Wie alles begann...
Gestern war auch
für beinahe alle von meiner Großgruppe die letzte Vorlesung. Nicht nur die
letzte Vorlesung des Semesters, sondern die Letzte des ganzen Studiums.
Das war dem
Dozenten zunächst gar nicht bewusst. Erst als die ersten Sektkorken knallten,
wurde ihm klar, dass er der letzte Dozent ist, der uns eine Vorlesung hält.
„Grundzüge
der Antibiotikatherapie“ war das Thema. Das hört sich nicht spannend an, aber
es war eine super Vorlesung. Er hat es tatsächlich geschafft den Stoff so
aufzubereiten, dass man mitkam und es nicht langweilig wurde.
Ehrlich – es
hat alles gepasst. Der Vorlesungssaal war voll und das war auch mal keine
Schnarchveranstaltung und der Dozent hat das alles ganz locker gesehen, am Ende
noch Fotos gemacht.
In mir ist es
ein Schmerz, der sich kaum aushalten lässt, denn für mich ist es ja nicht das
Ende. Dazu später noch einmal etwas.
Sechs Jahre
Lernen neigen sich dem Ende zu – für die meisten jedenfalls. Ich habe mich
gefragt, wie das alles für mich angefangen hat. Damals - kurz nach dem Abi.
Bezüglich des
Lernens und des durchgetakteten Stundenplans, unterschied sich das Studium
abgesehen davon, dass es ein anderer Ort war, viel größere Gruppen und viel
mehr Stoff, nicht so sehr von der Schule.
Ich habe
mittlerweile schon so viele Tage aufgeschrieben – ich kann sie
einfach zurückgehen, die Nummern nicht mehr vorwärts, sondern rückwärts laufen
und sehen, was ich gehofft, geglaubt und gefühlt habe.
Früher war
das was da geschrieben war, meine Normalität. Heute lebe ich immer noch
genauso, aber in dem Wissen, dass es keine Normalität ist, dass nur ich es
ändern kann und dass ich ganz langsam dabei bin.
Heute weiß
ich, dass ich die Ambulanz im Rücken habe. Dass – wenn ich es schaffe mich dort
zu melden – nur bis zu einem bestimmten Punkt fallen kann.
Damals hatte
ich das alles nicht.
Es treibt mir
die Tränen in die Augen, ich spüre die Verzweiflung und die Hoffnungslosigkeit
in jeder Zeile. Damals wusste ich noch nicht, dass das noch ungefähr drei Jahre
so weiter laufen würde, ehe ich zum ersten Mal einem Psychiater gegenüber
sitze.
Und heute
denke ich mir: Wie verdammt viel hätte ich mir ersparen können? Das war doch im
Prinzip nach dem Abi schon klar, dass es überhaupt nicht mehr läuft und das war
ja auch schon seit der 10. Klasse so. Warum habe ich damals nicht einen Break
gemacht, damals Hilfe gesucht? Wieso die Quälerei?
Okay, dann
wäre das alles anders gelaufen. Dann hätte ich in die Psychiatrie unseres
kleinen städtischen Krankenhauses gemusst. Heute läuft das ja alles über die
Uni, weil ich mir hier Hilfe gesucht habe.
Vielleicht
musste es also auch sein, um die Hilfe zu bekommen, die nötig ist.
Traurig ist
es trotzdem.
***
Nur ein paar der vielen Impressionen und Einträge.
13.
Oktober 2012
Seit Freitag
dürfen wir nun einen grauen Toyota Yaris unser Eigen nennen. Was sollte man
fühlen, wenn man so ein Auto bekommt? Soll ich einen Salto schlagen, mich
freuen…?
Keine Ahnung.
Erst mal bedeutet es wieder Zeitaufwand. Wir müssen lernen mit dem Teil zu fahren und obwohl wir dieses Wochenende wegen des Studiums schon richtig viel zu tun haben, sind wir heute weit und lange gefahren. Es ist schwer dabei die Nerven zu behalten, freundlich zu bleiben, zu lächeln. Die Unruhe, die mit jeder Minute schlimmer wird zu verbergen.
Der Abend heute wird sehr lang. Es ist mein einziger Weg mit all dem klar zu kommen. Ich wusste vorher, dass dieses Wochenende schlecht werden wird, aber mittendrin zu sein ist immer blöd. Ich hasse es nachts so lang zu arbeiten.
Keine Ahnung.
Erst mal bedeutet es wieder Zeitaufwand. Wir müssen lernen mit dem Teil zu fahren und obwohl wir dieses Wochenende wegen des Studiums schon richtig viel zu tun haben, sind wir heute weit und lange gefahren. Es ist schwer dabei die Nerven zu behalten, freundlich zu bleiben, zu lächeln. Die Unruhe, die mit jeder Minute schlimmer wird zu verbergen.
Der Abend heute wird sehr lang. Es ist mein einziger Weg mit all dem klar zu kommen. Ich wusste vorher, dass dieses Wochenende schlecht werden wird, aber mittendrin zu sein ist immer blöd. Ich hasse es nachts so lang zu arbeiten.
(…)
Streckenweise
geht es. Die Uni fängt an meine Tage zu füllen, mich zu halten – obwohl es so
stressig ja nicht gleich hätte sein müssen. Organisatorische Dinge kann ich nur
schwer regeln, weil auch sie mir unproduktiv vorkommen.
15.
Oktober 2012
Es ist
schwierig – das letzte Stückchen Freizeit, die letzten Minuten Musik hören am
Tag, in denen man immer so gut seine Gedanken sortieren konnte, fallen jetzt
auch noch weg und werden gegen stressiges Autofahren eingetauscht. Man kann das
nicht irgendwie nachholen oder so. Musik hören ging ja nur, weil man
schließlich den Weg von der Bushaltestelle nach Hause sowieso laufen musste und
es schneller und anders nicht ging, aber jetzt ist man ja eher zu Hause und
kann ja arbeiten und dann ist Musik hören unproduktiv.
21.
Oktober 2012
Ich habe so
gehofft, dass es alles aufhört. Ich habe heute die Karte von Frau X in den
Händen gehalten, den Brief von Herrn Y(Lehrer) von damals – vom letzten
Schultag. Es war so viel Schmerz, wenn ich realistisch an das gedacht habe, was
da kommt, aber es war auch so viel Hoffnung, wenn ich daran gedacht habe, dass
ich jetzt – nach der Schule - etwas ändern kann.
Letzten Endes
war dieser Schmerz, der sich da angekündigt hat, nicht verkehrt. Es war als
habe er es vorausgesehen – das was kommt. Dass die Hoffnung wieder nur eine
Illusion ist, dass sie mich nur als Fata Morgana durch einige Wochen tragen
wird, dass sich aber nie etwas ändern wird.
So… die Uhren
kündigen den neuen Tag an – und ich verschwinde im Bett.
22.
Oktober 2012
Ich kann das
nicht mal beschreiben im Moment. Das ist, als habe man versucht den Schatten
vom Leben zu nehmen, man war ihm entflohen, weil man einfach alles hinter sich
lassen musste. Die Schule, das gewohnte Umfeld, die Stütze, die mich durch den
Sommer getragen hat und auch das Wetter war zwischendurch beinahe winterlich.
Ich dachte,
ich habe ihn abgeschüttelt – diesen Schatten, aber er folgt mir. Am Anfang habe
ich das noch nicht so gemerkt, weil die Uni und alles so neu ist, aber er kommt
jeden Tag ein bisschen näher und macht das Leben jeden Tag ein bisschen
dunkler.
23.
Oktober 2012
Langsam
türmen sich hier die ersten Berge von dem auf, was wir lernen müssen und es ist
verdammt viel. Ich gebe mein Bestes, das verspreche ich dir und du weißt, dass
ich das immer und zu jeder Tageszeit tue, aber ich merke auch, dass es mir gar
nicht um das Studium geht.
Es
geht mir um Beschäftigung. Darum, dass ich genau weiß, was ich zu tun habe, das
keine Zeit mehr übrig bleibt für irgendetwas anderes, das ich mit mir abmachen
muss.
Es
ist der Weg zurück, den ich niemals wirklich vorwärts gegangen bin.
Alle
schieben Panik vor den ersten Klausuren, aber mir ist das einfach völlig egal.
Und manchmal glaube ich, dass das auch nicht gut ist, weil man nicht wirklich
mit Eifer lernt.
Manchmal
– in wenigen Augenblicken – habe ich Angst. Angst, dass eines Tages einfach
nichts mehr funktioniert. Ich meine – 6 Jahre so? Aber ich sollte ein bisschen
mutiger vorran gehen – stimmts?
1.
November 2012
Im
Moment fühle ich ganz viel Getriebenheit und ich wäre schon glücklich, wenn ich
es mir abends einfach erlauben könnte ins Bett zu gehen. In der Uni ist es
Mittags ein riesiges Problem essen zu gehen, weil ich einfach denke, dass das
unproduktiv ist und es gescheiter ist zu lernen.
Ich
sehe die Zusammenhänge: Ich sehe: Wer nicht schläft und nicht ist, wer sich den
ganzen Tag nur auf irgendeine Weise selbst schädigt, der kann nicht anständig
lernen und da ist es klar, dass das alles wie ein Sieb ist. Ich weiß, ich muss
essen und schlafen, ich brauche Leute, mit denen ich reden und mich austauschen
kann – aber da gibt es eine Klemme in meinem Kopf, die genau das verhindert,
weil sie irgendwie immer nur in den nächsten 30 Minuten denkt.
Manchmal
denke ich auch irgendwie, dass ich mich gar nicht mehr ertragen könnte, wenn es
mir körperlich gut ginge, weil das dann irgendwie zuviel wäre. Wenn ich müde
und abgekämpft bin, dann merke ich, wie sich mein Denken verlangsamt, wie sich
unkontrollierbar irgendwelche Filme in meinem Kopf abspielen, wie das Leben an
mir vorbeirauscht und es okay ist, weil die Stunden umgehen und ich mir um
nichts Gedanken machen muss, weil ich einfach viel zu fertig bin.
Und dann die Wende...
6.
Juli 2015
(…)
„Wie
kann ich Ihnen denn helfen?“, fragt er. „Tja – das weiß ich auch noch nicht
genau“, gebe ich zurück. Super Anfang – natürlich nicht. „Erzählen Sie einfach
mal ein bisschen“, versucht er es weiter. Ich frage, ob ich am Anfang beginnen
soll – auch wenn der schon sehr lange zurück liegt. „Am Besten, Sie erzählen es
so, dass ich es verstehe“, sagt er.
Ich
gebe mir einen Ruck und fange an. Ich beginne im Frühling, als ich in der 10.
Klasse war - der erste Frühling, in dem alles anders war. Ich erzähle davon, wie
plötzlich die Leere in mein Leben kam, wie ich mit nichts um mich herum mehr
etwas anfangen konnte. Ich erzähle davon, dass ich mein allergrößtes Hobby –
das Schreiben – von einen auf den anderen Tag an den Nagel hängen musste. Dass
Manuskripte, die eigentlich schon halb verlegt waren, liegen geblieben sind.
Ich berichte davon, wie ich aufhören musste zu Reiten, davon, wie die Freunde
sich abgewendet haben, weil ich sie nicht mehr besuchen konnte.
Ich
erzähle über die Jahre – davon wie ich in mein Studium gerutscht bin, von der
ständigen Getriebenheit, von der Überforderung, die die Tage mit sich bringen,
von der Erleichterung, wenn sich die schützende Dunkelheit über die Hausdächer
legt.
(…)
Und
dann geht die Fragerei los.
Das
war noch ziemlich am Anfang…
„Sie
sind also freudlos?“ Freudlos ??? Bitte was ist das denn für ein Wort??? Wie
unfassbar akademisch.
„Wenn
man es so nennen will“, gebe ich zurück.
Er
hämmert etwas auf seiner Tastatur. Ich kenne ihn noch keine 10 Minuten und
frage mich, ob das jetzt die nächste halbe Stunde so weiter geht. Tut es nicht.
(…)
Er
ist nett und so – aber ich habe Angst das Falsche zu tun. „Sie haben gerade ein
bisschen Angst und fragen sich, wie Sie das alles neben dem Studium noch
schaffen sollen“, sagt er. Wow – ich bin beeindruckt. „Ja“, sage ich.
Es
gehört einfach zum Krankheitsbild dazu, sagt er. Aber ich werde es schaffen,
sagt er. Davon kann ich mir jetzt auch nicht so viel kaufen, aber er nimmt mich
unfassbar ernst und versteht die Zusammenhänge beinahe in Rekordschnelle.
(…)
Ich
habe Angst. Angst, dass das hier alles doch falsch ist. Und dass es der falsche
Zeitpunkt ist. Es kumuliert gerade einfach zu viel. Ich hätte heute Radio
lernen sollen, weil morgen Klausur ist. Aber ich kann gerade nicht lernen.
(…)
Irgendwie
fühle ich mich bei ihm sehr gut aufgehoben. Er weiß, was er tut. Es will keine
voreilige Diagnose stellen und deswegen muss ich da in den nächsten drei Wochen
noch zwei Mal hin, dass wir das vernünftig hinbekommen.
Unglaublich
professionell, unglaublich empathisch und irgendwie – irgendwie bin ich froh,
dass ich da war.
Kein
Grund Angst zu haben. Alles ist gut.
***
Ich
bin diesem Arzt so unfassbar dankbar. Ich war davor ja schon in einer Menge
Beratungsstellen gewesen und immer hieß es: „Läuft die Uni?“ und auf mein „Ja“
kam dann: „Na dann kann das doch alles nicht so schlimm sein“.
Doch
kann es. Weil die Uni das Einzige war, das mich am Leben erhalten hat.
Ich
glaube, er war der Erste, der wirklich zugehört hat. Der es vielleicht nicht
verstanden hat, was sich da seit Jahren in meinem Hirn abspielte, aber der sich
die Mühe gemacht hat, es nachzuvollziehen.
Der
mir Mut gemacht hat, dass wir es hinkriegen, dass es besser wird. Dass es lange
dauert, hat er gleich dazu gesagt, aber ich mag ehrliche Menschen.
Und
er war bis zum Ende immer da, wenn es gebrannt hat. Zum Schluss war das eher
schwierig, als er schon Oberdoc war, weil er so viel zu tun hatte, aber davor. Er
kannte auch die Geschichte, obwohl sie verworren war. Ich habe sie ihm nur ein
Mal erzählt und er hatte sie immer auf dem Schirm.
Und
das Letzte, das er getan hat war, dass er sich dafür eingesetzt hat, dass ich
schnellstmöglich auf seine Station komme und dass er sich ernsthaft die Zeit
für ein von mir gewünschtes Einzelgespräch auf der Station genommen hat.
Vielleicht
mag es ihm so vorkommen, dass er nur seinen Job getan hat. Vielleicht hier und
da für mich nochmal an ein paar Schräubchen gedreht hat. Aber für mich ist es
so viel mehr.
Es
mag nicht so offensichtlich sein, wie in der Rettungs-, Notfall- und
Intensivmedizin. Aber vielleicht können Psychiater auch Leben retten.
***
Habe
ich erwähnt, dass ich eigentlich lernen muss…? Da sieht man wieder, was eine
einzige Vorlesung in Mondkinds Hirn auslösen kann.
Alles
Liebe von einer bewegten Mondkind
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