Zurück auf der Arbeit - mit einigen Paradoxen


„Naja“, entgegne ich und mache eine lange Pause, ehe ich leise hinzufüge „wahrscheinlich werde ich versuchen zu arbeiten…“
Habe ich nicht ernsthaft vor einer Woche so formuliert. Wie gern würde ich die Aussage revidieren und heute nicht mehr so hier sitzen müssen.

Jetzt heißt es zu versuchen, mit den Konsequenzen zu leben und wirklich in dem Zustand zu arbeiten. Was mehr als grenzwertig ist. Der Körper pfeift immer noch auf dem letzten Loch. Mit dem Schlafen klappt es nicht und der Bauch kann sich immer noch nicht entscheiden, was er jetzt will. Wenn ich nichts esse, schmerzt der Magen irgendwann vor Hunger. Wenn ich es mit Essen versuche, folgen die Schmerzen aber auch auf dem Fuße. Ich versuche es mit irgendeinem vorsichtigen Mittelweg.
Daneben unaufhörlich die Schwere in der Brust, die negative Gedankenschleife, die permanent läuft und alle Kraft erfordert, sie in Schach zu halten. Und dabei immer noch die Mondkind zu sein, die im Laufschritt über die Flure fegt, an jeder Ecke kurz einen Smalltalk mit den Patienten hält, die sie unterwegs trifft und verspricht, später noch vorbei zu kommen.

Auch die Kollegen spüren die Grenzen, glaube ich, ein bisschen. „Die dritte Rotation innerhalb der Zeit Mondkind, das ist schon heftig…“ Und dann heißt es: „Mondkind, nimm Du heute einen neuen Patienten, wir machen zwei Aufnahmen.“ Obwohl mich das auch ein bisschen stört. Ich möchte keine Sonderbehandlung. Spätestens allerdings, wenn die Notaufnahme auf Hochtouren läuft, kann man weitere Aufnahmen nicht verhindern, die dann natürlich bei mir landen. Mit wenig durchdachten Konzepten, was ja auch nicht Aufgabe der Notaufnahme ist. Die schließen nur die Katastrophen aus. Wie oft habe ich in meiner Notaufnahmezeit einen Patienten auf diese Station geschickt und mir gedacht: „Mondkind, Du hättest keine Ahnung, was Du mit dem jetzt machen müsstest.“

Herrn Psychiater habe ich in der Zwischenzeit eine Mail geschrieben. Schon Montagfrüh. Ihm erklärt, dass es ganz, ganz schwierig ist und wir da unbedingt ein Thema besprechen müssen. Und er mich erinnern soll, wenn ich es nicht schaffe, von selbst darüber zu reden. (Vermutlich hätte ich da letzte Woche im Helfersystem auch schon vorwarnen sollen. Denn irgendwie ist es so schwer zu sagen, dass es gerade echt schlecht läuft, wenn man unmittelbar vorher hört: „Naja Frau Mondkind – Sie können ja noch lachen." Dann habe ich immer zu viel Angst, unberechtigterweise im Mittelpunkt zu stehen und das möchte ich ja gar nicht. Schon gar nicht, wenn mich niemand mehr offiziell behandelt. Ich brauche nur Jemanden, der mit mir die Knoten löst – aber das geht eben nur, wenn man spricht).
Der Herr Psychiater hat den Dienstagnachmittag für ein Telefonat vorgeschlagen. Zwar musste ich da noch zwei Tage in den Zustand überstehen, aber das würde ich wohl irgendwie schaffen. Auch, wenn es lang war.
Wenn es keine genauen Uhrzeiten für das Telefonat gibt, muss man das geschickt planen. Einer unserer beiden Oberärzte ist aktuell im Urlaub, der andere musste heute Nachmittag weg. Eine Patientin musste ich noch mit dem Chef besprechen, das habe ich so hingebogen, dass es auf den frühen Nachmittag fiel. Der Epilepsiepatient, den ich heute eigentlich noch aufnehmen sollte, hatte abgesagt und von daher würde ich da auch keinen Oberarzt brauchen. Und aufgrund der Corona – Situation haben wir aktuell ein leeres Zimmer, sodass es alles ungesehen hätte funktionieren sollen.
Der Herr Psychiater hatte natürlich – ohne vereinbarte Uhrzeit, sondern einfach nur mit einem „melden Sie sich am Nachmittag“ – keine Zeit als ich ihn anrief und sagte, er ruft zurück. Also habe ich mal alle Untersuchungen, die ich irgendwie schieben konnte, auf Morgen verschoben. Was soll ich machen, wenn ich gerade bei einer Lumbalpunktion bin und er anruft? Oder gerade mit einem Patienten im Ultraschall bin und er dann anruft…? Im Endeffekt hat er überhaupt nicht angerufen. Das ist leider der Punkt, an dem mit ihm schon viel gescheitert ist. Ob er das morgen nachholt, weiß ich nicht. Ein bisschen Oberarzt – Allüren hat er eben doch. Keine Absprachen; alles findet statt, wenn er Zeit dazu hat. Kann er sich halt leider auch erlauben. Denn immerhin möchte ich etwas von ihm und nicht umgekehrt. Allerdings warten Morgen drei Punktionen und zwei Ultraschalluntersuchungen auf mich. Mindestens. Neben dem sonstigen Geschäft. Wird vermutlich ein langer Tag morgen.Und Zeit zum Telefonieren ist nicht wirklich.

Und ich… - ich hänge immer noch in der Luft. Ganz, ganz schlecht ehrlich gesagt.

Eine Mondkind auf der Arbeit...

Übrigens habe ich aktuell eine Schmerzpatientin. Die stockdepressiv ist. Das war mir schon bei der Aufnahme klar, allerdings kam unsere Schmerzpsychologin nach dem Aufnahmegespräch extra nochmal zu mir hoch gelaufen und hat mich im Beisein des Chefs davon unterrichtet, dass sie wirklich hochgradig depressiv sei und Suizidgedanken geäußert habe; zumindest im BDI - Fragebogen. Genauer nachgefragt habe die Psychologin nicht. „Mondkind, das musst Du nochmal explorieren“, hat der Chef gesagt. „Und dann, wenn das wirklich stimmt, bitte auch einen Anti – Suizid – Vertrag aufstellen…“ Na da hat es ja die Richtige erwischt.
Also gehe ich in das Zimmer, nehme mir einen Stuhl und stelle ihn ans Bett. Leite ein, dass mir von der Psychologin zu Ohren gekommen ist, dass es da im Moment viele psychosoziale Belastungsfaktoren gibt, die in der Summe dazu führen, dass es ihr psychisch nicht gut geht. Am Anfang ist sie sehr verschlossen, aber als sie merkt, dass ich es ernst meine, taut sie etwas auf.
Die ganze Situation ist nur so richtig, richtig schräg. Weil ich das Handy in der Kitteltasche habe. Es verbotenerweise auf „Vibration“ gestellt habe. Auf den Anruf von Herrn Psychiater warte. Um innerhalb von Sekunden die Rollen zu wechseln, wenn er anruft. Er an meiner Stelle, ich an der Stelle meiner Patientin. Und so ganz still frage ich mich, ob das wohl auf Kommando klappt.
„Kann ich gerade noch etwas für Sie tun?“, beende ich unser Gespräch genauso, wie der Herr Kliniktherapeut das immer macht. Ein bisschen was abschauen darf man sich ja wohl hoffentlich. Fast tut es ein bisschen weh, diese Frage zu stellen. Sie bedankt sich. Und ich spüre die Last fast auf meinen Schultern, die sie mir mitgegeben hat. Wo ich mich doch selbst kaum tragen kann.

Später am Abend kommt der Kollege, der am Schreibtisch neben mir sitzt, vom Neubau rüber. Er hilft im Moment auf der Stroke Unit aus. „Na, viel zu tun?“, fragt er. „Ja schon“, entgegne ich. „Und bei Euch so…?“ „Ach, es geht. Es läuft wieder alles normal da drüben. Der Oberarzt ist aus dem Urlaub zurück…- vermisst Du es drüben?“, fragt er. „Ja, sehr…“, entgegne ich.

Übrigens habe ich – auch in Vorbereitung auf das Gespräch mit Herrn Psychiater – nochmal den Tagebucheintrag von unserem letzten persönlichen Gespräch gelesen. Das war nach der schief gegangen Übernachtung. Als wir geklärt haben, was mich da im Moment so belastet. Und an irgendeiner Stelle ging es um die potentielle Bezugsperson und mich. Dass ich da irgendwie noch nicht so vertrauen kann, dass das funktioniert. Weil es unglaublich wehtun würde, wenn es das nicht tun würde. Und dann kam von ihm ein sehr interessantes Statement. Nämlich, dass er sehr froh ist, dass ich endlich mal Jemanden gefunden habe, der so fürsorglich ist. Das aber für Menschen, die das sehr lange vermisst haben, eine große Herausforderung ist, damit umzugehen. Er habe zu dem Zeitpunkt stationär eine Patientin behandelt, die genau das gleiche Problem habe und mit dieser Fürsorge, die ja eigentlich so gut ist, komplett überfordert sei. „Die ganze Situation – auch in der Konstellation – ist für Sie beide sehr schwierig. Aber ich wünsche Ihnen sehr, dass das klappt… das hätten Sie verdient.“
Hat es leider nicht. Und damit sind genau die Befürchtungen, die mich damals manchmal um die Vernunft gebracht haben, eingetreten.

Mondkind

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