Eine Ansprache an mich selbst


„Alle mal bitte auf ihre Plätze…“
„Oh… - der Gesunde Erwachsene hält eine Ansprache“, tönt es ironisch aus der Ecke von Kritiker und Forderer.
„Füße vom Tisch und Klappe halten“, erkläre ich mit ungewohnter Strenge, sodass die Beiden den Forderungen sogar nachkommen.
„Das glückliche Kind fehlt“, merkt das wütende Kind an.
„Ich weiß. Ich weiß auch immer noch nicht, wo genau das abgeblieben ist. Vielleicht kommt es zurück, wenn hier mehr Frieden herrscht“, entgegne ich.

„Also… die letzten Wochen waren ein bisschen schwierig…“, beginne ich etwas unsicher. Das verletzte Kind sieht mich an und verrollt die Augen, als wollte es sagen: „Das ist ja wohl mal die Untertreibung des Jahrtausends“.
„Okay – also die letzten Wochen waren ziemlich beschissen…“, korrigiere ich mich. 
„Ich glaube, es ist an der Zeit, ein paar Worte zu sprechen. Um ein bisschen näher zusammen zu rücken, zu überlegen, was in Ordnung ist und was nicht. Was Kompromisse sein könnten, die wir eingehen wollen und was wir nicht machen können..

Wir müssen uns ein paar Dinge eingestehen und klar machen. Wir haben eine Menge verloren. Ohne dass wir wissen, dass wir noch mal etwas finden, das so tragen kann, wie es mal war.
Mit den Therapeuten konnte man nie darüber reden, weil die – wenn es auch nur zehn Meter gegen den Wind nach Abhängigkeit gerochen hat – ziemlich dicht gemacht haben. Aber wenn wir mal zurück denken, an den Frühling im Jahr 2015, dann hat uns diese Ambulanz das Leben gerettet. Überlegt mal, wie erfolglos wir unzählige Beratungsstellen durch hatten. Überlegt mal, wie anstrengend diese zwei Monate Wartezeit auf den ersten Termin waren. Wir waren schon so halb nicht mehr da; alle miteinander. Wir wussten, dass das unsere allerletzte Chance war. Wenn das nicht funktionieren würde, wenn man uns nicht ernst nehmen würde, wenn man die Not nicht sehen würde, dann hätte ich das schon damals nicht mehr überlebt. Und dann haben wir so einem verständnisvollen Arzt gegenüber gesessen, der uns gesehen hat und uns schnellstmöglich in dieses Hilfe – System eingeschleust hat. Natürlich ohne, dass wir aktiv erwähnt hätten, wie viel an diesem Termin hängt.
Könnt Ihr Euch auch noch ein Gespräch mit der Therapeutin erinnern, das wir mal irgendwann vor dem zweiten Staatsexamen geführt haben? „Eigentlich sollte die Familie Sie in dieser anstrengenden Zeit unterstützen. Aber da das ja bei Ihnen nicht funktioniert und eher gegenteilige Effekte hat, übernehmen wir die Aufgabe eben erstmal…“
Wir müssen die Ambulanz nicht loslassen und so tun, als ob das nichts wäre, weil das eben der immer schon klare „Verlauf der Dinge“ ist. Wir wussten immer, dass das irgendwann kommt. Und haben ehrlich gesagt gehofft, dass es bis dahin besser läuft. Aber wir müssen das nicht „mal so eben“ wegstecken. Wir dürfen traurig sein. Weinen um diese Sicherheit, die jetzt fehlt. Das darf Wochen und Monate dauern, bis wir da für uns ein Ende finden können. Das ist vollkommen okay. Das muss Frau Therapeutin ja alles nicht wissen. Hauptsache wir erlauben uns das und verdrängen es nicht, weil das ja „so nicht sein darf.“ Abends aus dem Fenster zu schauen, zu realisieren, dass jetzt alles anders aussieht, als noch vor ein paar Wochen, nichts mehr sein wird, wie es mal war und darüber emotional zusammen zu brechen, ist nichts, wofür wir uns schämen müssen. Wir haben viel verloren, das wir – laut Definition der Beteiligten – nie hätten haben dürfen.

Nächstes Thema: Klinik. Natürlich war da Hoffnung. Hoffnung, dass das endlich ein Wendepunkt wird. Nicht, dass alles plötzlich gut wird. Aber, dass wir da mit einer anderen Perspektive raus gehen. Vielleicht sind wir auch nicht für Klinik – Konzepte gemacht. Weil uns  immer der Zeit – Faktor stresst. Weil ich weiß, wie das Gesundheitswesen funktioniert. Weil ich weiß, dass irgendwann die Grenzen erreicht sind. Die Krankenkasse finanziert das irgendwann einfach nicht mehr. Und dann müssen die die Leute raus schmeißen, egal wie es denen geht. Natürlich nicht, ohne vorher irgendwie zu versuchen Punkte zu finden, die sich ja wahnsinnig verbessert haben.
Es ist okay, dass wir gerade nicht mehr wissen, wo wir die Hoffnung ablegen sollen. Es ist okay, dass wir alle miteinander enttäuscht sind, weil uns auch dieser Klinikaufenthalt nicht wirklich weiter geholfen hat und es aktuell fast schlechter läuft, als vor der Klinik.
Sehen wir die guten Momente darin. Morgens, bevor irgendwer wach war, mit Katze neben sich liegend, auf der Terassee Kaffee trinken. Hätte es das ohne die Klinik gegeben? Nein. Hätte es die Momente in einem dunklen Therapiezimmer gegeben, in denen die Situation uns einfach nur getragen hat? Nein. Hätte es Tee trinken „an der Heizung“ gegeben? Nein. Und hätten wir hier gelegentlich mit der Trostbox sitzen können, die Gegenstände darin zwischen den Fingern drehen und uns ein bisschen zurück schmeißen lassen können, um für ein paar Sekunden noch mal zu rekapitulieren, wie sich diese Momente von Sicherheit, Geborgenheit und Hoffnung anfühlen? Nein.
Die Klinik war sinnvoll. Und wenn sie uns auch „nur“ über den Sommer geschleift haben mag, von dem wir nach diesen Monaten immer nicht wissen, ob es das letzte Mal war. Und auch wenn wir jetzt gerade nicht wissen, wo wir die Hoffnung ablegen sollen, war es entgegen der gängigen Meinung aus der Familie kein Fehler. Und wenn es auch nur ein paar Momente leben waren.
Wir sollten nur etwas finden, an dem wir weiter hoffen können.

Zukunft.
Ich weiß, dass es Dinge gibt, die wir alle miteinander nicht mehr hören können. Wie „Naja solche Situationen sind ja auch immer ein Neuanfang und das kann ja auch alles gut werden.“ Und „Nur wenn Sie alte Sicherheiten loslassen, dann kann es eine Weiterentwicklung geben.“
Das mag für „gesunde“ Menschen alles richtig sein. Aber nicht für Menschen wie uns, bei denen nichts wichtiger, als ein stabiles Außen ist, um das innere Chaos ein bisschen abzufedern.
Auch Therapeuten sind nur Menschen. Und wir kennen deren Lebensgeschichte nicht. Wir haben so oft von vorne angefangen in den letzten Jahren – es ist okay, dass wir nicht mehr glauben, dass ein Neuanfang es bringt. Es ist okay, dass wir das nur noch anstrengend finden. Es ist okay, dass wir das nicht okay finden, alte Sicherheiten los lassen zu müssen bevor wir wissen, dass wir ein neues Konzept haben, das trotzdem funktioniert.
Aber: In der Studienstadt hätte sich jetzt auch viel geändert. In die Ambulanz hätten wir auch nicht mehr gehen können, weil wir zu deren Öffnungszeiten arbeiten müssen. Die Therapeutin erzählt seit über zwei Jahren, dass sie mich abgeben muss – und abgesehen davon, dass ich zu ihren Arbeitszeiten auch arbeiten muss, hätte sie da sicher auch bald einen Schlussstrich gezogen.
Es ist okay, dass wir jetzt hier sind. Als wir diese Entscheidung getroffen haben, waren noch einige Dinge anders. Eine in den letzten Wochen wesentlich wichtig gewordene Freundschaft existierte noch nicht. Einen Therapeuten, der mir angeboten hat, mich – wenn ich denn da geblieben wäre – in die Einzeltherapie zu nehmen (und ich glaube, das hätte echt etwas bringen können), existierte auch noch nicht in meinem Leben.
Es bringt nichts, sich Vorwürfe darüber zu machen, dass wir jetzt hier sind. Zu überlegen: „Was wäre gewesen, wenn…“ Entscheidungen kann man immer nur in dem Wissen um die aktuelle Situation treffen. Manchmal ist es völlig undenkbar, was sich innerhalb von ein paar Wochen alles ändern kann. Damals war es die richtige Entscheidung. Damals war es die einzige Idee davon, dass wir irgendwo Halt finden könnten. Immer mit dem Konjunktiv. Immer in dem Wissen, dass die ganze Idee auf wackeligen Füßen steht. Aber was war die einzige Idee, die es überhaupt gab. Der einzige Ort, an dem Menschen waren, die die Sehnsucht nach einer Familie, die alles andere überschattet, vielleicht ein bisschen stillen konnte.

Heute im Park...
Kleine Erinnerung daran, warum Enten meine neuen Lieblingstiere sind.
Kleine Erinnerung, an den Frieden aus dem letzten Sommer
Kleine Erinnerung an die Genussgruppe, in der ich mit einer Plastik - Ente in der Hand vom letzen Sommer berichtete





Es gibt eine Sache, die ist mir sehr wichtig für die kommende Zeit: Dass wir es probieren. Dass wir versuchen, ob wir in diesem Job nicht doch bestehen können. Und Kritiker und Forderer – Ihr dürft es mir da gern mal ein bisschen einfacher machen und Euren Mund halten. Dass wir versuchen, ob wir nicht doch etwas wie ein Netz bauen können, das uns hält. Dass wir versuchen, uns selbst ein bisschen zu retten – zum Beispiel dadurch, dass hier vielleicht bald eine Baby – Katze durch die Wohnung streift, ganz viel Liebe verteilt und wir ganz viel Liebe für ein Katzen – Baby empfinden können. Für die Kinder hier.
Aber: Ich bin da nicht so absolutistisch mit Euch, wie die meisten Therapeuten. Wenn es nicht funktioniert, dann funktioniert es nicht. Und dann müssen wir uns da nicht durchquälen in dem Wissen, dass die nächsten 40 Berufsjahre genauso aussehen. Und in dem Wissen, dass wir das nicht schaffen werden, die Reißleine zu ziehen und zu beschließen, dass wir jetzt erstmal gesund werden. Wobei auch an dieser Stelle meinerseits kein Einverständnis mit Therapeuten herrscht. Während die der Meinung sind, dass Stabilität nur ein Alltag schafft und somit keine Voraussetzung für ein Arbeitsleben ist, sehe ich das ein bisschen anders. Wir kennen ja schon auch irgendwie Beides. Wir kennen diese Zeit aus dem letzten Jahr, in der wir motiviert durch die Notaufnahme gesprungen sind. Das ist etwas völlig anderes, als sich psychisch und körperlich vollkommen erledigt durch den Tag zu quälen, möglichst ohne dass irgendwer etwas merkt. Und bevor die fachlichen Herausforderungen anfangen, schon vollkommen am Rand des dadurch Machbaren zu sein, um die Oberarztvisite stehend hinter sich zu bringen, trägt sicher nicht zu Stabilität bei.
Auch bin ich nicht einer Meinung mit den Leuten, die behaupten, dass es ein angemessener Grund für das Leben ist, dass man seinem Umfeld alles andere nicht antun kann. Warum soll ich nur für die anderen Leben? Für die anderen leiden, von denen die meisten ihr eigenes Leben haben, nicht sehen können oder wollen, was wir hier machen und das auch nicht aushalten müssen?
Wahrscheinlich würden mich die Meisten gern dafür steinigen, aber in der aktuellen Konstellation würde ich sagen: Suizid ist okay. Aber erst dann – und da liegt die Betonung – erst dann, wenn wir es wirklich versucht haben und alle Möglichkeiten ein Sicherheitsnetz aufzubauen, das glückliche Kind hervor zu locken,  oder irgendwie in diesem Job klar zu kommen, scheitern.
Letzten Endes ist das eine Entscheidung, die wir nur vor einem Menschen rechtfertigen müssen: Uns selbst.

Es ist okay, das Ganze mit offenem Ausgang zu betrachten. Es ist okay, aus dem Überleben kein „müssen“ zu machen. Es ist okay, sich nicht selbst retten zu können, wenn man es jahrelang versucht hat.
Und dennoch wäre es schön, wenn wir irgendwann tanzen. Diese halb durchsichtige Gestalt, mit einem kurzen Kleid, die barfuß an den Klippen entlang tanzt. Vielleicht, wenn wir es irgendwann geschafft haben, reisen wir nochmal nach Irland. Tanzen nochmal an den Cliffs of Moher entlang. Nicht in der Überlegung, da runter zu hüpfen. Sondern, nachdem wir so oft den Song von Delta Goodrem im Kopf hatten, in dem es heißt „Dear life, am I doing this right, can you see me tonight, can you help, Dear life“, ein paar Zeilen weiter unter zu schauen und mit der Melodie zum Song im Kopf zu überlegen. „I’m a survivor“."

Und während ich heute endlich mal wieder Kraft gefunden habe, um die Wohnung zu verlassen, die Psychosomatik umrundet habe und mir die Psychosomatik – Patienten mit ihren weißen Klinik – Tassen gefüllt mit Kaffee einen eigenartigen Stich ins Herz versetzt haben, habe ich überlegt, ob das nicht eine Tattoo – Idee wäre, die ich in sechs Monaten umsetzen möchte und für die mich meine Schwester letztens am liebsten auf den Mond geschossen hat. „Survivor“. Als Erinnerung, dass es nicht selbstverständlich ist, dass wir hier heute stehen. So sehr es auch danach aussieht.

Mondkind

P.S. Keine Ahnung, ob das weise Worte für einen „gesunden Erwachsenen“ waren. Schematherapie – Gurus sehen das vielleicht ein wenig anders. Aber ich glaube, mir hilft das jetzt gerade wirklich.

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