Ein Sommer für mich
Ich hatte
viel zu tun heute. Im Moment beschäftigen mich mal andere Themen als ewiges
Auswendiglernen und dafür bin ich dankbar. Dass ich ein bisschen rum komme und
man es dennoch als "produktiv" bezeichnen kann. Die Bescheinigungen,
die ich holen muss, hole ich mit dem Fahrrad ab, genauso wie ich auch mit dem
Fahrrad zur Ambulanz fahre und das Auto stehen lasse. Die wenigen Minuten, in
denen ich "produktiv" Fahrrad fahren kann, muss ich doch nutzen!
Ich habe
heute einen Igel gesehen, der im Park, durch den ich immer fahre, mit seinen
kleinen, kurzen Beinen über den Weg gerannt ist – wobei: Gerannt ist er nicht
wirklich. Ich habe ein wenig abgebremst, damit er ohne Stress den Weg
überqueren konnte und hinterher war ich so dankbar für die Begegnung mit dem
Tier.
Und es
liegt nochmal ein Sommer vor mir. Ein Sommer, den es eigentlich hätte gar nicht
geben dürfen. Ich hatte so viel zu tun in den letzten Wochen, dass ich kaum
dazu kam, irgendetwas zu organisieren und wahrscheinlich wird mein Programm
deshalb in den nächsten Wochen nicht immer tagesfüllend sein.
Ich frage
mich ein wenig: Wer bin ich eigentlich? In den letzten Jahren habe ich alles
dafür getan, um möglichst nicht leben zu müssen – zumindest nicht für mich
selbst. Für die anderen leben, das war okay. Ich habe meine Daseinsberechtigung
daraus geschöpft, für die anderen da zu sein.
Wenn man
mich fragt, was ich gern mache, dann weiß ich es nicht. So etwas wie Hobbies:
Das gibt es derzeit gar nicht. Was würde ich denn gern mal machen? Auch das
weiß ich im Moment nicht so richtig.
Ich habe
mich selbst irgendwo verloren, den Zugang zu mir selbst.
Und was
machen die vergangenen Jahre eigentlich aus mir? Schon seit dem ich 11 oder 12
war, habe ich das Leben in Frage gestellt, den Sinn der ganzen Sache. Um gute
Noten zu schreiben, habe ich quasi rund um die Uhr gelernt, am Wochenende wurde
das Ergebnis von meinen Eltern abgeprüft und das hat mir entweder einen freien
Sonntagnachmittag beschert oder eben auch nicht.
Einige
Fächer hatte ich lieber als andere und es gab Zeiten, in denen ich auch gern
gelernt habe, aber als das Leben anfing nur noch aus Lernen zu bestehen und
auch mit dem Anspruch, dass da immer ein Ergebnis bei raus kommt, habe ich das
nicht mehr gern getan.
Es wurde
auch kein "Ich kann heute einfach mal nichts lernen" akzeptiert. Mein
Tagebuch habe ich immer spät am Abend geschrieben, weil ich es mir vorher gar
nicht erlauben konnte ein paar Minuten nichts zu tun.
Leben für
die Leistung. Und es ging noch nicht mal darum, einen bestimmten NC für ein
Studium zu erreichen. Mir war bis zum Ende eigentlich nicht klar, was ich mal
machen will und oft meinte ich auch, dass ich mir darüber im Prinzip keine
Gedanken machen muss, weil ich überzeugt davon war, das ohnehin nicht mehr zu
erleben.
Und auch
das wirft Fragen auf: Was macht es mit einem Menschen, der im Prinzip sein
halbes Leben lang schon sterben möchte? Der es schafft, sich nach außen
vernünftig durch die Tage zu bewegen, aber dessen Innenleben ganz anders
aussieht. Wie bewertet so ein Mensch die Tage, von denen am Ende doch jeder
gezählt ist und deshalb mit so viel Leben wie möglich gefüllt werden sollte.
Denn wir haben das alles nur ein Mal und manchmal kann es auch ganz schnell
ganz anders werden, wie ich auf der Intensivstation eindrücklich gesehen habe.
Bin ich
im Moment mehr als meine Hülle?
Eine der
größten Aufgaben meines Lebens ist es wahrscheinlich nicht das Medizinstudium
zu beenden und eine gute Ärztin zu werden. Auch wenn mir klar ist, dass wenn
ich das erlebe, ich alles daran setzen werde das Beste für meine Patienten zu
tun. Und das kann ich ganz gut: Für andere da sein.
Die
nächsten Wochen werden schwierig. Dass viele Schlaglöcher auf meinem Weg warten
und viele unsichere Wege, die ich beschreiten muss, ist mir klar.
Und
dennoch ist es der Anspruch vielleicht zumindest mal ein bisschen anzufangen.
Ein bisschen was für mich zu tun. Und wenn es nur damit beginnt, dass ich das
Frühstück nicht bereits am Schreibtisch vertieft in irgendwelchen Unikram zu
mir nehme, sondern mir Zeit nehme. Mir überlege, was ich gerne frühstücken
würde und nicht die Variante wähle, die am schnellsten geht, sondern diejenige,
auf die ich am meisten Lust habe. Und dass ich mich vielleicht auch mal an den
Küchentisch setze.
Auf
Therapeutendeutsch würde man das wahrscheinlich achtsames Frühstücken nennen,
oder so. Es geht einfach darum, das bewusst zu machen.
Und ich
glaube, bevor ich anfange allzuviele „schreibtischferne“ Aktivitäten
einzubauen, beginne ich vielleicht mit den Kleinigkeiten, die dem Tag schonmal
einen ganz anderen Start geben. Direkt morgen früh.
Alles
Liebe und eine gute Nacht
Mondkind
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