Missing: Kraft zum Leben


I've given my heart and can't get it back
I've had too many knives thrown at my back
Wouldn't it be easy to throw it all away?
Wouldn't it be easy to call it a day?
How do you love when you're broken?
I've had enough, I'm only human
(Delta Goodrem - Only human)



Ich habe keine Heizkörper in meiner Wohnung. Deshalb funktioniert das mit dem Tee an der Heizung nicht. Aber unter dem Fenster an der Wand im leeren Raum zu sitzen, hat irgendwie einen ähnlichen Flair.
Augen schließen.
Einatmen. Ausatmen. Sein.

Erinnern.
An die Momente. Momente, die bleiben.
Wenn Herr Therapeut seinen Erwachsenen – Stuhl neben meinen Kind – Stuhl gestellt und mit den Kritikern geschimpft hat. Nur für einen Moment wurde das Kind gesehen. War geborgen. Nicht allein.
Und obwohl es zwischen dem Bezugstherapeuten in der Klinik und mir nie mehr als ein Hände schütteln gab, war es manchmal doch so, als hätte er dieses Kind in mir in den Arm genommen und ein Stück getragen.

Der Tee erinnert. Schmälert die Distanz ein bisschen. Die rund 400 Kilometer, die zwischen hier und der Studienstadt liegen.
Das war vermutlich auch der Sinn der Trostbox.
Ein bisschen Nähe und Vertrautheit generieren – auch wenn die Momente längst Geschichte sind. 

Den Tee gab es bei Herrn Therapeuten...


***
Chaotisch ist ein Umzug wohl immer. Obwohl noch keiner so chaotisch war, wie dieser. In winzigen Etappen kommt mein Hausstand hier an – was eigentlich auch nicht nötig gewesen wäre, hätte meine Mutter mir von vorn herein gesagt, dass sie einen Transporter besorgen kann und das nicht erst durchblicken lassen, als es darum ging, wie meine Schwester ihre Sachen hier runter bekommt. Ich kann das ja nicht riechen.
Aktuell gehe ich manchmal los und möchte etwas erledigen – und wenn ich wieder komme, dann habe ich auch etwas erledigt. Nur etwas ganz anderes als das, was ich eigentlich geplant habe.
Es sind Kleinigkeiten, die zu vielen Irrwegen führen. Wie, dass dem Lieferanten der Waschmaschine nicht bewusst ist, dass sie zum Aufstellort geliefert werden soll. Ich kann ihn überzeugen, sie mit dem Fahrstuhl in meine Wohnung zu bringen, aber in den Keller bringt er sie nicht, weil der Fahrstuhl eben nicht in den Keller fährt. Wie kommt die jetzt also da runter? Auf der Wohnungsgeberbestätigung steht die falsche Adresse – und schon funktioniert das Ummelden nicht. Alles Kleinigkeiten mit weitreichenden Folgen.
Die Zeiten, in denen das bei Mondkind zu Herzrasen geführt hat, sind allerdings auch schon lange vorbei. Irgendwann gibt es für jedes solcher Probleme eine Lösung.

Meine Schwester überlegt sich aktuell, ob sie nicht doch woanders anfängt mit arbeiten. Das würde bedeuten: Keine Meerschweinchen, kein Auto, keine Hilfe bei der weiteren Wohnungseinrichtung. Da die Küche vermutlich erst ausgemessen werden soll, wenn ich bereits arbeite, sollte sie eigentlich Dinge erledigen, wie mal eben schnell jemanden in die Wohnung lassen. Natürlich habe ich damit gerechnet, nachdem klar war, dass sie hier anfangen will und der Chef das auch möchte.

Ich versuche, nicht böse zu sein. „Manchmal sind Dinge ungerecht und Sie müssen das ausbaden, obwohl Sie gar nichts dafür können, dass es so ist“, erklärt Frau Therapeutin mir am Telefon.
Wäre es finanziell nicht knapp geworden, hätte ich ja gar nicht unbedingt diesen Monat schon arbeiten müssen. Dann hätte ich alles selbst regeln können. Und meine Schwester bekommt die Narrenfreiheit, sich das fünf Mal anders zu überlegen und dann vermutlich nicht vor November zu arbeiten.

Depressionen sieht man nicht. Und warum die Notwendigkeit bestanden hat, dass Mondkind ihren Sommer in der Psychiatrie verbringt - darum scheint man sich zumindest in der Familie keine Gedanken zu machen. Was man sieht ist, dass Mondkind funktioniert. Weil die Kritiker und Forderer so stark sind, dass sie Mondkind antreiben, bis sie liegen bleibt. Mondkind spürt schon längst, dass es nicht mehr weit ist bis dahin. Nur kann sie das Frau Therapeutin natürlich am Telefon nicht sagen. Mondkind versucht, jeden Tag einen verpflichtenden Termin zu haben, bei dem Abwesenheit auffallen würde. Bis einschließlich nächsten Dienstag früh ist sie auch schon mal safe – danach muss sie mal weiter sehen.  Fünf Tage gilt es dann noch zu überbrücken.
Ab Mitte des Monats rettet sie hoffentlich die Neuro. Wenn es ihr allerdings – wie bei ihrer kurzen Stippvisite – auch weiterhin gar nichts mehr gibt dort zu sein, wird auch das schwierig.

„Irgendwie ist es komisch…“, erklärt Mondkind Frau Therapeutin am Telefon. „Langsam ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich alles habe. Eine räumliche und finanzielle Unabhängigkeit von der Familie. Einen Job in dem Krankenhaus, an das ich wollte. Eine eigene Wohnung in einem Ort, in dem ich immer sein wollte. Und in der ich so lange bleiben kann, wie ich das mag – wenn ich nicht den Job verliere, oder der Vermieter mich rausschmeißt, was sehr unwahrscheinlich ist, da die Wohnung einer Gesellschaft gehört. „Du hast vielleicht das erste Mal in Deinem Leben die Möglichkeit irgendwo richtig anzukommen“, erklärte der Neuro – Oberarzt letztens. Nur irgendwie fehlt mir nach all den Jahren des Kämpfens die Kraft zum Leben.“

„Es ist eine schwierige Situation“, sagt die Therapeutin dazu. Und, dass sie Durchhalten soll. Ein letztes Mal. Das versteht nur Mondkind – Kind nicht. Denn Kinder können nicht so weit denken. Das hört nur „Durchhalten“. Also dasselbe wie immer. Und das will nicht mehr.
Ich versuche dem Kind Einhalt zu gebieten. Und ich kann nur hoffen, dass es klappt. 

Mondkind

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