Done...



Das zehnte Semester ist Geschichte.
Gestern nach der Klausur war unsere Großgruppe in der Stadt und hat gefeiert, dass sie jetzt „scheinfrei“ ist, wie man das nennt. Im Prinzip wissen sie das noch gar nicht, denn man könnte ja auch durchgefallen sein durch die Klausur, aber wir sehen das alle mal positiv.
Ich bin jetzt aber wirklich froh, ab jetzt nicht mehr ständig damit konfrontiert zu sein, dass die anderen jetzt scheinfrei sind und alle Veranstaltungen in ihrem Uni – Leben hinter sich haben. Wir haben Einige – auch bei uns in der Großgruppe – die das nicht in den vorgesehenen zehn Semestern bis hierher geschafft haben, aber dass jemand im letzten Semester noch die Segel streicht – das ist schon wirklich selten.

Zurück zur Klausur.
Irgendwie habe ich mich dann doch noch verrückt gemacht.
Es hängt so viel an dieser Klausur. Objektiv gesehen ist sie zwar genauso wichtig oder unwichtig, wie viele Andere in den vergangenen Semestern auch waren, aber für mich ist es die erste Klausur nach dem Klinikaufenthalt, die erste Klausur nach grundlegenden Veränderungen in meinem Leben und auch eine Klausur, für die ich acht Wochen gekämpft habe.
Als der Block angefangen hat, hatte ich nicht mal sicher ein Dach über dem Kopf in der Zeit nach der Klinik. Die Ärzte sind nicht müde geworden zu betonen, dass es zu früh ist und am letzten Tag, als unser alter Stationsarzt da war, hatten wir nochmal ein sehr ehrliches Gespräch. Er hat gesagt, dass es überhaupt nicht weiß, warum ich jetzt gehe und der Ergotherapeut das genauso sehen würde. Bis dahin hatte ich allerdings die stundenplantechnisch gesehen schlimmsten Wochen schon hinter mir – das wollte ich nicht nochmal machen müssen.
Ich glaube, wäre unser alter Stationsarzt geblieben, hätte ich mir das aber überlegt, ob ich nicht doch bleiben will – denn dass es draußen hart wird, war mir bewusst.

„Grenzsituationen“ hieß unser Studienblock und genauso grenzwertig waren für mein Empfinden teilweise auch die Fragen.

So sollten wir beispielsweise entscheiden, welche Muskelrelaxantien in der Notfallmedizin verwendet werden. Über das Rocuronium kann man nicht viel diskutieren – wenn man das höher als üblich dosiert und damit die Anschlagszeit verkürzt, ist das ein gutes, relativ nebenwirkungsarmes Medikament. Anders sieht es aus mit dem Succinylcholin. Das hat eine noch schnellere Anschlagszeit, was gerade in der Notfallmedizin wichtig ist, aber auch sehr viele Nebenwirkungen. Da ist die Frage, ob man nicht doch auf die paar Sekunden verzichtet und lieber Rocuronium nimmt. Das war und ist sehr umstritten – in den Vorlesungen wurde man nicht müde zu betonen, dass es ein gutes Notfallmedikament ist. Gerade gestern früh hatte ich noch gelesen, dass es nach neuesten Leitlinien aber eigentlich nicht mal mehr für Erwachsene im Rettungsdienst verwendet werden soll.
Wie sehen das jetzt die Anästhesiologen bei uns? Ich habe es jetzt mal angekreuzt, nachdem es so oft erwähnt wurde…

Auch fraglich ist, wie man mit Schmerzmitteln im Rettungsdienst umgeht.
In einer der letzten Vorlesungen lernten wir, dass man Sufentanyl oder Ketamin bzw. Esketamin nehmen soll, weil die eine schnelle Anschlagszeit haben – dem Patienten also schnell die Schmerzen nehmen – aber eine recht kurze Wirkdauer haben, sodass sie ganz gut steuerbar sind. Ausdrücklich wurde erwähnt, dass man kein Fentanyl nehmen soll, weil es eine zu lange Anschlagszeit hat.
In der entsprechenden Frage in der Klausur gab es zwar Esketamin zur Auswahl, aber in einer Dosierung, die den Patienten wahrscheinlich sofort in Narkose gelegt hätte und das kann man ja nun gar nicht brauchen, dass der Patient aufhört selbstständig zu atmen – zumindest solange das nicht das Ziel ist, was bei einem Beinbruch glaube ich nicht gegeben ist. Das nächst „sinnvolle“ in der Frage war dann das Fentanyl, obwohl man uns ja eigentlich gesagt hatte, dass man es nicht nehmen soll. Ich habe es jetzt trotzdem angekreuzt, weil so Sachen wie Ibuprofen oder Paracetamol bei einem Konchenbruch eben auch keinen Sinn haben.
Ich weiß auch nicht, wer die Frage gestellt hat: Die Anästhesiologen oder die Notfallmediziner – ich habe so das Gefühl, manchmal wissen die Einen nicht, was die Anderen lehren.

Das nächste Problem war ein Mann mit Kammerflimmern und einem Blutdruck von 60/45 mmHg.
In meinen Unterlagen stand: Kammerflimmern ohne Puls: Defibrillation; Kammerflimmern mit instabilen Kreislauf: elektrische Kardioversion, Kammerflimmern mit stabilen Kreislauf: Amiodaron.
Zur Auswahl stand jetzt Kardioversion oder Amiodaron (und noch einige andere, wenig sinnvolle Maßnahmen). Der Mensch war übrigens irgendwo auf der Intensiv und in Narkose, der hat von seinem Kreislauf also nicht allzu viel mitbekommen.
Ich habe durchaus Anästhesisten gesehen, die zwar unruhig waren im OP mit einem solchen Blutdruck, aber nicht gleich Panik geschoben haben.
Im Prinzip würde ich das aber schon als instabilen Kreislauf bezeichnen.
Mein Problem war jetzt, dass ich nicht weiß, wie lange das Amiodaron braucht, bis es anschlägt und man es damit versuchen und wenn die gewünschte Wirkungen nicht eintritt, doch eine Kardioversion machen kann.
Im Prinzip denke ich mal – so als ahnungslose Studentin – dass das auch ein bisschen eine Einzelfallentscheidung ist. Abhängig davon, wie alt der Patient ist, was für Grunderkrankungen er hat und solche Dinge. Da können natürlich einige mehr weg stecken als andere.
Das ist halt so das Problem bei diesen multiple Choice Aufgaben. Man hat einen Satz und anhand dessen soll man jetzt entscheiden. Man kennt den Patienten ja im Prinzip gar nicht und das wird – so man nicht AvD ist – im Krankenhaus nicht so häufig vorkommen.
Ich habe mich dann dafür entschieden, dass es ein instabiler Kreislauf ist und elektrische Kardioversion angekreuzt – aber ob das richtig ist?

Und davon gab es noch mindestens 10 Beispiele mehr…

Vielleicht ist das halt manchmal das Problem, dass ich einige Dinge total „überlerne“ oder zu viel hinterfrage. Meistens muss man am Ende doch nur auf die Signalworte achten und dann stur die zugehörige Antwort ankreuzen. Bei so Kreuzaufgaben sieht man halt nicht, was da in so einem Studentengehirn abgeht – weshalb diese ganze Kreuzerei in den Klausuren der Mediziner meiner Meinung nach zu Recht – doch auch arg kritisiert wird.

Ich versuche jetzt ein wenig abzuschalten von der Klausur. Ändern kann ich es ohnehin nicht mehr. Aber ein Bestehen ist mir wichtig. Wichtiger, als bei vielen anderen Dingen. Denn ich glaube schon, dass durch diesen Block die Klinik an manchen Stellen zu sehr in den Hintergrund gerückt ist und ich zu sehr auf die Uni fokussiert war.

So… - ich betreibe jetzt hier Budenzauber, packe, nehme dann meine neue Mitbewohnerin in Empfang und fahre heute Abend zu meinem Elternhaus.
Auf dem Weg muss ich an der Klinik vorbei – einfach, weil die Bahn da vorbei fährt. Davor habe ich jetzt schon Angst. Da ist einfach alles emotional besetzt. Straßennamen, Haltestellennamen und auch die Wege, die ich täglich entlang gelaufen bin. Und das ist ja gar nicht unbedingt negativ. Aber viel Gefühlschaos.

Alles Liebe
Mondkind

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