Die ersten Tage...

Mittwoch, 23. Mai 2018


Erster richtiger Tag. Mondkind stellt sich den Wecker schon etwas früher. Das hat sie schon in allen Famulaturen gemacht. Sie braucht morgens nochmal ein bisschen Zeit für sich, bevor es losgeht. Sonst kommt sie schon mit ganz viel Durcheinander im Kopf auf der Station an.
Sie hat noch keinen Schlüssel für das Arztzimmer; deshalb muss sie nach dem bei den Schwestern fragen. Es ist gar nicht so einfach in deren Stress dazwischen zu kommen und höflich zu fragen, ohne sofort eine barsche Bemerkung zurück zu bekommen, weil man es wagt, auch noch etwas zu wollen.
Und dann beginnt sie wie abgesprochen mit den Blutabnahmen. Das erste Mal seit anderthalb Jahren. Weit kommt sie nicht, bis sie in die Frühbesprechung muss.
Als sie wieder hochkommt, nimmt eine Schwester sie sofort auf Seite und erklärt ihr, dass sie nicht einfach alleine anfangen soll Blut abzunehmen. Dezente Panik bei Mondkind. Das war doch gestern so besprochen worden. Die Schwester erklärt, dass das schließlich ihre Patienten seien und sie nicht möchte, dass die Patienten zu oft gestochen werden. Und dann passt die mit Argusaugen auf, dass Mondkind mit nur einem Butterfly auf dem Blutabnahmetablett in die Zimmer verschwindet. Mehr als zwei Mal sticht Mondkind die Patienten auch nicht, aber nur einen Versuch zu haben und dann unverrichteter Dinge wieder auf dem Flur erscheinen zu müssen, stresst sie. Entsprechend fällt die Bilanz heute Morgen nicht gut aus.
Mit der ihr zugeteilten Ärztin bereitet Mondkind die Visite vor. „Du kannst zu der Patientin in der 212 gehen“, erklärt sie Mondkind. „Das ist eine Asthma – Patientin. Asthma hat sie wirklich, aber auch eine starke Somatisierungsstörung. Sie sagt immer, ihr hilft kein einziges Medikament und egal was wir mit ihr machen – es geht ihr nie besser. Und dann kommt sie alle zwei Wochen zu uns – jeder kennt sie… Du musst sie einfach nur beruhigen.“ Mondkind betritt das Zimmer, holt sich einen Stuhl und stellt ihn neben das Bett. Hier scheint es mehr um Gesprächsführung zu gehen – also ein bisschen Zeit nehmen, zugewandt und auf Augenhöhe. Kaum sitzt Mondkind, bricht der Redeschwall der Patientin los. Eigentlich wolle sie ja gar nicht ständig ins Krankenhaus, aber da seien ja die immer wieder auftretenden Asthma – Anfälle. Sie sei am Wochenende auf einem Geburtstag gewesen und habe da ein Stück Kuchen gegessen und vielleicht sei der nicht mehr gut gewesen. „Und jetzt glauben Sie, dass  durch den Kuchen das Asthma schlechter geworden ist…?“, fragt Mondkind. „Ja, man weiß ja nicht, was da drin war…“ Dazu fällt Mondkind jetzt auch nicht mehr viel ein. Außerdem meint die Patientin, dass sie jetzt ein neues Medikament brauche. Mondkind erklärt, dass es ihr durch die Steroide ja nun schon besser gehe und man nochmal über die Dosierung nachdenken könne, aber etwas anderes wolle sie ihr nicht geben, weil die Patientin ja auch vieles nicht vertrage. „So kann es nicht mehr weiter gehen“, sagt die Patientin und fügt hinzu, dass sie doch nicht schon wieder am Wochenende in der Klinik sein wolle. Mondkind erklärt, dass es ihr vielleicht bis Freitag so gut geht, dass sie entlassen werden könne. „Und dann bekomme ich am Wochenende wieder einen Asthma – Anfall und dann bin ich einen Tag später wieder hier. Das hatten wir das letzte Mal schon – das geht nicht.“ Mondkind beruhigt sie, dass sie das mit der Entlassung ja auch im Lauf der Woche noch entscheiden können. Auch in Absprache mit der Patientin – wenn sie Angst hat könne sie auch bleiben. Mondkind versichert ihr, nichts über ihren Kopf hinweg zu entscheiden.
Mondkind ist mehrere Male schon auf dem Weg zur Tür, als der Patientin immer noch etwas Neues einfällt. Der Grund für die Aufenthalte ist vielleicht eher Einsamkeit, denkt Mondkind. Und obwohl die Patientin auf der Station als „schwierig“ bekannt ist, tut sie Mondkind fast ein wenig leid. Auch Mondkind kennt das Gefühl einfach nur jemanden zum Reden haben zu wollen. Nur dass sie da nicht so offensiv vorgeht.

Nach der restlichen Visite fällt auf, dass die Notaufnahme heute äußert dünn besetzt ist. Mittlerweile ist Mondkind mit Schlüssel und Telefon ausgestattet – sie ist also leicht auffindbar. Die Oberärztin beordert sie in die Notaufnahme.
Ohne dass ihr jemand mal das System erklärt hätte, was für Bögen und Anforderungsscheine auszufüllen sind, soll sie sich um die Notaufnahme kümmern. Den Patienten aufnehmen, sich eine Therapie überlegen und im Anschluss die Oberärztin anrufen.
Mondkinds erster Patient ist ein junger Mann mit Drehschwindel und Kopfschmerzen. Schon am Vortag sei er im Krankenhaus gewesen, habe aber nach einer Infusion mit einem Medikament gegen die Übelkeit keine Lust gehabt zu bleiben. Heute sei es allerdings wieder schlimmer geworden. Mondkind schaut sich den Arztbrief vom Vortag an. Dort hatte man einen Morbus Meniere in Betracht gezogen. Mondkind erhebt eine gründliche Anamnese und untersucht den Patienten – inklusive einer neurologischen Untersuchung. Zum Glück ist Mondkinds erster Fall ein halber Neuro – fall. Eine Schwerhörigkeit habe er subjektiv nicht bemerkt und auch einen Tinnitus habe er nicht; Mondkind wäre so schnell wahrscheinlich nicht auf einen Morbus Meniere gekommen.
Mit zitternden Händen ruft sie die Oberärztin an und stellt den Patienten vor. Sie schlägt vor ihn konsiliarisch beim HNO – Arzt vorzustellen, um dem Verdacht mit gezielten HNO – ärztlichen Untersuchungen nachzugehen. Außerdem könne der Patient natürlich Medikamente gegen die Übelkeit bekommen.
„Sehr gut, Sie können bei uns anfangen“, ist der Kommentar der Oberärztin. Puh… - das hat ja mal erstaunlich gut funktioniert.

Mondkinds zweiter Fall ist eine Dame mit hypertensiver Entgleisung. Als sie vor Mondkind sitzt, hat sie immer noch systolische Drücke von fast 200. Bevor Mondkind irgendetwas anderes macht, muss sie den Blutdruck senken. 2 Hub Nitro wären angebracht. Sie ruft wieder die Oberärztin an. Die sei aber gerade in der Endoskopie und nicht zu sprechen. Na super… Im Alleingang handeln darf Mondkind nicht. Sie telefoniert alle möglichen Nummern von Ärzten durch, die sie an der Wand der Notaufnahme neben dem PC findet, aber jeder ist im Stress. Am Ende ruft sie nochmal bei der Oberärztin an. Und bekommt eine Erlaubnis. Bis dahin sind ihr aber schon Bäche von Schweiß den Rücken hinab gelaufen. Sie dachte schon, sie könne jetzt zuschauen, wie da ein Gefäß im Gehirn platzt, zumal die Dame auch über Kopfschmerzen klagt.
Als Mondkind die Patientin der Oberärztin übergibt fragt sie nach der weiteren Therapie. „Das ist so eine Sache“, sagt Mondkind. „Bisher nimmt die Patientin nur einen Blutdrucksenker. Wir haben das in der Uni so gelernt, dass man derzeit eher weg von den niedrig dosierten Kombinationstherapien geht und erstmal ein Medikament hochdosiert und schaut, ob es reicht, ehe man mit Kombinationen anfängt.“ „Sehr gut, dann machen wir das auch so“, sagt die Oberärztin.

Der dritte Fall hat es in sich. Ein Mann mit linksseitigen Brustschmerzen eine halbe Stunde nach dem Frühstück. Da er schonmal einen Herzinfarkt hatte, ist hier besondere Aufmerksamkeit wichtig.
Das EKG gibt aber keine Infarkttypischen Veränderungen her und auch die im Notfalllabor bestimmten Parameter sind unauffällig. Bei Mondkinds weiterer Anamnese kommt heraus, dass die Schmerzen eher atemabhängig sind und der Patient zudem vor einem Monat an der Wirbelsäule operiert worden war. Ein Blick auf das Labor zeigt auch leicht erhöhte Entzündungsparameter.
Mondkind überlegt, dass man jetzt Herzinfarkt, Lungenembolie, vertebragene bzw. muskuloskelettale Schmerzen und auch eine Entzündung in Betracht ziehen müsste…
Und jetzt… ? Man könnte D – Dimere bestimmen oder auch erstmal ein Sono machen, um eine TVT auszuschließen, die die häufigste Ursache einer Lungenembolie ist. Wenn man an eine Lungenentzündung denkt, könnte auch ein Röntgen nicht schaden, um Infiltrate nachzuweisen. Allerdings sollte man nicht unbedacht jeden Patienten röntgen. Und natürlich EKG- und Laborkontrollen. Mondkind fällt es schwer zu entscheiden, was sie mit dem Patienten macht. Die Oberärztin beschließt EKG- und Laborkontrollen sowie ein Sono am nächsten Tag.

Um kurz nach vier Uhr darf Mondkind gehen. Die Oberärztin lobt sie noch einmal. Und Mondkind ist ein bisschen glücklich. So im Nachhinein hat das doch alles erstaunlich gut geklappt, auch wenn es in dem Moment eher nicht so der Knaller war.

Ausgestattet mit Telefon und Diktiergerät... 😃😃

Donnerstag, 24. Mai 2018

Der Morgen beginnt chaotisch. Mondkinds Aufnahmebogen des jungen Mannes mit dem Schwindel ist verschwunden, was einen der Assistenzärzte auf die Palme bringt. Mondkind versichert ihm, den Patienten mit allen Unterlagen zur Aufnahme geschickt zu haben – sie hat keine Ahnung, an welcher Stelle der verloren gegangen ist.

Die Patientin mit dem Asthma lässt sich heute Morgen viel einfallen, um Mondkind im Zimmer zu halten. Als letztes kommt sie damit um die Ecke, dass auf der Gebrauchsanweisung des Inhalators steht, dass man sich damit bei unsachgemäßem Gebrauch umbringen kann. Mondkind will einfach nur den Kopf an die Wand schlagen. Sehr schwierige Patientin.
Eine Stunde nachdem Mondkind wieder aus dem Zimmer ist fällt der Patientin ein, dass sie jetzt gehen will. Dann muss als nächstes ein Brief her. Mondkinds erster Brief. „Du hast doch schon Briefe in der Neuro geschrieben – Du kannst das doch“, sagt ihre Ärztin und drückt ihr das Diktiergerät in die Hand. Briefe diktieren ist allerdings etwas anderes. Da fehlt einem irgendwie das Gefühl für die Sprache. Außerdem muss man nicht alles mitdiktieren, weil die im Schreibbüro einige Dinge standardmäßig immer rein schreiben. Das weiß Mondkind natürlich noch nicht – sie hätte gern mal bei einem Brief daneben gesessen.

Nachdem sie gestern nicht dazu gekommen ist, schafft sie es heute zumindest um kurz vor halb 2 noch zum Mittagessen zu rasen.

Am Nachmittag ist viel Tumult im Stützpunkt. Ein Arzt und eine Schwester kommen nicht miteinander zurecht und streiten laut. Und damit sich die anderen noch verstehen, reden sie auch lauter. Mondkind fragt, ob es okay ist, wenn sie in die Sonographie geht. Sie darf gehen. Das war auch kurz vor knapp. Auf dem Weg legt Mondkind einen kleinen Stopp auf der Toilette ein. Das ist echt der Klassiker schlechthin. Aber sie braucht ein paar Minuten, um wieder ein bisschen ruhiger zu atmen. „Es ist alles okay Mondkind. Das war nicht wegen Dir; Du hast damit nichts zu tun…“

Auf dem Heimweg holt sie einen Brief von der Rezeption ab. Ihr Arbeitsvertrag. Sie hasst Verträge. Da muss man so viele Dinge unterschreiben, die man eigentlich gar nicht will. Beispielsweise soll Mondkind sich nochmal einer betriebsärztlichen Untersuchung unterziehen und den Arzt direkt von der Schweigepflicht entbinden. Nein – das will sie doch überhaupt nicht. Bei der betriebsärztlichen Untersuchung an der Uni hat man ihre Klinikgeschichte völlig auseinander genommen und die Frage in den Raum gestellt, ob eine so instabile Studentin, die so lange im Krankenhaus war und immer noch in ärztlicher Behandlung ist, überhaupt arbeitsfähig ist. Mondkind bekommt Panik. Sie kämpft so sehr um einen normalen Alltag und das steht einfach keinem Arzt zu, der sie überhaupt nicht kennt, darüber zu beschließen, ob sie arbeitsfähig ist oder nicht.
Da sie ohnehin noch ihrem Oberarzt aus der Neuro schreiben muss, fügt sie die Sorgen gleich mit in die Mail ein. Zehn Minuten später kommt die Antwort. „Hallo Mondkind, alles läuft gut; kein Grund Angst zu entwickeln…“ Und die Bitte, dass sie morgen vorbei kommen soll.

Immer noch innerlich unruhig verschwindet Mondkind gegen 22 Uhr im Bett.

Freitag, 25. Mai 2018

Mondkinds Morgen beginnt wieder mit Blutabnahmen. Sie ist mittlerweile dazu übergegangen auf der Nachbarstation anzufangen. Dort schätzt man ihre Hilfe nämlich und lässt sie werkeln. Und oh Wunder… - hier klappen die Abnahmen in vielen Fällen beim ersten Mal.

Ansonsten steppt in der Notaufnahme der Bär. Da es aber heute mit der Oberärztin nicht abgesprochen ist und die Assistenzärzte ja selbst noch unsicher sind, möchte man Mondkind heute nicht viel machen lassen und schiebt sie von einem Raum in den nächsten. Ihnen über die Schulter zu schauen, macht die jungen Ärzte nämlich auch nervös. Mondkind kommt sich heute ein wenig fehl am Platz hier vor. Sie würde ihren Kollegen ja gern Arbeit abnehmen, aber dann muss man nun mal damit leben, dass es bei Mondkind etwas länger dauert und man vielleicht auch nicht alle von Mondkinds Entscheidungen so übernehmen kann. Und dazu ist offenbar heute keiner bereit.
Mondkind stellt fest, dass sie sich am Wochenende unbedingt nochmal mit der Niereninsuffizienz auseinander setzen muss – die haben hier nämlich erstaunlich viele Patienten. Auch um die Leberzirrhose muss sie sich nochmal kümmern, denn alkohlbedingte Leberzirrhosen kommen ungefähr genauso oft hier vor. Die Oberärztin, die ihr derzeit zugeteilt ist, ist außerdem Pulmonologin hat Mondkind herausgefunden. Also wäre es auch kein Fehler darüber Bescheid zu wissen. Ob sie dazu am Wochenende kommt, ist aber eher fraglich, bei dem was sie alles noch erledigen muss.

Heute fährt sie erst um kurz vor fünf Uhr nach Hause – mitten im Gewitter. Sie hätte auch noch warten können, obwohl man ohne die Möglichkeit einen Blick ins Wetterradar zu werfen ja nicht weiß, wie lange es noch regnen wird. Aber da sie ja noch den Neuro – Oberarzt besuchen wollte, musste sie los. Erst zwei Mal ist sie in ihrem Leben so nass geworden, dass man die Klamotten danach auswringen kann. Gestern war eine dieser beiden Situationen.

Und am Abend das Gespräch mit dem Neuro – Oberarzt. Auch er gehört zu diesen unglaublich ruhigen und beruhigenden Persönlichkeiten. Und er ist einfach so ein Papa – Typ. Wie eben genau das, was Mondkind so oft in ihrem Leben fehlt.
Aber dazu morgen mehr…

Mondkind

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