Loslassen


Zweite Urlaubswoche diesen Monat.
Die erstaunliche Parallelen zur ersten Woche aufweist.
Ich bin einfach unfassbar müde, habe dauerhaft Kopfschmerzen und – das Schlimmste – ich friere durchgehend extrem.

Sonntag habe ich mal ein bisschen für den ersten Dienst geübt. Ehrlich gesagt war ich morgens höchst unmotiviert, als ich im Regen den Berg zur Klinik hinauf gelaufen bin. Allerdings entpuppte sich das im Verlauf doch als ganz gute Idee. Die Schwestern auf der Stroke Unit kennen mich noch und haben mich ganz lieb empfangen. Und auch, wenn die Notaufnahme natürlich auch immer unberechenbar ist, hatte ich da mehr das Gefühl zu wissen, was ich tun muss, als auf meiner neuen Station.
„Die Mondkind kann ja mal die Doppler machen“, sagte der Oberarzt im Hintergrund irgendwann, der an diesem Morgen auch da war. Noch vor ein paar Wochen hätte ich ihn dafür innerlich verflucht, aber hey: Ich war gerade Zusatz. Ich durfte alles und musste nichts. Ich konnte mir richtig viel Zeit lassen für meine Doppler. Es hat bei allen drei Patienten sehr gut geklappt und ich habe sogar den transkraniellen Duplex geschafft. Vielleicht hat es meinem Selbstvertrauen auch einen kleinen Schubs gegeben, dass letztens die Kollegin von der anderen Station mich dazu gerufen hat, als sie mit ihrem Patienten im Doppler war. Als sei das das Selbstverständlichste der Welt, bei fachlichen Problemen die Mondkind anzurufen.
Dann hatte ich noch einen Schwindelpatienten – da muss ich auch noch viel üben. Es ist nicht so einfach heraus zu untersuchen, ob das jetzt wirklich eher peripher oder eher zentral ist – insbesondere dann, wenn die Schwindeltests auch nicht so eindeutig sind. Aber am Ende hat der Oberarzt denselben, ganz diskreten Nystagmus gesehen wie ich und einen… - mit etwas Fantasie - positiven Schwindeltest festgestellt, sodass wir uns gegen die Lyse entschieden haben.
Zusammenfassend hat sich das also fachlich in jedem Fall gelohnt.

Meine Schwester ist mittlerweile hier. Mit den Meerschweinchen. Es ist erstaunlich, mit welcher kindlichen Unbeschwertheit sie hier immer noch herum hüpft. Und wie viel Liebe zwei kleine Meerschweinchen verbreiten können. Es gibt wirklich wenig, das beruhigender ist, als einen Meerschweinchenherzschlag mit den eigenen Händen zu fühlen.
Das Programm für die nächsten Tage ist ziemlich stramm. Heute waren wir ein bisschen in der Stadt – ich brauchte dringend ein paar wasserdichte Schuhe und T – shirts für den Sommer. Es war eben nur extrem anstrengend. Und dass meine Schwester mittlerweile in die kleinste Hosengröße zu groß ist und sie das total verwunderlich findet, dass sie nicht in meine Größe passt, ist auch schwer auszuhalten.Sie kann halt nichts dafür, aber schwer ist es trotzdem.
Ich hoffe einfach dennoch, dass es eine gute Zeit wird. Dass wir uns nicht zu viel streiten wegen ihrer Esserei und nicht, weil ich zu müde bin und dann manchmal etwas abweisend werde, was gern als „Gastunfreundlichkeit“ interpretiert wird. 




Ansonsten… - ist Loslassen mittlerweile vermutlich das Gebot der Stunde. An mehreren Ecken und in mehreren Hinsichten.
Mit der Klinik kommen wir einfach nicht mehr weiter. Ich hatte dem Therapeuten nochmal eine Mail geschrieben, ob wir das nicht erstmal als „Entscheidung auf Probe“ machen können. Das wird ja noch Wochen dauern bis zur Aufnahme und ich kann nicht einfach jeden Tag auf die Arbeit gehen, mich in die Dienstpläne eintragen lassen und generell in Projektplanungen beteiligt sein und persönlich schon längst wissen, dass das nicht klappt. Zumindest glaube ich das. Wenn man sich so denkt „hinter mit die Sintflut…“, dann geht das vielleicht. Aber ob ich so eine Einstellung entwickeln kann…? Ich weiß nicht, ob mich das völlig verrückt machen wird auf die Aufnahme zu warten, oder ob das auch ein bisschen Erleichterung wäre… - erstmal müsste ich das ja hier alles alleine überbrücken. Naja… - jedenfalls hat der Herr Therapeut erklärt, dass das so auch nicht geht.
Und irgendwie… - ich habe alles versucht. Wirklich alles. Aber der Chef wird mir vorher nicht sagen, ob ich hier gleichzeitig meine Existenzgrundlage aufgebe und den Ort, der ein zu Hause hätte werden sollen. Und ob das Herumtingeln dann am Ende nur doch weiter geht. Auch mit der potentiellen Bezugsperson habe ich es mehrfach versucht zu besprechen, damit ich zumindest ein bisschen menschlichen Rückhalt habe – das funktioniert aber auch nicht. Selbst vor Ort sein hat es nicht gebracht, dass wir diesen Wahnsinn einfach mal beendet haben und selbst - zugegebenermaßen - dass ich durch die Blume erwähnt habe, dass ich aktuell wohl lieber zu Grunde gehen würde, als nochmal in die Klinik zu gehen, weil ich mich für diese Form von Versagen einfach mehr zerfleischen würde, als ich das aushalten könnte, hat nicht zum Suchen nach Lösungen geführt.
Das wird nichts mit der Klinik. Ich weiß nicht, ob die meine Situation nicht nachvollziehen können, oder was das Problem ist. Auf jeden Fall wird mich die Klinik nicht retten. Wenn das Herr Therapeut aber mitbekommt, dann schrumpft das Helfersystem wieder ein Stück. Denn was sollen wir zusammen noch machen? Er kann nichts machen und ich kann nichts machen. Zumindest glauben wir das beide.

Und auch die potentielle Bezugsperson. Auf einer fachlichen Ebene kommen wir mittlerweile ganz gut zurecht, denke ich. Das war am Anfang ein bisschen meine Sorge, dass das auch nicht mehr klappt. Gemeinsam Dienste machen wird hoffentlich nie ein Problem sein. Man kann ihn ziemlich niederschwellig immer anrufen. Was nicht heißt, dass man das ausnutzen sollte, aber vielleicht muss man bei ihm wirklich nicht erst hundert Mal das Telefon im Kreis drehen, bis man anruft.
Nur das mit ihm als Bezugsperson… - wird vermutlich immer „potentiell“ bleiben. Und vermutlich wird das immer auch ein bisschen weh tun. Vor allen Dingen, weil wir schon ein ganzes Stück gekommen waren, bis das auseinander fiel. Aber das hat auch irgendwie keinen Sinn mehr. Ich habe es immer wieder versucht, auch auf unterschiedlichsten Kommunikationswegen. Zwischenmenschliche Dinge erfordern immer zwei Seiten. Das nützt nichts, wenn nur eine Seite sich Mühe gibt. Ach ja… - und wenn man das umsetzt, dann schrumpft das Helfersystem auch weiter.

Zusammenfassend… - (und das schreibt Mondkind nicht ohne Tränen in den Augen), kann man hier langsam nichts mehr machen. Es scheint, als sei die Geschichte langsam doch zu Ende erzählt. Von der eine Mondkind bis zum Ende immer einen leisten Funken Hoffnung hatte. Dass man das hinkriegen kann. „Frau Mondkind, es geht nicht darum, dass es Ihnen gut geht. Es geht darum, dass Sie das überleben.“ Das sagte Frau Therapeutin so oft. Weil irgendwie alle an eine Zukunft geglaubt haben. Und wenn zumindest Einige um mich herum daran geglaubt haben, dann habe ich gern mitgeglaubt.
Ich versuche es, solang wie es geht. Und ich hoffe, das ist noch eine Weile. Aber ganz schaffen, werde ich das am Ende nicht. Und ich glaube, es wird bis ganz zum Ende Pläne geben. Ich bin mir nicht mal sicher, wer von uns eher schlapp macht. Der Körper, oder die Psyche. Vielleicht werden wir bis zum letzten Tag glauben, dass es ein gutes Ende geben kann. Vielleicht war (Jemand wollte mal einen Text über Stärken, da habe ich das nicht erwähnt) das eine der größten Stärken: Vorwärts gehen mit nur einer flackernden Laterne durch Dunkelheit und Gewitter. Und vielleicht werden wir erst am letzten Tag begreifen, dass es nicht für alle ein gutes Ende geben kann. Dass einige Menschen wohl einfach durchs Raster fallen. Die doch gar nicht so wenige sind. Am Ende. Wenn man einen Blick auf die Zahlen wirft. Und vielleicht kann nicht mal Jemand etwas dafür. Weil eben alle Seiten glauben getan zu haben, was auch immer möglich war.

Mondkind

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