie meines. Eines, das hoffentlich ein Leben ohne so
viel Schmerz hinter sich hat.
„Sterbebrief“ schreibe ich in den Briefkopf, während die Hände des
Patienten noch warm sind.
Mondkind
Bildquelle: Pixabay
Wenn ich könnte, würde ich dir etwas Kraft einpacken und zuschicken. Ich habe großen Respekt davor, wie du deine Tage meisterst, Schritt für Schritt.
AntwortenLöschenDanke Dir, ich würde das Kraft - Paket gern annehmen...
LöschenSchritt für Schritt, auf ein Wunder hoffen und trotz der Negativität nicht den Mut verlieren. Anders geht es langsam auch nicht mehr.