Fast geschafft...
Früh morgens.
Der Wecker hat noch nicht geklingelt, als Mondkind wach wird. Mittlerweile
ist aus dem Winter endgültig ein Frühling geworden. Die ersten Sonnenstrahlen
fallen auf ihr Bett.
Es ist ein bisschen wie damals. Nur dass damals aus dem Herbst ein
Winter geworden ist.
Der Weg Richtung Uni. Das Fahrrad vor dem Labor abstellen. Die
Schlüsselkarte aktivieren. Das erste Mal seit langer Zeit. Ein vertrautes
Klicken, als sich die Labortür öffnet.
Der MTA springt von seinem Stuhl hoch. Nimmt Mondkind ganz fest in den
Arm. „Herzlichen Glückwunsch Mondkind.“
„Willst Du einen Kaffee?“, fragt er. „Och ja – wieso nicht?“,
entgegnet Mondkind.
Und bevor sich jeder seiner Arbeit widmet, sitzen sie zusammen und
trinken den ersten Kaffee des Tages.
Mondkind holt ihre Unterlagen von der Grafikerin ab und verstaut sie
zusammen mit dem Laborbuch in ihrem Fach. Morgen muss sie sich mal damit
auseinander setzen, wie sie jetzt weiter macht.
Der Weg in die Heimat.
Bahnhöfe. Wie lange war das Alltag? Schauen, wie die Züge fahren,
welche Verbindung die Schnellste ist, welcher Zug wie viel Verspätung hat und
ob sie gerade deshalb eine Verbindung findet, die sonst gar nicht existiert.
Sie läuft den Berg hinauf in die Siedlung, in der ihr Elternhaus
steht. Noch in Schulzeiten war auch das Alltag. Das kleine bisschen Ruhe, das Mondkind am Tag
geblieben ist. Die einzigen 20 Minuten des Tages, in denen sie ihre Gedanken
ein wenig ordnen konnte.
Da ihre Mutter arbeiten ist, sind heute Morgen nur Mondkinds Schwester
und die Meerschweinchen im Haus. Während Mondkinds Schwester eine Hängematte
für die Meerschweinchen zusammen baut (Mondkind fragt sich ja ein bisschen, wie
lange die Heu(!)matte halten wird, bevor die Meeris verstehen, dass die durchaus essbar ist… ;) ),
pflegt Mondkind die Blogeinträge der vergangenen Wochen in ihr Tagebuch ein.
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Meeris kuscheln... 💕 |
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Ist da jemand... - misstrauisch ? |
Gegen Nachmittag machen sich ihre Schwester und Mondkind auf den Weg
zum Zahnarzt. Mondkind fühlt die Anspannung nicht so richtig, aber ihr Magen
dreht sich halb um. Das ist Zeichen genug. Und schlimmer als vor dem Examen.
Sie hasst es, wenn ihr der Geruch der Praxis entgegen weht und sie
möchte auch möglichst wenig Privatgespräche führen müssen, sondern die Sache
einfach nur möglichst schnell über die Bühne bringen. Sie versucht zu
verbergen, dass ihre Hände zittern.
Aber diese Zeit, vor der Mondkind seit Januar Angst hatte, ist nicht
mal fünf Minuten lang. Es gibt keinen medizinischen Grund für Mondkinds
Zahnschmerzen. Außer vielleicht den Stress. Aber da ist der Zahnarzt der falsche
Ansprechpartner… - offensichtlich. Er kann nichts für seinen Job, aber Mondkind
fühlt sich in seiner Gegenwart unwohl.
Wie viele Nachmittage ist Mondkind unnötig die Wände hochgegangen,
weil es sie so verrückt gemacht hat? Aber das ist jetzt egal… - Hauptsache, es
ist nichts Schlimmes.
Mondkind und ihre Schwester gehen anschließend noch ein Eis in der
Fußgängerzone ihres Heimatdorfes essen. Mondkind weiß nicht, wie lange sie hier
schon nicht mehr gesessen hat. Sie ist froh, dass sie heute alleine mit ihrer
Schwester unterwegs ist – so können die beiden ein paar Gespräche nachholen,
die sie in der Vergangenheit nie geführt haben.
Es fühlt sich auf eigenartige Weise fast ein kleines bisschen
friedlich an, wie Mondkind da sitzt, ihre Schwester ganz nah bei ihr, die
beiden bei vielen Worten über den Alltag ihr Eis löffeln und die Sorgen für einen Augenblick ein wenig zur Seite gedrängt werden.
Kaum sind sie wieder auf dem Berg und im Haus angekommen, klingelt das Telefon - und Mondkinds Mutter ist mittlerweile ebenfalls zu Hause, sodass auch jemand ans Telefon geht und es weiter reicht. Mondkinds Oma ist in der Leitung. Sie wiederholt nochmal, dass sie Mondkind gern am Samstag sehen würde. Und Mondkind wiederholt, dass sich erst im Lauf der Woche heraus stellen wird, ob das möglich ist.
Aber selbst, wenn es Mondkind möglich ist, würde sie es gerade nicht wollen. Vielleicht in ein oder zwei Wochen. Aber eben nicht jetzt. Jetzt braucht sie Ruhe. Zeit, alles zu verarbeiten.
Aber das stößt auf taube Ohren, wird überhört. Nicht für voll genommen. Warum sollte man auch eine Mondkind ernst nehmen? Und warum sollte es überhaupt um Mondkind gehen?
Auf dem Heimweg hat die Bahn mal wieder an allen Ecken Verspätung und
sie kommt wesentlich später in ihren vier Wänden an, als sie das ursprünglich
vorgehabt hatte. Aber es stresst sie weniger als sonst. Das erste Mal seit
langer Zeit wartet kein Lernplan zu Hause, von dem jede Minute Verlust eine
Minute zu viel ist.
Während sie ihre Wäsche zusammen faltet und die letzten Zettel der
vergangenen Wochen vom Boden räumt und damit endgültig Ordnung entsteht wird
ihr klar, dass sie es fast geschafft hat.
Wegpunkt beinahe erreicht, der so lange rot in ihrem Kalender angemalt und unendlich weit weg war. Es kann eigentlich nicht mehr viel schief
gehen.
Was sie aus dem Termin morgen macht, weiß sie immer noch nicht. Es
macht sich langsam ein unangenehmes Grummeln in ihrer Magengrube breit. Will
sie es wirklich riskieren, ehrlich zu sein?
Allerdings vertraut sie ihrer Therapeutin hundert prozentig. Ob das
gerechtfertigt ist, weiß Mondkind nicht. Denn wenn der worst case eintritt und
Mondkind in die Klinik verfrachtet wird, hat die Therapeutin nichts mehr damit zu tun, ob Mondkind es ins
PJ schafft oder nicht - wahrscheinlich bekommt sie es nicht mal mit. Und ob nicht auch ihr Gedanke erstmal ist, Mondkind aus dem Gefahrenbereich zu bringen und sie dem PJ eine geringere Priorität einräumt? Vielleicht sagt sie Mondkind nur, dass sie es hinbekommen mit dem PJ und es "für alles Lösungen gibt", damit Mondkind zumindest in irgendetwas einwilligt.
Aber sie würde über gewisse Dinge einfach gern reden. Den Druck von
ihren Schultern nehmen. Und ab Ende der Woche – wenn sie dann nicht mehr für
Mondkind zuständig ist – wird es lange dauern, bis Mondkind wieder einer Person
so sehr vertraut, dass das möglich sein wird über die Dinge zu reden.
Vielleicht fragt ihre Therapeutin einfach mal konkret – das wäre
tatsächlich am Einfachsten; aber auch das erste Mal.
Alles Liebe
Mondkind
P.S. sollte es hier die nächsten Tage ruhig werden, wisst Ihr
Bescheid. Dann habe ich kein Internet mehr und versuche woanders, das Grau von
den Tagen zu nehmen.
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