Ein bisschen Reflexion


Heute frage ich mich, wo du gerade bist
Was du gerade machst und wer bei dir ist
Und warum die Zeit so ein Arschloch ist
 
(Wincent Weiß - Herzlos)



Überleben.
Mehr ist es nicht. Absolut nicht.
Die Freundin, die sich so um mich bemüht, hat mittlerweile andere Geschütze aufgefahren. Wir hatten gestern ein langes Gespräch und sie hat viel geweint um dieses Leben, das da auf so wackeligen Füßen steht. Und irgendwie weckt es so viele Schuldgefühle, dass sie mein Zustand mindestens zehn mal so besorgt, wie mich.
Jedenfalls muss ich mich jetzt das gesamte Wochenende über zwei Mal täglich bei mir melden, sonst hetzt sie mir die Polizei auf den Hals. Und da das mir gerade noch fehlt… „Nicht mal in Ruhe sterben kann man hier“, motzt etwas in meinem Hinterkopf, während ein anderer Teil weiß, dass ich ihr eigentlich dankbar sein sollte.

Grenzen. Wo sind die eigentlich? Und wie sehr kann man die ignorieren?
Mittlerweile schiebt sich alles auf eine körperliche Ebene, weil die Psyche ja komplett dicht macht. Seit Tagen ist es absolut unmöglich, vor acht Uhr einen Fuß aus dem Bett zu setzen (wahrscheinlich muss ich mir ab Montag den Wecker wieder auf fünf Uhr stellen, um kurz vor acht in der Klinik zu sein, damit ich das irgendwie hinbekomme). Und selbst dann laufe ich noch wie betrunken durch meine Wohnung. (Nicht, dass ich jemals betrunken gewesen wäre, aber so ungefähr stelle ich mir das vor, wenn man seine Füße nicht koordinieren kann, sich schwankend im Flur abstützt, jeder Blick nach links oder rechts den Schwindel verstärkt und man nach wenigen Metern Herzrasen hat und atmet, als habe man gerade einen Zehn – Kilometer – Lauf hinter sich).
In einer stillen Minute frage ich mich manchmal, wie die mich so aus der Klinik entlassen konnten. Offensichtlich war man ja der Meinung, dass es funktioniert, wenn man mich gehen lässt. Und irgendwie habe ich jetzt das Gefühl, dass der Zustand dann jetzt auch als gemeinhin „akzeptabel“ bewertet werden sollte. Also auch von mir. 


Wir beachten jetzt einfach mal nicht das Bettzeug...

Ein bisschen habe ich mich ja immer gefragt, wie das wohl nach der Klinik wird. Zwölf Wochen habe ich gefühlt größtenteils gegen Wände geredet. Versucht, die Not in Worte zu fassen. Was mir nicht leicht fiel. Gegen Ende habe ich so sehr gehofft, gesehen zu werden. Vermitteln zu können, dass das eine ganz schlechte Idee ist, mich so gehen zu lassen. Ich hätte stabiler sein müssen, um innerhalb von vier Tagen alles los lassen zu müssen, das mir Sicherheit gegeben hat. Manchmal hatte ich das Gefühl, den Herrn Chef – Psychologen auf meine Seite ziehen zu können. Wenn er Dinge gesagt hat, wie wer denn überhaupt gesagt habe, dass ich in dem Zustand eine Übernachtung zu Hause bekomme.
Den entscheidenden Schritt, hätte ich nie gehen können. Auch, wenn es wohl dem depressiven Katastrophendenken – Hirn geschuldet ist, hätte ich nie diesen einzigen Plan einer Zukunft den es gab, aufs Spiel setzen können. Es gibt so viel Ärztemangel, dass die Chancen vermutlich nicht schlecht gestanden hätten den Jobstart ohne Konsequenzen schieben zu dürfen, wenn ich dem für die Einstellung verantwortlichen Oberarzt erklärt hätte, was Sache ist. Dass ich sehr gern kommen würde – nach wie vor – aber, dass es für alle Seiten mehr Sinn hat, wenn ich das noch ein paar Wochen schiebe, bis es mir besser geht.Und die wissen ja auch - mehr als ich - was sie an mir haben. Sie wollen mich ja aus mir nicht ganz einleuchtenden Gründen unbedingt haben.
Ich habe viel Verantwortung für mein Handeln übernommen in den letzten Jahren; mich an vielen Ecken selbst übertroffen, Dinge geschafft, die mir nur wenige Leute zugetraut haben. Aber an dieser einen Stelle, wäre der einzig mögliche Weg gewesen, dass mir das Personal die Verantwortung abnimmt und mich anschließend auffängt. Weil mein depressives Katastrophenhirn dann doch lieber stirbt, als sich die Schwäche einzugestehen.

Ich warte immer noch.
Auf irgendetwas.
Dass die Therapeutin nicht schreibt, ist sehr ungewöhnlich. Nicht mal ein „Sie wissen ja, solche Dinge kann man schlecht per Mail klären – wenn es zu akut wird, wenden Sie sich an die Notaufnahme.“ Ein Satz, der mich meist allerhöchstens auf die Palme bringt. Wenn Sie nicht da ist, hat sie normalerweise einen Abwesenheitsassistenten drin - diesmal aber auch nicht. Vielleicht versucht sie langsam auch ein Ende mit mir zu finden. Was ich ihr nicht verübeln kann. Wie sollen wir solche Dinge über die Distanz klären? Was soll sie machen, wenn sie nie weiß, ob es noch eine nächste Mail von mir gibt? Das ist eine Belastung, von der ich eigentlich auch nicht erwarten kann, dass sie die mitträgt.
Der Seelsorger… - nun ja. Meist kam auch zumindest eine Absage. Oder ein „Jetzt habe ich keine Zeit, aber vielleicht Anfang nächster Woche“, oder so etwas.
Und der Neuro – Oberdoc… grenzt sich sehr klar ab, auch wenn er einst mal sagte, dass er im Notfall als Ansprechpartner zur Verfügung steht.

Im Moment habe ich hier die am meisten gefürchtetste Situation meinerseits. Alle Säulen, die ich versucht habe zu bauen, funktionieren nicht. Obwohl ich mich versucht habe, über mehrere Personen zu sichern, sodass Einer nach Möglichkeit greifbar ist.

Ich versuche übrigens schon wieder seit Stunden Neuro zu machen. Die Nachbarin hat gerade geklingelt und gefragt, ob sie mich geweckt hat… vermutlich sehe ich echt ein bisschen fertig aus.
Dann kommen heute die Menschen, um die Küche zu vermessen. In mehreren Etappen und unter Verbrauch aller Kräfte die ich habe, habe ich die provisorische Einrichtung wieder an die Seite geräumt.
Gestern war ich mal mit dem „neuen Fahrrad“ unterwegs. Die Gangschaltung ist zwar eine nette Spielerei, aber nicht wirklich tauglich.

So… - hoffen wir mal weiter. Darauf, dass sich hier heute irgendetwas tut.
Und ich werde mal wieder versuchen (ich zähle gar nicht mehr, das wie vielte Mal heute), mich an den Schreibtisch zu setzen. Ist doch alles nur Wiederholung. Kann doch nicht so schwer sein. 40 Seiten muss ich heute noch schaffen.

Mondkind

P.S.
Die besagte Freundin meinte übrigens, dass ich mir schnellstens eine Katze anschaffen sollte, weil mir die Tiere in der Klinik so gut getan haben. Sie erklärte, dass wir auf die Art vielleicht das „glückliche Kind“ wieder anlocken könnten. Ich verstehe den Sinn und hätte auch gern eine Katze, sehe das aber ehrlich gesagt etwas kritisch, weil ich ja erstmal meinen Job schaffen muss. Zwar kann man Katzen ja durchaus alleine lassen, aber ich habe ein bisschen Sorge, dass sie mir in meiner Abwesenheit die Wohnung zerlegt – selbst, wenn ich eine schon einigermaßen „erzogene“ Katze aus dem Tierheim nehme.
Hat jemand Erfahrung, Ideen oder eine Meinung dazu? -->  Gern Kommentare oder Mail!

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