Reisetagebuch #5 Rückreise und Gedanken


Heimweg.
Ich weiß nicht, was die Leute im Zug sich denken. Ich will es auch gar nicht wissen.
Unendlich erschöpft nach dieser Woche. Wissend, dass jeder Kilometer mich ein ganz kleines Stück weiter in die falsche Richtung bringt. Tränen in den Augen, eingepackt in alle Klamotten, die ich habe und trotzdem ist es sehr kalt. Es ist einfach furchtbar.
Aber zumindest sind die Züge heute püntklich und alle Anschlüsse klappen.

Im Zug ist Zeit, die letzten Tage noch etwas Revue passieren zu lassen. Überhaupt erst zu begreifen, was passiert ist. Oder… - nicht passiert ist.
Heute wird kein ganzer Text draus. Daher Schnipsel. 



***
Dienstag. Gespräch mit Herrn Therapeuten.            
„Kann ich Sie so gehen lassen?“, fragt er. „Nein verdammte Hacke, können Sie nicht…“ Aber das denke ich mir nur. Schweige ein wenig. „Mondkind bitte - nicht lügen, deshalb sind wir hier“, raunt es auf dem Off. Mein Schweigen animiert den Therapeuten hinterher zu schieben: „Also… - ich würde mir jetzt auch den Aufwand mit Ihnen machen, zur Notaufnahme zu gehen.“ Jetzt springen sämtliche Alarmglocken an. Bei mir.            
Manchmal hoffe ich, dass Therapeuten Antworten sehen können. Was natürlich nicht geht. Aber warum sollte mein katastrophendenkendes Hirn, das sich den möglichen Konsequenzen dieser Frage bewusst ist, jetzt anders reagieren, als bei der Klinikfrage? Ich höre mich lachen: „Ich glaube, das wäre jetzt doch etwas… übertrieben“, gebe ich zurück. „Dann haben Sie jetzt vorerst erstmal eine Entscheidung getroffen“, sagt er dazu. Wie weh dieser Satz in dem Moment tut…     
Die Sache mit der Notaufnahme wäre wahrscheinlich die beste Lösung gewesen. Ich hätte ja sogar einen Sprecher dabei gehabt. Ich hätte nichts machen müssen - was halt in so einem desolaten Zustand immer sehr gut ist. Das war damals, zu Klinikzeiten, auch ganz angenehm, als ich in ungefähr dem gleichen Zustand vor ihm saß, das aber zugeben konnte. Immerhin war ich ja ohnehin schon in der Klinik; viel kaputt gehen konnte nicht mehr. Dann sind wir gemeinsam hoch getingelt, saßen gemeinsam auf den Stühlen vor dem Arztzimmer und er hat das alles erklärt. Ich musste mich nicht nochmal mit meinem schreienden Hirn da durchfuchsen.
Warum habe ich ihm nicht erlaubt, das zu machen? Dann wäre ich jetzt wenigstens sicher und müsste keine Angst mehr haben… Dann wäre dieses Leiden vielleicht ein bisschen weniger. Ich hätte ihm doch wenigstens sagen können, was mir zu der Frage durch den Kopf geht. Obwohl er sie dann vermutlich solange wiederholt hätte, bis er ein eindeutiges „Ja“ oder „Nein“ gehabt hätte.       
Warum können wir dieses Gespräch nicht nochmal führen… ? Was habe ich mir denn dabei gedacht…? Wahrscheinlich nicht mehr viel, so platt wie ich bin. Das ist dann immer das Problem – verstecken in alten Mustern wird dann noch populärer, als es das ohnehin schon ist. Jegliche Rebellion verschwindet irgendwo. Vielleicht kann man die ganze Nummer ab einem bestimmten Punkt nicht mehr retten.


Weil es so schön ist... - nochmal die Stationskatze...


***
Irgendwann zwischendurch. Gespräch mit meiner Mutter. Der mindestens 1000ste Versuch ein basales Verständnis für psychiatrische Krankheiten zu generieren. Es geht um die Angststörung einer Person in der Umgebung.     
„Also Mondkind, die hat doch bisher in ihrem Leben nichts auf die Reihe bekommen. Und sogar vom Staat die Wohnung finanziert bekommen. Und dann erzählt sie, dass sie irgendwelche ominösen Ängste hat (meine Mutter unterstreicht das mit einer ausladenden Handbewegung), wenn sie auf die Straße geht. Also das erscheint mir komisch.“       
Ich koche schon wieder innerlich. Hat das Sinn auf solchen Grundlagen zu diskutieren… ?

***
Donnerstag. Auf der Wiese. Am Fluss. Mit der Freundin   .
„Weißt Du Mondkind, wenn ich Dich so anschaue, dann gehen bei mir alle Alarmglocken an…“          
„Naja…“, gebe ich nur zurück.         
„Weißt Du Mondkind, ich habe mein halbes Leben in Psychiatrien und Wohngruppen verbracht. Ich habe viel gesehen. Und es gibt zwei Sorten von Menschen. Die einen drehen – wenn es Ihnen schlecht geht – richtig auf. Klingeln einen mitten in der Nacht aus dem Bett und sagen einem, dass sie sich umbringen wollen.“ „Das werde ich nicht machen“, werfe ich ein. „Eben, das wirst Du nicht machen“, sagt sie. „Aber eigentlich wäre mir das lieber, wenn Du das machen würdest. Weil diese Menschen; da muss man sich dann drum kümmern, aber man kann sich relativ sicher sein, dass man da noch früh genug was retten kann. Aber Du… - Du sagst einfach nichts und machst dann irgendwann. Was hast Du denn Deinen Therapeuten erzählt, wie Du geplant hast, dass es hier weiter geht…?“, fragt sie. „Naja – nichts Konkretes“, gebe ich zurück. „Ach Mondkind, Du musst doch ehrlich sein“, sagt sie. 
„Mondkind, was war denn da jetzt genau der Plan…?“, fragt die Freundin nach einer Pause.

„Naja… - alle Hoffnungen lagen eigentlich auf Herrn Therapeuten ehrlich gesagt…Dass er mir ein bisschen mit dieser Klinikentscheidung hilft. Ich meine… - eigentlich weiß wahrscheinlich jeder, dass es richtig wäre, aber ich kann die Entscheidung nicht treffen. Ich würde mich so fertig dafür machen, das würde ich nicht aushalten.“ 
„Und das hat nicht funktioniert…?“
„Nein, hat es nicht. Ich kenne ihn ja noch nicht so wahnsinnig lange. Er hat da sehr eindeutig seine Grenzen; die haben wir im letzten Gespräch mal abgesteckt. Ich habe ihm sogar erklärt, wie es jetzt laufen müsste. Was die einzige Chance wäre, die wir hätten. Halt so halb über meinen Kopf, wie 2017. Ich erzähle das ja sehr ungern, wie das gelaufen ist, aber ich habe es mich sogar getraut. Und dann hat er gesagt, dass er das nicht tun wird. Und dann war eigentlich schon klar, dass die Fahrt hier hoch nicht so sinnvoll war.“       
„Und was machst Du jetzt…?“        
„Verzweifelt sein…? Ich meine… - nicht nur, dass das jetzt nicht geklappt hat und das einfach wahnsinnig viel Aufwand war – ich weiß jetzt einfach nicht mehr, was ich machen soll. Ich habe wirklich alles gemacht, das ich tun konnte. Selbst so Dinge, wie eben hierher zu fahren, oder mit dem Chef zu reden. Weißt Du, wie viel Kraft das alles gekostet hat, die eigentlich schon nicht mehr da war? Ich kann diese Entscheidung nicht treffen, weil ich dann das Gefühl habe, dass ich mein Leben freiwillig und eigenverantwortlich komplett vor die Wand fahre. Wie gesagt – manchmal glaube ich, dass das schon ein bisschen wahnhafte Züge hat, aber für mich ist das meine Realität. Das, was die da von mir wollen, kann ich einfach nicht machen. Und so kann offensichtlich keiner mehr etwas machen, weil die mir sagen, dass sie mir auch nicht helfen können und alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben und wir kommen absolut nicht mehr hin und her.“

***



Warten auf dem Bahnhof... - irgendwie immer noch erstaunlich "normal"...
Früher, als ich noch ständig gependelt bin, kannte ich die Bahnverbindungen teilweise auswendig und wusste genau, wo ich hinrasen musste, wenn irgendetwas Verspätung hatte oder ausgefallen ist, um die schnellstmögliche, alternative Verbindung zu bekommen.

Auf dem nächsten Telefonat mit Herrn Psychiater liegt jetzt übrigens wahnsinnig viel Druck. Ich denke, ich werde ihn Dienstag versuchen anzurufen, da haben wir noch den Mittwoch vor dem Feiertag, falls es nicht gelingt ihn an dem Tag zu sprechen und das ist ja immer etwas schwierig.
Die Frage ist nur: Was mache ich daraus? Höre ich mir seine Medikamenten – Idee an und versuche das anschließend zu besorgen? (Er hat angeregt, dass ich mich doch jetzt endlich mal um den Arztausweis kümmern soll – auch so eine Sache auf der To – Do – Liste, die da seit sieben Monaten steht…) Oder unternehme ich einen ernsthaften Versuch ihm zu erklären, wie die Lage ist? Völlig davon überrascht dürfte er jetzt auch nicht sein; er war auch der Einzige, mit dem ich während des Aufenthaltes in der Klinik über die schief gegangene Übernachtung geredet habe. Das heißt, dass es grundsätzlich Thema ist, weiß er. Aber dann haben wir wieder das Problem, dass er in der Studienstadt sitzt und ich im Ort in der Ferne – und genau deshalb war ich ja eigentlich in die Studienstadt gefahren. Mein Glück bei der ganzen Aktion könnte sein, dass er – egal was ich ihm sage – immer sehr besonnen reagiert. Blöd ist die Situation trotzdem, vor allem, weil ich für ihn ja Zusatzarbeit bin, das eigentlich eine kleine Nettigkeit am Rand ist und ich da im Prinzip nicht das Recht habe, so einen Aufstand zu veranstalten. Befinde ich jedenfalls. Aber wie bereits gesehen - viele Möglichkeiten habe ich nicht mehr.

Heute passiert hier nicht mehr viel. Ich werde mich jetzt mit einem dicken Pullover, einer Wolldecke und Therapeuten – Tee auf das Sofa verziehen. Eigentlich hätte ich eine Menge Neuro lesen müssen, aber das hat absolut keinen Sinn im Moment.
Heute Abend werde ich das Hirn vielleicht mal ein bisschen mit Bedarfsmedikation ruhig stellen. Viel habe ich davon nicht mehr; ich muss echt sparsam sein. Aber nach dieser Woche… - habe auch ich glaube ich mal ein winziges Bisschen Ruhe verdient.
Und morgen steht dann Einkaufen, Haushalt, Wäsche, Handy und Neuro lesen auf dem Programm. Und hoffentlich nicht durchdrehen am Wochenende. Es wird wahrscheinlich Eines der Schweren. Weil es eben so absolut keine Perspektive mehr gibt. Das muss man erstmal aushalten.

Da es Nachschub gab, darf ich mir heute mal einen dieser besonderen Tees machen...


Mondkind

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