Klinik - Ideen und Begegnungen auf der Arbeit


Es ist nicht okay. Ist es einfach nicht.
Und ich wünschte, ich könnte ein paar Worte finden, die sich irgendwie passend anfühlen.
Vermutlich sind das diese Zeiten, vor denen ich immer am meisten Angst habe. Wenn man nachts unzählige Male auf einem nassen Kissen aufwacht. Es nur noch darum geht, die Tage irgendwie zu überleben. Und man nur hoffen kann, dass das Hirn irgendwann sehr bald begreift, dass das nichts bringt, gegen das Leben zu rebellieren. Und nach fast zwei Wochen in diesem Zustand und nachdem bislang sämtliche Lösungsversuche gescheitert sind, bin ich einfach unfassbar erschöpft.
Mit dem Helfersystem komme ich aktuell auch nicht weiter, obwohl ich versucht habe, es auf so viele Säulen zu stellen in der Hoffnung, dass einer immer da sein wird. (Psychiater – Update am Rand: Ich habe ihm nochmal eine Mail geschrieben, vorweg geschoben, dass ich nicht nerven möchte und ich weiß, dass er viel zu tun hat, aber dass es mir wichtig ist und ob wir nicht nochmal versuchen könnten, einen günstigen Zeitpunkt für ein Telefonat zu finden. Das hat er einfach mal völlig unkommentiert gelassen. Und so hat das bisher immer geendet. Ich war ja schon sehr erstaunt, dass er sich überhaupt darauf eingelassen hat. Das ist halt das Problem, wenn niemand mehr offiziell zuständig ist).

Irgendwie versucht man es noch mit dem Job. Obwohl ich nicht weiß, wie lange das noch funktioniert. Alles was ich mir nicht aufschreibe, habe ich fünf Minuten später vergessen. Dementsprechend ist mein Schreibtisch ein einziger Zettel – Salat.

Den Tagebucheintrag über das letzte persönliche Gespräch mit Herrn Psychiater zu lesen, war übrigens sehr aufschlussreich. Es gab nämlich viel Lob. Der Herr Psychiater habe lange Zeit nicht geglaubt, dass ich irgendwann mal mit dem Examen in der Tasche, der Aussicht auf einen Job, eine eigene Wohnung und damit ein eigenständiges und unabhängiges Leben, vor ihm sitze. Auf meinen fragenden Blick hin entgegnete er: „Na das war ja am Anfang ganz schwierig. Zuerst mal die Sache mit dem Essen, dann ihre schwierige Familie und die ganze Wohnsituation. Sie haben es gut gemacht Frau Mondkind, wirklich.“ „Naja…“, habe ich entgegnet, „dann kam ja die Sache mit dem Ort in der Ferne…“ Ungefähr ein halbes Jahr nachdem wir uns kennen gelernt haben. „Ich hatte so oft das Gefühl, dass die Dinge einfach fünf Nummern zu groß für mich sind. Dass ich das nicht schaffen werde. Dass das viel zu viel Quälerei ist. Aber das schien ja ein temporärer Zustand zu sein. Es gab ja ein Ziel. Es gab Hoffnung. Ich glaube, Hoffnung trägt unfassbar viel – egal wie dunkel die Zeiten sind. Man braucht nur ein Licht am Ende vom Dunkel und eine Kerze in der Hand, deren flackerndes Licht bis dahin den Weg leitet.“

Dass die guten Momente zwischen dem ganzen Job – Stress, dessen Start viel brutaler war, als ich mir das so vorgestellt habe zählbar bleiben, wusste ich damals noch nicht. Dass man noch vor dem nächsten Sommer erkennen und einsehen muss, dass man sich da jahrelang für etwas durch das Leben gekämpft hat, das es nie geben wird, wusste ich auch nicht.
Ich glaube, das lasse ich auch nur langsam an mich heran. Und irgendwie hängt auch in jedem Winkel dieses kleinen Ortes noch die Hoffnung. Und die Erinnerung an die wenigen hellen Tage, die ich hier verlebt habe. Als habe man sie konserviert und als unsichtbare Erinnerungen an den Wegesrand von den Wiesen am Bach und den Kurpark gestellt. 


Die Kastanien blühen... 😀

Klinik ja oder nein… ? Die Frage geistert immer noch in meinem Kopf herum. Und manchmal frage ich mich, ob es in Anbetracht der Situation nicht mehr als berechtigt wäre. Ich habe so viel geschafft, ich bin so weit gekommen – das sieht sogar Herr Psychiater so. Ist das dann vielleicht nicht auch mal Grund, um zu sagen: „Okay, wenn man offensichtlich so viel gekämpft hat für sich und dieses Leben und dabei sie Seele in der Hoffnung, dass die irgendwann auch noch einen Ort findet, an dem sie sein darf, so lange im Stich gelassen wurde – darf man da nicht versuchen, eine Balance zu finden?“ Man muss doch den Erfolg nicht immer als Grund sehen, noch ein bisschen mehr Erfolg obendrauf zu packen?“
Ich habe mich schon mal allen Ernstes gefragt, ob ich nicht versuchen kann mit denen auf Station zu vereinbaren, dass wir erstmal eine Art „vorläufigen Aufnahmetermin“ machen. Dass wir da schon mal etwas festlegen und ich schaue, wie es mir damit geht. Ist ja nicht so, dass die nicht schnell jemanden nachschieben können, auf meinen Platz. Aber ich halte das einfach wirklich nicht mehr aus und muss schließlich einrechnen, dass es noch wochenlang dauert. Da sollte ich nicht vorher sterben oder irgendwo hier in der Akutpsychiatrie landen, aus der man mich so einfach nicht verlegen kann.
Ehrlich gesagt würde ich mir im Moment nichts mehr wünschen, als morgens in Sicherheit aufzuwachen. Nicht mehr schauspielern zu müssen. Mondkind sein zu dürfen. Nach innen und nach außen. Mit allen guten und allen schwierigen Momenten. 

Lieblingspark... 😏


Gestern gab es übrigens noch zwei interessante Situationen.
Eine war eine meiner Neuaufnahmen von gestern. Eine Patientin, die zur Abklärung ihrer Symptomatik aus der Psychosomatik zu uns verlegt wurde. Wenn wir nichts finden, ist es wohl psychosomatisch.
Wir brauchen eine Weile für die Aufnahme, wobei ich mir auch ein bisschen Zeit nehme, um ihr alles genau zu erklären, weil sie sehr unsicher ist. Wann sie wieder zurück dürfe, will sie wissen. „Das kommt ein bisschen darauf an, wann wir den MRT – Termin bekommen. Mit dem Feiertag wird das diese Woche schwierig, denke ich. Anfang nächster Woche eher…“ Sie sieht mich mit leerem Blick an. „Ich gebe mir Mühe, dass wir uns beeilen. Ich kann es nachvollziehen, dass Sie so schnell wie möglich in das Umfeld zurück möchten, das Sie kennen“, sage ich und verabschiede mich vorerst.
Irgendwie gefällt sie mir gar nicht. Ich organisiere den MRT – Termin für Montag – schneller ging es wirklich nicht. Eigentlich mache ich das nicht sofort, aber ich beschließe ihr schon mal die Aufklärung rein zu bringen, einfach um nochmal nach ihr zu schauen. Und dann sitzt sie schluchzend auf dem Bett. Ich ziehe mir nochmal den Stuhl ans Bett, setze mich darauf und warte erstmal ein paar Minuten.
„Was ist das Problem…?“, frage ich. „Ich habe nicht gedacht, dass ich über das Wochenende bleiben muss…“, sagt sie. „Vielleicht finden Sie ja eine liebe Mitpatientin mit der sie ein bisschen quatschen und sich ablenken können. Wir haben gerade einige junge Patienten auf Station; da können Sie sich zumindest vorne ins Rondell setzen; vielleicht auch ein bisschen vor die Klinik gehen“, schlage ich vor. „Wie ist das denn in der Psychosomatik? Ist da am Wochenende etwas los?“ „Nicht wirklich“, entgegnet sie. Manchmal sei noch irgendeine Gruppe. Sie schweigt wieder eine Weile. „Aber darum geht es gar nicht“, erklärt sie irgendwann. „Worum geht es denn?“, frage ich. „Ich habe erst vor wenigen Wochen mit meinem neuen Job angefangen. Und jetzt bin ich schon ein paar Wochen hier und der Arbeitgeber wird langsam ungeduldig. Und da möchte ich einfach keine Zeit verlieren, weil ich die doch für die Therapie brauche…“, erklärt sie.
In dem Moment gehen mir persönlich zwei Dinge auf. Zum Einen ist die Person, die da vor mir sitzt, unfassbar stark. In der Probezeit in die Klinik zu gehen heißt, den Job aufs Spiel zu setzen. Das Dilemma hatte ich Weihnachten auch und ich habe mich dagegen entschieden und tue das ja aktuell immer noch. Lieber Krisen mit unbekannten Ausgang als die Existenzgrundlage aufs Spiel zu setzen. Die zweite Sache ist, dass der Arbeitgeber sie zumindest bisher – nach doch schon recht langen Aufenthalt - dennoch nicht gekündigt hat. Vielleicht mache ich mich hier seit bald sechs Monaten verrückt dafür, dass am Ende nichts passieren würde.
Ich verspreche, dass ich versuche alles so schnell es geht zu takten, damit sie Montagabend entlassen werden kann. „Dann haben Sie im Prinzip drei Werk- und damit Therapietage verloren. Geht das für Sie?“, frage ich. Sie nickt. „Kann ich Sie jetzt hier erstmal alleine lassen…?“, frage ich. „Ich weiß nicht…“, entgegnet sie. „Soll ich später nochmal vorbei schauen?“, frage ich. Sie nickt dankbar.
Es ist schon fast 19 Uhr, als ich nochmal den Kopf zur Zimmertür herein stecke. „Sie sind ja noch da“, sagt sie erstaunt. „Na ich habe doch gesagt, ich komme nochmal“, entgegne ich. „Aber ich hätte nicht gedacht, dass Sie das wirklich tun…“, erklärt sie leise. Und gerade muss ich mich wirklich zusammen reißen. Diese Person, die damit angezogenen Beinen auf dem Bett sitzt, den Rücken gegen die Wand gelehnt, immer noch ein bisschen unglücklich, könnte ich selbst sein. An einem der vielen Abende in der Klinik. In denen der Herr Therapeut abends nochmal den Kopf zur Tür herein gesteckt hat. Und wie oft habe ich mich gefragt, ob er mich nicht vergisst. Gerade übernehme ich seine Rolle. Bin ein bisschen Stabilität für die fragile Seele vor mir. Wir reden nochmal kurz. Sie hat sich etwas beruhigt und versichert mir, dass ich sie bis Freitag alleine lassen kann. „Danke, dass Sie sich heute so bemüht haben“, sagt sie. „Gerne“, entgegne ich und ziehe die Zimmertür hinter mir zu.
Wenn man schon mich nicht retten kann und ich selbst das scheinbar auch nicht kann, so kann ich doch – solange wie ich noch hier bin – zumindest noch für andere Personen diese Stütze sein, die ich selbst gern hätte. 



Da die Wäschefrau sich bisher nicht die Mühe machen wollte auch für mich Klamotten vorbei zu bringen und mürrisch vorgeschlagen hat, dass ich doch zum Wäscheautomat des Campus gehen soll, tingle ich am Abend noch rüber in den Neubau. Und treffe dort eine Kollegin. Sie fragt, wie es so ist. Ich entgegne, dass ich mit dem Chaos nur schwer zurecht komme, dass mir definitiv oberärztliche Ansprechpartner und Struktur fehlen. „Ja Mondkind, da muss man super selbstständig arbeiten. Deshalb war das auch früher so, dass da eigentlich nur Assistenzärzte kurz vor dem Facharzt hingekommen sind…“, entgegnet sie. „Ich hoffe, ich lebe mich bald ein“, entgegne ich. „Irgendwie glaube ich gerade, dass mir diese letzte Rotation das Genick bricht. Die letzten Monate waren mit den ganzen Wechseln einfach so anstrengend und langsam bin ich echt am Ende meine Kräfte…“ „Ja Mondkind, das verstehe ich auch nicht, was die da mit Dir gemacht haben“, sagt die Kollegin. „Naja, die wollten halt nicht, dass ich zweiten Dienst mache, sondern direkt den ersten Dienst. Und da muss ich ja alle Stationen zumindest mal kurz gesehen haben. Das geht halt auch nicht, dass ich ewig keine Dienste mache. Ich verstehe das schon. Wobei man eben bedenken muss, dass die Notaufnahme zu Corona – Hochzeiten vermutlich ganz anders lief, als im Normalbetrieb. Ich will nicht wissen, wie es mir in meinen ersten Diensten gehen wird…“, sage ich. „Mondkind, was hältst Du denn davon, wenn Du am Wochenende erstmal zusammen mit Jemanden Dienst machst, der das eben mitmacht – machen auch nicht alle Kollegen. So fünf bis sechs Stunden Samstag oder Sonntag reicht ja. Du machst es selbst, organisierst auch alles selbst – das muss man nämlich auch erstmal lernen – aber wir im ersten Dienst sind ja sowieso da und können Dir jederzeit helfen…“, schlägt die Kollegin vor. Der erste Impuls ist ehrlicherweise, dass ich mit meinen mangelnden Energiereserven am Wochenende sicher keine Lust habe, noch freiwillig und zusätzlich Dienst zu machen. Aber ich muss es eben lernen, um vielleicht die Panik vor den ersten Diensten ein bisschen abzufedern. Sie hat Sonntag Dienst sagt sie; ich soll es mir überlegen, ob ich nicht dazu kommen möchte. Da ist zwar meine Schwester schon hier, aber sie kommt wohl auch ein paar Stunden ohne mich zurecht. Immerhin hat sie gerade die Einführung in den Spätdienst hinter sich und ist vom ersten Dienst noch Lichtjahre entfernt.

Und da mag wem auffallen: Die Mondkind fährt immer noch zweigleisig. Auch, wenn es kaum noch Hoffnung auf ein gutes Endes gibt. Wahrscheinlich wird die Hoffnung, wenn das irgendwann so kommt, nur Minuten vor mir sterben.
Bis Juni geht es auf jeden Fall noch – meine Schwester kommt am Wochenende. Auch für sie war dieser Ort mal Zukunft, bevor sie sich für den Norden entschieden hat. Und nachdem das oben nicht so richtig gut, nicht mal okay, sondern einfach nur zwischenmenschlich schwierig geworden ist, sucht auch sie glaube ich die Hoffnung wieder in den Winkeln dieses Dorfes. Und das möchte ich ihr gern ermöglichen – möglichst ohne, dass sie mitbekommt, dass ich so am Rand meiner Kapazitäten bin. Denn vielleicht ist es doch so, wie Herr Kliniktherapeut das mal anmerkte – dass die Erinnerungen das Wertvollste sind, das wir haben. Und die uns auch niemand mehr weg nehmen kann. Die nehmen wir mit. Egal wohin. Und egal, wie schwer es auch werden mag.

Mondkind

P.S.: Ein aufrichtiges Danke übrigens für all die lieben Nachrichten, die mich während und nach meiner Stippvisite in der Studienstadt erreicht haben. Das bedeutet mir wirklich viel.

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