Ein bisschen emotionale Explosion im Park


You didn't ever care for me
You didn't ever care for me, oh
You didn't ever care for me
You didn't ever care for me, oh
Ohh
Now I'm sitting here wondering why

Christina Grimmie - Deception

Es gibt so Dinge, die bringen das Fass dann doch mal um Überlaufen.
Heute Morgen. Schon wieder war die Nacht zu kurz. Ehrlicherweise muss ich aber auch sagen, dass ich gerade die Schlafmedikation reduziere, weil ich noch keine Ahnung habe, wer mir hier mal ein Rezept unterschreiben soll. Und noch ein Termin am Nachmittag zusätzlich zu allem, um das ich mich ohnehin kümmern muss, ist echt zu viel. Und ich kann das auch einfach nicht mehr. Die Geschichte das 723. Mal zu erzählen und zu hören: „Naja, Sie sind doch Ärztin, kriegen Ihr Leben auf die Reihe – so schlimm kann das doch nicht sein…“ Und dann muss man sich schon fast entschuldigen, deren Zeit zu stehlen.

Jedenfalls habe ich dann vergessen die Kaffeetasse unter die Kaffeemaschine zu stellen und dann ist natürlich der Kaffee überall gelandet – nur eben nicht in der Tasse. Der Wasserkocher und Toaster waren noch schnell zu putzen, Beutel und Geschirrtücher hängen jetzt über der Wäscheleine – keine Ahnung, ob die je wieder weiß werden und ich war stundenlang damit beschäftigt, die Wand zu putzen. Man sieht es noch, aber nur, wenn man genau hinschaut. Und bald steht ja ohnehin die Küche davor. Alles halb so wild. Eigentlich.

„Mondkind, wenn man sich gerade sowieso nicht so gut konzentrieren kann, dann passiert das schon mal schneller, als sonst. Jetzt zerfleisch Dich nicht dafür“, erklärt eine Freundin in einem Sprachmemo, die gefragt hat, wie es mir geht.

Stunden später. Kurpark. Lesen. Zumindest der Versuch.
Sonne. Wärme. Psychosomatik – Patienten mit Kaffeetassen.
Und plötzlich… - plötzlich geht gar nichts mehr.
Plötzlich klappe ich das Buch zu, es schüttelt mich und dann steigen mir die Tränen in die Augen, ohne, dass ich irgendetwas dagegen tun könnte.
Und irgendwann sehe ich vermutlich aus, wie ein völlig fertiger Patient, der hier gerade in der Psychosomatik in Behandlung ist. 



Es ist einfach nicht okay. Ich bin mir von so vielen Dingen nicht sicher, ob ich sie erwarten darf. Aber es ist nicht okay.Ich sage zu den wenigsten Dingen etwas. Weil ich vielleicht auch kein Recht dazu habe. Aber ich registriere alles.
Es ist nicht okay, dass es meine Mutter nicht die Bohne interessiert, wie ich den Start in den Job geschafft habe. Es ist nicht okay, dass sie erst so drängt, dass es los geht und dann nicht mal anruft und nachfragt. Oder zumindest eine whatsApp schreibt. Oder überhaupt irgendetwas tut. Ich weiß nicht, ob Eltern so etwas machen. Machen sollten.
Es ist nicht okay, dass ich meinen Vater anrufe und er mir schreibt, dass wir ja vielleicht mal morgen telefonieren können, wenn das Wetter dann ja eh schlecht wird. Danke, wirklich.
Es ist nicht okay, dass ich nicht weiß, ob ich hier noch lange alleine wohne, oder nicht. Auch wenn alle immer sagen „Ja Mondkind, es wäre besser, wenn Deine Schwester nicht kommt“, habe ich sie trotzdem lieb. Und ich weiß, dass wir uns nicht mehr sehen, wenn sie in den Norden geht. Meine Kraft reicht jedenfalls nicht, um am Wochenende mal schnell 1200 Kilometer zurück zu legen – oder wie viele es dann werden. Und ich habe nicht mal das Gefühl, darum trauern zu dürfen, weil sie ja glaubt, dass ich sie nicht leiden kann. Wir sind ja nur Zwillinge. Keine Notwendigkeit, miteinander Zeit zu verbringen.
Es ist nicht okay, mir hier ein völlig kaputtes Fahrrad hinzustellen, das noch schlechter ist, als das Alte und dass ich jetzt noch reparieren lassen muss, damit überhaupt eventuell irgendetwas damit geht. Die wussten, dass ich damit den Berg hoch muss. Und auch hier habe ich das Gefühl das undankbarste Wesen zu sein, wenn ich es mich auch noch wage, das Geschenk zu kritisieren. Ich komme mir schon wie ein Idiot vor, dass ich Dads altes Fahrrad in der Studienstadt gelassen habe, weil ich daran wirklich hing. Aber ehrlich gesagt, würde ich das nicht mal mit einem Menschen so machen, den ich abgrundtief hasse. Dass sie sich nicht mal schlecht fühlen deswegen…
Es ist einfach nicht okay, dass es ständig irgendwelche Leute in meinem Leben gibt, die dann wieder verschwinden und man absolut überhaupt nichts dagegen tun kann. „Naja Frau Mondkind, an solche Leute dürfen Sie sich auch nicht hängen“, erklärte mir die Pflegerin letzte Woche am Telefon und zielte damit auf meinen Bezugstherapeuten ab. Als ob ich nicht selbst schlau genug wäre, das zu wissen. Aber was machst Du, wenn Du sonst keinen hast? Und dann machst Du es doch, weil Du ja eh keine Ahnung hast, wie lange Du noch mit dem ganzen Schmerz in Dir leben kannst und vielleicht stirbst Du ja sowieso, ehe sich die Wege trennen und dann war es doch gut, so etwas nochmal im Leben gehabt zu haben. Aber hinterher tut es einfach nur weh, wenn Du zurück denkst.
Es ist auch nicht okay, dass mein Oberarzt so tut, als hätte es diese Ebene auf der wir mal waren, nie so richtig gegeben. Nicht jetzt, wo ich dringend jemanden brauche. Ich weiß, dass ich ihm nichts vorwerfen kann, weil er nie Zeit hat, immer im Stress ist, weil es auf der Station jeden Tag um Leben und Tod und nicht um persönliche Befindlichkeiten geht, aber was spricht gegen eine halbe Stunde in seinem Büro? Was spricht gegen ein bisschen „Ersatz – Familie“? Was spricht gegen ein „Mondkind, wie geht es Dir eigentlich so…?“ Ich glaube, er hat gedacht, dass er nach der Klinik erlöst ist, von diesem ständigen Drama.
Und dann bleibt der Seelsorger und ich bin dankbar, dass er da ist, aber mit der Sympathie passt es irgendwie nicht so. Auf so eine tiefe Ebene werde ich mit ihm nie kommen, weil da irgendetwas nicht passt. Es kann auch sein, dass es so ist, weil ich weiß, dass er selbst schwer krank ist oder war oder wie nun auch immer und man solchen Leuten, die um ihr Leben fürchten schlecht erzählen kann, dass man persönlich nichts dagegen hätte, wenn es Morgen vorbei wäre.

Und dann… - dann soll man ja auch noch arbeiten. Jeden Tag mit Angehörigen reden. Denen etwas geben, das man selbst nicht hat. Fürsorge, Wertschätzung, Geborgenheit. Und das ist auch meine verdammte Pflicht, wenn ich die Mutter auf die Palliativstation verlege. Und trotzdem saugen diese Patienten und Familien alles aus mir raus. Neben der Tatsache, dass ich mich wie die unfähigste Ärztin auf diesem Planeten fühle, weil ich nicht akzeptieren kann, dass auch ich nicht jeden retten kann. 

Und dann... - muss Christina Grimmie herhalten. Auf Dauerschleife. Irgendeine Live - Version. In denen sie es mal für mich übernimmt, das "You didn't ever care for me" in die Welt hinaus zu schreien. 

Ich habe mir heute übrigens mal ne Liste gebastelt, um Fehler in Zukunft so gut es geht, auszuschließen. Nichts mehr im Kopf haben. Alles nach Schema F notieren. 

Mal schauen, ob es damit besser klappt nächste Woche...

Mondkind

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