Ein bewegender Anruf in der Psychiatrie



Durch den Park gehen.
Sonne auf der Haut fühlen.
Nachdenken. Sortieren.
Erleichtert. Getragen.
Verbindungen von gestern ins heute retten. Spüren, dass ich nicht allein bin.

In den letzten Tagen hatte mich eine ehemalige Mitpatientin dazu motiviert, nochmal auf der Station in der Psychiatrie anzurufen, weil es mir so schlecht ging.
Aber würde es das bringen? Ich habe doch die Freundin, die sich so gut kümmert, wie sie kann. Aber wir sind eben Beide Schema – Therapie – Laien. Vielleicht würde es wirklich helfen, da nochmal eine fachliche Meinung zu bekommen.
Und kann ich das machen? Ja, es war gesagt worden: „Sie haben ja unsere Nummer – wenn etwas ist, können Sie gern auf Station anrufen…“ Aber ist das wirklich so gemeint? Wenn das jeder machen würde… - dann wären die ja nur mit „Altlasten“ beschäftigt.

„Wenn es Dir hilft Mondkind – [Mitpatientin] hat dort auch angerufen, obwohl sie mittlerweile schon entlassen ist. Und die waren wirklich nett und das hat ihr total geholfen…“, schreibt mir die Mitpatientin.
Sonntagmorgen ist eine gute Gelegenheit, beschließe ich. Da dürfte nicht viel los sein auf der Station. Zwei Stunden drehe ich das Handy zwischen meinen Fingern. Hasenfuß halt. „Komm Mondkind – ja, ich weiß, Du denkst Du nervst. Aber Du weißt auch, dass Du das meist gar nicht tust. Und wenn Du wirklich nervst jetzt, dann passt Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung wenigstens ein Mal zusammen und dann bricht Dir ja auch kein Zacken aus der Krone, wenn Du ohnehin ein so negatives Selbstbild hast…“

Grüner Hörer. Keine Ahnung, wer da jetzt dran geht.
Es tutet lange in der Leitung und ich bin schon kurz davor aufzulegen, als ich eine altbekannte, sehr nette Stimme in der Leitung höre. Ich habe schon mal eine sehr liebe Pflegerin erwischt.
Ich nenne meinen Nachnamen. Warte kurz. Kann man mich überhaupt noch zuordnen? Hat man mich vielleicht schon vergessen?
„Ach Hallo Frau Mondkind, schön von Ihnen zu hören…“

Ich berichte kurz was passiert ist, seit der Entlassung. Dass ich umgezogen bin, alles funktioniert hat, weil mein Vater drei Mal am Tag angerufen und gefragt hat, ob ich mich um dieses oder jenes gekümmert habe. Ich berichte vom körperlichen Zusammenbruch diese Woche, dass der Kreislauf so schwach war, dass ich beinahe umgekippt bin, wenn ich ein Mal durch die Wohnung gelaufen bin, es mittlerweile aber schon wieder ein kleines bisschen besser geht. Ich erkläre, dass Herr Chef – Psychologe wohl Recht hatte, als er mir prophezeit hat, dass ich das alles schon irgendwie stemmen werde, aber in den altbekannten Funktionier – Modus zurück rutschen werde und es mir damit vermutlich nicht gut geht. Ich sage, dass mir hier die Sicherheiten fehlen und alle Ideen davon, gerade nicht funktioniert haben.
Und ich berichte von diesem Wochenende, das ich eigentlich nur dank der Freundin überlebt habe, weil es für mich mehr oder weniger beschlossene Sache war zu versuchen, hier ein Ende zu finden. Und dass eines meiner größte Probleme wohl der fehlende Wille ist. Ich will einfach nicht mehr leben müssen.

Zwischendurch werden wir manchmal unterbrochen. Von Patienten, die fragen, ob ihr Essen da ist. Oder sich darüber beschweren, dass es nicht da ist. Oder von Menschen, die sich ab- oder anmelden auf der Station.

Ich weiß nicht warum, aber eine Verbindung zur Station zu fühlen, lässt die Dämme brechen. Es ist ein Gespräch, in dem ich so viel weine, wie bestimmt die letzten fünf Wochen zusammen nicht.
Es ist anstrengend und tut weh zu sehen, wo ich hier gerade stehe, aber es ist auch so wärmend und erhebend, eine altbekannte Stimme in der Leitung zu hören, die irgendwie versucht, etwas zu retten. Und das sogar einigermaßen schafft. Und nebenbei räumen wir ein paar Missverständnisse über das Ende des Aufenthalts aus dem Weg. Das ist mir auch immer wichtig.

Vielleicht tut es mir gut, mal ein paar Wochen Pause von der Therapie gehabt zu haben. Nochmal aus einem anderen Blickwinkel drauf schauen zu können.

Hier ein paar Gesprächsschnipsel. Ein paar Eindrücke und Einsichten. Die helfen können. Bestimmt. Wenn ich sie zulasse. Wirken lasse. Nicht den Deckel sofort wieder drauf mache. Weil es halt nicht in mein Weltbild passt. 



***
„Ich kann es nicht mehr hören“, erkläre ich. „Dieses therapeutische Gerede zum Thema Neuanfang. Ich bin so oft umgezogen, habe so oft von vorne angefangen und das Einzige das passiert ist, ist dass es immer mehr meiner Kräfte geraubt hat…“
Und langsam bringt sich mich dahin zu erkennen, dass ein Umzug auch nicht der Neuanfang ist, den die Therapeuten meinen. Ein neuer Ort ist sicherlich ein guter Boden. Ein gutes Fundament, um das zu versuchen, weil es nicht so leicht ist, in alte Muster zu verfallen, wenn man in einer neuen Struktur lebt.
Aber es geht um etwas anderes. Es geht um einen Neuanfang im Innen. Um das Erkennen und Zulassen von neuen Einstellungen.
„Ich weiß nicht, wann wir dieses Gespräch hatten – es war auf jeden Fall kurz vor der Entlassung“, sagt die Pflegerin. „Da war ich ja schon geschockt, als Sie mir mit vollster Überzeugung gesagt haben, dass die Kritiker und Forderer ja eigentlich Recht haben. Wenn uns jemand so etwas sagt, dann sind wir aus irgendeinem Grund mit unserer Therapie auf dem Holzweg. Sie müssen versuchen eine Bereitschaft zu entwickeln, um diese Grundannahmen ändern zu können. Das ist mit einem „Neuanfang“ gemeint. Und ich glaube, genau diese Komponente hat bei all ihren Umzügen immer gefehlt. Und deshalb konnte das auch nichts werden.“
Danke Frau Pflegerin; wirklich. So habe ich darüber wirklich noch nie nachgedacht und mit einem Mal wird mir einiges klar. Ich bin nur immer darüber verzweifelt, warum meine Neuanfänge nie funktioniert haben. Den Grund – so einfach wie er jetzt erscheinen mag – habe ich nie gesegen.

Als wir über Kritiker und Forderer reden, geht es auch noch ein bisschen um die Familie. Und, dass die mich aktuell wieder in den Wahnsinn treibt. Meine Schwester gibt mir die Schuld, dass sie hier nicht arbeiten könne. Ich sei wohl nicht gut genug mit ihr umgegangen, dabei habe ich alles versucht, um es für sie angenehm zu machen. Meine Mutter meint, ich müsse ihr auf die Knie fallen, weil sie mir ein im Endeffekt nicht nutzbares Fahrrad vorbei gebracht hat und allerhand Unrat aus dem Elternhaus, den ich jetzt größtenteils entsorgen kann. Ich habe ja auch sonst gerade nichts zu tun.
„Und was löst das in Ihnen aus?“, fragt Frau Pflegerin. „Naja eigentlich bin ich wirklich wütend und enttäuscht darüber“, erkläre ich. „Aber die finden eben immer Gründe das umzulenken. Meine Schwester gibt mir die Schuld, dass es nicht klappt und dann mache ich mich dafür fertig, dass ich vielleicht nicht gut genug zu ihr war. Meine Mutter sagte, dass sie nicht bis zum nächsten Tag bleiben können, weil sie sich keine Unterkunft leisten können, aber nicht mal 20 Minuten entfernt von hier mit dem Auto, geht es doch. Und dann denke ich, dass ich eine schlechte Tochter bin, weil ich sie insgeheim für diese Ausreden verurteile von denen ich genau weiß, dass die nur kommen um ein „Mondkind wir haben Dich ganz lieb“ aufrecht zu erhalten, obwohl sie eigentlich alle froh sind, mich nicht in ihrem Leben zu haben…“
„Hören Sie mal auf ihren Impuls“, sagt Frau Pflegerin dazu. „Wenn Sie das durchdenken, springen Ihnen doch schon wieder Kritiker und Forderer dazwischen. „Du musst eine gute und dankbare Tochter sein.“ Nein, müssen Sie nicht. Die anderen haben sich doch auch nicht angemessen verhalten. Sie müssen es nicht allen Recht machen. Sie dürfen auch ihre Meinung sagen und das Verhalten anderer verurteilen…“

„Haben Sie eigentlich ein soziales Netzwerk dort?“, fragt die Pflegerin.
„Ein paar lose Kontakte, mit einem Kollegen habe ich schon auf whatsApp geschrieben, aber nicht wirklich, nein“, entgegne ich.
Und dann reden wir plötzlich über Perfektionismus, weil ich erkläre, dass ich mich in allen Beziehungen hier immer fremd fühle. Denn einen Teil von mir klammere ich meistens aus – und das ist die psychische Instabilität. Weil ich Angst habe, dann abgelehnt zu werden – besonders, nachdem sich die Psychiatrie und die Neurologie häufig nicht wirklich grün sind und meine ersten Kontakte sich aber nun mal aus dem Arbeitsumfeld ergeben werden.
„Aber überlegen Sie mal – hier auf der Station wurden Sie doch auch gut in die Gruppe integriert. Und Sie hatten einen guten Kontakt gerade mit den Mitpatienten, die sie in ganz verletzlichen Situationen erlebt haben. Die Menschen, die am meisten gemocht werden sind zumeist diejenigen, die am authentischsten wirken. Und meistens bekommt man dann mit, dass viele andere Menschen auch nicht perfekt sind. Und die auch ihre Schwächen haben. Sie dürfen das zugeben. Sie dürfen sagen: Da habe ich eine Schwäche…“

Und auch über Perfektionismus im Beruf höre ich etwas. „Ich habe Ihnen es ja schon mal gesagt. Sie werden ein Oberarztliebling. Weil Sie nie „nein“ sagen und immer alles abarbeiten und man sie dann noch mehr mit Arbeit zuschmeißt.“
Und dann erinnere ich mich plötzlich an einen Kollegen, den ich sehr bewundert habe. Er hatte es fachlich sehr drauf, war super organisiert und hat immer gesagt: „Mondkind – wir wollen hier um 17 Uhr fertig sein. Wir wollen nicht so viele Überstunden machen.“ Über die Zeit habe ich gemerkt, dass er zum Einen strukturiert war, aber auch durch sein Wissen schnell den Überblick über die Diagnosen der Patienten hatte. Er ist respektvoll mit seinen Oberärzten umgegangen, hat aber nicht alles mit sich machen lassen. Auch mal „nein“ gesagt und sich nicht ständig den Tag sprengen lassen. Klar, manchmal geht das nicht anders. Aber die Menschen sind überlegter mit ihm umgegangen und in dem, was sie an ihn heran getragen haben. „Mondkind, Du musst egoistisch werden, sonst beutet man Dich aus“, hatte er mir schon gesagt. „Und das ist übrigens schwer – aber das kann man lernen…“
Und nur wer einen Ausgleich hat, sich erholen und sortieren kann, hat auch wieder Kraft, um mit voller Aufmerksamkeit und Konzentration bei der Arbeit und den Pflichten zu sein – wo sich der Kreis wieder schließt.
Seine Strategie scheint jedenfalls Erfolg zu haben. Jetzt ist er seit kurzer Zeit der jüngste Oberarzt, den ich kenne.

Und die fehlende Dankbarkeit und Anerkennung über Anstrengung und Perfektionismus bringt mich – weil ich aus dem Job (noch) keine Beispiele habe – wieder zurück auf meine eigene Situation.
„Manchmal finde selbst ich es ungerecht in den letzten Tagen“, erkläre ich. „Ich musste hier irgendwie alles hinkriegen. Die Klinik stemmen, mich nebenbei um eine Wohnung kümmern und schnell anfangen zu arbeiten und irgendwie habe ich diesen Spagat geschafft. Und meine Schwester tingelt immer noch durch die Weltgeschichte, bewirbt sich mal hier und mal da und ist nach einem ganzen Sommer ohne Pflichten immer noch nicht so weit wie ich. Und ich hätte eine kleine Pause zwischen den Dingen wirklich nötig gehabt.“
Und dann bricht mir die Stimme wieder weg. Es ist verdammt ungerecht. Ist es einfach.
„Da merken Sie es doch“, sagt Frau Pflegerin dazu. „Das war ja bei Ihnen schon immer so. Egal was Sie gemacht haben und egal wie viel Erfolg Sie damit hatten, es ist nie genug. Sie können machen was Sie wollen…“

Wir reden ein bisschen über die inneren Kinder.
„Was hat das in Ihnen ausgelöst, wenn [Herr Therapeut] die inneren Kinder versorgt hat?“
Treffer. Schon wieder brauche ich ein paar Sekunden, um die Stimme wieder zu finden.
„Auf der einen Seite ganz viel Sicherheit und Geborgenheut. Auf der anderen Seite… - hat es unglaublich wehgetan, weil ich weiß, dass das Momente bleiben. Die ich selbst jetzt noch täglich in meinem Kopf durchspiele. Aber ich weiß auch, dass ich das nicht kann. Dass ich in mir selbst dieses Gefühl nicht auslösen kann, das ich hatte, wenn wir da nebeneinander standen und uns die Rasselbande von wild gewordenen Kindern angeschaut haben oder er mit seinem Stuhl neben meinen gerückt ist und mit den Kritikern geschimpft hat und ich einfach mal atmen konnte.“
„Das „glückliche Kind“ ist Ihnen gerade völlig verloren gegangen, oder?“, fragt sie. „Ich glaube schon…“, flüstere ich.
„Und das ist der Grund, warum Sie immer wieder in die Suizidalität abrutschen. Sie sehen nur Kritiker und Forderer, die sie den ganzen Tag herum kommandieren und sie spüren ja sehr deutlich, dass Sie da die Kinder haben, die ganz viele Bedürfnisse haben, die sie nicht genau wahrnehmen und nicht erfüllen können.
Aber Frau Mondkind, wenn Sie anfangen an Ihrem Innen zu arbeiten und lernen, Kritiker und Forderer in die Schranken zu weisen, dann liegt es definitiv im Bereich des Möglichen, dass es Ihnen besser geht. Das versichere ich Ihnen und da können Sie sich drauf verlassen. Das geht nur nicht so schnell, wie ein Umzug, der ja sehr planbar ist, was Ihnen ja zu Gute kommt. Bei der Arbeit am „Innen“ weiß man nicht, wie lange diese Prozesse dauern. Erstmal müssen Sie ja das glückliche Kind wieder finden. Da ist es Ihre Aufgabe auf ganz kleine Bedürfnisse zu hören und zu achten. Wenn Sie spüren, dass sie gerade gern ein Eis essen gehen wollen, dann müssen Sie Ihre Umzugskartons mal stehen lassen und dann gehen Sie ein Eis essen. Es geht nicht darum, dass Sie hier ein ganz verantwortungsloser und egoistischer Mensch werden, der nur noch das tut, was für ihn gerade wichtig erscheint. Aber jeder Mensch hat immer 10.000 Dinge, die er noch erledigen muss und der Stapel wird nie leer werden. Die meisten Menschen lassen dann auch mal alle Dinge liegen und tun, worauf sie gerade Bock haben. Das ist normal. Das macht gesunde Menschen so.
Aber glauben Sie nicht, dass das glückliche Kind hervor kommt, weil Sie das ein Mal gemacht haben. Das muss sich auch erstmal wieder Ihr Vertrauen erarbeiten und merken: „Hey, die meint das ernst, die sucht mich.“
Das wird alles dauern, aber es ist nicht unmöglich.“

Und am Ende klären wir noch ein paar wichtige Dinge.
„Sie waren uns nie egal Frau Mondkind. Wir hatten das immer sehr genau im Blick und wir haben Ihre Not gespürt…“
„Ich war da halt  vollkommen irritiert“, gebe ich zurück. „Ich meine, wir wussten ja wie das endet. Alle. Gut, dass sich das jetzt so extrem auf eine körperliche Ebene zwischendurch schiebt nicht, aber dass es schlecht für mich werden würde, das wussten doch alle. Und ich habe mir so oft gesagt: „Hey jetzt nehme ich hier allen Mut zusammen und bin ehrlich – so könnt Ihr mich doch nicht gehen lassen.“ Aber ich wäre auch nicht imstande gewesen, mich gegen diesen Schritt, von dem ich das Gefühl hatte, ihn gehen zu müssen, zu wehren. Ich habe so viel Verantwortung für mein Handeln übernommen, aber ich kann keine Verantwortung dafür übernehmen, etwas nicht zu tun – auch wenn ich wusste, dass dieser Umzug mich näher an den Tod als an das Leben bringt. Vorerst zumindest.“
Ich höre, das sei wie mit einem Alkoholabhängigen. Den kann man zwar unter bestimmten Umständen zwingen, einen Entzug zu machen. Aber wenn es selbst es nicht will, dann ist der erste Weg nach der Entlassung zurück zum Büdchen.  Und so sei es auch mit mir gewesen – natürlich ohne den Alkohol. Ich habe mich so gegen die Veränderungen gesperrt; so sehr dagegen, darauf zu vertrauen, die Forderungen des Kritikers und Forderers als „falsch“ zu verurteilen, dass man mir da nicht mehr helfen konnte.
„Naja… - ich glaube nicht, dass ich mich grundsätzlich dagegen gewehrt hätte. Aber ich hätte etwas anderes gebraucht, das man wahrscheinlich in dem zeitlichen und personellen Rahmen nicht leisten konnte. Herr Therapeut hat ja schon getan, was er konnte. Aber was für mich immer ganz wichtig ist, sind Sicherheiten. Das ist auch in anderen Bereichen meines Lebens so. Auf Arbeit zum Beispiel. Ich weiß, wie es geht und kann es auch. Aber ich brauche in den ersten zehn Fällen von einem Krankheitsbild Jemanden, der daneben steht, weil ich mir selbst nicht über den Weg traue. Und das sieht vollkommen unselbstständig aus, obwohl ich es eben theoretisch kann und der „Beobachter“ auch keine Fehler findet..
Und das hätte ich auch in der Klinik viel mehr gebraucht. Jemanden, der mich da an die Hand nimmt. Bei ersten Erfolgserlebnissen dabei ist. Wenn ich die Kritiker weg schicke und dafür ein glückliches Kind bekomme. Nur, falls doch etwas schief geht.
Und weil dafür eben nicht mal die Zeit gereicht hat, hat das so nicht geklappt. Da war zu wenig Sicherheit in mir selbst, um gegen die Kritiker anzugehen, wenn keiner da war. (Vielleicht ist das auch einfach unselbstständig…).“

 
Erinnerungen... - abendlicher Blick über die Dachterrasse




Ich höre nochmal, dass ich wichtig bin. „Frau Mondkind, wenn es uns nicht so wichtig mit Ihnen gewesen wäre, dann würde ich jetzt kaum schon so lange mit Ihnen telefonieren. Und überlegen Sie mal, wie viel Mühe sich ihr Einzeltherapeut gegeben hat. Sie sind ein total angenehmer Mensch und man will Ihnen da auch wirklich helfen. Sie haben das ganze Team bewegt, weil Sie irgendwie besonders sind.“
(Ich habe mich nicht getraut danach zu fragen, ob sie „besonders“ genauer ausführen konnte. Aber ich bin so bewegt davon, dass ich schon wieder weine…).
Und nach kurzer Pause: „Vergessen Sie nicht. Wir sind hier. Wir sind in zwei Monaten, in sechs Monaten und in neun Monaten immer noch hier. Und wenn Sie in ein paar Monaten das Gefühl haben, dass Ihr Arbeitsplatz sicher ist, Sie das vielleicht mit Ihrem Chef besprechen können und bereit sind, da nochmal an Ihrem Innen zu arbeiten, dann kommen Sie nochmal her und versuchen das nochmal.“
Wobei sie mir schon empfiehlt, es auch ambulant zu versuchen, weil das Übungsfeld da eben viel größer ist. Ich erkläre, dass ich glaube, dass Schema – Therapie mir wirklich helfen kann, während ich mit der klassischen Verhaltenstherapie nicht mehr so richtig weiter komme. Aber hier auf dem Land muss ich ja schon froh sein, wenn ich irgendeinen Therapeuten finde.
„Schauen Sie sich mal nach Heilpraktikern um“, gibt die Pflegerin mir als Tipp. „Um Schema – Therapie zu machen, muss man nicht studiert haben. Das ist eigentlich eine Weiterbildung, Ich kenne Menschen, die ihr Medizinstudium geschmissen haben, eine Heilpraktikerausbildung gemacht haben und jetzt Schema – Therapie machen. (Randnotiz: Das wäre doch mal eine alternative Jobüberlegung, wenn es mit der Neuro nichts wird…) Das muss man zwar oft selbst bezahlen, aber mit Ihrem Gehalt können Sie sich das vielleicht leisten. Und es gibt auch Heilpraktiker, bei denen die Kasse etwas dazu bezahlt. Erkundigen Sie sich mal.“

Des Gespräch neigt sich dem Ende.
Über anderthalb Stunden haben wir miteinander gesprochen. Ich glaube, so lange habe ich – auch als ich da war – nie in diesem Pflegezimmer gesessen.
Und nachdem ich der ganzen Verzweiflung mal Raum geben konnte  in einem Rahmen, der selbst durchs Telefon noch vertraut wirkt, geht es mir besser.
Ein paar Missverständnisse geklärt. Ein paar Ideen dafür, wie es weiter gehen kann. Ein bisschen Hoffnung, die Frau Pflegerin da gesät hat. „Es liegt im Bereich des Möglichen – sie müssen „nur“ akzeptieren, dass Sie ihr Leben komplett umkrempeln müssen.“ Aber ein komplett umgekrempeltes Leben ist ja vermutlich immer noch besser, als gar kein Leben.

Ich kann mich gar nicht oft genug bedanken, um so viel Einsatz um meine Person."Ich würde mich freuen, nochmal von Ihnen zu hören", sagt die Pflegerin zum Schluss. Wie lieb... 

Ich bin erschöpft. Aber es geht mir besser.
Der Tag war anders geplant. Mit viel mehr Neuro. Aber vielleicht ist das ja jetzt alles auch gerade nicht so wichtig. Ich werde es trotzdem überleben. Und vermutlich wird es weniger auffallen, als es mir die Kritiker gerade einreden. 




***

Durch den Park spazieren.
Die Sonne auf der Haut spüren. Und das erste Mal seit Wochen, spüre ich sie wirklich.
Es ist okay. Für den Moment ist es okay.
Es gibt Hoffnung. Und ich bin nicht allein.
Mehr braucht es nicht, um in Mondkind etwas Frieden auszulösen.

Danke.

Mondkind


Bildquelle drittes Bild: Pixabay

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