Tag 108 - 110 Lernplan und Gegensätze
Lernplan… nun ja, es ist erstaunlich, was man nochmal für Kräfte
mobilisieren kann, wenn es auf die Endphase zugeht. Die Tage gleiten hier ein
wenig aus dem Ruder.
Morgens funktioniert es meist ganz gut bis 15 Uhr, wenn mein Kopf dann
zu viel mit Denken und zu wenig mit Lernen beschäftigt ist. In den letzten
Tagen habe ich aber zwischen 20 und 23 Uhr nochmal eine ziemlich produktive
Phase. Ehe ich dann aber hier aufgeräumt und gespült, alles für den nächsten
Tag vorbereitet habe und unter die Dusche gehüpft bin, ist es allerdings nicht selten
nach Mitternacht.
Und den Wecker später zu stellen nützt eben auch nichts. Um kurz vor 6
Uhr bin ich wach. Allerdings wäre es eben auch blöd abends aufzuhören, wenn
gerade nochmal etwas geht.
Gegessen wird mal so zwischendurch
und ich befürchte langsam, dass das keine gute Idee ist, bleibt es eben
zu oft auf der Stecke. Aber da auch für Futterbeschaffungsmaßnahmen eigentlich
keine Zeit ist, passt das im Prinzip. Nur mein Körper findet es nicht so lustig
und quittiert das öfter mal mit Schwindel, wenn ich von meinem Stuhl hoch
springe, weil ich zu unruhig zum Sitzen bin.
Den Lernplan habe ich ein wenig über den Haufen geworfen. Bis spätestens
morgen Abend muss Pharma durch sein und die restlichen Tage werde ich dann
damit verbringen, mir in Innere nochmal alle gelben Kästen durch zu lesen.
Gelbe Kästen werden auch in Pädiatrie, Umwelt- und Arbeitsmedizin, klinische
Chemie, Epidemiologie, Urologie und in Ortho nochmal gelesen.
Und außerdem muss ich noch das Examen vom letzten Herbst zu Ende
kreuzen, aus den Falsch – Antworten ein Dokument erstellen und um das zu
drucken nochmal an die Uni fahren. Und weiterhin alle meine Notizzettel zu
falsch beantworteten Fragen durchgehen. Das bleibt immer auf der Strecke – da
ist noch viel zu tun.
Und da eine Freundin ausgerechnet nächste Woche ihr Bio – Abi
schreibt, mit Genetik nicht zurecht kommt und ich sie ja schlecht auflaufen
lassen kann, muss ich mich darum auch noch kümmern. Da werde ich wohl aus der
Bibliothek mal ein Bio- und ein Biochemie – Buch mitbringen. So ganz drin bin
ich da gerade auch nicht mehr…
Eigentlich habe ich ja gar keine Zeit dazu, aber naja…
Also man sieht… - straffer Plan für die letzten Tage und mein Hirn
würde mir helfen, wenn es mal ein paar Saltos weniger schlagen würde.
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Antibiotika... eher nicht so Mondkinds Lieblingsthema, aber in einer Woche muss es sitzen... 📝 |
„Und wenn das mit dem PJ alles nicht klappt… - was dann?“
„Dann finden wir auch eine
Lösung.“ Und nach einer kurzen Pause: „Es gibt für alles eine Lösung.“
In den Worten schwingt so ein
wahnsinnig ruhiger Ton mit, dass Mondkind ihr das für ein paar Sekunden sogar abnimmt.
Wobei – wie sich ein wenig später heraus stellt –
„wir“ ja wohl mal das völlig falsche Wort ist…
Überhaupt ist es eine komische
Stunde. Im positiven Sinn. Mondkind hat sie selten so… fürsorglich erlebt.
„Und in der Woche nach dem
Examen kommen Sie bitte auf jeden Fall“,
schärft sie Mondkind ein, wobei sie die letzten drei Worte ausdrücklich betont.
Und auch, dass sie ihr anbietet
nochmal gemeinsam mit dem neuen Therapeuten zu reden, wäre vor einem Monat noch
absolut undenkbar gewesen.
Mondkind weiß nicht, was da für
ein sonderbarer Wandel durch sie gegangen ist…
Sie läuft ihre Wohnung auf und ab.
„Mondkind, wie willst Du das denn alles machen?“, fragt es im Innen.
„Es gibt einfach so viel zu tun und zu organisieren und dann sind da
auch noch eine Menge Termine. Ob das mit dem Zahnarzt bei dem einen Termin
bleibt, ist ja auch mal die Frage – ansonsten bekommen wir ohnehin ein Problem.
Und Du musst die Doktorarbeit voran bringen – Du kannst doch nicht
schon wieder Deinem Doktorvater erzählen, dass Du keine Zeit hast.
Und Du musst das Zimmer untervermieten und mal wieder bei allen Leuten
vorbei schauen, die Du so lange nicht gesehen hast und die erwarten, dass Du
Dich jetzt mal meldest.
Und wie willst Du das denn mit dem PJ machen? Du kannst doch nicht –
nachdem Du dem Oberarzt erzählt hast, dass Du das Examen bestanden hast – was Du
ja so schnell wie möglich machen sollst – drei Wochen später erzählen, dass es
alles doch nicht klappt.
Und klar müssen sich die Befürchtungen nicht bewahrheiten, aber wenn
Du die Karten auf den Tisch legst nach dem Examen, wäre es schon allein
aufgrund einiger Handlungen und Vorfälle der Wochen vor dem Examen möglich,
dass die Dich nicht mehr gehen lassen (obwohl
sie es ja heil überstanden hat…). Natürlich kannst Du argumentieren, dass
es bisher auch ging und Du es ja trotzdem irgendwie geschafft hast, nur ob das
dann so zählt…?
Also was ich sagen will – es wäre taktisch geschickter…“
Halt, Stopp… Kopf aus, bitte.
Sie ahnt es – die Einzige die sich nach dem Examen im Weg steht, ist sie selbst. Auch Hilfe annehmen ist eine Sache, die gelernt sein will. Das ist
gar nicht so einfach – passt es doch so gar nicht in Mondkinds Weltbild, die
doch alles immer irgendwie hinbekommt und deren Lebensweg bitteschön geradlinig
zu sein hat und jetzt mal endlich das Ende des Studiums im Blick haben sollte.
Wie passt das denn zusammen? In der Woche vorher Examen machen
und den ganzen Stress aushalten, was ja auch nicht ohne ist und danach so etwas…?
Das kann man doch gar nicht ernst nehmen (auch so eine Sache, vor der Mondkind
Angst hat…)
Mondkind ahnt… - sie wird das alles wieder ein wenig herunter spielen
und ausdrücklich betonen, dass sie zurecht kommt.
„Weißt Du Mondkind“, sagt es aus einer anderen Ecke, „Du hast nach dem
Examen nur eine einzige Aufgabe: Ehrlich Dir selbst und der Ambulanz gegenüber
zu sein. Einfach mal nicht an die Konsequenzen denken.
Nicht daran denken, ob das mit dem PJ klappt oder nicht.
Nicht daran denken, ob man noch alle Termine irgendwie unter bekommen
würde oder nicht.
Nicht daran denken, dass das mit der Vermietung des Zimmers im
Chaos enden würde, wenn Du das innerhalb der engen Vorgaben der Klinik organisieren
müsstest.
Nicht an die Familie denken, die ziemlich enttäuscht wäre - es wäre wahrscheinlich ein absolutes Drama. (Mondkind
hat erfahren, dass ihre Mutter eine Reise aus dem Grund vorgeschlagen hat,
damit sie möglichst weit weg von irgendwelchen Kliniken ist… Mondkind ist
wirklich ein bisschen fassungslos. Dass ihre Familie sie nicht unterstützt weiß
sie, aber das...? Wieso wollen die nicht, dass Mondkind gesund wird? Wieso kann da nicht ein mini - bisschen Verständnis sein...?)
Und nicht an einen Freund denken, von dem Du ich nicht weißt, wie er
einen zweiten Klinikaufenthalt aufnehmen würde.
Nicht daran denken, dass Du denen in der Ambulanz wieder ein bisschen
zu viel Arbeit machen würdest, eventuell ein wenig deren Plan durcheinander
schmeißen würdest.
Nicht daran zu denken, dass die Therapeutin mit Sicherheit ziemlich
enttäuscht wäre – einerseits, dass es Dir nach drei Jahren immer noch nicht
wesentlich besser geht und andererseits, dass Du ein paar Dinge hast unter den
Tisch fallen lassen – auch wenn es berechtigte Gründe gehabt haben mag.
Und nicht fragen, ob Du es übertreibst oder nicht. Es ist, wie es
ist und dass so etwas nicht unbedingt rational ist, ist klar.
Einfach mal das Hirn ausstellen. Und auf den Satz vertrauen, den Du
letztens gehört hast: „Dann finden wir
auch eine Lösung. Es gibt für alles eine Lösung.“
Und es kann ja auch sein, dass es das bringt das Argument ins Feld zu führen,
dass es bisher auch geklappt hat. Aber es nützt eben eher wenig, wenn sich dann
nach drei Wochen heraus stellt, was da eigentlich los ist oder Du gar schon nicht mehr hier bist.
Du musst es einfach „nur“ annehmen was man Dir anbietet. Und ein
bisschen vertrauen. Die wollen Dir doch keine Steine in den Weg legen, sondern einfach nur helfen.“
Und das ist es, was Mondkind gerade so sehr lähmt. Die Angst vor ihr
selbst. Theoretisch wäre sie sicher. Theoretisch könnte nicht viel passieren
und sie könnte in Ruhe Examen schreiben und sich dann einfach darauf einlassen,
was danach passieren wird. Vielleicht läuft es ja alles auch glimpflicher, als
erwartet.
Aber ob sie das praktisch zulassen kann – das ist mal so die Frage.
Und da Mondkind sich ja kennt, vermutet sie, dass sie das eher nicht können
wird. Insbesondere wo sie nun auch noch in Bedrängnis gebracht wird, in der Woche nach ihrem Examen zu verreisen (Was bedeuten würde, dass sie alle Termin in der Ambulanz umschieben müsste...).
Obwohl sie sich schon gern helfen lassen wollte – aber es geht einfach nicht.
Sie hat zu funktionieren. Und alles was das gefährdet, muss weiträumig
umschifft werden.
Wie kann eine einzige Person nur zwei so komplett gegensätzliche Standpunkte
in sich tragen?
Die eine Seite, die einfach nur möchte, dass dieser Wahnsinn hier
aufhört.
Und die andere Seite, die das einfach nicht zulassen kann.
Mondkind
Mondkind
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