Flurfunk
Der zweite Tag auf der peripheren Station lief schon etwas besser –
wenn er am Ende auch wesentlich länger war. Um 20 Uhr habe ich die Tür des
Arztzimmers hinter mir geschlossen.
In der Früh ließ sich zumindest schon mal einer der Oberärzte blicken –
somit konnte man gleich die Fragen, die gestern Abend nicht mehr geklärt werden
konnten, loswerden.
Außerdem habe ich am Morgen noch zwei Epilepsie – Patienten dazu
bekommen, da ich ja jetzt eigentlich die Epilepsie – Station mit neu aufziehen
sollte.
Da wusste ich noch nicht, was mich mittags erwartet. Ich bin gerade im
Haus unterwegs, als ich dem Oberarzt über den Weg laufe, mit dem das eigentlich
geplant war. „Hallo Mondkind“, sagt er und bleibt stehen. „Hi, gut dass ich
Dich sehe“, entgegne ich. „Ich habe zwei Epilepsie – Patienten; da hätte ich
noch ein paar Fragen. Ich wollte Dich eigentlich gleich anrufen und fragen,
wann Du Zeit hast…?“ (Übrigens ist das total ungewöhnlich einen Oberarzt zu
dutzen, aber wir haben uns im PJ ein Büro geteilt, da war er noch Assistenzarzt
und warum sollten wir jetzt mit dem „Sie“ anfangen…?“).
Er schaut ein Mal kurz in der Gegend herum und irgendetwas passt
nicht. „Ich weiß nicht, wie ich es Dir sagen soll, Mondkind…“, leitet er ein. „Naja…
- einfach so gerade heraus. Wahrscheinlich werde ich es irgendwann ohnehin herausfinden…“
„Also… - das Epilepsie Projekt wird es
nicht geben…“, sagt er.
Okay, also das schockt mich jetzt schon ein bisschen. Ich habe,
seitdem ich das wusste, jedes Wochenende an dieser Zusammenfassung des Buches
gearbeitet. Er wollte, dass ich vorbereitet bin. Und ich dachte, dass man von
ihm sicher viel lernen kann, wenn er gute Laune hat. Keine Ahnung, ob dann
überhaupt irgendwer mit uns Epilepsie macht…
Meine Epilepsieanamnese später ist auf jeden Fall astrein, er hat
nicht eine einzige Frage dazu. Dafür laufe ich mit der anderen Patientin etwas
auf Grundeis, weil ich den MRT – Befund nicht kenne. Die hat ein anderer
Oberarzt von der Stroke Unit rüber geschickt und ich hatte eigentlich gedacht,
die sei schon besprochen, bevor man da ein Video – EEG anhängt. War sie aber
nicht… („Mondkind Du weißt schon, dass Du beim Chef jetzt unten durch wärst…“
Ja, weiß ich. Aber er ist ja zum Glück nicht der Chef…)
Am Nachmittag gehe ich mit einem meiner neuen Oberärzte noch einen
Patienten mit Polyneuropathie visitieren. Und dann gibt es einmal einen
Polyneuropathie – Vortrag. So viele Infos geballt… - da habe ich sicher die Hälfte
wieder vergessen, ehe ich dazu kam, es zu verschriftlichen.
„Und warum habe ich das jetzt alles erzählt…?“, fragt er am Ende. „Damit
Du mir das beim nächsten Mal alles selbst erklären kannst, Mondkind…“,
beantwortet er die Frage auch gleich.
Am Abend finde ich einen Stapel Zettel über Polyneuropathien auf
meiner Tastatur. Wochenendlektüre. Es gibt viel zu lernen. Wahnsinnig viel .
Das Schmankerl des Tages kam abends. Ich bin schon wieder viel zu
lange auf der Station. Irgendwie habe ich mein Zeitmanagement nicht im Griff.
„Kann ich Sie nochmal kurz sprechen…?“, ruft ein Patient mir von der
Ferne zu, den ich nicht mal betreue. Ich überlege ganz kurz, dann gehe ich auf
ihn zu.
„Also… - bei mir soll eine Lumbalpunktion gemacht werden. Und ich gebe
ja zu, dass ich Angst davor habe. Da wollte ich Sie fragen, ob Sie das machen
können…? Sie haben mich doch in der Notaufnahme betreut. (Das war am Montag…).
Und da habe ich mich sehr gut bei Ihnen aufgehoben gefühlt. Und außerdem hat
mir der Patient [Name] gesagt, dass Sie ihn vorhin punktiert haben und das gut
geklappt hat und Sie das offensichtlich schon oft gemacht haben…“ (Der Patient,
den ich da punktiert hatte, hat mich übrigens vorher noch kritisch befragt, ob
ich das denn überhaupt könne. Ich sehe einfach zu jung aus…)
Ich glaube, ich sehe mein Gegenüber etwas zu entgeistert an.
„Naja wissen Sie, der Flurfunk funktioniert hier ganz gut…“, schiebt
er hinterher.
Also das ist ja echt interessant. Jetzt wollen die Patienten von mir
punktiert werden… ??? Ehrlich gesagt überrascht mich das doch, auch wenn die
Punktion heute gut geklappt hat. Aber andere Kollegen haben sicher mehr
Erfahrung.
Ich habe ihm versprochen, dass ich das morgen mit dem Kollegen
bespreche. Ich will keinen Unfrieden stiften, aber wenn ihm so viel daran liegt…
Und vor allen Dingen… - wenn ich es dann vergeige…
Und jetzt… - muss ich heute Abend entscheiden, ob ich nächste Woche in
die Studienstadt fahre. Bis heute war nicht klar, ob ich überhaupt den Urlaub
bekomme, weil auf der neuen Station keiner etwas davon wusste. Aber es klappt
wohl.
Das würde aber bedeuten – dieses Jahr verbringen wir den Geburtstag
nicht am Schreibtisch, sondern erst beim Zahnarzt und dann auf den Schienen.
Unfassbar viel Aufwand für ein bisschen Therapie. Aber was tut man nicht alles
für die Therapie…?
Alternativ habe ich mir überlegt, könnte man sich auch um Auto und
Einrichtung der Wohnung kümmern. Aber das hätte man einfädeln müssen und
vielleicht mal wen fragen müssen, ob er mitkommt. Und da das alles auch nicht passiert
ist… - ist Geburtstag auf den Schienen vielleicht noch besser, als Geburtstag
allein in der Wohnung zu versacken. Denn was ich vor einem Jahr auch gehofft
hatte war, dass der nächste Geburtstag nicht mehr so trostlos wird, nachdem
dieser Tag zwei Jahre hintereinander durch ein nahendes Staatsexamen gesprengt
wurde.
Mondkind
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