Ein Ende und ein Anfang auf der Neuro


Montag, 4. Mai 2020
Nachdem mich das ganze Wochenende die Frage umgetrieben hat, wo ich wohl am Montag arbeiten werde, sitze ich erstmal mit dem „alten Team“ in der Frühbesprechung.
„Die Mondkind geht im Lauf der Woche rüber“, erklärt der Chef. „Die Mondkind geht heute rüber“, verbessert der Oberarzt, der für die Personalplanung verantwortlich ist. Und fügt hinzu, dass er sehr dankbar für meinen Einsatz und meine Arbeit ist. Ich nicke kaum merklich und bedanke mich für das liebe Kommentar.
Ich soll noch ein paar Kleinigkeiten in der Notaufnahme erledigen. Es stellt sich dann allerdings heraus, dass derjenige, der die neue Kollegin in der Notaufnahme einarbeiten soll, nicht da ist. Deswegen soll ich dann doch noch bis Mittag bleiben. Und dann… - explodiert die Notaufnahme mal wieder. Ein Alarm nach dem nächsten, zudem noch zahlreiche Patienten, die zu Fuß die Klinik betreten. Selbst zu Zweit rotieren wir. Deswegen darf ich doch noch bleiben. Den ganzen Tag.
Es ist ein sehr merkwürdiges Gefühl einer Kollegin, die grundsätzlich schon länger in dem Haus arbeitet als ich, die kleinen Tipps und Tricks in der Notaufnahme näher zu bringen. Fachlich ist sie sicher besser als ich, es sind hauptsächlich organisatorische Dinge, in die ich sie einführe. Aber dennoch. Wer hätte gedacht, dass Mondkind irgendwann mal in der Notaufnahme steht, gefragt wird: „Und Mondkind, was machen wir jetzt?“ und sogar eine richtige Idee hat?
Zu Zweit ist die Notaufnahme super machbar und auch die psychische Belastung ist nicht ganz so groß, wenn man die Verantwortung auf zwei Schultern verteilen kann. Wenn zwei Köpfe Ideen produzieren können. Wenn ein Mal ins CT rasen, um die Radiologen selbst nach einem Befund zu fragen nicht heißt, andere Patienten allein in der Notaufnahme zu lassen. Wenn zwei Leute gleichzeitig telefonieren können – einer mit dem Oberarzt und einer mit den Angehörigen. Gestern hat die Notaufnahme wirklich richtig viel Spaß gemacht. Vielleicht sollte das so sein. Dass die letzte Erinnerung an diese oftmals schwierige Zeit dort, eine Gute ist.
„Eigentlich ist das echt schade, dass Du jetzt gehst“, sagt der Notaufnahme – Oberarzt. „Jetzt habe ich Dich hier gerade eingearbeitet und nun fange ich mit dem Nächsten an…“ Tja, mein Wunsch war es auch nicht, so schnell das Haus zu wechseln. Ich habe diesen Plan nicht gemacht.

Weniger in guter Erinnerung wird der Abschied von der Stroke Unit bleiben. Am Morgen gab es noch Stress wegen eines Briefes. Er war schlecht – so ist es einfach. Der Patient war ewig bei uns und als ich mal ein paar Tage von der Notaufnahme ausgeholfen habe, habe ich zu später Stunde angefangen einen Brief zu schreiben – weil eben bis dato noch nichts geschrieben worden war und das für den entlassenden Arzt immer etwas undankbar ist, wenn man wirklich bei Null anfängt. So hat man zumindest einen Leitfaden, den man dann natürlich noch modifizieren muss. Zwei Wochen später, als der Patient entlassen wurde, fehlte in diesem Brief viel. Geändert hat niemand mehr etwas und mein Name stand drunter. Also gab es eine Sammelmail für das Team, dass es so nicht geht. Der Brief wurde an allen Ecken zu Recht kritisiert und ich stand als Erstes im Mailverteiler – weil ich ihn ja geschrieben habe.
Super gelaufen… - nicht. Vielleicht muss man auch lernen, die Füße still zu halten. Ich hätte den nicht schreiben müssen. Niemand hat mich darum gebeten und ich war schließlich nur Aushilfe. Und wenn das dann genau andersherum ausgelegt wird, als es gemeint war...

Am frühen Abend packe ich meine Sachen auf der Stroke Unit. Merkwürdiges Gefühl. Dieser Ort hier war mehr zu Hause, als meine eigene Wohnung - so viel Zeit, wie ich hier verbracht habe. Und irgendwie hatte man sich ja schon – egal ob bei ärztlichen Kollegen, Schwestern, oder Therapeuten - einen gewissen Ruf erarbeitet. Vielleicht war ich nicht die Kompetenz in Person, aber ich konnte viel Ausgleichen durch Bemühen und Präsenz. Ich hatte das Gefühl, die mochten mich dort.

Für eine orientierungslos durch die Welt tingelnde Mondkind fast Alltag, wieder die festen Strukturen zu verlieren. Und doch jedes Mal derselbe Schmerz.
Wobei ich diesmal auch viel mehr verliere, als einfach nur meine heiß geliebten festen Strukturen und Routinen. Ich habe gehofft, dass ich nach all dem Darauf hinarbeiten in dieser Abteilung arbeiten zu dürfen, zumindest ein Jahr bekomme. Im Moment lasse ich das glaube ich noch nicht so sehr an mich heran. Das Bewusstsein darüber, wie viel da endet. Weniger als ein Jahr nach dem Examen. Viel, viel früher, als man das geglaubt hatte. 




Dienstag, 5. Mai 2020
Fast kommt es mir vor, als sei ich mit einer neuen Identität ausgestattet.
Das alte Telefon musste im „alten“, eigentlich neuen Gebäude bleiben. Eine neue Telefonnummer ist bei der Wichtigkeit des Telefons, schon fast wie eine neue Identität.
Einige kennen mich noch aus dem PJ. Und irgendwie alle scheinen zu meinen, ich wüsste, wie alles geht.
Das erste Problem sind die Klamotten – irgendwann hieß es entnervt, ich solle doch welche von drüben holen.

Heute war das Chaos groß. Eigentlich sind wir alle Anfänger. Ein Kollege ist schon einen Monat auf der Station und mit mir hat zeitgleich eine neue Kollegin angefangen – die zwar schon mehr Berufserfahrung hat als ich, aber auch neu auf der Station ist.
Demzufolge waren wir heute alle etwas verloren. Zwar kenne ich die Station noch von meinem PJ, aber damals lief noch so einiges anders.

Ich bin gespannt, wie ich mich einleben werde. Dieses ganze Chaos dort, war schon damals nichts für mich. Die Krankheitsbilder sind sehr interessant, aber ich brauche Struktur und das ist etwas, das diese Station absolut nicht kennt.
Der einzig richtig feste Termin ist die Blutabnahme morgens, der Rest passiert nach Zeitvorgabe der Vorgesetzten. Wenn sie gerade Zeit haben, macht man die Visite. Oder bespricht die neuen Patienten. Da kann es aber – wie bei mir heute – schon mal nach 16 Uhr werden, bis ich überhaupt eine To Do – Liste schreiben kann.
Zum Glück war die Zahl meiner Patienten heute noch sehr übersichtlich, sodass ich es schnell abarbeiten konnte. Wie aber die langen Abende, die alle Assistenzärzte auf dieser Station kennen entstehen, ist relativ klar.
Was in einem riesigen Umfang auf mich zukommen wird, werden Lumbalpunktionen sein. Es wird Zeit, die Angst davor etwas zu verlieren.

Ich habe heute schon mal angesprochen, dass ich nächste Woche Urlaub habe, denn eigentlich müssen mir die Kollegen noch meinen Urlaubszettel unterschreiben. Natürlich wusste davon keiner etwas – obwohl ja gesagt worden war, dass ich den Urlaub doch bitte im Mai nehmen soll. Also reden wir morgen erstmal darüber, ob ich Urlaub nehmen darf.
Der Herr Therapeut hat mir indes einen Termin angeboten. 20 Minuten konnte er für mich frei schaufeln in einer Woche, von der er mir schon vorher gesagt hat, dass die bei ihm völlig überfüllt ist. Ich bin mal gespannt, ob ich jetzt überhaupt Urlaub nehmen darf. Und wenn, dann weiß ich die Mühen des Herrn Therapeuten sehr zu schätzen, sollte mir aber dennoch gut überlegen, ob das wirklich die vielen Stunden auf den Schienen wert ist. Was soll man denn in 20 Minuten besprechen… ? Und ohne Auto ist es eben einfach extrem viel Aufwand… Irgendwie ist es dennoch beinahe schon eine feste Landmarke in meinem Kopf. Dieser Termin. Vielleicht mit der stillen Hoffnung, dass es einfach mal ein Ende von dem Wahnsinn ist. Verbunden mit der Angst, dass es das wirklich ist. Und wohin mein Weg mich dann führt.

Mondkind

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