Kommt da die Rebellion?


Auf der Arbeit passieren merkwürdige Dinge. Die mich sehr zum Nachdenken anregen.

Wir haben eine neue Kollegin. Naja… - was heißt neu… Sie ist neu bei uns, aber nicht grundsätzlich neu im Job. Den Facharzt für Psychiatrie hat sie schon, zwei Jahre Neuro hat sie eigentlich auch schon gemacht, aber jetzt arbeitet sie eben bei uns.

„Mondkind, gehen wir zusammen dopplern…?“, fragt sie. Nur kurz, nachdem ich mit ihr zusammen ein EEG ausgewertet und angemerkt habe, dass ich sicher nicht der Master of desaster in puncto EEG bin. „Können wir machen“, entgegne ich.
Kurz bevor ich gehen will, kommt die Pflege nochmal. „Frau Mondkind, Patientin [xy] möchte sie sprechen.“ Die aus der Psychosomatik. Oh je… - ich beschließe nach dem Doppler sofort hinzugehen.
Der Kollegin zeige ich indes, wie das Dopplergerät funktioniert.
Der Patient hat ziemlich viel Kalk in den Gefäßen und ich frage mich schon, was wir da jetzt gleich für Strömungsgeschwindigkeiten messen und ob ich mich jetzt gleich wohl blamiere. Die Kollegin ist sich nicht sicher, welches Gefäß sie jetzt sieht und übergibt mir den Schallkopf. Nachdem ich mich ein paar Minuten orientieren muss, halte ich den Schallkopf auf ein Gefäß, in dem die Flussgeschwindigkeit ordentlich erhöht es und es auch ein sehr scharfes Geräusch gibt. „Ich glaube, das ist die ACI“, sage ich. Und prüfe das noch einige Male. „Mondkind, Du hast das jetzt drei Mal gemacht. Das wird schon das Gefäß sein“, sagt die Kollegin. „Dann haben wir jetzt eine 50 % ige Stenose“, erkläre ich. Und verheimliche, dass das ernsthaft meine erste Stenose ist, die ich da gefunden habe. 



Als ich wieder oben bin, gehe ich zur Psychosomatik – Patientin. Sie sitzt weinend auf ihrem Bett. Da das aussieht, als würde es länger dauern, hole ich mir einen Stuhl, setze mich neben das Bett und warte erstmal kurz. „Was ist los?“, frage ich. Sie schweigt und weint eine Weile. „Mein Job…“, sagt sie irgendwann. „Die Chefin hat angerufen und sie drängelt echt und fragt jetzt nach, wieso ich jetzt in der Neuro bin…“ „Wieso weiß denn Ihre Chefin, dass Sie jetzt hier sind…?“, frage ich etwas irritiert. Und nach kurzem Nachdenken füge ich hinzu: „Und wieso hat sie überhaupt Ihre private Handynummer…?“ (Also nicht, dass unsere Chefs die nicht auch hätten, aber ich finde das ehrlich gesagt mehr als grenzwertig…). Sie zuckt mit den Schultern. „Halten Sie ihre Chefin auf dem Laufenden?“, frage ich. „Naja was soll ich denn machen…?“, fragt sie und weint.
Ich schweige eine Weile. „Wissen Sie…“, beginne ich irgendwann, „ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass mir das gerade schwer fällt, Ihnen da einen gescheiten Rat zu geben. Ich kann Ihre Not nachvollziehen und mich würde das auch sehr beschäftigen und verunsichern und sicher wäre ich streckenweise genauso ratlos wie Sie jetzt. Das Problem mit dem Arbeitgeber ist nicht das, was man normalerweise bei uns auf der Neuro hat – einfach, weil die Menschen in der Akutneuro nicht so lange hier sind. Deswegen habe ich da wenig Erfahrung. Alles was ich weiß ist, dass Chefs das nicht zu interessieren hat, wo und warum genau Sie in Behandlung sind. Sie sind krank und aktuell arbeitsunfähig. Punkt. Dass man da vielleicht auch anders regieren kann – je nach zwischenmenschlichen Aspekten in der Chefetage – ist eine andere Sache. Wissen die in der Psychosomatik um das Problem?“, frage ich. Ja, wüssten sie, sagt die Patientin. Und auch, dass sie dort mit ihrer Job – Panik schon oft gut aufgefangen worden sei. Auch, wenn es immer wieder dasselbe sei. Immer wieder dieselben Ängste, dieselben Gespräche. Ich schlage vor, dass sie dann vielleicht mit therapeutischer und ärztlicher Hilfe mal ein Gespräch mit der Chefin plant. Ich bin dafür die falsche Ansprechpartnerin, erkläre ich ihr (bin ich eben wirklich; ich würde mehr Schaden als Nutzen anrichten, da muss ich meine Grenzen auch klar kommunizieren), aber sie geht ja zurück.
Sie nickt. Und beruhigt sich ganz langsam. Ich sitze noch eine Weile daneben. „Kann ich Sie gerade alleine lassen…?“, frage ich irgendwann. „Ja…“, entgegnet sie. Ich stehe von meinem Stuhl auf. „Sorry für die ganzen Umstände…“, schiebt sie hinterher. „Alles gut, kein Problem“, entgegne ich. „Melden Sie sich, wenn etwas ist…“

Täglicher Weg zur Arbeit... - das muss man halt auch mal wertschätzen; andere sehen jeden Tag tausende Lichter im Stau auf der Autobahn...


Es ist spät am Abend, als ich den Seelsorger in der Leitung habe. Ich habe keine Lust mit ihm über die Nummer mit der Suizidalität zu reden – wenn das schon mit den Therapeuten in der Studienstadt nicht klappt, klappt es mit ihm ganz sicher nicht. Also rede ich mit ihm über meinen Einstieg auf der neuen Station, meine Verwirrung, dass die neue Kollegin offenbar denkt, dass ich so viel kann und über mein Patientenklientel.
„Wissen Sie…“, sage ich irgendwann, „irgendwie glaube ich manchmal, dass jeder so „seine“ Patienten hat. Jeder hat diese Patienten, für die er sich besonders viel Mühe gibt. Und bei mir sind das fast immer die Psycho – Patienten. Bei ihr ist das nun gerade extrem so, dass sie eigentlich ein Spiegel meiner Situation ist. Aber auch für alle anderen, die ich in meiner kurzen Karriere schon kennen gelernt habe, mache ich das irgendwie gerne - während viele Kollegen die Köpfe über dieses – zugegebenermaßen zeitintensive Patientenklientel - schütteln. Nur weil das Leid unsichtbar ist, heißt das nicht, dass die Not dieser Patienten in irgendeiner Form weniger ist. Langsam merke ich tatsächlich, dass diese kurzen Gespräche abends bevor ich nach Hause gehe, sehr tragend sein können. Vermutlich für beide Seiten. Diese Menschen sind irgendwie anders. Dankbarer. Es gibt viele die sich beschweren, warum man denn nicht eher gekommen ist, warum die Therapien nicht besser helfen, warum sie nicht genau jetzt gehen können und warum sie so lange auf die Briefe warten müssen. Dabei rotiert man den ganzen Tag, oft ohne Pause.  Aber diese Menschen sind froh, dass man überhaupt kommt. Mich erinnert das immer so sehr an mich selbst. Wenn der Herr Therapeut abends noch bei mir war, dann hat mich diese letzte Begegnung des Tages meist sehr gut über die Nacht getragen. Und wenn er gesagt hat, dass er abends um 21 Uhr Tee trinkt und dazu angestiftet hat, dass ich das auch mache und wir „gedankliches, gemeinsames Teetrinken“ veranstalten, dann hatte das etwas sehr Tragendes. Ob er das einmal wirklich gedanklich gemacht hat, weiß ich nicht.
Ich habe mit dieser Patientin jedenfalls festgestellt: Ich kann etwas Gutes für sie tun – und umgekehrt macht das aber auch etwas mit mir, einen Patienten so tragen zu können – wenngleich das viel Verantwortung ist.
Und das bringt mich dann auch wieder zu der Frage: Wieso tue ich eigentlich nicht ein Mal das, was sich für mich wirklich richtig anfühlt. Neuro war immer so eine Kompromisslösung. Ich versuche mich wirklich damit anzufreunden und einige Bereiche – Stroke zum Beispiel – sind auch wirklich interessant. Aber ich wollte ja mal Psychologie studieren. Was ja verboten war. Und dann wollte ich eigentlich am Anfang mal Psychiatrie machen. Was auch verboten war. Und immer noch rebellisch, aber immerhin kein „Hochverrat“, war Neuro. Ich frage mich wirklich, warum ich mich nicht mal traue das zu tun, was ich eben wirklich will…“, sinniere ich vor mich hin. Lege eine Pause ein. Und füge irgendwann hinzu: „Natürlich hängt das auf der einen Seite an der zwischenmenschlichen Situation. Wenn ich der Neuro den Rücken zukehre, verliere ich die potentielle Bezugsperson. Aber… - ich glaube ich habe auch nie so richtig die Erfahrung gemacht, dass es gut und richtig ist, auch mal den eigenen Kopf durchzusetzen. Es hieß immer indirekt: „Nee Mondkind, wenn Du das so machst wie Du das willst, wird das schief gehen…“ Schon in der Schule wurden die Fächer und AGs gewählt, die unsere Eltern für richtig hielten. Die passend für gute Noten und Erfolg schienen. Und Eigenregie fiel immer irgendwann auf. Es gab mal eine Rechtskunde - AG. Die zeitgleich mit der Theater – AG lief. Ich wollte Kreativität und Theater, an Aufführungen mitwirken dürfen. Künstlerisch sein, das kann ich schließlich. Da habe ich die Rechtskunde – AG mal verheimlicht. Aber unsere Mutter hat natürlich Wind davon bekommen und Sie dürfen raten, in welcher AG ich saß. Wo es dann hieß: „Also Mondkind, was willst Du mit Theater, damit kommst Du im Leben nicht weiter…“ Und so zog sich das auch durch die LK – Wahl, durch die Studiums- und Berufswahl. Für mich selbst einzustehen, das zu tun, was ich möchte, hieß immer, etwas Verbotenes zu tun. Und sei es nur, weil man Infos zu Hause unterschlagen hat. Und genauso fühlt sich für mich Psychiatrie an. Verboten halt. Als sei das „zu viel“ Mondkind, um gut zu werden. Und als könne das deshalb kein Fachgebiet mit Zukunft für mich sein…“

Der Seelsorger rät zu mehr Mut. Und da kommen mir wieder – schon erstaunlich, dass mir nach mehr als einer Woche immer noch Gesprächsfetzen einfallen – Sätze von Herrn Kliniktherapeuten aus unserem Gespräch letzte Woche in den Sinn.
Er sagte, dass ich lernen muss, nicht nur eigene Entscheidungen zu treffen, sondern auch zu erleben, dass das etwas Gutes ist, ein Stück Ich zu sein: „Wenn Sie sich nämlich für die Klinik entscheiden und dann feststellen: „Wow, das war ja eine super Idee“, dann können Sie das auch auf niemanden abladen. Dann ist das nicht der Verdienst von Jemand anderen, sondern dann ist das Ihr Verdienst. Dann haben Sie etwas Gutes für sich getan.“ Klar, im Umkehrschluss kann ich es auch auf die Schultern keines anderen laden, wenn es schief geht. Aber er meinte, dass er von der Arbeit des Teams so überzeugt ist, dass ich das sicher nicht bereuen werde. Und ehrlich gesagt… - die beiden Aufenthalte, die ich bereits hinter mir habe, habe ich keine Sekunde bereut. Da waren auch immer schwierige Zeiten und viele Tränen dabei, aber gleichzeitig habe ich so viel über mich, das Leben und zwischenmenschliche Beziehungen gelernt, dass ich das einfach nicht missen möchte – auch wenn meine Eltern allerspätestens den zweiten Aufenthalt als Anlass genommen haben zu wettern, dass das ja mal absolut nichts genützt hätte. Aber es ist nun mal eine chronische Krankheit. Die immer wieder so vehement an die Tür klopfen kann, dass man vielleicht wieder über Klinik nachdenken muss. 



Und während ich des nachts so im Bett liege und überlege, kommt mir in den Sinn, dass ich bisher noch nicht darüber nachgedacht habe, dass ich den Weg ja nicht alleine gehen muss. Wenn ich im Stationszimmer sitze und das 723. Mal darüber weine, dass ich Angst habe den Job zu verlieren, dann sind da auch Menschen, die mir zur Seite stehen. Die mir das alles nicht abnehmen können, denn am Ende hat keiner von denen darauf Einfluss, aber die den Weg einfach mit mir gehen können. Ich muss da nicht alleine durch. Ich habe Menschen an meiner Seite, die mit mir und für mich kämpfen.
(Das wäre schon ziemlich krass, wenn die Patientin, die da so viel für mich gespiegelt hat, nun zumindest mitverantwortlich für meine Entscheidung zur Klinik ist und das nie wissen wird…)

Und dann… - dann fällt mir wieder etwas ein, das der Herr Therapeut schon im Januar mal irgendwann zu mir gesagt hat. Als ich im „kleinen Arztzimmer“ auf der Stroke Unit saß: „Sie haben jetzt so viel geredet und versucht, um Verständnis für Ihre Situation zu ringen. Manchmal ist es dann auch an der Zeit, den Worten Taten folgen zu lassen…“ Natürlich hatte ich dann wieder den Einwand, dass ich nicht in der Position bin, meine Chefs zu erziehen. Und dann kam: „Frau Mondkind, Sie arbeiten so viel, Sie sind jederzeit für Ihre Patienten und Kollegen da und soweit ich das höre, machen Sie da einen guten Job – wenn die Sie wirklich raus schmeißen aufgrund eines Klinikaufenthaltes wegen einer psychischen Erkrankung, dann war das – so leid es mir tut – nie der richtige Betrieb für Sie.“
Und irgendwie wird es vielleicht langsam wirklich Zeit, in irgendetwas zu vertrauen. Und wenn es nur in den Lauf der Dinge ist. Denn auch die neue Station ist wieder so ein Ding für sich. Als ein anderer Kollege auf der Station neu angefangen hat, kam irgendwann mal ein schon länger dort arbeitender Kollege in den ersten Dienst in die Notaufnahme, hat mich abgelöst und – ich weiß gar nicht mehr in welchem Zusammenhang, verlauten lassen: „Also Kollege xy muss ab nächster Woche auch mal mehr als drei Patienten nehmen. Sonst dekompensieren wir da…“ Ich dachte, dass ich vielleicht auch einen langsamen Einstieg bekomme, in die neue Station. Aber in der zweiten Woche hatte ich da neun Patienten. Man kann darüber meckern. Man kann aber auch dankbar sein, dass einem so viel zugetraut wird. Und ich habe es ja auch geschafft. Und immerhin hat – auch wenn das Projekt nun nie zu Stande kommt – der Oberarzt ausgerechnet mich gefragt, ob ich mit ihm das Epilepsie – Projekt machen möchte. Klar kann ich im ersten Jahr noch nicht alles können. Aber ich kann mir Mühe geben. Einsatz zeigen. Fachliteratur lesen. Und ich habe da trotz der ganzen psychischen Situation schon viel geleistet. Und vielleicht ist es denen dann auch wert, mir noch eine Chance zu geben, wenn sie so viel Potential in mir sehen. 

Das ist ein Bild vom Stroke - Leben

Ich habe dem Herrn Therapeuten nochmal eine Mail geschrieben. Bezüglich dieser „Entscheidung auf Probe“. Und ich hoffe (auch wenn ich es ihm grundsätzlich natürlich gönne), er hat keinen Urlaub, sondern nur den Brückentag frei. Damit wir es auf den Weg bringen können.
Es fühlt sich nämlich ganz, ganz langsam an, als sei da eine Entscheidung auf dem Weg. Sie muss noch ein bisschen wachsen. Und es wäre lieb, würden die Menschen noch ein bisschen schubsen. Weil jeder Schritt auch mindestens eine Angstattacke ist.
Aber vielleicht… - wird es doch eine Entscheidung für mich.

Mondkind

P.S. Wer kann sich eigentlich an das kaputte Handydisplay erinnern… ? Und wisst Ihr, für solche Dinge liebe ich unser Dorf auch. Es gibt einen Handyladen, der noch sehr neu ist. Da bin ich dann also hin gelaufen und habe gefragt, ob man das reparieren kann. Und ob man das muss, oder ob es wohl noch geht. „Naja, das kann Ihnen morgen komplett auseinander fallen“, war die Antwort. Na, dann muss man es reparieren. Und natürlich war es teuer. „Das sind nun mal leider die teuersten Displays mit dieser Marke…“, sagte der Verkäufer schulterzuckend mit einem entschuldigenden Blick. „Aber wissen Sie was? Ich mache Ihnen direkt eine Folie drauf und Sie bekommen eine Handyhülle dazu, damit Sie hier nicht in einer Woche wieder stehen…“ Und… - er konnte es sogar sofort machen – da habe ich in der Studienstadt keinen einzigen Laden gefunden, der das sofort tun konnte.

P.P.S.
Meine Schwester ist im Anmarsch. Mit den Meeris. Ich muss jetzt hier mal schnell zu Ende aufräumen. Meerschweinchenfutter ist schon organisiert, das Bananenbrot ist im Ofen, das Bett für meine Schwester ist schon bezogen und das Zimmer ist hergerichtet.
Und jetzt freue ich mich auf zwei quickende Fellnasen, eine Woche (außer Morgen, da gehe ich ja arbeiten) mal wieder die tolle Landschaft hier genießen, wo sie mal ein Auto mitbringt. Und vielleicht…  - gibt es nach der Woche schon eine Klinikperspektive. Das wäre schön.

P.P.P.S. 
Macht Euch auf Meerschweinchenbilder gefasst.

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