Weihnachts - Interpretation, Gottesdienst und Klinik
Everybody cries, We've all faked a smile.
When your back's against the wall
and your hands are tied.
There's pain, Life hurts
There's a thousand things You think You don't deserve.
All hope is lost
When You spend it all and You just can't beat the odds.
I bet You don't curse God.
(Christina Grimmie - I bet you don't curse God)
Weil es heute mal passt, irgendwie...
Wie Du hast Montag frei…?“ fragt die Freundin am Telefon etwas entgeistert, als müsste ich mich jetzt rechtfertigen, am Tag vor Weihnachten frei zu haben.
When your back's against the wall
and your hands are tied.
There's pain, Life hurts
There's a thousand things You think You don't deserve.
All hope is lost
When You spend it all and You just can't beat the odds.
I bet You don't curse God.
(Christina Grimmie - I bet you don't curse God)
Weil es heute mal passt, irgendwie...
Wie Du hast Montag frei…?“ fragt die Freundin am Telefon etwas entgeistert, als müsste ich mich jetzt rechtfertigen, am Tag vor Weihnachten frei zu haben.
„Naja… - ehrlich gesagt hatte ich ja gedacht, dass ich über
Weihnachten irgendwo hin fahre. Dass ich hier bleibe und arbeite, war ungefähr
meine letzte Idee…“, gebe ich zurück.
Weihnachten ändert sich vermutlich über die Jahre.
Und die Tage, in denen man am Ende des Jahres zur Ruhe kommen kann,
sind es schon lang nicht mehr. Sei es
nun, weil einem Prüfungen, oder ein Examen im Nacken hängen. Dass die Familie
Erwartungen hat, denen man nicht gerecht werden kann. Oder weil man – wie dieses
Jahr – Dienste machen muss und nur inständig hoffen kann, dass keine
Katastrophen passieren, wenn man drei Tage lang hintereinander, alleine die
Station führen muss.
Wahrscheinlich wäre es jetzt mal so langsam Zeit sich Gedanken zu
machen, wie ich die Tage über die Bühne bekomme. Was tut mir gut? Was brauche
ich? Selbstfürsorge extended sozusagen, wenn ich nicht gerade auf der Arbeit
bin.
Ist es für mich besser, wenn ich an den Abenden allein bin? Oder wäre
es doch besser, ich lasse mich auf das Angebot von dem ein oder anderen ein und
bin zumindest streckenweise nicht allein? Sollte ich vielleicht festlegen, wie
oft ich mich bei wem zu melden habe, um mich selbst ein bisschen abzusichern?
Und was sollte ich für Aktivitäten planen? Ein bisschen EEG studieren, oder in
alten Blogeinträgen lesen (das mache ich tatsächlich hin und wieder ganz gern),
oder vielleicht kurz mit wem telefonieren? Und was mache ich in den
Nächten? Bekomme ich die so über die Bühne, oder sollte ich vielleicht von vorn
herein ein Medikament einplanen, um nicht stundenlang wach zu liegen, in denen
die Gedanken sich im Kreis drehen können?
Und irgendwer sagte letztens, dass es auch okay wäre, Weihnachten
einfach nur zu atmen. Das war auch so ungefähr mein Plan. Bis ich beim Chef
war.
Was mich so verunsichert ist, dass ich mit dem was da kommt, keinerlei
Erfahrungen habe. Die Kombination aus Überforderung auf der Arbeit und
psychischer Instabilität ist – wenn die Psyche dekompensiert – eine ganz
Schlechte. Aber vielleicht ist es auch ruhig auf der Station; dann könnte die
Sache durchaus händelbar sein.
„Mondkind – Weihnachten ist auch nur drei Tage lang…“, habe ich letztens
als ultimativen Tipp gehört. Und wenn man bedenkt, dass ich 24 Stunden davon
regulär arbeite und in der Praxis wahrscheinlich noch ein bisschen länger… -
sind es nur noch zwei Tage.
Das Problem ist immer ein bisschen, dass die Aussage, dass es danach
vorbei ist, ja irgendwie ein Trugschluss ist. Erstmal kommt ja noch Neujahr –
was meist noch schlimmer ist – und im Januar – und das ist ja der wesentliche
Punkt – beginnt sich das Gehangel von Tag zu Tag in einem gewissen Rahmen zu
wiederholen.
***
„Sag mal Mondkind, wie haben die Dich denn das erste Mal in die Klinik
bekommen…?“, fragt eine Freundin am Telefon, die irgendwie immer noch nicht
glauben und akzeptieren kann, was hier passiert ist.
Ja… - wie haben sie das gemacht? Eigentlich war das die ungünstigste
Situation, die man sich vorstellen konnte. Das neue Semester war gerade eine
Woche alt, ich hatte erst vor wenigen Wochen beschlossen, das Examen im Herbst
machen zu wollen und hatte mit dem Neuro – Oberarzt das PJ fest gezurrt, was
auch noch über eine externe Uni laufen musste.
Zu dem Zeitpunkt war die Klinik schlichtweg das Unpassendste, das ich
tun konnte. Und dennoch hatte ich damals eine sehr wachsame Psychiaterin, die
ich nicht sehr gemocht habe, weil sie die richtigen Fragen gestellt hat und ich
schon befürchtet habe, dass sie mich irgendwann einfängt. Ihre Standardfrage
war, was mich noch am Leben hält. Worauf ich ihr nie viel sagen konnte. Der Ort
in der Ferne war damals noch nicht lang genug in meinem Leben, um so viel
tragen zu können. Die Familie ins Feld zu führen, ist mehr oder weniger eine
Lüge – das war ihr auch klar. Freunde hatte ich auch kaum. Im Prinzip konnte
ich ihr kaum etwas sagen. Für mich habe ich es nicht gemacht, für andere konnte
ich es auch kaum tun.
Ich musste alle paar Tage bei ihr auf der Matte stehen und wenn sie
Urlaub hatte, hat sie es einer Kollegin übergeben (damals war die Ambulanz noch
besser besetzt – heute haben die nicht selten gar keinen Arzt da…).
Und irgendwann hatte sie den Klinikplatz. Damals hatte ich genau 12
Uhr einen Termin bei ihr und sie hat mich überpünktlich zwei Minuten vor 12 Uhr
rein geholt. Ihr erster Satz war damals: „Ich habe den Klinikplatz für Sie,
aber ich muss bis 12 Uhr den Oberarzt informiert haben, ob Sie kommen oder
nicht…“ Und nach einer kurzen Pause: „Ich rufe jetzt den Oberarzt an, setze Sie
ins Taxi und dann fahren Sie da hoch. Ich weiß, das ist ein bisschen gemein und
ich überrumple Sie jetzt ziemlich – aber wenn ich Ihnen noch bis morgen Zeit
zum Nachdenken gebe, dann sagen Sie sowieso „nein“…“, erklärte sie ihr
Vorgehen. „Ich glaube auch, ja…“, habe ich geantwortet. Und schon hatte sie die
Nummer des Oberarztes gewählt.
Ich durfte nicht mal kurz nach Hause und Klamotten packen – die könnten
ja Angehörige vorbei bringen.
Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich ihr unglaublich dankbar dafür
war. Es könnte sein, dass sie mir damit das Leben gerettet hat. Wochen später
ging es dann zumindest etwas anders weiter. Ich habe endlich in der
Studienstadt gewohnt, konnte – weil ich nicht mehr vier bis fünf Stunden am Tag
gependelt bin – Kontakte zu Kommilitonen knüpfen und habe die letzten Abende
des vorbei ziehenden Sommers mit den anderen tatsächlich gelegentlich in der
Altstadt am Fluss verbracht. Noch wenige Wochen davor, wäre so etwas völlig
undenkbar gewesen. Kaum hatte ich fünf Jahre studiert, habe ich erstmal die
Stadt, in der ich studiert habe, wirklich gesehen.
***
Heute Morgen sitze ich erstmal in der Neuro herum. Ich hoffe inständig nicht allzu vielen Kollegen über den Weg zu laufen, aber das Problem beginnt schon, als ich die Neuro noch nicht mal betreten habe und zwei Kollegen mir vor dem Gebäude entgegen kommen. „Mondkind, was machst Du hier…?“ Ja, was macht die Mondkind hier? An einem Sonntag.
Heute Morgen sitze ich erstmal in der Neuro herum. Ich hoffe inständig nicht allzu vielen Kollegen über den Weg zu laufen, aber das Problem beginnt schon, als ich die Neuro noch nicht mal betreten habe und zwei Kollegen mir vor dem Gebäude entgegen kommen. „Mondkind, was machst Du hier…?“ Ja, was macht die Mondkind hier? An einem Sonntag.
Die Mondkind sitzt wenige Minuten später im ersten Gottesdienst ihres
Lebens. Der Seelsorger, der nun mal gleichzeitig der Pfarrer ist, hatte sie
bestimmt sieben Mal freundlich daran erinnert, dass er sie Sonntagmorgen
erwartet zu sehen. Und irgendwann hatte sich Mondkind dazu entschlossen, dem
nachzukommen – vielleicht kann das ja interessant werden. (Mondkind hatte ja
ohnehin schon vor knapp einem Jahr beschlossen, sich dem Thema Kirche mal etwas
mehr widmen zu wollen – da ist das doch heute eine gute Gelegenheit. (Zuletzt
hatte ihr ein aufmerksamer Leser noch eine Dokumentation verlinkt, die sie sich
auch mal anschauen wollte. Was es auf dem Blog für treue Seelen gibt – alle Achtung…
)).
Ehrlich gesagt bekomme ich die Predigt nicht mehr ganz zusammen und
habe mehrfach ein bisschen den Faden verloren – irgendwie kam er da ständig von
Höckschen auf Stöckschen – aber so „moderne“ Themen hatte ich gar nicht
erwartet. Es bisschen hängen geblieben bin ich tatsächlich am Thema „Leidenschaft“.
Die Botschaft war, dass jeder – mal völlig frei von der Bewertung – eine Leidenschaft
hat, die ihn wertvoll macht und der auch nachkommen sollte. Und ein bisschen
habe ich mich gefragt, was wohl passieren würde, wenn ich irgendwo in diesem
Leben mal einen Schnitt setze, der nicht das Leben an sich beendet, sondern nur
alles, was gerade ist. Vielleicht würde es besser werden, wenn ich einfach mal
anfinge das zu tun, das ich gern tun möchte. Dabei ist es in den seltensten
Fällen so, dass ich nicht weiß, was ich will, oder was gerade richtig für mich
wäre. Da ist meine Intuition schon ganz gut. Es fehlt nur der Mut, sich gegen
die Eltern, die Gesellschaft und die Normen durchzusetzen. Dass ein Platz ganz
oben in der Gesellschaft mich nicht glücklich machen wird, das wusste ich schon
während des Abis. Und dennoch bin ich diesen Weg gegangen, der da vorgegeben
worden war. Falsch angefühlt hat sich das aber vom ersten Tag des Studiums an.
Nicht, weil es grundsätzlich der falsche Job ist. Sondern, weil ich immer
gefühlt habe, dass es für mich falsch ist. Interessant mit Sicherheit – keine Frage.
Aber wie ich so viel Verantwortung für andere Menschen tragen soll, ohne daran
kaputt zu gehen, wo ich doch kaum Verantwortung für mich übernehmen kann, das war mir immer ein
Rätsel.
Wenn das Gesagte zu sehr an den Gedanken gerüttelt hat, dann wurde ein
Mal kurz mit Musik und Singen unterbrochen und im Endeffekt war es eine ganz
nette Mischung, muss ich sagen.
Der Pfarrer ist offensichtlich ein sehr beliebter Mensch – jedenfalls musste
sicherlich die Hälfte der Zuhörer hinterher nochmal seine Hand schütteln und
ihm persönlich frohe Weihnachten wünschen, ehe er mich dann eingesammelt und
mitgenommen hat. Kaum in seinem Büro, kam die nächste Idee. „Sie spielen doch E
– Piano, oder nicht?“, fragt er. „Naja… - so… - ganz sporadisch…“, gebe ich
zurück. Ich kann vielleicht fünf Lieder und die habe ich alle ausschließlich in
der Psychiatrie gelernt, kann sie mittlerweile auswendig und dazu kaum Noten
auf dem Piano und schon mal gar nicht Melodie und Begleitung in einem, ohne,
dass es sich irgendwie schief anhört, obwohl die Noten eigentlich an sich
richtig sein müssten. „Also wir haben hier ja jeden zweiten Donnerstag offenes Singen
und suchen da immer Jemanden, der Keyboard spielen kann. Das ist auch gar nicht
schwer – ich gebe Ihnen jetzt mal ein Notenbuch mit und Sie schauen sich das
mal an…“, erklärt er und schon habe ich das Buch in der Hand. Eigentlich wäre
das schon echt eine schöne Sache. Es ist halt 16 Uhr – da bin ich theoretisch
noch nicht fertig mit Arbeiten, aber ich denke ich könnte das mit meinem
Oberarzt schon klären, gelegentlich mal etwas früher zu gehen und die Brief
später fertig zu schreiben – zumal ich ja nicht nur mir, sondern auch der
Klinik etwas Gutes tue.
Im Anschluss gehen wir in der Neuro noch kurz zusammen Mittag essen.
„Manchmal muss man Sie ja schon ein bisschen zwingen…“, sagt er – mit Blick
auf seine Penetranz hier heute zu erscheinen und dass es doch ganz gut für mich
war. Ja, muss man. Da hat er Recht.
Es geht nochmal um Weihnachten und um die Möglichkeiten, die sich
bieten. Wenn alle Stricke reißen, kann ich zu ihm. Vielleicht ist es gut, das
zumindest in der Hinterhand zu haben.
Und ehrlich gesagt ist es manchmal ein bisschen beeindruckend, wie
viele verschiedene Helfer hier um ein Leben kämpfen. Eigentlich bin ich denen
allen zu unfassbar viel Dank verpflichtet. Ohne die Menschen um mich herum, die
es so gut mit mir meinen, mir von Zeit zu Zeit ihr Ohr schenken, einen guten
Rat haben oder Dinge entscheiden, die ich im ersten Moment nicht immer gut
heißen kann – wer weiß, ob ich heute noch hier wäre.
Und zuletzt geht es darum, Weihnachten auch einfach ein bisschen
umzudeuten. Es muss nicht dieses ultimative Familienfest sein und ich bin auch
nicht die „Verlorene“, weil ich allein bin. Ich muss nun mal arbeiten – nicht mehr,
und nicht weniger. Dass das alles etwas unglücklich gelaufen ist, kann ich aus
dieser Betrachtung ja heraus lassen. Ich tue etwas Gutes für andere Menschen;
kann ihnen vielleicht ein wenig Zeit, ein bisschen Sicherheit, ein paar
ehrliche und gut gemeinte Worte schenken.
Das ist auch Weihnachten. Nur eben anders. Aber nicht unbedingt
schlechter.
Mondkind
P.S. Seit gestern übrigens neue, treue Begleiter: Hals- und Gliederschmerzen. Ich will schwer hoffen, dass ich jetzt nicht noch krank werde... Drückt mit die Daumen, dass Tee trinken hilft.
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