Zweiklassen - Medizin und Wochenendplanung



Tja… also die Nummer mit dem Arzt war dann heute mal nicht so einfach.
Ich muss gestehen – ich war schon ewig nicht mehr in die Verlegenheit gekommen, einen Arzt suchen zu müssen. Mein Hausarzt begleitet mich seit eh und je und wenn es mir nicht ganz schlecht geht, würde ich dafür auch immer noch in meine Heimatstadt fahren. Gleiches gilt für den Zahnarzt. Und die Sache mit dem Psychiater ist über die Uni gelaufen (vielleicht wäre es das wert, es auch mal zu erzählen). Damit hatte ich im Endeffekt relativ wenig am Hut, das ist alles über mich drüber gelaufen.

Jedenfalls taten sich dann heute Morgen folgende Szenarien auf: Entweder, man ging überhaupt gar nicht erst ans Telefon, oder man hatte an dem Tag keine Zeit, oder man fragte mich, ob ich Privatpatientin sei, was ich verneinte. Na dann habe man keine Zeit.

Es ist mir ohnehin aufgefallen, dass es auf fast jeder Webseite eine gesonderte Nummer für Privatpatienten gibt und manchmal sogar ganze Slots von Sprechzeiten für eben diese Patienten reserviert sind.

Wenn man in medizinischer Soziologie aufgepasst hätte, würde man wissen, dass man das wohl beinahe hätte erwarten müssen.
Ich bin in diesem politischen System zu wenig drin, um darüber urteilen zu können.
Rund 12 % der Versicherten in Deutschland sind privat versichert und ich habe – auch im Studium – an mehreren Stellen gehört, dass die Praxen sich ohne die Privatpatienten nicht finanzieren können. Sprich – um nicht existentiell an ihrem Job zu Grunde zu gehen, müssen sie die Zwei – Klassen – Medizin bei sich einführen.

In dem kleinen Kaff, in dem ich meine Kindheit und Jugend verbracht habe, war das allerdings viel weniger so. Ich kenne genau eine einzige Ärztin (und die ist auch in einer größeren Nachbarstadt), die eine gesonderte Nummer für Privatpatienten hat.
Aber vielleicht sind da die Mieten auch nicht so hoch und die Patienten haben ohnehin nur wenige Ärzte zur Auswahl, sodass ein solches Werben um Privatpatienten gar nicht nötig und auch nicht sinnvoll ist.

Und ganz im Ernst: Selbst, wenn man um die Hintergründe weiß und ich – so gutgläubig wie ich bin – mal glauben möchte, dass die Praxis sich nur über solche Methoden finanzieren kann, fühlt man sich schon extrem degradiert. Mein medizinisches Problem wird dann eben nicht nach Dringlichkeit, sondern nach Wirtschaftlichkeit bewertet und damit wird der Mensch in gewisser Hinsicht zu einem Objekt versachlicht.

Im Endeffekt hätte ich wahrscheinlich einfach losfahren müssen und die Praxen abklappern müssen und schauen, was die sagen. Aber da siegt dann doch meine Hasenfüßigkeit.
Da es aber über Nacht weder besser noch schlechter geworden ist und ich ohnehin die Vermutung habe, dass das im Moment auch ganz stark kopf – gesteuert ist, habe ich mir überlegt, bis nächste Woche zu warten und mich möglichst nicht verrückt zu machen.
Entweder, es ist dann wirklich weg oder zumindest sicher rückläufig oder ich fahre, wenn ich alle Termine in meine Studienstadt absolviert habe – zu mir ins Dorf und gehe dort zum Arzt…

Natürlich hätte ich mich heute auch bemühen können, einen Termin für nächste Woche zu organisieren, dann müsste ich nicht ins Dorf fahren, was mit dem Schienenersatzverkehr im Moment ziemlich beschwerlich ist. Aber irgendwie lässt mich diese scheinbar ohne Scheu nach außen getragene Zwei – Klassen – Medizin nicht so richtig mit einer Praxis hier in meiner Studienstadt warm werden.

Mittlerweile bin ich auf die Idee gekommen, die Flasche mit dem Lavendelöl, die immer neben meinem Bett steht und eigentlich für Schlafprobleme gedacht ist, zweck zu entfremden und einige Tropfen Lavendelöl mit Olivenöl vermischt auf die betroffenen Stellen aufzutragen.
Und seitdem ist mein Körper erstaunlich ruhig.
Das wird wohl nicht das Allheilmittel sein – obwohl Lavendel ziemlich vielseitig ist, wie ich in der Naturheilkunde gelernt habe – aber es beseitigt gerade zumindest die Symptomatik.
(Vielleicht werde ich doch noch Verfechter der Naturheilkunde)

***
Ansonsten wären die Leute in der Klinik sicher stolz auf mich.
Ich habe mittlerweile fast jedes Wochenende etwas vor – manchmal muss ich das sogar noch ein wenig koordinieren, damit es keine Überschneidungen gibt.
Ich erinnere mich – auf unserem Wochenplan in der Klinik mussten wir immer ausfüllen, was wir am Wochenende vor haben und ich habe mich regelmäßig schwer getan, da irgendetwas hinzuschreiben. Das waren für mich immer die „bedrohlichen beiden Felder“. Ich war immer froh, wenn mein Vater kam, dann konnte ich „Besuch von Angehörigen“ hin schreiben, aber das war auch nur so lange so, bis mein Vater gelernt hatte, dass eines Psychiatrie keine „Irrenanstalt“ ist.
„Lernen“ hätte ich auch jedes Wochenende eintragen können und das habe ich auch gemacht, aber das wiederrum wurde nicht gern gesehen. Obwohl es spätestens, als ich wieder an die Uni gegangen bin, unvermeidlich war.

Mittlerweile kann ich andere Aktivitäten zumindest aushalten (Obwohl das in den Semesterferien zugegebenermaßen nicht so schwierig ist). „Glauben Sie wirklich, dass mich das zu einem glücklicheren Menschen macht?“, hatte ich unseren Stationsarzt mal gefragt. „Natürlich“, entgegnete er, „sonst würde ich Ihnen das nicht vorschlagen.“
So sicher bin ich mir noch nicht. Für mich ist das immer noch „Abarbeiten eines Stundenplans“. Aber ich habe zumindest die Voraussetzung dafür geschaffen, dass es werden kann.

Alles Liebe
Mondkind

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