Mein Jahr 2019


Wow… - was für ein Jahr.
Das Studium hat sich dem Ende geneigt, ich bin mal wieder umgezogen, habe die ersten Schritte im Job gewagt. Ich war ewig in der Psychiatrie in dem Versuch die Seele ein wenig zu heilen, habe dort ein paar liebe Menschen kennen gelernt - da ist eine wunderbare, neue Freundschaft entstanden.
Es war verteilt über das Jahr streckenweise viel Verzweiflung und insgesamt gab es wenige gute Momente, aber diejenigen, die es gab, habe ich wie ein Schwamm aufgesogen und zwischen den Zeilen verewigt.

An dieser Stelle bietet es sich auch immer an – und die Gelegenheit möchte ich gern nutzen – um mich bei allen Lesern zu bedanken, die gedanklich bei mir waren. Auch habe ich mich über all die Gedankenanregungen und lieben Worte, die mich auf den unterschiedlichsten Kommunikationswegen erreicht haben, gefreut.

Wer Lust hat, mich durch die letzten 12 Monate nochmal gedanklich zu begleiten, der darf sich jetzt gern einen Tee holen, sich in eine ruhige Ecke zurück ziehen und mit mir nochmal reflektieren, was alles passiert ist.

Schauen für zurück auf die letzten Zeilen des Jahres 2018.

"Ich hoffe, dass das nächste Jahr für mich auch gut wird. Dass alles so klappt, wie ich mir das erhoffe. Ich in 12 Monaten vielleicht mal in ruhigeren Fahrwassern angekommen bin. Weiß, wo ich die nächsten Jahre arbeiten und wohnen werde. Und ich hoffe, dass der Neuro – Oberdoc Recht hat und ich zur Ruhe komme und psychisch stabiler werde. Kein Hangeln mehr von Punkt zu Punkt. Sondern einfach leben"
In der Hoffnung, dass dieses Bild nicht ein Kapitel für immer schließt...

Das letzte Bild vom Ort in der Ferne. Für wie lange, wusste man damals nicht genau.


Bewegende Worte. Viel Hoffnung. Für das Jahr 2019

Festes Ritual - neuer Kalender aus dem Lieblingsladen...

Der Januar startete erstmal in der Chirurgie.
Ich hatte ja viele Horror – Geschichten über das PJ gehört, von denen ich die Meisten nicht so richtig nachvollziehen konnte. Ich war natürlich auch überfordert im PJ. Im Jahr davor stand ich bei den Internisten am zweiten Tag mit dem Funk alleine in der Notaufnahme und die Neurologen haben mich nach der initialen Schonfrist auch an meine Grenzen gebracht. Aber ich war – vielleicht war das das Wichtigste – immer ein respektierter Teil des Teams.  Und wenn ich mal „Handlanger – Aufgaben“ machen musste, was in dem Ausbildungsabschnitt natürlich selbstverständlich ist, hat man mich immer gefragt, ob es in Ordnung ist. Im Gesamten lag der Fokus aber doch darauf, dass ich etwas dazu lerne, dass es mir damit gut geht und die Neurologen wollten mich natürlich auch schon ein wenig auf meine Assistenzarztzeit dort vorbereiten.
(Und rückblickend betrachtet wollten sie wohl auch, dass ich dort als Assistenzärztin anfange, mit den Nettigkeiten war es in der letzten Zeit nämlich eher nicht mehr gut  bestellt… )

Nicht vorbereitet war ich jedenfalls auf die Allgemeinchirurige. Während es auf der Privatstation noch halbwegs menschlich zuging, war das auf der Station, auf der ich eingesetzt war, die absolute Katastrophe. „Sobald man die Chirurgie betritt, gibt man seine Menschenrechte ab“, formulierte eine Kommilitonin mal sehr treffend.
3,5 Monate verschwendete Lebenszeit, viel Leid, viel Unverständnis, wie Ärzte, die doch den Beruf gelernt haben, um Menschen zu helfen, so unmenschlich untereinander sein können. Und die endgültige Entscheidung der Uni nach dem Studium den Rücken zu kehren. Dann gibt es eben keine „Überflieger – Uni – Karriere“.  Unter der Anforderung immer das Bestmögliche zu erreichen, habe ich in meinem Leben ohnehin langsam genug gelitten.

Lange Flure... - und viel Verzweiflung.


Stets mit dabei... - die Hoffnung. In Form von roten Schuhen, die ich im Ort in der Ferne auf der Stroke Unit getragen hatte. Unauffällige Erinnerung an das, wofür man da kämpft.

In der letzten Woche des PJs wurden dann die vierten Fächer und die Prüfungsgruppen bekannt gegeben. Ich hatte HNO bekommen und war damit so mäßig glücklich. Auge wäre schlimmer gewesen, aber der HNO – Profi bin ich auch nicht und werde es vermutlich auch nie sein.
Nach dem letzten Chirurgie – Tag (Nie wieder OP – Yipiieehhh…) startete nahtlos der Lernmarathon 2.0. Genau dasselbe wie im Jahr zuvor. Ich habe hinter den Fensterscheiben gesehen, wie ein neuer Frühling die Natur zum Leben erweckte.
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Zugegebenermaßen war es ziemlich chaotisch, weil wir nicht wussten, wie viel Zeit wir eigentlich noch hatten. Und wie lernt man überhaupt für die mündliche Prüfung? Was wird da wichtig sein?
Jeden Tag haben wir auf Bekanntgabe der Prüfer gewartet und es hat lange gedauert, bis sich da mal endlich etwas getan hat. Und dann  - so wie es kommen musste – wurde ausgerechnet aus unserer Gruppe ein Prüfer längerfristig krank, sodass wieder alles über den Haufen geschmissen wurde. Aber irgendwann stand der Examens - Termin und es war Zeit, für die Vorgespräche. Sehr hilfreich waren die auch nicht. So sagte der Neurologe, dass er sich schon vorstellen könnte, auch mal ein MELAS – Syndrom abzufragen, wenn er denn einen passenden Patienten zum Prüfungszeitpunkt auf seiner Station habe. Der Internist empfahl uns den Herold zu lesen, was die Bibel der inneren Medizin ist und in Anbetracht der kurzen Zeit, die noch blieb, völlig unrealistisch war. Die Allgemeinchirurgin sagte, dass sie ja auch eigentlich Gefäßchirurgie abfragen könnte und der HNOler war ein Externer und saß drei Städte weiter, sodass wir den gar nicht mehr besucht haben. 

Die Tage begannen und endeten am Schreibtisch...




Der einzige Rückhalt, den ich zu dem Zeitpunkt hatte, waren die wöchentlichen Therapietermine („Eigentlich sollte die Familie Sie  in solchen Zeiten unterstützen, aber da das bei Ihnen ja nicht funktioniert, übernehmen wir das eben…“), gelegentlich ein Telefonat mit dem Seelsorger und ganz selten mal ein paar Worte des Neuro – Oberdocs, der vermutlich mit dem Umzug der Klinik mehr als genug um die Ohren hatte.
Und ich… - ich musste mich entscheiden. Wenn ich den Prüfungstermin bekannt gebe, dann wäre es meinen Eltern durchaus zuzutrauen gewesen, den zur Debatte stehenden Klinikaufenthalt wieder durch allerhand emotional erpresserische Maßnahmen zu verhindern – so wie das schon 2018 gewesen ist. (Die alten Hasen kennen die Story, die da während des Examens passiert ist und mein Vertrauen in diese Familie endgültig zerstört hat…) Diesmal war es mir wirklich wichtig. Vielleicht würde ein nochmaliges Aufarbeiten der Situation, mich retten. Vielleicht würde ich dann doch nicht an dem Chaos in meinem Kopf früher oder später sterben müssen. Im Prinzip war ja alles auch schon mehr oder weniger eingefädelt. Die Therapeutin wusste Bescheid und unterstütze den Plan, mit dem Psychiatrie – Oberarzt hatte ich das ja schon im Dezember 2018 geregelt, dass er mich nochmal auf seine Station holt und ich wollte diese Chance gern bekommen, geordneter ins Berufsleben zu starten.
Also habe ich meinen Eltern nichts gesagt. Irgendwann wurden sie ungehalten. „Mondkind, Deine Schwester hat den Termin auch schon – ich glaube, Du müsstest mal beim Landesprüfungsamt anrufen…“ Neben dem Lernen waren die Eltern in Schach zu halten und dann haben die vom Landesprüfungsamt ein paar Tage vor der Prüfung wirklich noch ein paar Bescheinigungen verlegt gehabt – ich habe das ganze Vorhaben zwischenzeitlich tatsächlich scheitern sehen.

Der Neuro – Oberdoc hatte immer ein erstaunliches Gespür dafür, wann Not am Mann ist. Am Abend vor der Prüfung hat er mich angerufen und hatte eine völlig aufgelöste Mondkind am Telefon. Das war doch alles fünf Nummern zu groß. Während die Eltern vehement weiter nach dem Termin gefragt haben, war Mondkind quasi schon mitten drin in der Prüfung. Und was ist, wenn ich nicht bestehe? Ich kann doch nicht sagen: „Ja der Termin war schon und ich bin leider durchgefallen…“
Nachdem sich der Oberarzt all das angehört hatte, was in meinem Kopf los war und ich die Gedanken endlich teilen konnte, kam nach seinem üblichen Seufzer, wenn ich wieder viel zu viel und zu schnell gedacht habe: „Mondkind – versprich mir, dass Du kämpfst wie eine Löwin und mich nach der Prüfung sofort anrufst…“ Ich weiß nicht, wie oft ich mir diesen Satz in der Prüfung immer und immer wieder gesagt habe. Mein Prüfungs – Mantra.
Von den drei Mitprüflingen haben nach der Prüfung Freunde und Familie mit Sekt und Kuchen vor der Klinik gewartet. „Die Mondkind hat ihre Familie nicht hier – Ihr müsst sie jetzt mal stellvertretend in den Arm nehmen…“, erklärte eine frisch gebackene Kollegin ein paar Freunden. Ein Moment, der mir bewusst gemacht hat, wie unfassbar viel da doch irgendwie schief läuft. Warum gab es bei mir niemanden, der am wichtigsten Tag des Studiums dabei war? Klar, weil ich es nicht kommuniziert hatte, aber das hatte ich ja auch aus einem bestimmten Grund so entschieden.
Aber zumindest hatte ich wenige Minuten danach meinen Oberarzt in der Leitung. „Mondkind, ich bin sehr stolz auf Dich…“ Meinen genialen Myasthenie – Fall werde ich so schnell auf jeden Fall nicht vergessen.



Die Wochen danach waren anstrengend. Danach erstmal nahtlos in der Klinik zu verschwinden hat nicht so nahtlos geklappt, wie ich mir das vorgestellt hatte, weil der Psychiatrie - Oberarzt nicht aus dem Tee kam – und ich ehrlicherweise auch nicht so richtig. Er hatte ja nun mittlerweile die Privatstation, aber schien trotzdem immer einen Plan zu haben, wie er mich zu sich holt. Ich hatte ihm auch irgendwann mal gesagt, dass ich keine Lust habe auf einer anderen Station von vorn anzufangen, weil ich davor Angst habe, wieder nicht verstanden zu werden. Im Hintergrund hat er drei lang Wochen versucht, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um mich auf seine Station zu holen, während mir langsam die Kräfte schwanden. Irgendwann bin ich nicht mal mehr aufgestanden, um einkaufen zu gehen. 12 Stunden des Tages habe ich es mit Aufstehen versucht, aber es ging einfach nichts mehr.
Und dann hing mir auch die Zeit im Nacken. Ewig konnte ich nicht warten, ehe ich anfangen würde zu arbeiten, weil mir einfach das Geld fehlte, um nichts zu tun und trotzdem Miete bezahlen zu müssen.

Zwischenzeitlich habe ich schon mal damit begonnen, eine Wohnung im Ort in der Ferne zu suchen. Die Neuro konnte mir dabei nicht sehr behilflich sein, obwohl die extra eine entsprechende Abteilung haben (schließlich bin ich nicht die Einzige, die von weit her mitten aufs Land zieht…)  – also blieb nur, selbständig die entsprechenden Portale durchzuklicken. Ich hatte am Tag zuvor noch mit meiner Schwester darüber sinniert, dass eine Wohnung in einer bestimmten Straße die perfekte Lage wäre und am Tag danach habe ich eine Anzeige für genau diese Straße gefunden. Schön war die Wohnung auch – nur der Kostenpunkt – das war ein wesentliches Problem. Außerdem wäre sie schon einige Monate eher zu übernehmen, als ich sie wirklich bräuchte. Aber was sollte man machen – viel Zeit hatte ich nicht mehr. Von der Klinik aus eine Wohnung zu suchen, würde unmöglich werden – wie hätte ich von dort aus eine Wohnung fast 400 Kilometer weit weg besichtigen sollen?
Also bin ich wegen dieser Wohnung in den Ort in der Ferne gefahren. Da waren schon viele Zweifel wegen des Preises (und die sind auch nach wie vor da, obwohl ich es mir leisten kann, aber gedanklich bin ich immer noch im Studentenspar – Modus), aber ansonsten war das glaube ich so einer dieser Momente, den man bei einer Wohnungsbesichtigung braucht. Ein ganz vertrautes Gefühl schon beim Betreten der Wohnung und der Gedanke: „Das ist sie. Diese Wohnung möchte ich haben…“
Und wenn ich schon mal da war, habe ich natürlich den Neuro – Oberarzt besucht. Ein Wiedersehen nach mehr als sechs Monaten, nachdem die – wie es immer schien – beinahe unüberwindbare Hürde des Examens endlich hinter mir lag. Er war ziemlich im Stress, weil ich an dem Tag mutmaßlich dafür verantwortlich war, dass die Visite erst um die Mittagszeit startete, aber ich habe es sehr genossen. Rückblickend betrachtet war es glaube ich wirklich der beste Tag des Jahres. Ein Gefühl von Heimat. Nach Hause kommen. Hoffnung. Motivation für die nächsten Monate. Ein bisschen Erinnerung an das, was da kommt, wenn es mir endlich besser geht. Das war der Plan.
Überhaupt ist der Oberarzt einer der einzigen Menschen, der immer ganz locker mit dem Klinikplan umgegangen ist, mich danach gefragt und auch gemeinsam überlegt hat, wie man es mit dem Vertrag, den sich anbahnenden Mietkosten und einem sinnvollen Zeitfenster alles machen kann.
Genau die Unterstützung, die ich brauchte. Genau der Mensch, der mir fehlte.

Glücklichster Tag des Jahres... - Auf dem Weg zur Stippvisite in der zweiten Heimat.

Kaffee auf dem Marktplatz

Die neue Klinik...

Es war kurz vor einem der vielen, langen Wochenenden im Frühling, als ich der Therapeutin geschrieben habe, dass es einfach nicht mehr geht und sie sich bitte etwas einfallen lassen soll. Was sie dann auch getan hat – innerhalb von ein paar Stunden gab es einen Aufnahmetermin für den nächsten Tag – nur leider nicht so, wie ich mir das erhofft hatte.

Nachdem ich weder auf der Station des von mir sehr geschätzten Psychiatrie – Oberarztes unter kommen konnte und das auch auf der Station, auf der ich schon 2017 war nicht geklappt hat, war ich sehr skeptisch. Ein neues Team, neue Menschen, neue Regeln. Und ich mit meiner Geschichte, die grundsätzlich nicht so richtig verstanden wird. Ob ich so schlecht im Reden bin, oder ob es so ungewöhnlich ist, oder beides… - das weiß ich nicht. Auf jeden Fall ist es nahezu unmöglich den Menschen begreiflich zu machen, warum es mir eigentlich schlecht geht, wie genau sich das anfühlt und warum ich in den letzten Jahren mehrere Male durch halb Deutschland gezogen bin.

Auch den Weg in die Klinik musste ich natürlich alleine antreten. Und mit einem Herz, das bis zum Hals geschlagen hat, kam ich dann da an. Ich hatte unfassbare Angst. Vor allem. Vor dem, was da jetzt auf mich zukommt. Davor, verurteilt zu werden. Nicht verstanden zu werden. Und dann war die ganze Situation total verrückt. Meine Eltern vermuteten mich immer noch brav am Schreibtisch.
Der Aufnahmetag war die Hölle. Irgendwie hofft man ja doch immer, dass einem zumindest ein ganz basales Verständnis entgegen gebracht wird. Aber das war eine Fehlanzeige. Das Aufnahmegespräch mit der Pflege ging noch, aber von ärztlicher Seite… Der Assistenzarzt war ein Neurologe im praktischen Jahr und hat es vorgezogen, mir über Weiterbildungsmöglichkeiten in der Schweiz zu erzählen und mir Bücher für den Einstieg zu empfehlen. Das ist wirklich das Allerletzte, das man hören möchte, wenn man sich sowieso schon mehr als genug Vorwürfe macht, gerade nicht arbeiten gehen zu können. "Ach so, jetzt muss ich ja mit Ihnen noch über das Psychiatrische reden, aber so lange wie Sie sich nicht umbringen, ist das ja in Ordnung..." Nee … - so definitiv nicht. Das habe ich dann einfach mal völlig unkommentiert stehen gelassen. Die Oberärztin war ehrlich gesagt auch nicht viel besser. Erschöpfung nach dem Examen habe jeder – das gehe auch wieder vorbei. Und dann könne man mich ja auch nach spätestens zwei Wochen in die Tagesklinik stecken und so überhaupt wisse sie ja nicht so recht, was ich da wolle. Dabei war es keine „Post – examens – Depression“, oder wie immer man das dann auch nennen mag oder was sie gern gehabt hätten. Es war eine grundlegende Erschöpfung vom Leben und diese verdammte Klinik und die Leute dort, waren der allerletzte Zipfel Hoffnung. Natürlich kommt man nicht am ersten Tag mit dem Thema Suizidalität um die Ecke, aber es schlug vehementer denn je in meinem Kopf und ich wusste, dass dieses Hirn mich umbringen wird, wenn die Klinik mir nicht helfen kann.
Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so viel geweint habe, aber an diesem ersten Tag konnte mich überhaupt nicht beruhigen, nicht mehr reden – gar nichts. Wieder in der Klinik zu sitzen war das ultimative Versagen für mich und dann hat niemand verstanden, was genau eine erfolgreiche Studentin, die seit wenigen Tagen Ärztin ist, dort sucht.
Den ersten Tag habe ich nicht ein Wort mit meiner Zimmernachbarin gewechselt, was mich irgendwann auch gestresst hat, weil ich mir dachte, dass ich mich irgendwie integrieren muss und gerade wahrscheinlich einfach nur alle Menschen abschrecke. 

Mein Bett. Und immer dabei. Der PC. Und der Blog.



Insgesamt war es ein holpriger Start in der Klinik. Ich war zu beschäftigt mit mir, um warm mit den Mitpatienten zu werden. Die Gruppentherapien haben mich zu Beginn bis aufs Äußerste gestresst, weil ich immer extrem schüchtern werde, wenn es mir sehr schlecht geht. Die Ergo – Therapie hat mir Bäche von Schweiß den Rücken herunter rinnen lassen, weil ich keine Ahnung hatte, was ich da machen sollte und mich nicht getraut habe, irgendwen irgendetwas zu fragen. Da hat man vor wenigen Wochen Examen gemacht und kommt nicht mal in der Ergotherapie zurecht – es war alles ziemlich erbärmlich. (Irgendwann wurde Körbe flechten meine Lieblingsbeschäftigung… Und heute vermute ich, dass es mein Perfektionismus war, der mir das Ergotherapie – Leben so schwer gemacht hat. Einfach mal anfangen ohne zu wissen, was dabei raus kommt und ob es überhaupt etwas wird – nichts für eine Mondkind, bei der immer alles ein überdurchschnittlich gutes Ergebnis haben und Sinn machen muss).
Die Suizidalität war ein überpräsentes Thema, für das nicht mal die Klinik Raum geboten hat. In jeder Visite hatte ich die Sorge, dass man mir sagt, dass man mich ja eigentlich entlassen kann. Mit der Einzeltherapeutin kam ich zu Beginn auch nicht so gut zurecht. Sie war nett und höflich, aber ich brauchte Jemanden, der mich emotional da abholte, wo ich gerade bin und mir nicht erklärt, dass das alles eine ziemlich kritische und wackelige Situation mit mir und dem ist, wie ich mir die Zukunft in der Ferne vorstelle. Das wusste ich selbst.
Und dann musste ich irgendwann auch noch irgendwie meinen Eltern erklären, was hier eigentlich Sache ist.

Körbe habe ich irgendwann echt gern geflochten muss ich zugeben.
Auch wenn es klischeehafter wirklich nicht sein könnte




Meine Einzeltherapeutin ging dann relativ schnell in den Urlaub und ich wurde einem neuen Therapeuten zugewiesen. „Na super“, habe ich mir gedacht. „Das kann ich ja gar nicht brauchen. Alles nochmal erzählen…“ Die Mitpatienten haben mir ein wenig Mut gemacht und erklärt, dass ich mich glücklich schätzen kann, weil er einer der engagiertesten Therapeuten des Hauses ist und ich es somit eigentlich ganz gut erwischt habe. Mit den Mitpatienten klappte es dann irgendwann übrigens besser und als ich herausgefunden hatte, dass ich nicht die einzige Ärztin auf Station auf der Patientenseite bin, lief es auch besser.
Erste Stunde mit dem neuen Therapeuten. Ich dachte, er hätte sich wenigstens mal informiert. Hatte er aber nicht. Also die ganze Story nochmal erzählen.

Und obwohl ich mich wirklich bemüht habe, alles ehrlich und transparent zu erzählen, hat sich in den Köpfen der Beteiligten eine eigene Geschichte entwickelt. „Also Frau Mondkind, wenn es hier nur um die Arbeit geht, dann sind Sie hier falsch. Wir sind hier nicht bei der Arbeitsvermittlung“, erklärte mir der Chefpsychologe mal. Nein, es ging nicht nur um die Arbeit. Ich musste trotzdem nur unbedingt dort anfangen zu arbeiten, weil damit verknüpft nun mal der aktuell wichtigste Mensch ist. Auf einem Spaziergang mit der Schülerin kam mal irgendwann: „Aber Frau Mondkind – Sie und der Oberarzt – Sie haben doch etwas miteinander, oder?“ Verdammt nochmal, nein. Warum können die Menschen nicht ein Mal zuhören? Ich war schon Wochen auf der Station und durch die Blume wurde klar, dass alle Beteiligten genau nichts von meiner Geschichte verstanden hatten.

Und dann grätschte mir die Suizidalität mit einer vorher selten gekannten Intensität dazwischen. In der Klinik lief es nicht, wie ich mir das erhofft hatte und langsam wurde mir klar, dass der Ort in der Ferne mich mit den Ansprüchen an mich als Assistenzärztin eher mehr überfordern wird, als alles andere. Die Idee einer Zukunft stand plötzlich auf sehr wackligen Beinen und so weiter machen wie bisher, wollte ich einfach nicht mehr.
Nur leider war die Kommunikation dessen auch irgendwie eine Art von Fehler. „Sie sind eine Belastung für das Team…“ Gift für Mondkinds Ohren. Mondkind möchte keine Belastung sein – es gibt nur scheinbar einen Teil, der das trotzdem überleben möchte und der hat gerade versucht mutig zu sein und dafür eins auf den Deckel bekommen. Ich glaube, ich wurde dort lange als Simulantin abgestempelt. Die wussten einfach nicht, was einer frisch gebackenen Ärztin, die scheinbar einen Plan für die Zukunft hat, fehlt. 

Suizidal, Meldepflicht und Ausgangssperre. Oder auch: Tiefpunkt.


Und dann kam mir der engagierte Herr Kliniktherapeut zu Gute. Ohne ihn wäre vermutlich Vieles anders gekommen. Er war der Erste, der mich da abgeholt hat, wo ich zum dem Zeitpunkt eben war. Trotz eines nach außen hin erfolgreichen Lebens, saß da eine Mondkind mit ganz vielen Selbstzweifeln vor ihm, der es sehr schlecht ging, aber die damit einfach nicht im Mittelpunkt stehen wollte und der es deshalb fast unmöglich war, auf das Personal zuzugehen. Da war eine Mondkind, die zwar vertrauen wollte und Nähe zulassen können wollte, aber dazu einfach nicht in der Lage war.
Der Klinik – Therapeut hat schon in einer der ersten Stunden einen Zettel geschrieben, um mich schriftlich immer daran zu erinnern, für mich da zu sein. (Übrigens existiert der bis heute zwischen meinen Klinik – Unterlagen und wird noch lange dort bleiben – auch wenn er seine Aktualität natürlich etwas verloren hat. Aber daran erinnert zu werden, wie es war, ist sehr schön).
Das Thema Suizidalität hat er mit einer erstaunlichen Mischung aus Ernsthaftigkeit und Selbstverständlichkeit aufgenommen. Passiert halt in der Psychiatrie. Und dann reden wir eben darüber. Und allein schon gesehen und gehört zu werden und umgekehrt auch nicht verurteilt zu werden dafür, dass es jetzt nun mal so ist, hat schon viel geholfen. 

Der wertvollste Zettel des Jahres...


Und dann… - dann gab es da ja noch die Sache mit der Heizung. Ich hatte ihm dieses Bild, das sich irgendwann schon vor Jahren mal in meinem Kopf festgesetzt hatte, erzählt. Eines abends saßen wir dann im Arztzimmer und haben Tee getrunken. Auch das war sicher einer der Schlüsselmomente des Jahres.
Und dann hat der Herr Kliniktherapeut auch immer ein bisschen Hoffnung generiert. Nein, man werde mich nicht einfach so wieder entlassen, ohne mir irgendetwas mit auf den Weg zu geben, an dem ich mich festhalten kann. Irgendwie konnte ich mir schwer vorstellen, dass das funktioniert. Aber vielleicht würde ihm etwas einfallen.

Während ich in der Klinik war, hat sich der Sommer an der Welt vorbei gedreht. Die heißesten Tage des Jahres haben wir mit aufblasbaren Mini – Pools auf der Dachterrasse verbracht, um wenigstens die Füße kühlen zu können.
Mit Sicherheit ist eine Psychiatrie nicht der „place to be“ und wäre es mir besser gegangen, wäre ich vielleicht auch endlich mal wieder in den Urlaub gefahren – ich war seit Jahren nicht mehr unterwegs und an guten Tagen merke ich manchmal, dass ich gern mal wieder die Welt sehen würde. Aber gemessen an meiner psychischen Verfassung, war das schon ganz in Ordnung, dort zu sein. 

Chillen auf der Dachterrasse


Zu den besten Momenten in der Klinik gehörten übrigens auch die „Katzen – Momente“. Tavor oder Atosil waren mehr oder weniger fester Bestandteil des Inventars. Ich war mit meinen Schlafstörungen, die sich trotz Medikamente nicht in den Griff bekommen ließen, schon immer sehr früh wach. Schlimm war das in diesem Sommer eigentlich nicht. Was gab es denn Schöneres, als um kurz nach sechs Uhr eingewickelt in einer leichten Decke und mit dem ersten Kaffee auf der Dachterasse zu sitzen und entweder auf sich oder unmittelbar neben sich eine schnurrende Katze sitzen zu haben? Das waren dann die Momente, in denen ich manchmal den Impuls hatte, doch noch leben zu wollen. Nur, weil man auf so einem unglücklichen Pfad im Leben gelandet ist, kann das doch nicht heißen, dass alles vorbei sein muss. Da gibt es doch noch gute Dinge, von denen ich gern noch welche erleben würde.



Wie viel Tiere einem geben können, ist schon erstaunlich, muss ich immer wieder feststellen...


Und dann hat sich während der Klinik – Zeit auch eine neue Freundschaft entwickelt. Klinik – Zeiten scheinen immer auch ein Umschlagsplatz für Freundschaften zu sein. Da gibt es die Menschen, von denen man dann plötzlich gar nichts mehr hört und dann wiederrum kommen völlig unerwartet neue Menschen und schleichen sich ganz langsam in den Lebensmittelpunkt.
Am Anfang hat die neue Freundin mich häufig seltsam überfordert mit ihrer positiven Lebenseinstellung, ihrem Enthusiasmus und ihrer Spontanität. Und was sie jetzt mit so einer psychisch instabilen Person in ihrem Leben wollte, wusste ich auch nicht genau.
Heute ist es wohl viel mehr als das, aber am Anfang war es wahrscheinlich die Medizin, die uns verbunden hat. Sie wollte vermutlich wissen, warum eine Person, die sich den Lebenstraum, der es in ihren Augen ist, schon erfüllt hat in der Psychiatrie sitzt und ich habe durch sie über die Monate überhaupt erst realisiert, was für ein Privileg dieses Studium ist und dass ich mir eventuell Mühe geben sollte, eine Nische zu finden, in der auch ich mit diesem Studium glücklich werden kann. Heute sehe ich, wie sehr sie für dieses Studium kämpft, welch enthusiastische Anrufe ich bekomme, wenn sie dann mal im Rahmen ihrer Ausbildung im OP stehen durfte, dass ich mich manchmal fast ein bisschen schlecht fühle, nicht so viel Begeisterung zu empfinden; nicht so sehr für dieses Studium gekämpft zu haben. Letztens haben wir ihre Bewerbung fürs Studium korrigiert und ich hoffe einfach sehr, dass die den Platz bekommt.  

Irgendwann rückte die Entlassung näher. So wirklich besser ging es mir nicht. Das Thema Suizidalität war eher noch präsenter als vorher und so langsam schlich sich die Überzeugung ein, dass ich mittlerweile so viel versucht habe – wenn es nicht reicht, dann ist das auch okay. Nichts habe ich mehr gehasst, als beantworten zu müssen, was ich bisher gelernt hatte. Sicher eine Menge – ich finde Schematherapie super interessant. Aber ich war lange noch nicht so weit, irgendetwas davon für mich auf einer emotionalen Ebene akzeptieren zu können.

Irgendwann war mal gesagt worden, dass man niemanden ohne ein Konzept entlasse. Es gab aber kein Konzept. Nicht, weil die Klinik grundsätzlich keines hatte, sondern weil das bei mir alles ein bisschen kompliziert war. Mich an die Ambulanz im Haus anzubinden, war unmöglich, wenn ich in wenigen Tagen 400 Kilometer weit weg leben würde. Alle im Ort in der Ferne ansässigen Therapeuten hatte ich ja schon während meines PJs durchtelefoniert (das hätte man zugegebenermaßen nochmal machen können) und die nächste Ambulanz im Umkreis gehört zu unserer Austauschpsychiatrie für die Neurologen und ist ohne Auto auch schwer zu erreichen.
Vermutlich hätte ich diese geballte Verzweiflung nicht ausgehalten, hätte sich nicht eine gewisse Gleichgültigkeit den Dingen gegenüber eingestellt. Passieren lassen. Aushalten. Atmen. Keine Katastrophen mehr in der Klinik. Die Zeit dafür war abgelaufen. Falls es die je gegeben hatte. Es war auch nicht so schwer das umzusetzen. Emotionale Zusammenbrüche in der Öffentlichkeit sind etwas sehr seltenes bei mir und schließlich ist die Klinik in gewisser Hinsicht Dauer – Öffentlichkeit.
Mein Einzeltherapeut hat eine Trostbox für mich zusammengestellt, mit der er mich dann doch noch zu ein paar Tränen gerührt hat. Die hat immer noch ihren Ehrenplatz hier. Und wird ihn auch noch lang behalten. Was ich wirklich mit einer gewissen Regelmäßigkeit etabliert habe, sodass ich schon aufpassen muss, dass sie sich nicht „abnutzen“, sind die „Tee – Momente“.




Zwischen der Entlassung und dem Umzug in den Ort in der Ferne lagen nur wenige Tage.  Meine höchst chaotische Mitbewohnerin ist nur wenige Tage vor mir ausgezogen und hat ihren kompletten Müll in unserer 2 – er – WG hinterlassen, sodass ich von Früh bis spät mit Packen und Putzen beschäftigt war. Immer noch in Trance. Immer noch gleichgültig gegenüber allem, was um mich herum passierte.
Zwischenzeitlich war ich noch ein Mal bei der Therapeutin, die dezent entsetzt über meinen Zustand war und mich am liebsten sofort zurück in die Klinik gesteckt hätte. Aber das war jetzt erstmal nicht mehr möglich. Irgendwie musste ich versuchen, dieses Leben weiter zu leben. Warum mein Kopf so durchdrehte, wusste ich selbst nicht so genau. Immerhin stand ich kurz davor, endlich das zu erreichen, wofür ich seit mehr als drei Jahren gekämpft hatte. Endlich an den Ort ziehen zu dürfen, der die neue Heimat werden sollte. Vermutlich sank es nur langsam auch in mein Hirn, dass das Assistenzarztleben mich ziemlich überfordern wird, all die guten Momente dazwischen quasi auffressen wird und ich kurz davor war in einen Job zu starten, den ich eigentlich nie machen wollte, aber für den ich eigentlich dankbar sein sollte.

Zwischenzeitlich hatte meine Schwester noch die Idee entwickelt, dass sie doch eigentlich auch im Ort in der Ferne in der Inneren anfangen könnte zu arbeiten. Schlimm an dieser Idee war weniger meine Schwester, sondern mehr, dass man vermuten musste, dass meine Mutter und ihr Freund auch gleich hinterher ziehen, wenn die Kinder am anderen Ende von Deutschland wieder vereint sind.
Erst war ich von dieser Idee also gar nicht begeistert und ob es angenehm geworden wäre, mit meiner anorektischen Schwester unter einem Dach zu leben, weiß ich auch nicht. Aber ich versuchte, mir die positiven Seiten heraus zu kehren. Ich wäre nicht alleine, wir könnten die Wohnung zusammen einrichten, ich hätte Haustiere (und ich mag ihre Meerschweinchen wirklich) und immer einen Ansprechpartner auf der Inneren.
Nachdem sie sich am Abend zuvor nur für ein paar Tage verabschiedet hatte und wir uns schon gemeinsam überlegt hatten, wie die Meeris auf der Rückbank ihres Autos zu transportieren sind, entschied sie sich am Morgen danach doch dagegen. Die Entscheidung an sich empfand ich als weniger schlimm. Was aber schlimm war ist, dass mir bei der Verabschiedung nicht klar war, dass wir nicht wissen, wann wir uns wieder sehen. „Spätestens Weihnachten…“, war dann irgendwann so meine Idee…

Es könnte sein, dass ich an dieser Stelle einfach nur noch mal die Meeris zeigen wollte... ;)


Viel Zeit darüber nachzudenken hatte ich nicht mehr.
16. September. Erster Arbeitstag. 


Das Neuron und ich... ;)
Ich schlitterte mitten in die Unterbesetzung rein. Eigentlich war Jemand für mich angedacht, der mich ein bisschen einführten sollte, aber das hat überhaupt nicht funktioniert.
Am ersten Tag wäre ich am Besten überall gleichzeitig gewesen. Der Chef wollte mich in der Notaufnahme, die beiden Oberärzte auf ihren jeweiligen Stationen und bis ich dann endlich auf der Stroke Unit gelandet bin, war schon fast Mittag.
Man kann von Glück reden, dass ich im Altbau im PJ schon halbwegs mitbekommen hatte, wie die Stroke Unit hier so funktioniert.
Nach meinen ersten Tagen hatte ich schon die Hälfte der Station, wenn es sein musste.
Arbeiten und Schlafen. Sehr viel mehr ist – abgesehen von zwei Ausflügen in die Studienstadt seit dem Herbst nicht passiert.
Ich habe immer gehofft, dass es mir besser gehen würde, wenn ich dann endlich hier angekommen bin. „Willkommen in Deinem neuen zu Hause“, war ich zu Beginn empfangen worden. Bisher möchte es das noch nicht ganz werden – was vermutlich damit zusammen hängt, dass ich mich auf der Arbeit grundsätzlich überfordert fühle, jeder Tag mit der Angst beginnt, etwas falsch zu machen und mit der Erleichterung aufhört, wenn es doch irgendwie geklappt hat. Aber die den Tag überdauernde Anspannung führt dann dazu, dass viel mehr als auf dem Sofa sitzen und Tee trinken dann nach der Arbeit auch nicht mehr drin ist. Und bei den ganzen Überstunden, von denen mindestens 2,5 am Tage die Regel sind, sowieso nicht.
Was in der Wohnung ganz dringend erledigt werden musste, habe ich gemacht. Nach viel Theater stand dann endlich mal die Küche, auch wenn die Steckdosen immer noch fehlen und es jetzt eben provisorisch mit Verlängerungssteckdosen gehen muss. Ich habe ein Bett, einen Schreibtisch, einen Schrank und ein Sofa vom Vormieter. Die meisten Lampen baumeln aber immer noch als nackte Glühbirne von der Decke und es gibt so Vieles, um das man sich kümmern könnte. Dafür fehlt aber im Moment die Kraft. Und es geht ja schließlich irgendwie. Man kann hier leben.

Wie kann man die Situation auf der Arbeit in den letzten Monaten zu zusammen fassen?
Es ist irgendwie eine seltsame Ignoranz. Ich bemühe mich engagiert zu sein, zu tun, was ich irgendwie machen kann. Dass ich etwas wirklich nicht mache, kommt nur dann vor, wenn ich es tatsächlich für patientengefährdend halte und die Situationen kann man bislang an einer Hand abzählen.
Aber… - ich bin Anfängerin. Und das wird hier mit Begeisterung vergessen. Alle Arbeiten die man mir aufträgt, obwohl man mich nie angeleitet hat, wie die meisten Sachen funktionieren, führt zwar dazu, dass ich es meistens irgendwie schaffe, aber es ist eine enorme emotionale Belastung.
Zwar wird mein „Kann Jemand mit mir zusammen auf das EEG vom Patienten schauen?“, meist nett belächelt - allerdings ohne, dass sich jemand bereit erklärt und ich staple die entsprechenden Briefe einfach mal auf einer Ecke meines Schreibtisches. Das ist zum Beispiel eine Sache, die mich enorm stresst. Die Briefe müssen fertig werden und ich kann das selbst nicht lösen und helfen möchte auch keiner. Teilweise bombardiert mich schon das Schreibbüro mit Anrufen und es wird nicht mehr lang dauern, bis mir das um die Ohren fliegt.
Dann gibt es da immer mal schwierige Patienten und Patientenschicksale, die mir sehr nahe gehen und bei denen ich mich auch immer wieder frage, ob ich Dinge anders hätte machen können.
Im Gesamten ist die Fassade ein oder zwei Mal während meiner bisherigen Zeit dort zusammen gebrochen – ein Mal hat mir die Arzthelferin erklärt, dass man wirklich extrem viel von mir erwartet und dass sie das bisher bei keinem anderen Assistenzarzt so erlebt hat. Aber weder hat mein Reden, noch meine emotionale Überforderung auf der Station bewirkt, dass irgendjemand mal hinterfragt hat, wie es mir mit der Situation geht und ob wir uns da vielleicht auf einen Mittelweg einigen können. Natürlich müssen die etwas von mir erwarten – das ist mir klar. Aber kann man das nicht vielleicht so gestalten, dass es halbwegs erträglich ist?



Hauptsächlich bestand das Leben also seitdem aus Arbeiten und Schlafen und daraus, am Wochenende den Haushalt zu schmeißen. Als ich im Herbst noch nicht so müde war, habe ich häufiger mal einen Spaziergang eingebaut. Dieses Ritual kommt noch aus PJ – Zeiten. Da war ich mindestens drei bis vier Mal in der Woche im Kurpark spazieren und eigentlich hatte mir das wirklich gut getan. 




Zwei Mal habe ich währenddessen die Studienstadt wieder gesehen. Leben zwischen den Welten. Immer noch. Freunde wieder sehen. Erinnerungen aufleben lassen.
Die Frage, ob das hier alles richtig war und Sinn hatte, bleibt. Der Ort in der Ferne sollte mir eigentlich das Leben retten, indem ich dort das nachholen kann, das viel zu lange gefehlt hat. „Es muss ja nicht für immer sein. Nur solange, bis Du stabil genug bist“, hatte der Oberarzt im PJ mal gesagt. Der Plan war – mal schematherapeutisch gesprochen – die inneren Kinder so lange vom Außen betüdeln zu lassen, bis ich stark genug geworden bin, das selbst zu können. Und dann raus in die Welt… 


Die Studienstadt... 
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Allerdings gibt zwischenmenschliche Beziehungen, die dafür Voraussetzung gewesen wären und die sich nicht so entwickelt haben, wie ich mir das erhofft hatte. Was nicht heißt, dass in dem Punkt alles verloren ist, aber dass sie einfach nicht stabil genug sind, um so viel zu tragen, wie ich gehofft hatte, dass sie es tun würden. Vernünftige Kommunikation darüber, wie viel in der Hinsicht machbar ist, ist bisher ziemlich erfolglos gewesen und der letzte Tipp war, den Kommunikationsweg zu wechseln. Mal sehen, ob und wann ich das nochmal angehen werde. Vielleicht brauche ich da auch mal wieder mehr Sicherheiten, als Menschen so annehmen. Es gibt schon viele kleine Gesten, viel zwischen den Zeilen, das einen vermuten lassen könnte, dass mehr möglich ist, als ich so denke. Aber vielleicht ist das auch nur Interpretation verbunden mit Wunschdenken. Klare Ansagen – das hätte mir vermutlich mehr geholfen in den letzten Monaten, als immer nur Spekulationen darüber anstellen zu können.

Es gab mehrere Menschen, die die psychische Instabilität mitgetragen haben und ich habe die Vermutung, die meisten von ihnen wissen nicht, wie wichtig sie in dieser Konstellation sind und wie unglaublich dankbar ich ihnen dafür bin.
Nachdem es unmöglich war, nach der Klinik einen ambulanten Therapeuten zu finden, musste ich mich ja irgendwie so durch schlagen. Dass die Idee aus der Klinik zu kommen, umzuziehen und an einem anderen Ort hundert prozentig mit dem Job durchzustarten die Psyche nicht unbedingt stabilisiert, hätte mir klar sein können. War es mir vermutlich auch. Aber was konnte man schon tun? Als einer der wichtigsten Marker für die Stabilität dieser Helfer – Beziehungen ist immer die Frage: Werde ich in einem Jahr noch an dieser Stelle über diesen Menschen schreiben dürfen? Im Moment weiß ich das von Keinem ehrlich gesagt – was die Sache natürlich nicht besser macht.
Der Seelsorger. Den ersten Termin bei ihm hatte ich schon, bevor ich überhaupt angefangen habe zu arbeiten. „Ich sehe das Schreien in Ihren Augen“. Starkes Statement damals. Da hatte Jemand mich gesehen. Über diese Fassade einfach drüber geschaut. Obwohl manche Termine echt schleppend liefen und unangenehm waren und wir zwischendurch so unsere Sorgen hatten, war der Seelsorger  bis Weihnachten die stabilste Bezugsperson – vermutlich nicht zuletzt, weil er der Einzige war, der wirklich vor Ort war. Leider wird sich das ja nun auch ändern – schwierig für mich, aber nun mal der Nachteil dieser Helfer – Beziehungen. Ich bin froh über Jeden der da ist, muss aber immer damit rechnen, auch ganz schnell selbst zurechtkommen zu müssen.
Die Therapeutin ist telefonisch noch da – wenn ich gerade mal in der Studienstadt bin auch persönlich, aber das wird so schnell erstmal nicht mehr passieren. Sie erzählt mir seit Jahren, dass sie mich eigentlich abgeben muss. Umso froher bin ich, dass sie jetzt noch da ist. Aber dieses Wissen im Hintergrund, gepaart damit, dass unsere Telefonzeiten am frühen Nachmittag auch nicht mehr ewig funktionieren werden… -  macht die Sache auch sehr instabil. Wenn ich in der Notaufnahme eingesetzt bin, geht das nicht mehr. Wenn ich irgendwann die Station wechsle, auch nicht. Im Moment ist es nur möglich, weil ich einen verständnisvollen Oberarzt habe, der mir erlaubt, mich mal ins Bereitschaftszimmer zurück zu ziehen und die Briefe hinterher weiter zu schreiben. Solange, wie ich meine Arbeit auf die Kette bekomme, stört ihn gar nichts. Aber abgesehen davon erzählt die Frau Therapeutin mir seit Jahren, dass sie mich eigentlich abgeben muss – das stabilisiert die Sache natürlich auch nicht.
Wen ich gar nicht so richtig auf dem Schirm hatte, war der Herr Klinik – Therapeut. Von Zeit zu Zeit haben wir mal telefoniert, gesehen habe ich ihn auch nochmal. Obwohl ich ihn noch nicht lange kenne, hat sich da ein Vertrauen auf einer – für meine Verhältnisse – tiefen Ebene entwickelt. Ob nun manche Dinge, die ich im Zusammenhang mit ihm entschieden habe so klug waren, weiß ich nicht – jedenfalls hat das dazu geführt, dass er einen tieferen Einblick in alles was hier so passiert bekommen hat, als irgendwer anders, weil er erkannt hat, dass mein Medium nun mal das geschriebene Wort ist. Irgendwie muss man Menschen aber auch zutrauen können, das mitzutragen. Mit der Therapeutin könnte ich das nicht machen. Sie ist gut, solange, wie es mir einigermaßen okay geht. Wenn es aber abrutscht, ist sie – so habe ich manchmal das Gefühl – genauso hilflos wie ich und verurteilt dann eher, was ich so gar nicht brauchen kann. Ich glaube, mit dem Therapeuten war das – was die Verurteilung angeht -  am Anfang ähnlich – wenn auch vielleicht aus anderen Gründen. Die Krise in der Klinik, die wir miteinander hatten, kam vermutlich dadurch zu Stande, dass er mir das Recht auf diese permanente Verzweiflung und die ständigen Grenzsituationen mehr oder weniger abgesprochen und mir damit eine gewisse Unglaubwürdigkeit unterstellt hat. Das hat sich aber gebessert, als er angefangen hat meine Texte zu lesen. Seitdem habe ich nicht ein Wort der Verurteilung gehört und statt dessen ganz viel Bemühen erfahren, damit es irgendwie ein bisschen besser wird. Ewig wird das aber auch nicht mehr funktionieren – er hatte mal irgendwann von „einigen Monaten“ gesprochen, die streng genommen schon vorbei sind. Abgesehen davon ist er mindestens so beschäftigt wie ich und wenn wir abends um 18 Uhr noch über unsere Diensttelefone telefonieren, wissen wir wohl beide, dass wir eigentlich längst zu Hause sein müssten.
Extrem viel mitgetragen hat auch die Freundin und manchmal hat es uns einfach beide überfordert, wenn es mir sehr schlecht ging. Natürlich habe ich ein super schlechtes Gewissen, dass ich sie da so sehr belaste, aber wenn man Leute in der Psychiatrie kennen gelernt hat, ist das schwierig zu verbergen, wie es einem geht. Manchmal hat sie auch einfach kurzen Prozess gemacht und munter im professionellen Helfersystem herum telefoniert – was ich im ersten Moment nie gut heißen konnte, aber sie hat einiges damit bewegt und dafür gesorgt, dass ich ernst genommen werde, wenn ich selbst nicht mehr vermitteln konnte, dass es ernst ist. Denn das ist das, was ich gar nicht kann und was mir vermutlich irgendwann zum Verhängnis wird – im richtigen Moment nach Hilfe zu fragen.

Der Dezember war nochmal sehr turbulent. Mir ging es die meisten Tage über ziemlich schlecht, dann war ich nochmal in der Studienstadt und kam mit den ganzen Eindrücken nur schwer zurecht. Nebenbei lief die Klinikplanung auf Hochtouren und hätte es nicht das Gespräch mit dem Chef gegeben – oder wäre es anders gelaufen – hätte ich die Chance haben können, über Weihnachten an einem sicheren Ort zur Ruhe zu kommen.
Stattdessen war arbeiten gehen das Gebot der Stunde und am Ende hat es dazu geführt, dass ich jetzt extrem erschöpft, mit der Aussicht auf noch mehr Arbeit und entsprechend perspektivlos ins neue Jahr starte.




Vorsichtiger Blick auf nächstes Jahr. Ganz vorsichtiger Blick.
Es ist das erste Jahr seit Langem, in dem sich nicht das alles laufend ändern wird – zumindest aus der Perspektive, die ich heute einnehme. Viele neue Herausforderungen – das ja – aber keine Prüfungen, von denen so unfassbar viel abhängt, wie von einem Staatsexamen. Keine Wohnortwechsel durch halb Deutschland mehr.
Vermutlich werde ich demnächst an den Wochenenden arbeiten und bald die ersten Dienste machen müssen. Ob ich damit irgendwie zurechtkomme, wird sich zeigen. Im Lauf des Jahres werde ich auch von der Stroke Unit auf eine andere Station wechseln müssen – auf welche auch immer. Ich hoffe, dass mir die Intensivstation noch eine Weile erspart bleibt.

Irgendwelche Wünsche für nächstes Jahr?
Ja, es gibt Wünsche. Vorstellungen, wie das hier alles ein bisschen stabiler werden kann.
Bis gestern Abend wusste ich dennoch nicht, wie ich den Blogpost beenden soll. Wie es irgendetwas wie Hoffnung geben kann, wenn nichts mehr bleibt. Wie ich abschließende positive Worte finden kann, wenn da doch so viel Verzweiflung ist.
Und dann entsteht mit Tränen in den Augen, weil ich nicht weiß, wie ich diese letzten beiden Tage des Jahres noch schaffen soll, ein ganz wunderbares Gespräch.
„Mondkind, wie lange bis Du jetzt schon hier bei uns…?“
„Drei Monate…?“
„Drei Monate unabhängiges Leben, gegen 25 Jahre abhängig von Deinen Eltern… - was erwartest Du…? Mondkind, mal ehrlich – stell das mal gegenüber.“
„Ja ich weiß. Rational. Aber als Sie letztens gesagt haben, dass ich mir mal noch ein Jahr Zeit geben soll, ist für mich echt die Welt zusammen gebrochen…“
„Unter der Erde liegt es sich auch nicht besser Mondkind… wirklich, da vergibst Du Dir alle Chancen, die Du jetzt hast… Wir kriegen Dich schon irgendwie ins neue Jahr – und durch das Jahr…“

Alles was ich mir wünsche ist, dass ich irgendwann mal ankomme. Momente von Glück empfinden kann. Genug Kraft für die schönen Dinge des Lebens habe. Dass ich irgendwann doch noch zu dem Schluss kommen darf, dass sich all die Jahre in denen der Weg so schwer war, gelohnt haben. Dass es irgendwann ganz am Ende doch noch okay wird. Dass manchmal allein atmen so weh getan hat, dass ich glaubte zerrissen zu werden, aber dass ich da einfach durch musste, um heute hier zu sein.
„Mondkind, Du brauchst dazu stabile Beziehungen…“, erklärt ausgerechnet der Mensch mir, der eine von diesen „stabilen Beziehungen“ hätte werden sollen.

Wie ein Gefühl von Heimat enstehen kann, da habe ich schon so meine Vorstellungen. Die Wohnung vernünftig einzurichten, wird sicher dazu beitragen. Auch, wenn ich mich damit nicht stressen möchte. Mit so viel Kraft, wie eben da ist. Was ich auch angehen möchte, ist das Thema Haustiere. Ob Stubentigerhaltung so artgerecht ist, weiß ich immer noch nicht. Aber vielleicht tun es ja sonst auch Nagetiere – in Form von zwei Kaninchen vielleicht. Die könnte ich theoretisch während meiner Abwesenheit sogar durch den Flur laufen lassen – groß genug ist er; da könnten die Fellnasen genug Haken schlagen.
Ich hoffe auch, dass mir die Arbeit irgendwann ein bisschen leichter fällt und nicht mehr gefühlt jegliches Leben aus mir heraus saugt.
Und einer der wirklich größten Wünsche ist, dass ich nächstes Jahr an der Stelle nicht mehr über Suizidalität schreiben muss. Dass es ein „Ja“ zum Leben geworden ist. Mit allen Konsequenzen. Und ich hoffe so sehr, dass diese Einsicht eher kommt, als dass mir die Kraft zum Aushalten versiegt, bis es besser wird.

Und wenn nicht, dann bleibt immer noch das hier…



Die Karte hatte ich dieses Jahr mal irgendwo gesehen und mitgenommen. Denn auch, wenn es vielleicht irgendwann ein blödes Ende wird, kann ich mir vermutlich nicht vorwerfen, nicht ausreichend oft alles gedreht und gewendet zu haben. Die letzten Jahre waren schwierig und anstrengend und oft enttäuschend und gleichzeitig habe ich unfassbar viel gelernt und manchmal kam an den unmöglichsten Stellen ein Licht irgendwoher.

Ach so… - und mir ist in den letzten Tagen eingefallen, dass ich doch mein Ritual weiter führen muss. Jedes Jahr kaufe ich mir in meinem Lieblingsladen einen Kalender. Seit 2016. Jedes Jahr und jeden Tag die Erinnerung, wohin mich die Zeit führen soll. Jetzt bin ich endlich angekommen. Örtlich gesehen. Und ich hoffe so sehr, dass ich im Lauf des Jahres eben doch mal so wirklich ankommen kann im selbst gewählten zu Hause. 



Zuletzt wünsche ich allen Lesern einen guten Rutsch ins nächstes Jahr.
Und ich hoffe natürlich, dass der ein oder andere Leser dem Blog treu bleibt…

Mondkind
 

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