Done and over


Mondkind sitzt an ihrem Schreibtisch – immer noch im Schlafanzug.
Neben ihr ein Kaffee und ein paar Bananenpfannkuchen mit Erdbeeren.
Dass dieser Tag irgendwann kommt, war so lange undenkbar.

Gestern. Kurz nach 14 Uhr. 
Mondkind gibt ihren Antwortbogen ab. 107 Kreuze. Bis hierher hätte sie noch alles anders machen können. Aber der letzte Tag hatte es in sich. Vergeblich hat sie – so wie viele andere – auf die Psychiatriefälle gewartet. Am Ende gab es keinen einzigen; lediglich eingestreut vier oder fünf Fragen zum Thema Panikstörung. Stattdessen kam das IMPP nochmal mit zwei großen Augenfällen um die Ecke und einem Dermatologiefall. Hätte man sich überlegt Auge auszulassen, hätte man ein Problem bekommen. Und es gab einen riesen Neurofall – leider zum Thema Polyneuropathie. Schlimmer hätte es kaum kommen können. Die komplette Elektrophysiologie und Pharma bis zum Abwinken. Nicht schön…

Kaum tritt Mondkind vor die Tür, wird sie von ein paar Kommilitonen aus ihrer ehemaligen Seminargruppe in Empfang genommen, die sie einmal in den Arm nehmen, ihr einen Blumenstrauß in die Hand drücken und dann sofort ein paar Gruppenfotos machen.

Unglaublich. Vor einem halben Jahr noch hatte sie mitbekommen, wie die whatsApp – Gruppe explodiert mit Gruppenfotos und freudigen Gesichtern von denen, die es geschafft hatten. Und sie hatte sich gefragt, ob sie da jemals ankommen würde.

Zu Hause setzt sie sich an den Schreibtisch und wertet die Ergebnisse der ersten beiden Tage aus – die vom dritten Tag würden erst im Lauf des Abends kommen.
Würde es reichen? Der dritte Tag fühlt sich nicht so an, als könnte man da viel mehr als 60 % holen… und sie hatte von den anderen schon gehört, dass viele Fallen in den Fragen gewesen sein sollen. Ist sie da etwa hinein getreten?
Sie schreibt eine Liste. Auf die linke Seite eine Strichliste für die richtigen Antworten, auf die rechte Seite eine Liste für die falschen Antworten.
Die linke Seite füllt sich wesentlich schneller, als die rechte Seite.
Bevor sie wieder loszieht stellt sie fest, dass ihr noch rund 20 Punkte bis zur Bestehensgrenze fehlen. Die würde sie schon noch geschafft haben in den 107 Fragen. 



Sie ist noch keine Stunde zu Hause, als sie Portemonaie und Schlüssel in ihre Handtasche schmeißt, noch kurz mit einem Freund telefoniert, der sie anruft und schon wieder losdüst.

Fast die komplette alte Seminargruppe trifft sich nochmal. Zuerst gehen sie etwas essen (Mondkind hat in der ganzen Aufregung tatsächlich noch gar nichts gegessen heute). Das Wetter ist wunderschön, es ist eine laue Frühlingsnacht. Daher beschließen sie noch in die Stadt an den Fluss zu gehen.
Wann hat Mondkind hier das letzte Mal gesessen? Dieses Jahr noch nicht…
Vielleicht war das letzte Mal tatsächlich, als die anderen ihr Examen bestanden haben.
Es entstehen wieder Fotos. Ungefähr dieselben wie letztes Jahr im Herbst. Selfies, auf denen alle irgendwelche komischen Grimassen ziehen und Mondkind manchmal nicht weiß, ob sie das gut finden soll Mitglied einer so verrückten und auffälligen Gruppe zu sein, oder nicht.
Aber jetzt ist sie auch eine von denen, die das Examen bestanden hat. Es ist merkwürdig – der Abend läuft exakt so, wie vor einem halben Jahr. Dasselbe Restaurant, dieselbe Stelle am Fluss.
Und manchmal möchte sie sich selbst vor einem halben Jahr in den Arm nehmen und ihr sagen, dass es nicht leicht wird, aber dass es irgendwie gehen wird.

Es ist weit nach Mitternacht, als Mondkind sich mit ein paar anderen Kommilitonen auf den Weg nach Hause macht. Sie schläft schon fast im Stehen.
Mit der letzten Bahn fährt sie richtung Uni und von da aus mit dem Fahrrad richtung Heimat.
Und da ist er wieder, dieser Gedanke: „Wer hätte jemals gedacht, um welche Zeit und mit welchem Verkehrsmittel Du durch die Uni radelst…“
Es hat sich verdammt viel verändert bei Mondkind – das sagen auch ihre Kommilitonen immer wieder. Und, dass sie stolz auf Mondkind sind, wie viel sie geschafft hat. Irgendwie motiviert Mondkind das, es doch ohne Klinik hinzubekommen und ohne die Gefahr, dass das PJ doch noch schief gehen könnte.

Zu Hause setzt sie sich nochmal an den Schreibtisch und vergleicht ihre Ergebnisse des letzten Tages.
Es ist die Frage, ob das IMPP die Sachen ähnlich sieht. Viel Luft für Diskrepanzen ist nicht, aber wenn sich nicht mehr viel ändert, kann Mondkind mehr als zufrieden sein. Wahrscheinlich war sie im Polyneuropathie – Dschungel doch besser als sie dachte.
Auf die offiziellen Ergebnisse müssen sie noch eine Weile warten, aber egal wie die ausfallen – es ist bestanden.
Das Examen ist bestanden… - unfassbar.

Es ist ein besonderer Tag im Leben, hatte ihr eine Kommilitonin gesagt. Und auch wenn ihre Familie sich nicht sehr dafür interessiert, wie Mondkind durch die drei Tage gekommen ist und das eher wieder negative als positive Einflüsse waren soll sie sich doch klar machen, dass sie stolz auf sich sein kann…

(An einem Abend war Mondkind sogar so verzweifelt gewesen, dass sie all ihre Sorgen, die sie im Examen statt der Fragen umgetrieben haben in eine Mail verpackt und an ihre Therapeutin geschickt hat. Nur, damit sie schon mal Bescheid weiß - Mondkind geht es immer besser, wenn Dinge schonmal gesagt sind; sie hat dazu gesagt, dass sie keine Antwort erwartet. Aber dann muss sie beim nächsten Mal auch nicht erklären, in welcher Zwickmühle sie steckt und dass alle ihr Befinden und ihr Verhältnis zueinander wieder von ihr abhängig machen.
Sie hat trotzdem die Standardantwort zurück geschrieben, dass sich das per Mail nicht klären lässt und dass Mondkind sich an die Klinik wenden soll, wenn es gar nicht mehr geht…
Aber da nächste Woche ja ohnehin die letzte Woche der beiden ist, hat Mondkind zwar unendlich lange darüber nachgedacht, ob das jetzt grenzüberschreitend und belästigend ist oder nicht, aber wenn man mal ehrlich ist, macht es eigentlich nicht mehr so viel… )

Und jetzt… - Mondkind fühlt schon langsam dieses Loch. Es ist viel liegen geblieben, um das sie sich jetzt erstmal kümmern muss – Beschäftigung wird sie hoffentlich ablenken. Und sie wird versuchen nicht hinein zu fallen in das Loch, sondern zumindest ein paar Tage ein bisschen zu leben.
Und für alle anderen Sachen gibt es einen neuen Blogpost.
Damit dieser hier endlich mal positiv bleibt. Denn sie wird oft zurück blicken auf ihn – das weiß sie schon jetzt.

Mondkind

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