Reisetagebuch #2 Stippvisite bei Herrn Therapeuten


Eigentlich hätte das ein guter Eintrag werden sollen. Eigentlich. Weil er das nicht wird.
Ich schreibe das nicht so häufig davor, obwohl ich es vielleicht öfter tun sollte. Aber wer gerade zu viel Negativität nicht abkann, liest es vielleicht einfach nicht. 

***

Früher Morgen. Die Nacht war leider nicht besser und nur wenige Stunden lang. Zu wenige Stunden. Und der Körper, der beschließt langsam, dass Funktionieren im Urlaub ja wohl mal völlig überbewertet ist. Kopfschmerzen und Magenschmerzen melden sich an diesem Morgen und irgendwie meine ich, jeden Muskel zu spüren. Und kalt ist mir. Wahnsinnig kalt. Ich glaube nicht, dass ich krank werde. Ich glaube nur da möchte mir wer zeigen, dass ich es ein bisschen übertrieben habe in den letzten Tagen, Wochen und Monaten.

In der Früh versuche ich noch etwas über Polyneuropathien zu lesen, aber das ist einfach zu viel verlangt. Zwar kann ich mit meinen Textmarkern viel markieren (wobei selbst den richtigen Textmarker auszuwählen eine Herausforderung ist), aber hängen bleibt nichts. Stattdessen jagt mal wieder ein Zusammenbruch den Nächsten und obwohl ich mich im Elternhaus wirklich versuche zu beherrschen, damit meine Mama nichts mitbekommt, sind es viele Tränen.
Danach schreibe ich noch die Karte für den Herrn Therapeuten zu Ende, die ich ihm mitbringen möchte. Am Text habe ich eine Weile gefeilt und ihn auf dem PC vorbereitet. Irgendwie muss ich ihm ja mal verständlich machen, dass ich schon weiß, dass das alles durchaus nicht normal ist, was er da für mich tut. Und ich hoffe er weiß, dass ich das unfassbar schätze.

Irgendwann ist es Zeit sich fertig zu machen und in Richtung Psychiatrie aufzubrechen. Nach dem Bahnchaos von gestern nehme ich mal lieber zwei Verbindungen eher, was sich auch nicht als die falscheste Entscheidung raus stellt.
Ich weiß nicht, ob es mein Hirn ist, das so durcheinander ist, oder ob man tatsächlich so schnell vergisst. Aber von dem Ortsteil, in dem sich im letzten Sommer mein Leben zumindest zu einem Teil abgespielt hat, erkenne ich fast nichts wieder. Außerdem ist mir immer noch kalt. Menschen kommen mir im T – shirt entgegen und ich trage über meinem Hemd eine dicke Strickjacke, habe einen Schal um den Hals gewickelt und friere immer noch. Auf dem Weg ruft noch eine Freundin an. Sie will wissen, wie es mir geht. „Falscher Zeitpunkt“, schaffe ich gerade noch zu sagen, dann kann ich schon wieder nicht mehr reden, weil da schon wieder die Tränen kommen. „Monkind, Du bist heute ehrlich zu dem Therapeuten. Und wenn er sagt, dass Du da bleiben sollst, dann bleibst Du da, okay… ?“, schärft sie mir ein. Ich habe noch eine Stunde Zeit, um mich einigermaßen auf den Posten zu bringen. Aber dass das heute nicht ohne Tränen läuft, ist mir da schon klar.Wenn ich es nicht mal in der Öffentlichkeit im Griff habe.

Vertrautes Gelände. Ich bin so damit beschäftigt irgendetwas wie ein basales Gleichgewicht aufzustellen, dass ich mich kaum darauf einlassen kann, wie es sich anfühlt, wieder die schützenden Mauern des Geländes um sich herum zu haben.
Ich gehe noch einmal kurz durch das angrenzende Waldstück und dann ist es langsam soweit, das Gebäude zu betreten.
Die Tagesklinik wirkt ausgestorben. Ob es daran liegt, dass die im Moment noch nicht statt findet, oder ob alle schon nach Hause gegangen sind, weiß ich nicht. Ich setze mich erstmal auf die Stühle vor dem Büro des Therapeuten. So oft saß ich hier und habe auf die Therapiestunde gewartet. Es ist nur ein bisschen komisch. Weil ich immer noch beschäftigt mit mir selbst bin. 

Warten... - irgendetwas zwischen dezent aufgeregt und einem Gefühl von Sicherheit...




Wenig später bittet er mich hinein. Er hat – das freut die Kinderhorde in mir natürlich sehr – Therapeuten – Tee mitgebracht. Die Momente an der Heizung, die es in meiner Wohnung physisch nicht mehr gibt, aber die wegen der Historie ihren Namen nicht verlieren werden, sind also gesichert.
„Haben Sie sich denn nochmal Gedanken gemacht, ob Sie nochmal zu uns kommen wollen?“, ist so ziemlich die erste Frage des Herrn Therapeuten. Ja, sehr viele Gedanken Herr Therapeut. Täglich. Mehrmals. Und doch fühlt sich das so verboten an, dass ich es bisher nicht mal zu einer Pro- und Contra – Liste geschafft habe. 

Eine Karte für Herrn Therapeuten...

Ich bin allein durch den Streik des Körpers einfach nur müde heute. Und so richtig argumentativ tätig werden, kann ich nicht mehr. Wobei das auch nicht mehr nötig ist. Wir haben alles so oft im Kreis gedreht. Aber wir kommen nicht weiter.
Am Anfang geht es darum, dass ich vermutlich gar nicht so unentbehrlich bin für das Epilepsieprojekt, wie ich das glaube. Ich wäre schon die Dritte, die bei diesem Projekt rausfällt. Nach unserem Oberarzt, der natürlich das meiste Gewicht hat und einer Kollegin, die wegen der Familienplanung heraus fällt. Aber er sagt, dass im Krankenhaus jeder Jeden ersetzen kann. Und vielleicht… - ist das doch so… ?
Er sagt, dass es ihm wichtig sei, dass ich in der Ferne gut versorgt sei. Und wenn das in der Ferne nun mal nicht funktioniere, ich damit nicht zurecht komme und es alles so belastend ist, dann sei ich da wohl nicht gut versorgt.
Aber dann, irgendwann im Verlauf der Stunde kommen die Aussagen, die mich am meisten ängstigen. Weil die immer irgendwann kommen. „Also ich will ehrlich zu Ihnen sein – meine Möglichkeiten sind auch erschöpft…“ Das sitzt dann wohl. Er habe fast alles, was er an Mitteln zu Verfügung habe mit mir ausprobiert und irgendwie hat es nicht funktioniert. Und jetzt sei ich Diejenige, die aus dem Tee kommen muss.
Es ist ein zähes Gespräch. Ein unfassbar zähes und anstrengendes Gespräch. Durch die Blume meint man schon, dass er möchte, dass ich Hilfe bekomme. Es kommen auch Sätze wie: "Ich würde Sie ja gern behandeln wollen - im Moment geht es nur nicht." Aber er tut halt sehr wenig dafür. Jeder von uns beiden hat seine Grenze – er vielleicht auch aus therapeutisch sinnvollen Beweggründen. Und jeder von uns beiden streckt auch noch seine Arme über diese Grenze und versucht zumindest die Fingerspitzen des anderen zu erreichen, aber das genügt nicht.
Ich werde die Entscheidung für einen nochmaligen Klinikaufenthalt ohne ausreichend Schienung auf diesem Weg nie treffen können. Das heißt ja nicht, dass man mir die Entscheidung grundsätzlich abnehmen muss. Das habe ich jetzt schon begriffen, dass es nicht geht. Aber nach einem „man könnte sich ja nochmal mit dem Team da oben in Verbindung setzen“ meinerseits, hätte er doch statt „na dann rufen Sie morgen mal da an und machen ein Termin für eine Vorgespräch“ zumindest sagen können: „Dann gehen wir jetzt gemeinsam da hoch und machen schon mal einen Termin.“ Wenn der schon gestanden hätte, wäre es für mich wieder schwerer gewesen, das abzusagen.

Ich schätze den Herrn Therapeuten wirklich sehr, aber so kommen wir beide tatsächlich nicht mehr weiter. Erst letztens hatte ich mit wem ein Gespräch zum Thema Anorexie, an der ich ja auch mal gelitten habe. Und da habe ich gesagt: „Ich glaube, dass ich an der Stelle für viele Erkrankte spreche, aber das Ziel ist nicht dünn zu sein. Und das ist auch nicht toll immer nichts essen zu können, obwohl man Hunger hat. Der Vorteil der Essstörung war, dass ich Hilfe brauchte und die auch bekommen habe, obwohl ich mich damals schon genauso schwer getan habe, die anzunehmen. Aber damals hat keiner gefragt, ob ich denn möchte oder nicht. Das war offensichtlich, dass es nötig ist. Und das ist jetzt bei der Depression anders. Da meinen die Leute man hätte in den schwierigsten Krisensituationen noch eine Chance sich zu entscheiden. Wenn das Hirn einen den ganzen Tag anbrüllt, dass man doch bitte weiter zu funktionieren hat, wird man die Entscheidung nicht treffen können. Es ist genau dasselbe wie damals. Nur in einen mittlerweile normalgewichtigen Körper verpackt.
Und das war auch das Problem beim Zurücklassen der Magersucht. Um Hilfe musste man danach auf so vielen Ebenen kämpfen. Einmal in der Realität und einmal den unsichtbaren Kampf mit sich selbst… und damit bedeutet ein Aufgeben der Anorexie tatsächlich ein Stück weit ein Aufgeben von sich selbst."

Das Gespräch mit Herrn Therapeuten ist unglaublich kräftezehrend und vermutlich für beide Seiten wahnsinnig frustierend. Am Ende stellen wir fest: Ich könnte auf der Station anrufen.
Ehrlich gesagt habe ich ja geahnt, dass es darauf hinaus läuft. Aber ich dachte… - wenn ich schon mal da bin, vielleicht können wir zusammen irgendetwas regeln. Irgendeinen Weg finden, wie ich dahin komme, dass dieser Wahnsinn aufhört. Und dafür… - fahre ich dann halt auch schon mal 400 Kilometer durchs Land.

Wie geht es nach den Ankern weiter? Eine Frage, die altbekannt ist. Aber selten so wichtig war. So lang waren die Abstände zwischen Terminen nie. Da konnte man sich irgendwie entlang hangeln. Und ich glaube ganz im Stillen habe ich gehofft, dass man einen Weg findet, dass es endlich vorbei ist. Wie ich nächste Woche mit dem Hirn und dem streikenden Körper weiter arbeiten soll, weiß ich nicht. Wahrscheinlich wie immer. "Weiter Mondkind, einfach weiter. Mehr als zusammen brechen geht nicht. Und dann ist das auch eine Form von Ende. Wenn auch eine wenig Elegante…“

Ja, das ist tatsächlich Klinikgelände...

Auf dem Weg zur Bahn meine ich meinen alten, sehr geschätzten Herrn Psychiater zu sehen. Ich bin mir nicht ganz sicher, er lief ein ganzes Stück vor mir in Richtung Ambulanz. Auf der Türschwelle hat er sich einmal kurz umgedreht und irgendwie war das eine halbe Sekunde zu lang. Ich glaube, wir haben uns beide in dem Moment gefragt, ob das Gegenüber die Person ist, für die wir sie halten. Jetzt ist er da natürlich im Nachteil – er vermutet mich wahrscheinlich 400 Kilometer weit weg.
Wäre ich mal 20 Sekunden eher los gezogen… - dann hätte ich ihn wahrscheinlich auf der Weggabelung angetroffen. Und so ein bisschen „Ort – in – der – Ferne – Smalltalk“ wäre schon irgendwie nett gewesen nach dem Termin. (Obwohl ich es auch irgendwie immer ein bisschen unglücklich finde, wenn er offensichtlich mitbekommt, dass ich es immer noch nicht auf die Palette bekommen habe… )

Auf dem Weg nach Hause fallen mir fast die Augen zu. Ich bin einfach nur fertig. Und wie hier irgendetwas weiter gehen soll, das weiß ich gerade absolut nicht. Ich weiß es einfach nicht. Ich kann nicht mehr, wirklich nicht. Und ich weiß langsam auch nicht, was ich noch machen soll. Ich habe das Gefühl, dass ich alle Wege gegangen bin, die ich gehen konnte. Zuletzt halt durch halb Deutschland zu gurken. Und so wie der Therapeut seine Grenzen hat, habe auch ich meine. Ob das für das Außen nachvollziehbar ist oder nicht, ist ja erstmal Zweitrangig. Aber ich komme scheinbar nicht da raus. Das wissen wir jetzt. Und kann so auch nicht mehr weiter machen. Also brauchen wir eine dritte Möglichkeit, wie Herr Therapeut anmerkte. Und ich fürchte darüber wie die aussehen könnte, herrschen sehr unterschiedliche Vorstellungen.

Ich werde jetzt versuchen zumindest mal noch eine Kleinigkeit zu essen und dann ins Bett gehen. Morgen wird auch wieder anstrengend. Morgens muss ich das Handy reparieren lassen. Eine Handyhülle kaufen stand – wie so vieles (zum Beispiel Wohnung einrichten und Auto kaufen) – nicht auf der Liste von absolut notwendigen Tätigkeiten und diese Liste wird quasi seit dem Umzug nicht abgearbeitet aufgrund von Energiemangel. Die Paketdienste geben die Pakete nämlich nie beim Nachbarn ab und hätte ich die Hülle bestellt, hätte ich sie auf der Post abholen müssen – also noch eine Tour mehr an einem Samstag. Jetzt ist es aber in dem ganzen Bahnchaos so unglücklich aus der Hand gefallen, dass das Display gesprungen ist. Also noch mehr Kosten dieser ohnehin schon finanziell wahnsinnigen Tour und noch mehr Aufwand.(Da schimpfen natürlich Kritiker und Forderer wieder, aber ich tue echt alles, was ich irgendwie noch kann... - es ging nicht. Jetzt ist das Ganze natürlich auf eine andere Prioritätenliste gerutscht...)
Und nachmittags muss ich die Freundin, die die Sache mit den Mails auf dem Gewissen hat besuchen und ihr ihre DVDs zurück geben, die sie mir geliehen hat und die ich (natürlich) nie geschaut habe. Mal schauen, was das wird…

Man könnte nicht sagen, dass hier auch nur irgendetwas so läuft, wie es geplant war.
Wie es jetzt weiter geht… - das überlege ich mir irgendwann mal. Erstmal hoffe ich – wie so oft – dass die Nacht besser wird.

Ganz liebe Grüße von einer unglaublich erschöpften Mondkind

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