Nach dem Examen...


Die Zeit nach dem Examen.
Mit Vollgas vor die Wand.
Es war ja abzusehen…

Schockstarre.
Mondkind macht gar nichts mehr.
Sie müsste sich um die Vermietung des Zimmers kümmern, sie müsste ihrem Oberarzt vom PJ mal schreiben, die müsste Kisten organisieren, packen, sich um die Wohnung im PJ kümmern.

Erstmal denkt sie nur bis nächsten Mittwoch. Die Zeit bis dahin irgendwie zu überbrücken ist schwierig genug. Sie hat es so geplant, dass sie jeden Tag zumindest eine Sache zu tun hat und vor die Tür kommt.
Aber wenn man mal ehrlich ist… - was soll denn da am Mittwoch passieren?
Es ist der vorletzte Termin bei ihrer Therapeutin. Auch das ist eine Sache, die sie noch nicht an sich heran lässt. Nächste Woche um diese Zeit wird sie hier sitzen und dann sind das alles nur noch Erinnerungen. Erinnerungen, durch die sie zwar quer hüpfen kann, aber sie werden sich nie mehr wiederholen. Diese Stunden, in denen Mondkind einfach ein bisschen getragen wurde. Dieser kurze Augenblick, in dem die Fußspuren eines anderen Menschen ihren Weg kreuzen, ein paar wenige Schritte parallel zu ihr laufen, um dann in eine andere Richtung weiter zu gehen.
Es ist halt irgendwie das System. Mondkind wird das wahrscheinlich mit jedem Menschen passieren, der sich ein bisschen für sie einsetzt. Auch wenn es „nur“ im Rahmen ihres Jobs war, aber das blendet Mondkind dann gern mal aus.
Dieser eine Nachmittag an dem Mondkind völlig überfordert war, die Therapeutin Mondkind angerufen hat und die beiden anschließend zwei Stunden zusammen saßen – den wird sie wohl so schnell nicht vergessen. Allein, dass sie sich so unvermittelt Zeit genommen hat, hat Mondkind so tief berührt.
Es wird Zeit brauchen. Viele Monate. Wahrscheinlich wird es unfassbar viele seitenlange Tagebucheinträge geben, in denen sie das irgendwie versucht zu verarbeiten. Diesen Verlust von diesem Menschen, der so weit mit ihr gegangen ist und plötzlich einfach nicht mehr da ist.
Mondkind weiß gar nicht, ob sie sich so schnell nochmal auf einen neuen Therapeuten einlassen möchte. Es ist halt immer wieder dasselbe. Mondkind weiß, dass es irgendwann kommt, hat schon jahrelang Angst davor und bisher waren diese Löcher in denen solche Personen gegangen sind, die Schlimmsten.

Und manchmal fragt sie sich hinterher, ob sie ihr Leben nicht an einer Illusion aufgehangen hat. Wie oft hat ihr die Ambulanz einfach das Überleben gesichert? Dadurch, dass sie ihr ermöglicht hat in winzigen Etappen zu denken, sich einfach nur von Punkt zu Punkt zu hangeln.
Aber am Ende ist Mondkind eine von vielen roten Akten mit einer Nummer. Und ob es irgendjemanden persönlich interessiert, ob Mondkind in ein paar Wochen ins PJ startet oder nicht, ist mal sehr fraglich.

Und dann ist die Frage, was sie aus dem Termin am Mittwoch macht. Im Moment machen alle ihr Befinden und ihr Verhältnis zueinander wieder von den Handlungen Mondkinds abhängig. Sie ist nie nur für sich selbst verantwortlich. Auch die anderen tragen die Konsequenzen ihres Handelns.
Gestern war sie mal kurz in der Heimat und schon bevor sie kam hatte ihre Oma unzählige Male dort angerufen. Kaum war Mondkind angekommen hatte sie ihre Oma dann an der Strippe, die gefordert hat, dass Mondkind am Samstag einmal quer durch Deutschland fahren solle, um sie zu besuchen. 

Missed them a lot... 💕💕



Leider geht es dabei relativ wenig um Mondkind selbst. Es geht um das System Familie, das bitte nicht zusammen brechen soll und dessen Wohl man über die Interessen Mondkinds stellt.
Mondkind hat gerade ganz andere Sorgen.
Es ist erstaunlich, wie sehr Stress einen Körper kaputt machen kann. Erstmal muss Mondkind den Zahnarzttermin am Dienstag absolvieren und aufgrund dessen zickt ihr Körper (neben den Zähnen) schon jetzt so sehr herum, dass sie kaum noch in der Lage ist zu essen oder zu schlafen. Und dann geht es ja auch nicht nur um den Termin selbst, sondern auch darum, dass ein eventuell nötiger Folgetermin das Projekt „Ehrlichkeit in der Ambulanz“ wieder killen würde, weil ihr ja keiner versichern kann, dass ihre Aussagen nicht in der Klinik enden und sie von da aus noch vor dem PJ ihre Zähne in Ordnung bringen lassen kann.
Dann hat sie sich auch noch eine Fußheberschwäche eingefangen, die sich derzeit auch nicht bessert. Das muss auch möglichst zeitnah geklärt werden, auch wenn Mondkind sich mittlerweile etwas beruhigen konnte, dass es wahrscheinlich nicht so schlimm ist, auch wenn der Schock tief saß.

Und wenn der Dienstag dann reibungslos über die Bühne gebracht werden konnte hat sie in der Ambulanz zwei Möglichkeiten. Sie könnte mit offenen Karten spielen. Erklären, dass sie einige Dinge in den letzten Wochen hat unter den Tisch fallen lassen. Erzählen, dass sie eigentlich nicht ehrlich sein kann, weil das definitiv familiäre Konsequenzen nach sich zieht und sie es nicht verantworten kann, dass alle anderen die Konsequenzen ihres Handelns mittragen. Sie kann fragen, warum die Menschen wohl morgens aufstehen und tun was zu tun ist, weil sie das derzeit alles überhaupt nicht versteht und als absolut sinnlos empfindet. Und laut darüber nachdenken, ob es nicht nochmal ein paar Wochen Klinik bringen könnten, um in diesem Nebel in ihrem Kopf vielleicht doch noch ein paar Sonnenstrahlen zu finden, die sie dann eventuell Tätigkeiten gefühlsmäßig differenzieren lassen, sodass sie eventuell in der Lage ist überhaupt Dinge tun zu können, die ihr gut tun.
Alternativ könnte sie erläutern, dass sie alles im Griff hat und dadurch den Familienfrieden sichern.

Und dann ist nächsten Freitag die letzte Stunde bei ihrer Therapeutin – oder zumindest die letzte Stunde, in der die beiden alleine sind. Ihre Therapeutin hatte ja angeboten, dass sie eventuell bei dem neuen Therapeuten nochmal mit dazu kommen könnte.
Da kann sie doch nicht einen Tag später die fröhliche Enkeltochter abgeben. Für viele mag das keine große Sache sein, aber für Mondkind bricht da halt eine Welt zusammen. 

Und wenn das alles durch ist, dann braucht sie einfach nur Ruhe. Viel Zeit für sich. Tage, an denen sie nicht jeden Tag Verpflichtungen hat und Dinge zwingend erfüllen muss. 

Mondkind möchte sie einfach nur überspringen – diese nächsten Tage. So weit, bis sie an dem Punkt ist, an dem sie sicher ist. An dem sie nochmal für einen Augenblick stehen bleiben und tief Luft holen darf, um dann irgendwie die nächsten acht Monate zu überstehen. 

Mondkind

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