Tag 112 / 116 Herzen sind aus Glas...


Licht aus, Kopf an.
Oder so ähnlich.

„Haben Sie eigentlich Angst vor der Prüfung?“
Vielleicht war die Frage gar nicht so blöd, wie sie Mondkind vorkam. Natürlich hat sie sofort mit einem „Ja“ geantwortet. Automatismus – Mondkind war am Werk.
Vor der quasi wichtigsten Prüfung des bisherigen Lebens hat man doch Angst zu haben.

Aber es ist wirklich nicht die Prüfung.
Sie hat keinen Kopf dafür.

Sie weiß nur, dass ihr eine Woche später der wichtigste Stabilitätsfaktor wegbrechen wird - zu dem ganzen Chaos, das sich ohnehin ergeben wird.
Davor hat sie Angst.
Und das ist ein Thema, das sie auch mit niemandem mehr besprechen kann. Es war klar, dass es so kommt und seit Mitte 2015 hat Mondkind Angst davor. Geredet hat sie beinahe nie darüber und der eine Versuch, den sie gewagt hat, ist mal ordentlich nach hinten los gegangen.
Aber manchmal schaltet sich der Verstand aus und verdrängt, dass Dinge sich ändern werden.
Weil sie ihre Säulen nicht auf einen Betonsockel gestellt hat, sondern sie an einer Stelle aufgebaut hat, an die sie gar nicht hingehören. Dass der Untergrund sie nicht ewig trägt, hat sie erfolgreich verdrängt.
Dass der Erdrutsch nicht mal eine Woche nach dem Examen passiert, hätte sie nicht erwartet.
„Nach dem Examen wird alles besser…“ Wer hatte das doch gleich gesagt…?

Eigentlich ist sie froh, dass jetzt noch jetzt ist.
Von ihr aus könnte sie Zeit kurz stehen bleiben. Nur ein paar Wochen. Damit noch einen Augenblick lang alles so bleibt, wie es ist.

„Und vergessen Sie nicht, dass Osterferien sind. Schauen Sie nochmal nach, wie die Bahn fährt…“
Mondkind weiß nicht, warum es manchmal so Sätze gibt, die sie einfach so tief berühren.
Die eigentlich so normal sind, aber für sie doch so besonders.
Sie ist wie ein Schwamm. Nimmt die Momente auf und versucht die Stimmung im Anschluss in ihrem Tagebuch zwischen den Zeilen zu verewigen.
Damit sie springen kann. Die Momente immer und immer wieder durchleben kann. Diese Momente, in denen sie das Gefühl hat, dass da doch noch ein Herz in ihr ist, das noch nicht ganz erstarrt ist. Ein Herz aus Glas, das schon so viele Sprünge trägt, so oft wie mit ihm schon zu grob umgegangen wurde.
Und manchmal gibt es solche Menschen, die es einfach nur mit beiden Händen ganz vorsichtig einen Augenblick festhalten und auf es Acht geben. Die einen kurzen Moment warten; solange bis es wieder im Takt schlägt und es Mondkind dann zurück geben, damit sie sich wieder die nächsten Tage durchschlagen kann, ohne dass ihrem Körper der Sauerstoff fehlt.

Mondkind wird sie vermissen. Sehr sogar. Diese Augenblicke.
Und wenn die Zeiger aufhören würden sich zu drehen, dann würde Mondkind es auch ertragen ewig in der Examensvorbereitung gefangen zu sein, solange es diese Momente noch geben würde… 


Das kann ja morgen wieder ein Tag werden... wahrscheinlich wird sie halb schlafen über dem Schreibtisch. 
"Melden Sie sich, wenn etwas ist..." 
Es ist eine ganze Menge. Aber an nichts davon könnte irgendjemand gerade etwas ändern. 

Es wäre nur schön, wenn sie ihre Prioritäten zumindest bis nächsten Donnerstag ein wenig verschieben könnte. Was sie wohl denken wird in einer Woche? Wenn schon 2/3 des Examens vorbei ist. Sie hat alles getan, das sie tun konnte. Hat sich so viel Mühe gegeben und so viel Kraft in die Vorbereitung gesteckt, wie sie eben hatte.
Aber das heißt nicht, dass es alles war, das man hätte tun können.


Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen