Urlaubs - Reflektion in der Kapelle

Im Dezember Urlaub zu nehmen, ist vermutlich einfach die bescheuertste Idee, die man haben kann. Okay – es war ja auch nicht meine Idee. Die Urlaubstage mussten einfach noch verbraucht werden, weil ich sie nicht mit ins neue Jahr nehmen darf.

Ich kann gar nicht sagen, was hier die letzten Tage los war.

Sitzen und reflektieren. In der Kapelle.
„Eigentlich renne ich ja nur. Wenn man arbeitet, dann denkt man immer, dass es besser wird, wenn man dann endlich mal Urlaub hat und diese 12 - , 13 – oder wie viele Stunden – Tage auch immer erstmal nicht mehr machen muss. Aber wenn ich dann Urlaub habe und mit mir und meinem Hirn alleine bin, dann funktioniert es auch nicht – im Endeffekt komme ich also nie zur Ruhe. Das ist, wie ein nie endender Arbeitstag. Ich hatte wirklich viele Ideen, was ich hätte machen können, aber ich bin so ruhelos. Als könnte man die Katastrophen, die da kommen, vorbeugen. Also ja klar, ich musste auch noch viel organisieren – ich hatte bis gestern nicht mal alle Schlüssel zu der Wohnung, aber ich hätte mich auch einfach mal abends mit einem Buch ins Bett chillen können. Aber das ist ja „verbotene Tätigkeit“. Dann lieber EEG lernen, aber weil ich seit Tagen nicht mehr vernünftig geschlafen habe, ist das eben auch nicht so richtig zielführend.“

Wir kommen darauf zu sprechen, dass ich ab Morgen aufbreche in Richtung Studienstadt. Und, ob das nicht ein bisschen viel ist, wenn ich so schlapp auf die Füße bin.
„Natürlich ist das zu viel. Aber hier bleiben – da würde ich eingehen wie eine Primel. Wenn das mal klappen würde, dass ich einfach mal nichts mache, dann wäre es in Ordnung, aber dieses ständige „Was erwartet man im Urlaub von mir?“ „Wo verbringe ich Weihnachten?“ „Ich muss die Wohnung fertig bekommen, weil mir mein Vater im Nacken hängt und wenn er raus bekommt, dass ich Urlaub habe, dann erst recht - aber was soll ich machen – man müsste eben erstmal ein paar Monate Geld verdienen und man bräuchte mal ein Auto, um das ein oder andere zu besorgen…“ – da wird man wahnsinnig, weil man das Gefühl hat, so viel zu müssen und es nicht auf die Reihe zu bekommen und zu faul zu sein…“ Ehrlich gesagt wüsste ich nicht, wie ich die Woche schaffen sollte, wenn ich nicht morgen fahren würde.

Was mir am meisten Angst macht, wenn ich fahre, will er wissen.
„Der Sonntagabend. Zum Einen wegen der Fahrt. Der Bus kommt halt abends um 19 Uhr oder wann auf dem Bahnhof an. Und wenn er zu spät ist… - so viele Züge fahren dann nicht mehr hierher ins Kaff. Ich habe immer wahnsinnige Angst, auf dem Bahnhof die Nacht hängen zu bleiben.
Und… - ich glaube, dass die Studienstadt gerade ein bisschen Flucht ist. Und Sonntagabend muss ich mich dann der Realität stellen. Es muss irgendwie weiter gehen. Jeden Tag wird es ein bisschen schwieriger, weil ich jeden Tag ein bisschen weniger weiß, wohin mit mir und es dann am Ende der Woche -  nur noch eine knappe Woche bis Weihnachten ist und ich immer noch nicht schlauer sein werde…“

Es ist Winter geworden im Park...


Wir reden nochmal ein bisschen über die Eltern.
„Sie müssen einfach nochmal ein bisschen um die Eltern kämpfen. Ob das nun wirklich ihre eigenen Eltern oder irgendein Form von Ersatz – Eltern sind, das ist dabei nicht wesentlich. Aber sie müssen um das kämpfen, das sie brauchen…“
Nee… - wirklich nicht. „Ich weiß es nicht…“, sage ich dazu nur und verliere schon wieder fast die Stimme.
Ich habe dieses Jahr so viel und so lange gekämpft. Das ging schon im Januar los – die Chirurgie habe ich eigentlich nur irgendwie durchgestanden mit der Hoffnung, dass es am Ende des Jahres mit einem bestandenen Examen im Ort in der Ferne alles besser sein wird. Und jetzt… - nachdem das ganze Jahr anstrengend war, sitze ich hier und es ist das absolute emotionale Chaos. Es gibt Menschen hier, die machen mit ihrer bloßen Anwesenheit deutlich, was mir so sehr fehlt und können sich einfach nicht klar positionieren, wie viel sie mir geben können. Und ich stecke da so viel Hoffnung und Kraft und Gedanken rein, dass am Ende des Tages neben dem und dem Job kaum noch etwas bleibt. Und das läuft seit Monaten so.
Ich kann einfach nicht mehr. Und alles, was ich jetzt wirklich mal bräuchte wäre, dass Jemand schützend die Hand über mich legt und sagt: „Mondkind, Du musst jetzt einfach erstmal gar nichts machen. Es ist okay, wenn Du alles erstmal passieren lässt, wenn Du diese Verzweiflung erstmal nur fühlst, nicht dagegen kämpfst, nicht nebenbei noch funktionieren musst, sondern einfach erstmal damit aufgefangen wirst und sicher bist und nicht verurteilt wirst. Und es ist okay, wenn Du Dein Leben gerade nicht völlig selbstständig managen kannst – wir passen ein bisschen auf, dass es nicht aus den Fugen gerät, während Du einfach erstmal ein bisschen atmen kannst. Und das ist okay und dafür musst Du Dich nicht schämen, weil es nun mal verdammt anstrengend ist, jeden Tag mit dieser fehlenden Familie konfrontiert zu werden.“

Das sagt natürlich so keiner. Vermutlich kann das so auch keiner tragen. Und mir gelingt es einfach nicht zu vermitteln, dass hinter einer Mondkind, die mit ihrem locker ungebundenen Schal und dem beigen Mantel so aussieht, wie eine Assistenzärztin, die ihr Leben im Griff hat, etwas ganz anderes steckt.
Aber zerfallen vor anderen Menschen war noch nie so Mondkinds Stärke. Auch nicht in der Kapelle, durch deren Fenster die Sonne an diesem Morgen schräg fällt. Und diese Mondkind, die da so gern  gesehen und in den Arm genommen werden möchte, die sieht man nicht. Weil das negativer wäre als das, was man glauben möchte. Dann würde man eine Mondkind sehen, die gerade ein Stück weit aufgegeben hat. Weil sie einfach zu müde ist. Nicht, weil das gerade eine Laune ist. Sondern, weil sie schon viel zu lange gekämpft hat und sich jetzt eigentlich nur in Sicherheit irgendwo zusammen rollen können möchte.

Mondkind

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