Tag 116 / 116 Letzter Lerntag, Panik und ein Zeitsprung
So… - der letzte Lerntag ist fast geschafft – die letzten Punkte werde
ich gleich noch bearbeiten.
Ob ich jetzt wohl alles kann? Zwar habe ich eigentlich nicht bewusst
auf Lücke gelernt, aber manchmal frage ich mich, ob das so schlimm wäre. Es
gibt so viele Themen, in denen man sich nicht gut genug auskennen wird und
vielleicht gar noch nie etwas davon gehört hat – da machen es zwei oder drei
mehr, die man dann bewusst auslässt, vielleicht auch nicht. Naja…
Was lernt man so am letzten Tag? Fertig wird man glaube ich nicht.
Immer wieder fällt mir ein, dass ich dieses oder jenes nochmal durchgehen
könnte. Schlaganfall zum Beispiel wird am zweithäufigsten gefragt – statistisch
gesehen zumindest. Aber ganz im Ernst – wenn ausgerechnet ich mit meiner Neuro –
Vorliebe Schlaganfall nicht kann, ist etwas schief gelaufen. Da muss ich mir
jetzt einfach mal vertrauen.
Ich habe nochmal Rheuma wiederholt, bin nochmal viele Formeln
durchgegangen, habe die Randfächer nochmal ins Kurzzeitgedächtnis geholt und
bin nochmal das Examen aus dem letzten Herbst durchgegangen. Wenn das in den
nächsten Tagen mal nur annähernd so gut wird, wie das vom Herbst. Das war mit
mehr als 10 Prozent Abstand mein bestes Kreuzergebnis (Hätte ich es mal
mitgeschrieben…)
Ich habe wirklich Angst vor den Fragen zu sitzen und mir zu denken: „Mondkind
– hast hättest Du wissen müssen; das hast Du gefühlt 500 Mal gelesen…“
Obwohl es ziemlich viel Chaos war in letzter Zeit, muss ich ja mal
positiv anmerken, dass ich am Anfang wirklich nicht geglaubt habe, das so
rigoros durchzuziehen.
Ich habe ernsthaft an jedem von den 116 Tagen meine Nase in die Bücher
gesteckt und zumindest versucht zu lernen – auch wenn das nicht immer von
Erfolg gekrönt war.
Lernen hat dann heute zumindest mal bis zum frühen Nachmittag funktioniert.
Danach war Vollpanik angesagt – aber nicht wegen des Examens. Ganz im Ernst... –
so langsam wünsche ich mir, ich würde mich deshalb zumindest minimal stressen.
Das Medizinstudium bringt in mancherlei Hinsicht nicht immer nur
Vorteile mit sich. Mir ist heute ein Symptom an mir aufgefallen, das mich
erstmal in Schockstarre versetzt hat. Gemerkt habe ich es eigentlich schon die
letzten Wochen über ein wenig, aber ich habe es mal auf die Kälte oder
dergleichen geschoben. Das kann man jetzt eindeutig nicht mehr tun.
Im Prinzip ist ein einzelnes Symptom ja noch nicht schlimm. Wenn man
es allerdings damit in Zusammenhang bringt, dass meine Mama an einer Krankheit
leidet, die in seltenen Fällen und wenn sie verhältnismäßig früh auftritt,
vererbbar ist und man die Depression dazu nimmt, würde das Sinn ergeben. Es
wäre nicht der typische Verlauf, aber auch definitiv nicht undenkbar.
Das würde bedeuten, dass ich meine kompletten Zukunftspläne über den
Haufen schmeißen darf. Denn damit kann ich definitiv nicht auf der Neuro
arbeiten.
Ehrlich gesagt fällt es mir sehr schwer damit gerade irgendwie
umzugehen. Mein Gehirn fühlt sich komplett blockiert an, weil es mir so viel
Angst macht. Und jetzt über die Examenstage möchte ich auch nicht meine
Schwester damit nerven. Es reicht ja, wenn es mich fertig macht.
Es kann ja auch alles stressbedingt sein, allerdings wäre mein Körper dann schon ziemlich heftig im Stress, wenn das zu solchen Symptomen führen würde.
Es kann ja auch alles stressbedingt sein, allerdings wäre mein Körper dann schon ziemlich heftig im Stress, wenn das zu solchen Symptomen führen würde.
Ich habe mir heute ganz kurzzeitig überlegt, ob das wirklich eine gute
Idee ist, morgen Examen zu schreiben, wenn ich mich so gar nicht darauf
konzentrieren kann. Aber vielleicht mache ich aus einer Mücke auch gerade einen
Elefanten. Der Zusammenhang muss ja nicht gegeben sein und außerdem dürfte ich
mir den 100 – Tage – Lernplan dann nochmal antun. Wir haben drei Versuche. Wenn
der schief geht, habe ich immer noch zwei.
Ich versuche mich so gut es geht auf das Examen zu konzentrieren. Und
alles weitere auf Danach zu verschieben. Leider wird nur der Stapel für „Danach“
immer größer.
Ich weiß nicht, ob ich es schaffen werde und ob ich Lust und Kraft
habe, mich hier die nächsten Tage zu melden. Ich denke es könnte einige
interessieren, wie es denn läuft. Theoretisch könnten wir ja immer am Abend des
Prüfungstages schon die Ergebnisse nachschauen. Die sind zwar nicht offiziell,
treffen es aber meist ganz gut und wenn man nicht gerade eine Punktlandung
hingelegt hat, kann man davon ausgehen, dass man bestanden hat, wenn das laut
diesem inoffiziellen Lösungsschlüssel der Fall ist.
Wenn ich allerdings nicht das Gefühl habe neunzig Prozent gekreuzt zu
haben (was ich wohl eher nicht haben werde), werde ich erst am Ende der drei
Tage die Ergebnisse vergleichen. Klar könnte man so am dritten Tag eventuell
etwas gechillter sein, weil man schon (fast) sicher durch sein könnte, aber das
kann natürlich auch umgekehrt passieren und das ist dann eher nicht so lustig.
Auch nach dem Examen geht es hier direkt ziemlich stressig weiter.
Vielleicht ist das ganz gut – da habe ich nicht so viel Zeit zum Nachdenken.
Allerdings merke ich auch, dass ich langsam wirklich am Ende meiner Kräfte bin.
Ruhe wird frühestens ab nächsten Mittwoch in die Sache kommen.
Und wenn ich nächsten Mittwochnachmittag wahlweise mit einem Kaffee
oder einem Tee und dem Laptop auf dem Schoss auf meinem (!) Bett sitze, die letzten Wochen Revue passieren lasse, das
Examen bestanden habe, es bei dem einen Zahnarzttermin geblieben ist (sich vier
Monate wegen der Zähne verrückt zu machen, reicht eindeutig sowas von…) und
auch der Termin in der Ambulanz einigermaßen glimpflich abgelaufen ist, werde
ich echt drei Kreuze machen.
Im Moment kommt mir das alles ein bisschen unmachbar vor bis dahin.
Aber es wird schon irgendwie gehen… - einfach, weil es das muss. Und ganz nach
alter Manier: Es muss ja morgens erst mal nur aufgestanden werden, die Füße
müssen mich zur Tür hinaus in die Welt tragen und dann muss ich ja nur tun, was
eben zu tun ist und abends wieder ins Bett gehen.
Das kann nicht zu viel verlangt sein.
So bescheuert das auch klingt, aber es hilft wirklich so sehr, sich das
bewusst zu machen. Ein Schritt nach dem anderen – im wahrsten Sinne des Wortes.
Mondkind
P.S.
Und mal so nebenbei erwähnt: Was gibt es besseres, als wenn zum
Examenstag Streik im öffentlichen Nahverkehr ist? Da haben wir ja mal wieder
genau die richtige Konstellation erwischt würde ich sagen. Kopf --> Tischplatte
P.P.S.
Ich habe mal nachgesehen, was ich heute vor einem Jahr gemacht habe. Als
ich noch nicht wusste, dass sich das Examen noch verschieben wird und als mir
nicht klar war, dass genau in einem Jahr der letzte Lerntag ist.
Es war ja im Prinzip eine ähnliche Situation, wie sie es
jetzt auch ist.
Es war alles ungewiss. Ich wusste, es geht so nicht mehr
und gleichzeitig konnte ich mir nicht vorstellen, wie es anders gehen soll.
„Es ist so schwer, einfach mal Ja zu sagen. Einfach mal
loszulassen, zu vertrauen. Diesen Sprung zu wagen und zu schauen, was da
kommt.“
Es tut wirklich so weh, dass ich ein Jahr später immer
noch genau an demselben Punkt stehe.
Dass es genau dasselbe Problem ist.
Und ehrlich gesagt erwarte ich auch gar nichts mehr nach
so vielen Jahren. Wahrscheinlich stehe ich da nächstes Jahr wieder. Vielleicht
habe ich gerade das Studium zu einem Ende gebracht (irgendwann um den Mai herum
müssten mündliche Prüfungen sein – dann geht die Zählerei von vorne los) und
habe immer noch keine Ahnung, wie das alles weiter gehen soll. Und wie ich
langfristig zu einem Leben mit etwas mehr Lebensqualität komme.
„Trotz dessen, dass die Entscheidung noch nicht steht, habe
ich schon Vorbereitungen getroffen. Bücher gestapelt, die in die Bibliothek
gebracht werden müssen. Dann kann ich den anderen genau sagen, wo sie liegen,
wenn ich selbst nicht mehr dazu komme.
Ein Stück weit bin ich schon darauf eingestellt.“
Das hier ist ein sehr interessanter Aspekt. Es spiegelt
diese Zerrissenheit. Dieses Wissen, dass das einfach unglaublich erleichternd
wäre, sich zumindest mal kurzzeitig nicht mehr von Wegpunkt zu Wegpunkt hangeln
zu müssen. Aber es ist eben kein „Ja“, weil ich mir das eigentlich nicht
erlauben kann. Das Gefühl hat entschieden, der Verstand aber nicht.
Und im Prinzip ist es jetzt dasselbe. Ich regele alles
soweit es geht vor dem Ambulanztermin, arbeite die Termine ab, räume auf, mache
die Wäsche – damit ich mir zumindest die Voraussetzungen schaffe, ein bisschen
ehrlich sein zu können und das alles doch noch halbwegs „geordnet“ abläuft.
Damals war ich was dieses destruktive Denken angeht noch
nicht so weit; das war alles viel diffuser und unkonkreter, als es das jetzt
ist – weshalb ich auch nie ernsthaft erwartet hatte, von der Ambulanz direkt in
die Klinik gescheucht zu werden. Diesmal weiß ich, dass es theoretisch
passieren kann; da sollte es hier nicht aussehen, als hätten die Kobolde
gewütet – auch wenn das so Hals über Kopf definitiv nicht gewollt ist. Ich
würde den anderen nämlich allen erstmal gar nicht erzählen wollen wo ich bin und
außerdem möchte ich nicht, dass jemand für mich zwei Mal quer durch die Stadt
fahren muss, um Klamotten zu organisieren. Es gibt nämlich nur einen
Haustürschlüssel und den habe dann logischerweise ich.
Leute; das macht mich fertig – ehrlich. Das meint die
Therapeutin wahrscheinlich, wenn sie sagt, dass das nicht immer so positiv ist
alte Schriftstücke zu lesen.
Obwohl es mir gerade auch bewusst macht, was hier im
Hintergrund in meinem Kopf abläuft.
(So viel zum Thema „Machen Sie sich Gedanken, wie Sie den
letzten Tag vor dem Examen verbringen." Ich würde sagen, das ist mal fast 100 %
schief gegangen…wahrscheinlich werde ich diesen Tag beim nächsten
Ambulanzbesuch einfach mal nicht erwähnen...
Und ich glaube, an diesem chaotischen Blogpost heute kann
man erahnen, wie durch ich mit allem scheinbar bin...
Also wer in den nächsten drei Tagen zwischenzeitlich seine
Hände mal nicht braucht, kann mir ja mal die Daumen drücken...)
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