Betrachtungswinkel
Meine Tage enden im Moment immer gegen 19 Uhr.
Dann, wenn die Geschäftigkeit des Tages nachlässt und der Kopf müde
wird. Wenn ich anfange zu überlegen, ob, was und wann ich zu Abend essen
möchte.
Dann wird einmal der Schalter umgelegt und ich bin im Panik – Modus.
Mittlerweile weiß ich das und schiebe Dinge auf den Abend, die man
auch im Panik – Modus erledigen kann. Die ausgearbeiteten Lernzettel
formatieren, aufräumen, Wäsche machen.
Und dann habe ich Angst. Angst, dass dieses Eis, auf dem ich hier
gehe, doch zu dünn ist.
Dass diese Gestalt, die da in einem dünnen Kleid barfuß an den Klippen
tanzt, sich doch zu nah am Abgrund bewegt.
Ich habe Angst, dass das hier alles eine ganz nette Idee war, die ich
aber einfach nicht leben kann, weil mich manchmal grundsätzlich alles
überfordert.
Letzten Endes fragt keiner. Es fragt keiner, warum es so gelaufen ist,
wie es passiert ist.
Warum ich mein Studium nicht in Regelzeit abschließen konnte. Und
warum ich letzten Endes nicht im Sonokurs gelandet bin. Den Grundkurs habe ich
mit Bestnote abgeschlossen und damit hätte ich ihn auf jeden Fall bekommen, ich hätte nur die Anmeldefrist nicht verpennen
dürfen.
Es fragt keiner, warum die Doktorarbeit so lange gebraucht hat. Falls
sie überhaupt je fertig wird. Es fragt keiner, wie viel Mühe und wie viel
Herzblut Du da hinein gesteckt hast und es fragt auch keiner, wie viele
Arbeiten Du angefangen, aber nicht zu Ende gebracht hast.
Die Menschen sehen nur Ergebnisse. Sie sehen nur die Anzahl an
Semestern, die ich gebraucht habe. Sie sehen nur, ob der Doktortitel da ist,
oder nicht. Und es zählt nur, ob ich Gefäße schallen kann oder eben nicht. Nur
mal so als einige wenige Beispiele.
Aber das ist eben nicht die Außenperspektive. Die Außenperspektive ist
meist sehr an Defiziten orientiert und dann interessiert es Keinen, ob ich das
trotz schwieriger Situation geschafft habe, oder nicht. Es zählt einzig, ob es
da ist oder nicht.
Ich höre in der Ambulanz oft: „Sie können stolz sein, dass Sie es
trotz Ihrer Situation so weit geschafft haben. Da muss irgendwo doch noch ganz
viel Kraft und Ehrgeiz stecken.“ Und für einen Augenblick kann ich das
nachvollziehen. Dort in den schützenden Mauern der Psychiatrie, innerhalb derer
die Menschen so zerbrechlich sind, mag das stimmen, aber in der Realität zählt
das einfach nicht.
Dann zählt maximal noch, ob es Dir selbst reicht.
Ob Du sagen kannst: Angesichts der Umstände, war es okay.
Und das kann ich nicht. Es ist nicht okay. Das nächste Semester hätte
es nicht geben dürfen. Ich schlage hier gerade Zeit raus, die mir gar nicht
zusteht.
Und ich kann mir persönlich auch nicht verzeihen, mich letzte Woche so
verrückt gemacht zu haben – und das immer noch zu tun – und dadurch sämtliche
Fristen verpasst zu haben. Mondkind ist ein organisierter Mensch. Normalerweise
verpasst sie keine Fristen.
Ich fühle mich gerade sehr alleine hier.
Manchmal ist es fast, als sei ich wegen des Ausschlags zu einem Alien
geworden. Ich weiß ja auch nicht, was es war / ist. Langsam aber sicher wird es
besser, denke ich.
Meine Mama und meine Schwester wollen nicht herkommen, was ich halt
auch irgendwie verstehen kann. Nur reden wollen sie eben auch nicht mit mir.
Und manchmal bräuchte ich glaube ich einfach abends nur einen, der mir
sagt: „Mondkind, es wird alles okay. Und selbst, wenn sich das hier doch noch
zur Katastrophe entwickelt, helfen wir Dir.“
Denn wie ich das in meinem jetzigen Zustand schaffen soll, die ganz
Wäsche zu bewältigen, weiß ich immer noch nicht. Und wie ich das überhaupt
überleben soll, ohne die Vollpanik zu bekommen, dass ich die Viecher vielleicht
nie wieder los werde. Und dass ich dann vielleicht auch irgendwelche Leute
angesteckt habe und sie in die gleiche Situation manövriere.
Es ist ein schmaler Grad, wenn ich morgens aufstehe und zur Uni fahre.
Ich fühle das Kippeln den ganzen Tag und muss mich arg bemühen, dass es erst
kippt, wenn am Tag ohnehin kaum noch etwas zu retten ist.
Wann der Boden des Tals erreicht ist, weiß ich nicht. Warten auf
bessere Zeiten. Und darauf vertrauen, dass es die irgendwo gibt. Und dass sie
wieder kommen.
Alles Liebe
Mondkind
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