Über meine wichtige Wenigkeit
Oha mein Kopf.
Das ist ja ganz schlimm in dieser
Klausurenphase.
Meine Therapeutin hat vorgeschlagen,
ich soll mir einen „Grübelstuhl“ zulegen und mich dann eine halbe Stunde
am Tag darauf setzen und grübeln. Und dann auch wirklich nur in der Zeit.
Ich kann das ja mal versuchen. Nach
der Klausur. Im Moment ist es glaube ich das Beste, wenn ich es einfach
akzeptiere. Das nützt auch nichts, wenn ich das Stunden vor mir her schiebe.
Und wenn ich fertig bin, kann ich vielleicht besser lernen.
So der Plan.
***
Oberarztvisite
am 1. Juni
(…)
„Nein, ich finde das
gar nicht gut“, sage ich.
„Sie nehmen das Leben im Moment aber auch wirklich schwer“, seufzt
der Oberdoc.
Nein verdammt nochmal. Ich nehme gar nichts schwer, es ist
einfach mega mäßig beschissen. Ich hänge im Moment komplett in der Schwebe und
ohne die Klinik im Rücken würde gar nichts mehr laufen.
Solange keine Suizidgedanken im Spiel seien, sei alles okay sagt er.
Ich wollte ihm da jetzt nicht rein grätschen, aber danach hätte er ja vorher mal
fragen können, bevor er das einfach mal so annimmt. Dann hätte er auch heraus gefunden, dass es die gibt.
„Sie sollen uns nämlich noch eine Zeit erhalten bleiben“,
sagt Herr Oberarzt. „Bei Ihnen ist uns das besonders wichtig.“
***
Ich habe viel über den Satz
nachgedacht. Irgendwie fiel der immer wieder mal von verschiedensten Personen
an verschiedensten Stellen. Der Stationsarzt meinte auch mal zu mir, dass er
für mich betet, wenn er am Sonntag in die Kirche geht und ich weiß nicht, wie
ich ihn angesehen habe, aber er fragte mich dann ganz vorwurfsvoll, ob ich ihm
das etwa nicht glaube.
Was sollte ich denn dazu sagen?
Ich kann doch meinem Arzt keine Unehrlichkeit unterstellen – zumal er es ja
theoretisch ernst hätte meinen können.
Aber im Prinzip frage ich mich
schon, ob sie das nicht jedem so sagen. Genauso, wie sie wahrscheinlich jedem am Ende des Aufenthalts sagen, dass er sich in der ganz großen Katastrophe wieder auf der Station melden darf. Das macht ohnehin keiner - ich habe das in 12 Wochen nicht einmal erlebt. (Gut, mir haben sie es nicht gesagt - der Stationsarzt hatte das aber schonmal durchblicken lassen - ich hatte aber auch kein Abschlussgespräch).
Ich meine – warum sollten die denn
gerade an mir etwas gefunden haben, das es bei mir „wichtiger“ macht, als bei
anderen Patienten?
Ein Erklärungsversuch war mal „Na
weil Sie mit Ihrem Medizinstudium schon näher dran sind an uns, als andere“.
Wie gesagt – keine Ahnung. Ich
war mit solchen Sätzen immer ein wenig überfordert.
Allerdings glaube ich eben auch,
dass es mir von Grund auf Probleme bereitet, wenn mir jemand vermittelt, dass
ich ihm wichtig bin. Ich habe so viel Ablehnung erlebt in den vergangenen
Jahren und so viel das Gefühl gehabt irgendwie „falsch“ zu sein, dass es mir
jetzt wohl so vorkommt, als könne ich gar keinem Menschen wichtig sein.
Und dennoch lese ich diese
Stellen in meinem Tagebuch heute ganz gerne durch.
Und gehe zumindest mal für ein
paar Sekunden davon aus, dass es ernst gemeint war.
Und dann ist es – wenn ich
tagelang eingeigelt in meinem Zimmer sitze und lerne, meine Schwester aus
unerfindlichen Gründen nicht mehr mit mir spricht (was habe ich falsch
gemacht?) und Streit am Wochenende zu Hause schon wieder vorprogrammiert ist –
doch irgendwie einen Augenblick Balsam für die Seele. Einen Augenblick, in dem
ich – ganz kurz nur – ein Stechen in meinem Herz fühle. Aus Dankbarkeit das
erlebt zu haben, aber auch aus dem Schmerz heraus, dass diese Zeiten vorüber
sind.
Alles Liebe
Mondkind
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