Erste Woche als Assistenzärztin


Die erste Woche als Assistenzärztin ist geschafft.
Wie lange habe ich geglaubt, dass ich das nie erleben werde?
Ob ich wohl ein bisschen stolz darauf sein darf?

Heute in der Früh hatten wir die Besprechung mit allen Kollegen aus der Neurologie – auch diejenigen von der Reha und von den peripheren Stationen sind anwesend. Der Chef fragt während unserer freitäglichen Kaffeerunde, die die Frühbesprechung meist auf über eine Stunde streckt (so etwas habe ich auch noch nirgendwo sonst erlebt… ), einige Ärzte ab, ob sie etwas Spannendes zu berichten haben. Ich habe schon gehofft verschont zu bleiben, da ich natürlich viel zu berichten hätte, was für die Meisten aber vermutlich eher Routine ist. „Na Mondkind, wie war die erste Woche in der Akutneurologie? Bist Du zurecht gekommen?“ Tja… - dann musste ich wohl doch sprechen. Ich habe versucht, diplomatische Worte zu wählen. Erklärt, dass ich noch dabei bin, wieder in der Neuro anzukommen, mich jeden Tag etwas besser akklimatisiere, aber meine erste Patientin mich schon recht an den Rand meiner Kapazitäten gebracht hat. Und dann grätscht mit mein sehr geschätzter Oberarzt dazwischen: „Die Mondkind verlegt ihre erste Patientin gerade auf die Palliativstation…“ Danke… - so hatte ich es eigentlich nicht formulieren wollen. Allgemeines Gelächter. Es ist klar, dass es da keinen kausalen Zusammenhang gibt – nicht zuletzt, weil ich sie ja nicht alleine betreut habe. Trotzdem kann man das auch arg falsch verstehen.

Es tut übrigens ganz gut, ein paar Connections in der Klinik zu haben. Nachdem die Oberärztin der Palliativstation ganz entzückt festgestellt hat, dass ich jetzt wirklich an der Klinik angefangen habe zu arbeiten, hatte ich im Nu ein Bett für meine Patientin. Es war vermutlich wirklich gerade frei, aber für mich war es schon entlastend, dass ich da mal nicht diskutieren musste, sondern es einfach bekommen habe. Nach der Verlegung habe ich auch ein letztes Mal mit den Angehörigen telefoniert, die sich dann bei mir auch noch für die vielen und ausführlichen Gespräche bedankt haben, die wir in den vergangenen Tagen geführt haben. So etwas höre ich dann schon sehr gern – vor allen Dingen, weil ich tief im Inneren, bei jedem von diesen Gesprächen sehr verunsichert war.
Der Verlegungsbrief war übrigens mein Erster in meinem Assistenzarztleben – und dann auch gleich noch mit so einem komplizierten Sachverhalt, wo man alle Vorlagen nur sehr eingeschränkt verwenden kann. Ich bin schon ein bisschen stolz auf mich, dass der Oberarzt viele von meinen Formulierungen übernommen hat.

Neben dieser Patientin sind noch drei andere übrig geblieben. Zwei davon haben den Verdacht auf eine passagere Durchblutungsstörung – das wirkt nach so viel Action in den vergangenen Tagen fast ein bisschen langweilig… ;) Und dann habe ich gerade noch einen sehr alten Patienten von dem ich noch nicht genau weiß, was er hat. Da hilft mir ein Kollege, weil ich mich noch nicht so gut im EEG auskenne, wie ich das sollte. Da muss ich mir mal schnell etwas einfallen lassen. 



Zum Ende der Arbeitswoche noch ein paar Impressionen

Ich sitze im Arztzimmer. Tippe ein bisschen meine Dokumentation, als plötzlich der Oberarzt mit einem jungen Mädel den Kopf zur Tür herein steckt. Schon in der Frühbesprechung ist mir aufgefallen, dass sie noch jünger sein muss als ich und damit vermutlich Studentin ist. Ich frage mich nur, woher sie diese Klamotten hat. Sie fällt nämlich schon allein dadurch auf, dass kein anderer auf keiner Station in der Farbe herum läuft.
Und dann stellt er sie uns vor. Studentin. Zwischen dem achten und neunten Semester. Die letzten drei Wochen war sie schon im Altbau unterwegs; jetzt möchte sie aber auch noch eine Woche auf die Stroke Unit. Wir sollen sie mitnehmen und ihr etwas zeigen. Der Oberarzt stellt uns ihr alle vor. „Das ist die Mondkind. Die hat schon besonders viel Erfahrung…“ Und nach kurzer Pause: „Die wurde am Montag bei uns eingeschult…“
Ein bisschen schüchtern steht sie hinter ihm, hört sich alles an, sagt jedem von uns nett Hallo. Erklärt, dass sie sich freut. „Ab Montag werde ich Euch dann blöde Fragen stellen“, sagt sie.
Komisches Gefühl. Krass, wie schnell man sie Seiten wechselt. Jetzt bin ich eine von den Assistenzärzten. Von denen, die schon fertig ist. Eine von denen, die doch ein bisschen ehrfürchtig angeschaut wird. Vor ein paar Monaten stand ich selbst noch dort, wo sie jetzt steht.
Ich freue mich auf jeden Fall auf sie und hoffe, ich kann ihr auch ein bisschen gerecht werden. Und ihr ein bisschen Begeisterung für die Neuro weiter geben.

***
Ich sitze im Arztzimmer. Nicht in meinem. In dem vom Oberarzt. Eine Patientenakte, die ich gerade dabei habe, auf den Schoß gelegt.
Es ist sehr stressig heute und ich fühle mich schon schlecht, auch nur ein paar Minuten seiner kostbaren Zeit zu beanspruchen. „Geht auch schnell…“, erkläre ich. Ein Anfang finden, ist irgendwie schwer. Weil ich mich ein bisschen beherrschen muss. „Du willst nur etwas Organisatorisches klären“, sage ich mir. Und dann erzähle ich, dass ich die Arbeit zwar hinbekomme, aber dass es mir psychisch im Moment nicht gut geht. Und, dass ja die Möglichkeiten derzeit etwas beschränkt sind – der Seelsorger mich aber unterstützen kann. Nur natürlich kann der auch nicht abends um 19 Uhr, wenn ich meine Arbeit dann auch mal fertig habe. Und deshalb frage ich, ob es okay ist, wenn ich die Briefe hin und wieder am Nachmittag mal eine Stunde liegen lasse – nicht, weil ich nicht gewillt bin, meine Arbeit fertig zu stellen. Sondern nur, um die Termine beim Seelsorger auch noch rein zu bekommen. Wenn es einem meiner Patienten schlecht geht, hat das natürlich Vorrang, aber… - für die „normalen“ Tage. „Wenn es nur Schreibkram ist, der Dich betrifft und indirekt mich, dann ist es völlig in Ordnung“, sagt der Oberarzt. Was mich schon mal erleichtert.

Ganz kurz reden wir noch über die Woche. „Mondkind, das geht natürlich nicht, dass Du das Labor nicht vernünftig anschaust. Aber Du warst glaube ich mit so vielen anderen Dingen bei der Patientin beschäftigt – das war ein typischer Anfängerfehler. Und es ist im Nachhinein betrachtet für die Patientin auch nicht relevant.“ Wir reden noch kurz darüber. Ich bin nicht die Erste und nicht die Letzte, die „Anfängerfehler“ macht. Das wird mir jedenfalls nie wieder passieren – und irgendwann ist es dann vielleicht mal überlebenswichtig und dann habe ich es gesehen.
„Ich bin zufrieden mit Dir“, zieht der Oberarzt als Resumee.

„Und jetzt mach Dich auf…“ Ich nehme die Akte von meinem Schoß, klemme sie mir wieder unter den Arm und verlasse das Büro. Und während ich die Tür hinter mir zuziehe, tut es plötzlich weh.

Es ist komisch, dass ausgerechnet er wieder etwas wie Gefühle in mir zum Vorschein bringt. Ich glaube, da verschiebt sich gerade viel zwischen uns. In dem Moment wird mir klar, dass ich unsere „PJ – Freitagsgespräche“ vermisse. Es ist alles professioneller und oberflächlicher geworden. Diese tiefe, vertraute Ebene gibt es irgendwie gerade nicht mehr. Residuen davon sind noch übrig. Er duzt mich noch. Das macht er nicht mit jedem.
Ob es am Stress liegt? Vielleicht… Ob es seinerseits so gewollt ist? Keine Ahnung. Ob das besser so ist? Eventuell. Ob es mir damit besser geht? Nein. Ich vermisse das so sehr.

***
So… - das Wochenende wird anstrengend. Ich muss das Fahrrad zur Reparatur bringen, mit dem Möbelhaus wegen der Küche telefonieren, Einkaufen, putzen, ein paar Dinge nachlesen. Und mich möglichst etwas ausruhen, damit dieser blöde Schwindel mal weg geht.

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