Reisetagebuch #3 Überlegungen
Während dieser Blogpost entsteht, bin ich schon wieder auf dem Weg
zurück in die neue Heimat.
„Meld Dich, wenn Du gut angekommen bist Mondkind… - und geh am
Donnerstag in die Klinik, wirklich“, waren vorhin die letzten Worte einer
ehemaligen Mitpatientin, ehe sich unsere Wege am Hauptbahnhof, nach einer viel
zu kurzen Nacht, getrennt haben.
Der gestrige Tag hat die „Erholung“, die durch das ganze Drama hier
ohnehin schon kaum noch als solche bezeichnet werden kann, dann komplett zu Nichte
gemacht.
Dabei ging der Morgen eigentlich noch ganz gemütlich los. Das
Frühstück mit der Familie bei der Freundin, bei der ich gerade schlafe,
entspannt sich langsam ein bisschen für mich. Die Menschen sind nicht mehr komplett
fremd, es fühlt sich allmählich etwas besser an und ich kann es streckenweise
sogar ein bisschen genießen, mal wieder nicht alleine am Frühstückstisch zu
sitzen.
Auch nach dem Frühstück ist noch ein bisschen piano bei uns angesagt.
Die Freundin zeigt mir ein paar alte Fotos, wir korrigieren ihre Bewerbung für
das Medizinstudium zu Ende (obwohl ich die gleich nochmal lesen muss), trinken
Tee und quatschen. Danach möchte sie eigentlich mit mir Tickets buchen, damit
ich Donnerstag wieder hier hoch fahren kann, aber ich finde ständig irgendetwas
ganz Dringendes, das wir noch vorher erledigen müssen. Es ist ja nicht böse
gemeint, aber mir macht das ganze Thema so unglaublich viel Angst. Sie hat dann
kurzen Prozess gemacht und einfach meine allerliebste Strickjacke einkassiert –
als Pfand sozusagen. Ich kann ihr nicht mal böse sein dafür, ehrlich gesagt…
Nebenbei meldet sich dann mal die Mitpatientin, auf deren
Weihnachtsfeier ich am Abend eingeladen bin. Ich habe noch nie so eine Chaos –
Queen erlebt wie sie – wirklich nicht. Nachdem eigentlich für alle Beteiligten
klar war, wie sie dorthin kommen und wir uns nach und nach unterwegs treffen
wollten, hat sie doch beschlossen uns am Hauptbahnhof abzuholen. Der Plan sah
allerdings eine halbe Stunde später schon wieder anders aus und da bis zu ihr
hin zu fahren mit der Bahn wesentlich länger dauert, sind wir alle erst sehr
spät dort aufgetaucht. Erschwerend hinzu
kam nämlich auch, dass es gestern mal wieder Bahnchaos gab und die Züge rund 40
Minuten Verspätung hattten.
Insgesamt war es vermutlich nicht unbedingt meine klügste Entscheidung.
Ich war sehr müde (durch das lange Stehen in der Kälte noch müder) und empfand
die Gespräche deshalb vermutlich als noch anstrengender, als sie ohnehin schon
waren. 22 Uhr ist auch meine Zeit, zu der ich mich langsam in Richtung Bett
bewege und da waren wir im Prinzip gerade erst angekommen. Bis ich dann
wirklich im Bett war, war es halb 3 in der Nacht und eigentlich hing ich seit
23 Uhr nur noch in den Seilen. Wenn ich müde bin, sage ich meistens gar nichts
mehr, was die Sache dann noch anstrengender macht. (Und so hin und wieder frage
ich mich, wie ich rein körperlich die Dienste überleben will). Schon gestern
Abend hatten wir uns geeinigt, welche Bahn wir heute Früh zurück in Richtung
Hauptbahnhof nehmen wollen. Mit dem Auto sei man in zwei Minuten am Bahnhof,
das sei alles kein Problem und ich soll nicht so einen Stress machen, wurde ich
gestern belehrt. Es war gestern Abend schon abzusehen – insbesondere bei
Menschen, die mit der Pünktlichkeit ohnehin auf Kriegsfuß stehen – im Endeffekt
waren wir heute Morgen zu spät dran, haben die Bahn verpasst, mussten dann zum
nächsten Bahnhof gebracht werden und dann habe ich den Bus ganz knapp noch
erreicht. Das war schon wieder so viel Stress für eine Mondkind, dass es in Kombination
mit der fünf – Stunden – Nacht absolut nicht gereicht hat.
Ein Hundi... - mit freundlicher Genehmigung der Freundin durfte ich sie als Model nutzen |
Wenn man nicht allein ist, geht es sogar. Die ersten Kerzen der Weihnachtszeit |
Ansonsten kreist mein Kopf dauerhaft um ein Thema: Klinik ja, oder
nein? Und eigentlich besteht da in mir alles nur noch aus Angst und
Unsicherheit und ganz vielen Fragen.
Die Oberärztin stellte ja schon im Sommer gleich im ersten Gespräch
klar, dass ich in der Klinik ja mal nicht hospitalisieren soll, aber wenn man
bedenkt, wie schwer das ist, mich in die Klinik zu geleiten, ist die Gefahr,
glaube ich, nicht besonders hoch.
Ich muss ja die Therapeutin morgen früh noch kontaktieren und wenn ich
mich gegen die Klinik entscheide, wird sie mich sicher fragen, ob ich denn
versprechen kann, die Feiertage und den Jahreswechsel zu überleben. Logischerweise
muss dann auf die Frage ein „Ja“ als Antwort kommen – ansonsten würde ich ihr
eine Zwangseinweisung schon zutrauen - und das fühlt sich ehrlich gesagt schon
jetzt falsch an.
Und gleichzeitig… - wie soll ich mich für etwas entscheiden, das sich
so falsch anfühlt? Die Entscheidung für die Klinik ist ja im Prinzip schon
jetzt der Schritt, den ich irgendwann mal lernen soll – Selbstfürsorge. Und, er
würde eine weitere Entscheidung voraus setzen, die ich noch nicht getroffen
habe – die Entscheidung für das Leben. Was mache ich denn jetzt, wenn der
Suizid mir weniger Angst macht, als dieses Katastrophendenken, dass ich
vielleicht durch eine Krankheitszeit von zwei Wochen den Job, die Stadt und den
Menschen, den ich gern als Bezugsperson hätte, verliere? Da sehe ich doch für
mich nicht wirklich eine Notwendigkeit, mich für das größere Übel zu
entscheiden - auch wenn ich weiß, dass es gemeinhin als das weniger Schlimme
betrachtet wird. Erschwerend kommt hinzu – darauf hat mich gestern Jemand
aufmerksam gemacht – dass auf der Krankmeldung der Name von der Institution
steht. Dann weiß der Chef, was Sache ist. Und ob er einen psychisch instabilen
Menschen behält, ist mal so die Frage. Anderseits wären die Weihnachtsfeiertage
vielleicht zumindest mal noch eine Begründung und das ist besser als völlig aus
dem Nichts im Januar oder Februar, wo man darüber spekulieren kann, ob der Job
das Hauptproblem ist. Nochmal werden die in der Klinik sich mit Sicherheit auch
nicht so schnell um ein Bett kümmern.
Und dann ist auch die Frage, wann man „krank genug“ für die Klinik
ist. Ist das ernsthaft gerechtfertigt, wenn ich noch bis Mittwochnacht arbeiten
gehe, danach in die Klinik zu gehen? Da sehe ich doch schon wieder kritische
Nachfragen. Und ist Suizidalität dann
wirklich ein Grund? Und wie akut ist die wirklich? Ist das nicht nur doch ein
bisschen Faulheit? Wäre es nicht erst dann akut genug, wenn ich es wirklich
versuchen würde, umzusetzen? Allerdings ist ja das Problem, dass alles
vorbereitet ist und dass der Versuch eben – wenn es planmäßig klappt – schon ein
Ende ist. Ich kann es halt selbst nicht mehr sagen. Ich weiß nur, dass es
bisher immer irgendwie ging. Aber es auch selten so gut vorbereitet war,
monatelang nicht aus meinem Kopf verschwand. Was mache ich, wenn ich es selbst
nicht einschätzen kann?
Aber… - nächste Frage: Ist die Klinik der richtige Ort? Können die mir
anbieten, dss zumindest soweit auseinander zu nehmen, dass ich im Januar
minimal stabiler gehe? Das letzte Mal hat man ja über das Thema mal lieber
geschwiegen. Dann geht es ja schon los… - wie begründe ich denen, warum ich
aufgenommen werde möchte?
Ich weiß es nicht. Ich bin sehr unsicher – und vor allem weiß ich
nicht, wie ich ab Morgen mit so einem Kopf Spätdienste machen soll, wenn die
Besetzung zudem äußerst dünn ist und wir nur einen vertretenden Oberarzt
haben.
Ich glaube, ich hätte einfach nicht mehr fahren sollen. Aber dann wäre
ich eben noch länger krank.
Falls irgendwer Ideen, eine Meinung oder einfach nur ein paar
aufbauende Worte hat – sehr gern.
Mondkind
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