Magic Mondays

Magic Mondays.
Das war im PJ immer meine Bezeichnung für die Montage. Fast hatte ich es vergessen.
An Montagen kann alles passieren. Oder auch nichts.
Heute war es eher alles.

Für diese Woche war ich mit einem Kollegen zusammen für acht Patienten eingetragen. Und einen wollte ich noch übernehmen, weil ich den schon letzte Woche hatte. Zwei Ärzte, neun überwachungspflichtige und schwer kranke Patienten. Kann man schaffen.
Bis zur Morgenrunde taucht der Kollege nicht auf. Bei einigen Patienten hatte ich schon den morgendlich zu erhebenden Score erstellt – aber wusste nicht mal von allen, was genau sie haben.

In der Frühbesprechung dann die Nachricht: Zwei Kollegen krank. Einer davon tangiert mich eher weniger, aber der andere ist derjenige, der mit mir die Zimmer machen sollte.
Wenige Minuten später sitzen drei Leute im Arztzimmer. Ein Kollege, der seit drei Wochen auf der Stroke ist, die Famulantin und ich. Und wir sollen jetzt die Station rocken. Unser armer Oberarzt; wirklich.

„Was machen wir jetzt?“, frage ich quer über den Tisch. „Ich nehme 9 Patienten, Du nimmst 9.“ „In einer Stunde für die Visite vorbereiten?“, frage ich und ziehe die Augenbrauche hoch. „Was sollen wir machen…?“

Um jetzt den Lesern (und mir) das Lesen zu ersparen – es war chaotisch. Kurz vor 10 sind dann noch zwei Kollegen aufgetaucht – einer musste sofort in die Notaufnahme, die andere hat mir meine Patienten abgeknöpft, weil es ja nicht fair sei, mir in der zweiten Woche neun Patienten zu geben. Was ja sehr nett ist, aber was man eher hätte kommunizieren können. Denn so war ich für die Visite für meine verbleibenden Patienten auch nicht sonderlich gut vorbereitet.
Es lief trotzdem irgendwie. Ich habe sogar vom Oberarzt heute auffällig oft ein „Danke Mondkind“ gehört. Aber ich war fertig mit den Nerven. Können wir nicht wenigstens die Arbeit so verteilen, dass man den Stress sparen kann?

„Wie können wir das denn morgen besser machen?“, werde ich am Ende des Tages fragen. „Da gibt es doch so eine Liste im Arztzimmer, wo vermerkt ist, wer welche Patienten hat.“ „Mondkind – die wurde letzte Woche erstellt; das kannst Du vergessen…“, erklärt der Kollege.
Dabei komme ich doch morgens gern etwas eher und visitiere alle meine Patienten schon vor der Frühbesprechung, damit ich da schon mal einen Überblick habe. Aber das kann ich dann ja morgen schon auch wieder vergessen.

Aber wenigstens ist es mal nicht nur mein Eindruck, dass hier alles etwas menschlicher ist. „Ich habe so viel Zusammenhalt im Team noch nie erlebt… - und die, die hier die ganze Zeit meckern, die kommen ja aus dem Ausland. Die haben vielleicht an noch nicht so vielen anderen deutschen Kliniken gearbeitet und kennen das, was sonst „normal“ ist nicht.“
Danke für das Kommentar. Von der Famulantin.



***
Funktionieren.
Auf höchstem Niveau.

Ich schnappe mir die Famulantin. Wenn ich mal ein paar Minuten über habe, erkläre ich etwas. Und ich sorge dafür, sie immer wieder miteinzubinden, anzusprechen, ihr zu erklären, was ich tue. Ich mochte das früher nie daneben zu sitzen und sich komplett überflüssig zu fühlen. Das kann man damit unterbinden.

Telefon: „Mondkind, ist die Famulantin noch bei Dir?“ Der Oberarzt. Kennt mich. Weiß, dass ich jede Seele auf der Station adoptiere. „Ja, die sitzt hier neben mir…“ „Schick Sie mal bitte in die Notaufnahme…“ Da ist wohl High Life. „Weißt Du, wo Du hinmusst?“, frage ich sie. „Ja, ich denke schon.“ „Um die Ecke und immer gerade aus. Und wenn Du es nicht findest, kommst Du zurück, dann bringe ich Dich…“, schärfe ich ihr ein.
Sie nickt. Und bedankt sich am Ende des Tages. Bei mir. Für meine Fürsorge.

„Herr Oberarzt, ich habe den Brief fertig gemacht…“ „Danke Dir Mondkind – ich lese ihn später noch. Schickst Du mir noch eine Mail, damit ich es nicht vergesse…?“
„Hallo Herr Oberarzt. Hier noch ein kleines Erinner – mich. Sie müssen den Brief xy noch korrigieren…“

Nach dem Wochenende finde ich, habe ich mir einen Termin beim Seelsorger verdient.
Oder auch nicht. Wie ehrlich kann man sein?
Er lobt mich für den Umgang mit meiner Palliativ – Patientin. Während ich noch laut frage, ob ich sie wohl hätte retten können, ob ich Fehler gemacht habe, ob ich ihr alles gegeben habe, was sie brauchte, erklärt er, dass man – wenn man mit beinahe 90 Jahren schwer betroffen ist von einem Schlaganfall und eine Patientenverfügung hat, die unmissverständlich ist – doch wohl auch mal sterben darf.
„Jetzt klopfen Sie sich doch mal auf die Schulter“, fordert er und wartet, bis ich das gemacht habe.

„Ich habe das Gefühl, das kommt alles überhaupt nicht bei Ihnen an…“, erklärt er und will wissen, was Therapeuten mir so bringen. „Naja…“, erkläre ich vorsichtig, „irgendwie ist das immer noch der Versuch etwas zu retten, das eigentlich nicht mehr rettbar ist. Also… - es tut mir wirklich leid, aber ich denke mir immer: „Was sollen Therapeuten denn jetzt noch machen? Die müssen das positiv sehen? Die müssen mich für irgendwelche Dinge loben, die nicht mal positiv sind.“ Und wenn wir auf einer ganz ehrlichen Ebene miteinander gesprochen haben, habe ich so oft gehört: „Ich weiß nicht mehr, was ich mit Ihnen machen soll…““

„Sollen wir die Gespräche hier überhaupt noch weiter führen? Bringt Ihnen das was?“, fragt er. „Naja, besser wird es nicht so richtig. Aber man überlebt es irgendwie. Von daher… - ja, ich denke schon…“

„Also Frau Mondkind, das ist ja auch irgendwo eine Entscheidung. Sie können sich entscheiden, das was die Therapeuten und ich sagen für die Wahrheit zu halten, oder sie können sich dagegen entscheiden.“
So einfach ist es leider nicht. Wenn einem immer wieder ein Stimmchen dazwischen grätscht, das wir heute mal wieder auf einen Sonderstuhl gesetzt haben. Und irgendwann tut er mir echt leid, dass man da einfach nicht dazwischen kommt.

Und manchmal frage ich mich wirklich, für welche Seite ich mich entschieden habe. Ob nur die Angst vor den Konsequenzen meiner Entscheidung mich am Leben erhält? Ob das alles irgendwie noch Sinn hat? Ob es nicht das Unvermeidliche nur ein bisschen raus schiebt. Meinen Schmerz ein bisschen verlängert und den der anderen noch ein wenig raus zögert. Das kann ich jetzt nur doch nicht so sagen, ohne den Herrn Seelsorger danach vermutlich los zu sein.
Aber es wird sich ja auch keiner finden, der den Tod ernsthaft für eine Lösung hält. Und diesen Weg mit mir geht. Wenn ich einer finden würde, der den Weg mit mir geht – ich würde es machen. Wenn es irgendwie okay wäre.

Nächster Termin: 17. Oktober.
Aber ich weiß, dass ich dankbar sein muss, überhaupt irgendetwas zu haben. Auch, wenn das eigentlich nicht geht. Und ich bis dahin ja auch vielleicht Spätdienste machen muss und ich somit nicht sicher bin, ob dieser Termin zu Stande kommt. Nichts, auf das ich mich verlassen könnte.

„Sie wirken aber auch stabiler, als das letzte Mal.“
Schön wär’s.

***
Heute Abend muss ich Doppler lernen. „Mondkind, Du musst die Verstärkung hoch drehen“, murmelt der Oberarzt, als wir heute im Doppler stehen. Ich finde wir könnten damit anfangen zu lernen, wohin ich die Ultraschallsonde halten muss.

Mondkind

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