Weihnachten auf der Neuro


Well maybe I'm just being over sentimental     
But now it's Christmas and I miss us most of all

(Ronan Keating – it’s only Christmas)

„Sag mal Mondkind…  - für was wurdest Du hier eigentlich bestraft…?“, fragen die Schwestern
Mondkind lächelt nur müde. Das wüsste sie auch gern. Komplizierte Geschichte. Der Chef hat wohl erzählt, ich hätte mich freiwillig bereit erklärt, das gesamte Weihnachten über in der Neuro zu sein. „Freiwillig“ ist wohl sehr dehnbar, vermute ich.

Zumindest haben sie hier Montag noch die Station durchgekehrt. Alle Menschen, die irgendwie in der Lage waren, Weihnachten zu Hause zu verbringen wurde entlassen und so hatten wir genug freie Betten, um die Patienten, die über die Notaufnahme kamen, bislang ohne Platzprobleme aufnehmen zu können.
Die Verteilung der verfügbaren Ärzte hat das Ganze aber bisher zugegebenermaßen recht erträglich gemacht. Der erste Dienst hält in der Notaufnahme die Stellung, wo bislang auch nicht viel los war. Und ich schmeiße währenddessen die Station. Bis zum frühen Nachmittag muss die Stroke Visite gemacht sein, notfallmäßige Untersuchungen angemeldet und durchgeführt sein, zwischendurch rufen die Schwestern von der Nachbarstation an und wollen, dass ich mir Patienten anschaue, denen es schlechter geht, oder dass ich Medikamente anpasse. Dann müssen regelmäßig die Patienten anhand der Stroke Skala gescort werden und ab dem frühen Nachmittag sind die Angehörigen in Schach zu halten, die in diesen Tagen besonders zahlreich und besonders besorgt erscheinen.

Mit den Angehörigen eines Patienten habe ich heute ein palliatives Therapiekonzept festgelegt. Das ist schon irgendwie komisch. Man steht neben dem Bett, alles schreit nach Katecholaminen und Antibiose und wir machen einfach… - nichts. Außer Schmerzmedikation und Sedierung, denn quälen soll der Patient sich schließlich nicht. Das ist okay, für den Patienten ist es das Beste und rational weiß ich auch, dass alles andere den Patienten nur unnötig belasten wird, aber irgendwie… - fühlt man sich doch ein bisschen hilflos.

Ein bisschen frage ich mich auch, was ich an Diagnostik machen muss, soll und darf. Natürlich können wir nicht alles machen, was wir sonst machen, wenn das Krankenhaus am Ende des Jahres auf „Notfallbetrieb“ läuft. Dann bräuchten wir ja den normalen Alltag, in dem nicht nur die Dienstärzte da sind. Natürlich halte ich da auch Niemandem Diagnostik und Therapie vor, die er unbedingt braucht. Aber müssen Routine – Verlaufs – CTs jetzt unbedingt an den Feiertagen sein oder steigen mir da die Radiologen aufs Dach? Was mache ich mit meinen Patienten, bei denen sich gerade die Nierenwerte verschlechtern? Normalerweise hätte ich schon die Nephrologen mit ins Boot geholt, aber aktuell versuchen wir das selbst zu managen. Ich versuche mir zu sagen, dass ich ja einen Oberarzt im Hintergrund habe, der heute auch jeden Patienten gesehen hat und von mir auf die Probleme hingewiesen wurde – wenn er bestimmte Dinge festlegt, muss ich das eigentlich für mich nicht noch beliebig oft hinterfragen, ob das jetzt okay ist.
Auch wenn ich trotzdem Sorge habe, dass ich am Freitag Schuld bin, wenn irgendetwas nicht passt, wenn dann alle wieder da sind und wir zumindest für einen Tage wieder den Routine – Betrieb haben. (Vermutlich werden wir an diesem Tag einfach gar nicht nach Hause gehen, weil im Moment alles munter auf Freitag geschoben wird, als sei das ein Tag mit einer beliebigen Anzahl von Stunden…)
Obwohl bisher alles gut gegangen und keiner gestorben ist, ist es eine enorme emotionale Belastung drei Tage alleine die Station führen zu müssen, wenn man nie eine Einführung bekommen hat, wie Wochenend- und Feiertagbetrieb läuft und jeden Tag ein anderer Oberarzt zuständig ist, dessen Vorlieben man auch nicht kennt. Und so bin ich vor allen Dingen hauptsächlich Eines: Müde.

Weihnachtsbaum vor unserer Klinik


Ansonsten habe ich eigentlich gedacht, dass der Heiligabend im ganzen Weihnachts – Procedere der schwierigste Tag wird. Das ging aber irgendwie. Der Dienst war okay und natürlich habe ich gestern Abend hier echt ein bisschen fertig und einsam auf meinem Sofa gesessen, mich gefragt, was all die Menschen, die ich kenne, wohl gerade so treiben und ehrlicherweise sind auch ein paar Tränen geflossen, als man dann auf whatsApp all die Bilder der Familien unter dem Weihnachtsbaum vorgefunden hat.
Irgendwie war mein Hirn aber gestern glaube ich so ein bisschen auf Autopilot. Ich wusste, dass es schlimm wird und ich glaube, seitdem das im Sommer so zweifelhaft „gut“ geklappt hat, beschließt irgendetwas in mir dann eben gar nichts mehr zu fühlen. Ich glaube, das macht mich zwar immer auch ein bisschen unberechenbarer, ist aber in der Bilanz vermutlich noch besser, als so völlig am Ende zu sein.

Aber der erste Weihnachtsfeiertag… - das ist immer ein bisschen die Ruhe nach dem Sturm. Dann sind auch alle die, die bis zum letzten Tag noch hektisch waren ein bisschen in der Weihnachtsruhe angekommen, überall auf der Station ertönt ein „fröhliche Weihnachten“, im Stationszimmer laufen Weihnachtslieder und jeder erzählt, was er an Heiligabend gemacht hat.
Und ich höre mich erzählen: „Naja, das ist ein bisschen blöd gelaufen dieses Jahr, aber irgendwie geht alles, wenn es sein muss. Und nächstes Jahr wird es ja bestimmt wieder besser…“ Wen versuche ich mit diesen Worten eigentlich zu beruhigen? Mich selbst? Oder die anderen? Dass bloß keiner Mitleid hat und hinterfragt, warum ich zu Weihnachten drei Tage auf der Station sitze?
Und dann wünsche ich mir manchmal, Jemand würde mich einfach mal in den Arm nehmen. Den Tränen, der ganzen Verzweiflung und Einsamkeit mal kurz Raum geben. Ich wünschte, ich wäre wenigstens einen dieser drei Tage nach dem Dienst nicht alleine.
„Da muss doch noch etwas kommen. Da fehlt doch noch etwas dieses Jahr…“, konsterniert irgendetwas in mir die ganze Zeit. Nein Mondkind, da kommt nichts mehr. Das IST Weihnachten dieses Jahr. Dein Weihnachten.
Und für Neujahr gibt es im Übrigen auch noch keinen Plan. Eines werde ich aber hoffentlich nicht tun: Arbeiten gehen. Dafür bin ich auch langsam viel zu müde… (Es reicht schon völlig, dass meine Schuhe kaputt gegangen sind. Und da ich ja immer nur ein Paar habe, muss ich am Wochenende wohl Schuhe kaufen. Im Moment weiß ich noch nicht, woher ich die Kraft nehmen soll, noch ein Mal zusätzlich zur Einkaufstour los zu müssen…)

Und irgendwie fühlt es sich auch ein bisschen unehrlich mir selbst gegenüber an. Der Therapeutin habe ich erklärt, dass ich Weihnachten wohl nicht packen werde. Aber was machst Du, wenn Du keine Wahl hast...? Dann muss es ja wohl gehen. Die Frage ist halt immer, wie viel ein Mensch aushalten können muss. Und das Argument den anderen mein Ableben nicht antun zu können, zieht jetzt mal wirklich, nachdem es in der Familie einer guten Freundin von mir über Weihnachten einen Todesfall gegeben hat. Man soll ja nicht für die anderen Leben. Zumindest ich lehne das mittlerweile ab. Aber in dem Fall ist eine Ausnahme angebracht.

Nun ja… - genug geredet für heute…
Ich hoffe, allen Lesern geht es halbwegs gut in diesen Tagen.

Mondkind

P.S. Ich schreibe übrigens schon fleißig am Jahresrückblick. Und wer diejenigen der letzten Jahre kennt weiß, dass das ein eher aufwändiges Projekt ist. Ihr dürft also schon ein bisschen gespannt sein, was Mondkind über ihre letzten 12 Monate zu erzählen hat.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen