Reisetagebuch #2 Freunde treffen und Klinikplanung


Say nothing is over                   
Though everything's crazy                
Be brave and trust me           
It's not a game over               
We gotta try harder               
You gotta stay with me          
There's nothing we can't reach         
'Cause nothing is over

(Sunrise avenue – Nothing is over)

Wenn ich morgens mal gewusst hätte, wie der Tag endet…

Es ist noch Früh, als die Freundin bei der ich gerade bin und ich, im Auto sitzen. Früh am Morgen, aber doch etwas zu spät für unser Vorhaben.

Wir düsen mit ein wenig Verzug los und dann killt uns der Berufsverkehr. Ich bin nie zu spät. Also… -. Eigentlich nie, denn heute biege ich mit sieben Minuten Verspätung um die Ecke des Psychiatriegebäudes, in dem ich meinen Sommer verbracht habe.
Der Herr Klinik – Therapeut steht schon in den Startlöchern und wird mir wenig später erzählen, dass seine Sitzung auch vier Minuten zu lang gedauert hat, also haben wir im Endeffekt nur drei Minuten nicht effektiv genutzt… - okay, das nur am Rande…
Zunächst mal füllt er meinen Teevorrat ein wenig auf – seitdem ich ihm die Story mit der Heizung erzählt habe, haben wir in den Sitzungen manchmal Tee getrunken und irgendwie gibt es jetzt so einen „Therapeuten – Tee“, der durch die Assoziation immer ein bisschen Sicherheit vermittelt.
Wir setzen und in eine ruhige Ecke in der Cafeteria. Das Setting macht deutlich: Seichte Updates; keine heftigen Therapiegespräche. Aber das ist auch in Ordnung so. Ob ich mir denn nochmal Gedanken gemacht habe, wo ich Weihnachten feiern werde, möchte er wissen. Oh Herr Therapeut – wenn Sie wüssten, wie oft ich das in meinem Kopf gewälzt habe…  Ich erkläre den Stand der Dinge und dass die letzte Option – die mittlerweile gar nicht so entfernt scheint – die Klinik ist. Davon scheint zumindest er noch nichts gehört zu haben im Haus (ich dachte, vielleicht wüsste er es, weil die Oberärztin ja Bescheid weiß) und ich führe es auch nicht weiter aus. Ich weiß jedenfalls nicht, wie er es so finden würde, wenn ich schon wieder in der Psychiatrie sitzen würde – und er sagt auch nicht viel dazu. Ich glaube, das ist auch so eines meiner grundsätzlichen Probleme – weil ich mich selbst dafür verurteile gehe ich quasi automatisch davon aus, dass es auch jeder andere tut. Aber warum sollte ein Therapeut das tun, wo er doch – zumindest hatte ich das Gefühl – einer der Wenigen war, der die Not verstanden hat? Unangenehm wäre es mir trotzdem. Sehr sogar.
Später geht es noch ein wenig um die Nähe – Distanz – Problematik, um die Suche nach einem zu Hause, um die grundsätzliche Möglichkeit, alles nochmal über den Haufen zu schmeißen – auch, wenn mir das wie das ultimative Scheitern vorkommt und ich auch nicht vertrauen kann, dass Jemand das mit mir zusammen machen würde. Und mir dafür im Moment auch die Kraft fehlt, ehrlich gesagt. (Dann kommt mir der Seelsorger allerdings wieder in den Sinn, der mir letztens unterstellt hat, dass ich häufig vor den Dingen davon renne…).            
Ihm gegenüber zu sitzen, fühlt sich irgendwie komisch an und ich bin nicht so böse, dass wir die Location gewechselt haben, sonst wäre das vielleicht doch etwas zu anstrengend. Allein wieder auf dem Gelände zu sein, ist eine Herausforderung. Hier ist alles zusammen geprallt. Hoffnung, Mut, Verzweiflung – und alles davon in zehnfacher Intensität als üblich. 

Erinnerungen an den Sommer

Na... - unser aller Freund Tavor


Danach gehe ich eine Freundin und ehemalige Kommilitonin besuchen. Sie hat nach dem Abschluss hier begonnen zu arbeiten und arbeitet in dem Haus, in dem ich meinen ersten Klinikaufenthalt verlebt habe – nur eine Etage darüber. Baulich sieht alles gleich aus – nur, dass die Sitzecke sich aus blauen, statt aus roten Sofas zusammen setzt.
Auf dem Weg dahin sehe ich, dass man mich versucht hat anzurufen. Während Herr Therapeut und ich in der Cafeteria gesessen habe, hat Frau Therapeutin im Hintergrund schon wieder ein wenig an den Strippen gezogen und auf meiner ehemaligen Station angerufen. Danach hat mich die Stationsärztin, die zu dem Zeitpunkt nur rund 300 Meter entfern von mir saß angerufen, und mir ein paar Aufnahmetermine angeboten mit der Bitte, sie zurück zu rufen oder sich bei der Pflege zu melden. Also… - könnte ich eigentlich gleich persönlich hingehen. Das überlege ich mir aber noch, während ich bei der Freundin bin, ob ich einen Fuß in dieses Gebäude setze möchte.

Die Freundin bringt mich ein wenig auf andere Gedanken und danach umrunde ich noch zwei Mal das Klinik – Gelände, weil ich mich nicht entscheiden kann, was jetzt zu tun ist. Am Ende denke ich mir, dass es persönlich zu klären, vielleicht doch die beste Idee wäre.
Von der Pflege ist gerade – abgesehen von einer Schülerin  - keiner da. Die platziert mich dann vor dem Arztzimmer, wo mir schon wenige Minuten später die Stations- und Oberärztin entgegen kommen. Jetzt sei aber erstmal Gruppenvisite – ich könne ja ein wenig warten, es könne aber sein, dass hinterher auch noch Patienten Gesprächsbedarf haben.
Ich setze mich erstmal. Lasse die Situation auf mich wirken. Und Warten – ob nun auf Ärzte oder Therapien ist an so manchen Tagen ohnehin die Hauptbeschäftigung in der Psychiatrie; das kann ich schon mal wieder üben, ohne die Geduld zu verlieren. (Im Job ist es ja eher umgekehrt – da warten alle Patienten auf mich… - das ist die bessere Variante ehrlich gesagt…)  Erstmal ist es überhaupt erstaunlich, dass die Oberärztin bei der Gruppenvisite dabei ist. Wir konnten uns meist freuen, wenn sie überhaupt statt fand. Und dann… - sieht das ganze Gebäude aus, als sei es in einen Weihnachts – Deko – Topf gefallen. Ich werde doch wohl nicht die Einzige sein, die ein Problem mit Weihnachten hat. Aber überall wo man hinschaut, klebt irgendwelche Weihnachtsdeko.
Ich kann nicht sagen, dass irgendwer unfreundlich zu mir gewesen wäre, aber irgendwie habe ich trotzdem das Gefühl, dass vor den Augen eines Jeden der mich sieht, geistige Fragezeichen tanzen, was zum Geier ich hier will. Ich glaube – wie gesagt – dass es auch mit mein Problem ist Jedem, der das nicht ausdrücklich erwähnt, dass es anders ist, zu unterstellen, dass er mich für den Schritt wieder in die Psychiatrie zu gehen, verurteilt. Ich übertrage da meine eigenen Gefühle pauschal mal auf jeden anderen. Ob das wirklich so ist… - weiß ich nicht. Aber wohl fühle ich mich nicht mit dem Gedanken, hier Weihnachten zu verbringen. Ich merke auch schon jetzt – wo es ja noch gar nicht beschlossene Sache ist – dass ich mich mit dem Selbstvorwürfen eindrehe und so viel Kapazitäten und Geduld, einer Mondkind das immer und immer wieder zu erklären, dass es okay ist, hat man da auch nicht.

Nach anderthalb Stunden berschließe ich, dass mir das zu viel Warterei ist – immerhin ist der Plan für den restlichen Tag auch voll. Als ich gerade das Gebäude verlasse, laufe ich einer ehemaligen Mitpatientin in den Arm. „Mondkind, was machst Du denn hier? Ich dachte, Du bist am anderen Ende von Deutschland…?“, fragt sie sichtlich überrascht. „Naja….“, sage ich dazu nur – aber bis dahin hat sie mich schon in den Arm genommen. „Mondkind, ein paar ehemalige Mitpatienten kommen heute Abend zur Weihnachtsfeier bei mir. Willst Du auch kommen…?“, fragt sie. Das ist jetzt ein bisschen sehr spontan und ich weiß nicht, wie ich das jetzt auch noch unter bekommen soll und wie ich da hin kommen soll. Ich sage ihr, dass ich mal versuche das zu klären, aber tatsächlich gern kommen würde.

Danach geht es erstmal zurück zur Uni – die Therapeutin möchte mich ja nochmal sehen heute, um die Kliniksache zu klären. „Wie geht es Ihnen Frau Mondkind?“, fragt sie. „Wahrscheinlich eine blöde Frage…“, fügt sie hinzu, während ich noch meinen Mantel über den Stuhl hänge. „Vermutlich, ja…“, entgegne ich. 
Ich erkläre, dass die Stationsärztin mich angerufen hat, ich aber noch nicht dazu gekommen bin, mit ihr zu sprechen. Und dann… - erkläre ich, dass mir zwar bewusst ist, dass sich da alle Mühe gegeben haben für mich einen Aufnahmetermin zu bekommen und ich das auch sehr schätze, aber dass ich es mir einfach nicht vorstellen kann, mich selbst in den Mittelpunkt zu setzen und die Arbeit hinten anzustellen – wo doch die Funktionalität das Wichtigste ist und vermutlich das Einzige, das ich wirklich gut mache und kann. Ich kann doch nicht im neuen Job erstmal mit Fehltagen, statt mit Einsatz auffallen. Und wie viel dafür nötig war, um überhaupt dahin zu kommen, wo ich jetzt bin, weiß maximal der Oberarzt. Alle anderen werden mich verurteilen und mir das nehmen, womit man Mondkind vielleicht irgendwie noch als akzeptable Arbeitskraft definieren kann.
„Ich werde mir das nicht verzeihen können und die Frage ist, ob es auf der Station die Kapazitäten gibt, das aufzufangen…“, erkläre ich. Denn so viele Helfer – Kontakte wie in den letzten Tagen hat man dort – gerade über die Feiertage – nicht. Und dann bringt es eben auch – aber das ist ein anderer Punkt – therapeutisch nicht viel. Denn ich müsste Anfang Januar da raus – anders geht es nicht. Und langfristig würde man das wahrscheinlich nur hinbekommen, in dem ich mal irgendwie den unverrückbaren Endpunkt des Suizides aus meinem Kopf bekomme. Aber das würde erfordern, das Thema nochmal auseinander zu nehmen und dafür – das haben wir ja im Sommer gesehen – ist die Klinik auch irgendwie der falsche Ort.
Zunächst mal erklärt die Therapeutin, dass es ja schließlich erstmal darum geht, dass ich den Jahreswechsel überlebe und dass man sich da dieses Jahr so viel Mühe für mich gebe, weil man zwar wisse, dass das jedes Jahr für mich schwierig sei, aber sich da dieses Jahr viel verschoben hat und es die Hoffnung mit „in der Ferne wird alles besser“ gerade nicht mehr so wirklich gibt, weil mich die Realität ein bisschen eingeholt hat. Ich muss damit zurechtkommen, dass ich am Ende dieses Jahres vorsichtig aufs nächste Jahr blicke und erstmal nur schauen kann, wo es mich hinträgt und wie man da an der ein oder anderen Schraube drehen kann. Aber „die“ Idee gibt es dafür nicht und langsam – nach all den Jahren – verschwinden nachvollziehbarer Weise meine Kräfte das auszuhalten.
Und dann erklärt sie, dass man sich wirklich viel Mühe gegeben habe, dieses Bett für mich frei zu räumen, was ich ihr auch glaube. Ansonsten standen die Namen der neuen Patienten im Stationszimmer schon wochenlang an der Tafel – meiner steht dort seit heute.
Die Frau Therapeutin versteht, dass es für mich einfacher wäre, wenn ich ein bisschen der Verantwortung abgeben kann. Aber das könne sie nicht machen. Sie kann mir nur raten, das zu tun und ich weiß nicht, an wie vielen Ecken sie gesagt hat „Frau Mondkind ich schlage vor, wir machen das jetzt einfach mal…“ Sie erklärt mir, dass sie mir die Verantwortung nur über eine Zwangseinweisung abnehmen könne, aber dann greifen da ganz andere Gesetze und ich würde erstmal in das Bundesland gebracht werden, in dem ich jetzt lebe und in die Psychiatrie, die für mich zuständig ist, was unsere Austauschpsychiatrie mit der Neuro ist. Und abgesehen davon, dass das ein ziemlich traumatisches Erlebnis wäre, würde ich mir unter Umständen auch jobtechnisch gesehen viel kaputt machen. „Damit würde ich Ihnen nur schaden Frau Mondkind – und das will ich nicht; deshalb mache ich das auch nicht…“
Am Ende verbleiben wir so, dass ich verspreche nochmal auf der Station anzurufen und mich am Montag bei der Frau Therapeutin melde. Am Montag… - vom Ort in der Ferne aus. Ich fürchte, spätestens zwischendurch zurück zu fahren, wird die Entscheidung zum Fallen bringen. Wenn man sich am Montag wieder die Story von der dünnen Personaldecke anhört und dann weiß „Ja, ab Donnerstag haben Sie ein noch größeres Problem Herr Chef“ – wer bitte macht so etwas?

Danach suche ich mir erstmal eine ruhige Ecke und telefoniere mit der Stationsärztin. Die befindet, dass ich die Zeit ja auch ohne laufende Therapien nutzen kann, um nochmal über die letzten Monate und darüber, wie es weiter gehen soll in Ruhe zu reflektieren und dann außerdem über die Feiertage etwas wie eine Basis habe. Tagsüber könne ich ja Freunde besuchen – davon gäbe es ja sicher noch ein paar hier in Düsseldorf – aber im Gesamten hätte ich einen geschützten Rahmen, Ansprechpartner und es kann wenig passieren.
Der letztmögliche Aufnahmetermin wäre aber Donnerstag und da müsse ich bis spätestens 14 Uhr da sein, damit die Oberärztin mich noch sehen könne. Jetzt habe ich aber Mittwoch Spätdienst – ich kann also nicht die Nacht über fahren und es fährt kein Fernbus so, dass ich das schaffen könnte. Und nach den Ausgaben der letzten Monate jetzt noch ein extrem teures Bahnticket kurz vor Weihnachten… - puh…
Im Endeffekt hilft mir das aber, die Entscheidung immer noch nicht genau in dem Moment treffen zu müssen. Sie schreibt mich auf die Aufnahmeliste, ich kümmere mich darum, wie ich das schaffe, pünktlich dorthin zu kommen und dann rufe ich Montag nochmal auf der Station an. Das ist der Plan. 



Danach treffe ich noch kurz einen Freund, der nach der Arbeit noch schnell an der Uni vorbei kommt, um mit mir einen Kaffee zu trinken. Und dann holt mich ein ehemaliger Mitpatient ab und wir fahren auf die Weihnachtsfeier, zu der ich am Morgen eingeladen worden war. Es ist erstaunlich, wie viele Leute sich freuen, den „Überraschungsgast Mondkind“ zu sehen – die meisten vermuten mich ja in einer ganz anderen Ecke des Landes. Es wird viel geredet, Kakao oder Glühwein getrunken und Kekse vernichtet.
Und irgendwie wird dann auch deutlich, dass wir alle auch nach der Psychiatrie noch unsere Kämpfe mit uns selbst durchzustehen haben. Einige von uns waren in der Zwischenzeit sogar schon wieder da. Ich wäre also nicht die Einzige. Und nicht die Erste. Wenn der erste Anlauf nicht klappt, dann vielleicht der Zweite. Keine Ahnung. Gibt es daran so viel zu verurteilen, wie ich mich selbst dafür verurteile? An diesem Abend höre ich jedenfalls kein Wort der Kritik von den anderen. Die Einzige, die das kritisiert bin ich. Eher tut es den anderen leid, dass ich das so negativ sehe. „Mondkind, wir kommen Dich auch besuchen und bringen Dir noch ein paar Plätzchen mit…“ höre ich. Und, dass ich mich bloß melden soll, wenn ich ab Donnerstag hier bin.
Es ist ein schöner Abend und obwohl ich langsam ultra – müde bin, war es sicher richtig, zu kommen.

Und jetzt… - jetzt weiß ich es auch nicht. Die Zeit könnte einfach mal stehen bleiben. Oder voran springen. Und mit wem sollte ich das noch besprechen? Ich kenne alle rationalen Argumente. Ich weiß, was zu tun ist. Ich weiß aber auch, dass alles in mir dagegen rennt. Und ich weiß nicht, wer das mit mir aushält. „Frau Mondkind, das hatten wir doch schon mehrfach“, hat die Pflege irgendwann gesagt, wenn ich zum x – ten Mal mit einem Thema um die Ecke komme. Ja, aber ich muss immer wieder daran erinnert werden, dass es okay ist. Wenn der Kopf 24/7 dagegen rennt. Das macht nur irgendwann keiner mehr.

Say nothing is over        
Though everything's crazy

Ja, es ist alles ein bisschen verrückt. Surreal.
Und es wäre schön, wenn das Ende des Jahres nur ein Ende des Jahres bleibt. Ich weiß, was zu tun ist. Ich muss es nur machen. Ein Mal an mich denken. Ein Mal den Chef toben lassen. Ein Mal nicht die Leistung in den Mittelpunkt stellen.

Mondkind

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