Ambulanzbesuch
12:38
Uhr.
Mondkind
sitzt im Labor. Tippt diesen Blogeintrag einfach mal mit dem Labor – PC, weil
sie ihren eigenen Laptop zu Hause gelassen hat, um nicht mehr Sachen als nötig
überall zu verstreuen, die andere Leute für sie würden einsammeln müssen.
Sie
muss jetzt schreiben. Jetzt sofort. Einfach irgendwohin mit dem Druck. Sie
könnte natürlich auch in ihre WG fahren und es dort machen, aber sie will
gerade nicht alleine sein. Wenigstens ist hier noch bis 16 Uhr jemand.
Sie
hatte es tatsächlich ein bisschen vorbereitet.
Hatte
gestern Abend noch Klamotten auf einen Stapel gelegt, einen Zettel geschrieben,
dass man bitte ihre Zahnbürste nicht vergessen solle und ganz wichtig – ihren
Laptop zum Tagebuch schreiben – und erwähnt, dass man die Melone und die
Bananen die bei ihr noch liegen, mitnehmen dürfe.
Es
ist noch früh, als sie ins Labor fährt. Den ersten Kaffee trinkt. Vielleicht
ist das nicht unbedingt die beste Idee, wenn das Herz ohnehin schon bis zum
Hals schlägt.
Sie
schaut sich ein paar Präparate im Mikroskop an, aber sie hat keinen Kopf für
die Doktorarbeit.
Mondkind
geht noch einen Zettel für die Therapie – Stunde drucken, ehe sie sich im
schönsten Sonnenschein auf den Weg in die Ambulanz macht.
Während
sie wartet, hört sie das Tippen von Fingern auf einer Tatstatur. Die Zimmertür
ihrer Therapeutin steht offen – wahrscheinlich ist sie es. Ein bisschen Ruhe in
ihr, obwohl ihr Herz wie verrückt schlägt. Wegpunkt erreicht. Endlich. Ein paar
Minuten später klappern Absätze durch den Raum und den Flur hinab. „Hallo Frau
Mondkind“, wird sie begrüßt.
Mondkind
hat vor, alles nicht zu lange aufzuschieben und sofort Nägel mit Köpfen zu
machen. Sie erwähnt, dass sie einen Zettel dabei hat. Leider hat die
Therapeutin auch ihre Mail zwischen den Examenstagen ausgedruckt und vor sich
liegen und erklärt, dass zwei Zettel jetzt doch ein bisschen viel sind.
Blöderweise
hatte Mondkind die Mail geschrieben, bevor ihre Oma ihr drei Mal selbst
vehement erklärt hat, dass sie davon ausgeht, Mondkind Samstag zu sehen. Und
auch bevor ihr Vater ihr gesagt hatte: „Wenn Du nicht nach {xy (PJ – Ort)}
gehst, ziehe ich Dir die Ohren lang.“ Und bevor ihre Schwester erklärt hat,
dass sie sich jetzt vielleicht bald das erste Mal seit einem Jahr mit ihrem
Vater trifft und Mondkind ihr das nicht antun kann, auf der Zielgeraden alles
kaputt zu machen.
Mondkind
erklärt, dass sie unfreiwillig zur Zielscheibe geworden ist. Dass da ganz viele
Leute aus ihrer Familie sind, die Erwartungen, Anforderungen und Ziele haben
und sie dadurch so eingeengt ist, dass sie gar nicht mehr weiß, was sie tun
soll.
Es
ist ein zähes Gespräch. Immer wieder versucht Mondkind einen Fuß vor den
anderen zu setzen. Ihrer Therapeutin irgendeinen Strohhalm zu geben, den sie
hoffentlich greift. Manchmal schweigen sie minutenlang, weil Mondkind einen
Satz anfängt und ewig braucht, um ihn zu Ende zu sprechen – oder ihn auch gar
nicht zu einem Ende bringt.
Sie
erklärt, dass sie schon seit letzten Donnerstag – seit dem letzten Tag der
Prüfung nicht mehr wusste, wiesie überhaupt die Zeit bis Mittwoch überbrücken
sollte und es nur ging, weil sie so viel mit dem Haushalt zu tun hatte. Wenn
dann noch Zeit übrig geblieben ist, ist sie ins Labor gefahren, weil sie sich
selbst einfach gerade nicht aushält.
„Es
ist schwierig“, fängt sie mindestens zum fünften Mal in dieser Stunde an.
„Für
mich war das Examen immer so… das Zielschild. Dieses: „Bis dahin musst Du noch
gehen und dann ist es einfach mal vier Wochen egal was passiert“, erklärt sie.
„Und es gibt einfach so viele Dinge, über die ich gerne reden würde – möglichst
auch noch bevor ich ins PJ gehe.
„Mit
Ihrer Familie?“, hakt sich die Therapeutin ein.
„Nein,
eigentlich mehr oder weniger mit Ihnen“, erläutert Mondkind. „Aber ich habe
einfach das Gefühl, dass es da Themen gibt bei denen die Gefahr besteht, dass
mir die Kontrolle über die Situation dann doch durch die Finger gleitet. Und
ich habe ja auch eine Verantwortung meiner Schwester gegenüber. Ich habe ihr
versprochen, dass ich ihr schreibe, wenn ich hier mit dem Ambulanz durch bin,
damit sie beruhigt ist...“
Dieser
Absatz hat Mondkind bestimmt fünf Minuten kostet.
Aber
ihre Therapeutin schnallt das einfach nicht. Mondkind hat doch nun schon die
Steilvorlage geliefert. Warum fragt sie nicht? Warum fragt sie nicht nach
diesen Themen, über die Mondkind gern reden würde, aber es einfach nicht
schafft. Wieso drängt sie Mondkind nicht in irgendeine Ecke und lässt sie dort
so lange stehen, bis Mondkind es ausgesprochen hat?
„Ich
glaube, es wäre einfach gut, wenn ich alle Themen ansprechen könnte und wir
dann gemeinsam überlegen könnten,wie es am Besten weiter geht. Ich würde halt
gern den Druck von mir nehmen“, erklärt Mondkind.
„Das
wäre gut“, sagt ihre Therapeutin dazu nur.
Mondkind
versucht es noch einmal. Versucht diesen einen Satz zu sagen, der da in ihr ist
und tonnenschwer wiegt. Sie kann es nicht.
Sie
kann nicht in vollstem Wissen ein Erdbeben auslösen.
„Also
Frau Mondkind – Sie können das alles selbst entscheiden und es gibt für alles
Lösungen.“
„Es
gibt nicht für alles Lösungen“, gibt Mondkind zurück.
Das
wird so einfach nichts.
„Wann
sehen wir uns denn wieder?“, fragt sie, als der Zeiger auf der Uhr der 12 immer
näher rückt.
„Freitag“,
gibt Mondkind zurück. „Wie war das – haben Sie da vorher noch einen Termin beim
Arzt?“, fragt sie.
Mondkind
bejaht das und hofft, dass er denn wenigstens fragt. Zwar wird die Zeit dann
langsam mehr als knapp – schon über eine Woche hat sie dann seit dem Examen
verloren – aber vielleicht nimmt es diese tonnenschwere Last von ihr.
„Also
der Arzt ist im Moment krank“, erklärt die Therapeutin. „Vielleicht haben wir
bis dahin Ersatz, aber ansonsten sehen wir uns ja...“
Nein…
- das kann einfach nicht sein. Wenn die Frage bei einem Fremden kommt, auf die
sie schon so lange wartet, fällt es Mondkind unendlich schwer etwas dazu zu
sagen. Aber sie wird es versuchen müssen. So sie Ersatz haben und der Ersatz
fragt.
„Und
ansonsten müssen wir vielleicht doch noch einen Termin in der Woche danach
machen“, kündigt ihre Therapeutin an.
Wie
will sie das denn jetzt machen? Will sie Mondkind alle zwei Tage einen Anker
aufstellen, damit es irgendwie geht?
Mondkind
ist verzweifelt. Erstmal heißt es jetzt wieder bis Freitag zu stehen. Neues
Zielschild. Der Weg ist nicht so weit. Aber im Moment doch weit genug. Der Plan
mit „nach dem Examen ist es erstmal vorbei“ geht nicht auf. Es ist nicht
vorbei. Nie.
Sie
wird das mit ins PJ schleppen. Und ob sie es dann acht Monate tragen kann, weiß
sie nicht. Sie hat immer gehofft, dass sie noch ein paar Dinge klären können.
Dass sie vielleicht ihre Sichtweisen und Einstellungen ein wenig ändern
kann.
Sie
hat immer gehofft, dass das nie so bedrohlich wird. Dieser Gedanke: Vielleicht
kommst Du nie wieder hoch, weil es zwischendurch einfach nicht mehr geht.
Aber
je mehr Zeit verrinnt und je mehr Mondkind von ihrer Familie dazu gezwungen
wird im Interesse des Familiensystems zu handeln, desto mehr hat sie das
Gefühl, dass es so enden wird. Sie kann das nicht mehr tragen. Auf jeden Fall
wird sie alles was sie sich zurecht gelegt hat, mitnehmen.
Hoffen,
dass sie die Zeit irgendwie durchstehen wird. Vielleicht werden es ein paar
Monate sein, die sie doch umsonst verlebt hat, ehe es dann deutlich wird, dass
es nicht mehr geht. Aber dann hat sie zumindest noch versucht, es irgendwie
anders zu machen.
Mondkind
P.S.
Bild von heute kommt noch… das Handy und unser hochmoderner apple – PC vertragen
sich nur leider nicht…
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